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Inhalt der Nr. 52 der grundrisse |
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Liebe Leserinnen und
Leser,
mit jedem Ende fängt was an. Die Publikation der grundrisse
wird mit dieser Ausgabe eingestellt. Über das Warum und Wieso aus den
verschiedensten Perspektiven informiert euch der Schwerpunkt dieser Ausgabe:
Reflexionen über die Entwicklung der grundrisse (2001 – 2014). Die Redaktion
löst sich jedoch keineswegs auf, sondern will neue Wege beschreiten. Insofern
passt der erste Beitrag, nämlich die Eröffnungsrede von John Holloway am 23.
Oktober dieses Jahres bei Elevate Festival in Graz, sehr gut zu unseren weiteren
Absichten. Wir wollen erstmals mit monatlich stattfindenden Jour fixe
weitermachen. Die Treffen werden jeden zweiten Montag im Monat im Amerlinghaus
(Stiftgasse 8, 1070 Wien) um 19 Uhr stattfinden. Informationen gibt es auf
unserem neu eingerichteten Blog:
http://blog.grundrisse.net/ Der erste Termin ist auch schon inhaltlich
fixiert. Max Zirngast wird dankenswerterweise ein Impulsreferat zum Thema
Abdullah Öcalans neue politische Orientierung und die Situation in Syrisch
Kurdistan halten. Danach ist eine offene Diskussion geplan....weiter
John Holloway: Graz, Elevate Festival 2014, Eröffnungsrede
1. Meine
Eröffnungsrede hat einen Titel: Eröffnungsrede.
Als Daniel mir
das Programm schickte und ich sah, dass ich eine Eröffnungsrede halten sollte,
dachte ich: „Ja, ja, ja! Eine Eröffnungsrede, eine Rede, die öffnet. Genau was
wir brauchen. Ein Traum, ein wundervoller Traum!“ Ich danke Dir für Deinen
Vorschlag, Daniel. Aber ist das möglich? Eine Rede, die tatsächlich öffnet, eine
Rede, die eine sich schließende Welt öffnet. Vielleicht sogar eine Rede, die ein
Festival eröffnet, das die Welt öffnet. Also eine Rede, die nicht nur die erste
Rede des Festivals ist. Natürlich ist das bereits fantastisch, eine große Ehre,
es ist schön, wieder in Graz zu sein, nach Kate Tempest auf der Bühne zu stehen.
All das ist wundervoll. Aber ich möchte noch mehr....weiter
Reflexionen über die Entwicklung der grundrisse (2001 – 2014)
„Jedenfalls sollten wir uns gemeinsam
den Kopf zerbrechen, wie die Lücke, die die grundrisse hinterlassen, gefüllt
werden könnte“
Eine Selbstbefragung
Die Idee zum vorliegenden Text über
unser Verhältnis zu den grundrissen und deren Ende entstand – ähnlich
wie das grundrisse-Projekt selbst – bei ein paar Bier während eines
Beislbesuches. Vier Menschen unterschiedlichen Alters, die ein mehr oder
weniges nahes Verhältnis zum Projekt der grundrisse haben, trafen
sich daraufhin und tauschten ihre Erfahrungen und Einschätzungen aus. Im
Zuge dieses Gesprächs wurde der Fragenkatalog ausgearbeitet, der die
Grundlage dieser Selbstbefragung darstellt. Jonas (26), Rainer (35), Stefan
(35) und Renate (50), die eine unterschiedliche politische Geschichte haben
und zu verschiedenen Zeitpunkten auf die grundrisse gestoßen sind,
sind alle in der interventionistischen Linken Wien organisiert, die
in den letzten beiden Jahren entstanden ist....weiter
Anton
Pam (Paul Pop, Nemo Klee):
Ende der „Grundrisse“ und die Krise der Linken
Die
Einstellung der „Grundrisse“ ist eine traurige Nachricht. Damit endet ein
pluralistisches linksradikales Projekt, das den Anspruch hatte
strömungsübergreifend zu sein. Als ich vor zehn Jahren zu den „Grundrissen“
ging, zog mich besonders der kontroverse Charakter der Redaktionssitzungen
an: Fast alle Männer und Frauen waren „Ex-„: Ex-Autonome, Ex-TrotzkistInnen,
Ex-MaoistInnen, Ex-StalinistInnen und hatten ein gewisses selbstironisches
Verhältnis zur eigenen Vergangenheit. Denkverbote schien es nicht zu geben.
Ein deutscher Anti-Deutscher-Ardonit nannte uns einmal „naive
Wohlfühltruppe“. Das war für mich genau das Richtige, nachdem ich in meiner
Jugend in diversen Gruppen die Konflikte der kommunistischen Weltbewegung
der 1930er Jahre nachgespielt hatte, andere GenossInnen wegen
„kleinbürgerlichen Individualismus“ ausschloss und schließlich selbst wegen
„Antikommunismus“ ausgeschlossen wurde. Hätten mich die „Grundrisse“ nicht
in ihre offenen Arme aufgenommen, hätte ich nach diesen frustrierenden
Erfahrungen die linke Szene vielleicht damals verlassen....weiter
Karl Reitter: Warum ich dafür eintrat, die
grundrisse einzustellen
Es existieren mehrere überlappende und
sich verstärkende Gründe, die Herausgabe der Zeitschrift grundrisse
einzustellen. Da gibt es einmal die ganz schlicht persönlichen. Nach der
Produktion von 52 Ausgaben, der Lektüre und Diskussion von über 300
Artikeln, die Buchbesprechungen nicht eingerechnet, und nach mehr als 200
Redaktionstreffen ist die Luft draußen. Zudem sind zwei wichtige
Redaktionsmitglieder aus beruflichen und persönlichen Gründen aus Wien
weggezogen. Redaktionsarbeit über die Entfernung hinweg – das funktioniert
nicht. Vor allem gelang es uns letztlich nicht, die Redaktion zu verjüngen
und weibliche Mitarbeiterinnen zu gewinnen. Im Gegenteil, jene, die sich an
der Redaktionsarbeit beteiligten haben uns schlussendlich verlassen. Unser
verdammt ernst gemeintes Angebot in der Nr. 41, die Redaktion mit allem Drum
und Dran an eine jüngere Gruppe zu übergeben, verhallte ungehört. Damals
schrieben wir: „Wir suchen daher dringend Personen und Gruppen, die die
Verantwortung für die Herausgabe unserer Zeitschrift übernehmen wollen. Wir
werden selbstverständlich mit Rat und Tat zur Seite stehen, um so eine
reibungslose Übergabe zu gewährleisten. Meldet euch – wir meinen es
ernst!“...weiter
Franz Naetar: Einstellung der grundrisse – doch
wir tun weiter!
Den ersten Kontakt zu
den grundrissen hatte ich bei einem mehrtägigen Seminar über „Empire“ von
Hardt und Negri. Zum ersten Mal nach vielen Jahren hatte ich den Eindruck an
einer philosophisch politischen Diskussion teilzunehmen, die interessant war
und wo die TeilnehmerInnen einander nicht gegenseitig ihre alten Argumente
an den Kopf warfen sondern versuchten einander zuzuhören. Zuvor hatte ich
mich nach dem jahrelangen Engagement beim maoistischen Kommunistischen Bund
(KB) für 20 Jahre von den meisten politischen Aktivitäten zurückgezogen.
Allerdings hatte die intensive Auseinandersetzung mit Marx und insbesondere
mit dem Kapital (der KB führte jeweils eine Woche dauernde Schulungen,
Diskussionen über den ersten und dritten Band des Kapitals durch) mir klar
gemacht, dass die einzig solide Analyse des Kapitalismus und seiner
Tendenzen noch immer am ehesten im Kapital zu finden sei. Schon der Name
„grundrisse“ war daher für mich Anregung....weiter
Jannik Eder: Das letzte Jahr der Grundrisse
Ein Bericht
des ersten und letzten Praktikanten
Eines sei
gleich vorweg angemerkt: Dass zwischen meinem Beitritt zur Grundrisse-Redaktion
und dem Beschluss die Zeitschrift einzustellen nur etwa ein Dreivierteljahr
liegt, ist nichts weiter als purer Zufall - meine Tätigkeit für die
Grundrisse seit Anfang des Jahres hat nun wirklich nichts damit zu tun,
dass die Zeitschrift mit Ende 2014 aufgelöst wird. Dass es angeblich dieser
Praktikanten-Jungspund Mitte Zwanzig war, der die ergraute Redaktion
letztlich so zur Verzweiflung gebracht hat, dass man wirklich sämtlicher
Hoffnung beraubt war, die Zeitschrift irgendwann doch noch an eine jüngere
Generation weitergeben zu können, ist nichts als eine abenteuerliche und
absurde Annahme....weiter
Martin Birkner: Nachruf & Vorschein
Angesichts dessen,
dass die grundrisse vor fast 15 Jahren angetreten sind, um in den traurigen
Theorie-Zustand der hiesigen Linken zu intervenieren, muss das Ergebnis
heute wohl als ernüchternd eingeschätzt werden. Die Wirkung der grundrisse
dürfte noch am ehesten in Deutschland sowie an den Universitäten zu finden
sein. Die (radikale) Linke in Österreich und hier vor allem in Wien zeichnet
sich nach wie vor entweder durch relative Theorielosigkeit (die
sympathischste Fraktion), sturem wie antiquiertem Festhalten an diversen
ML-Anachronismen, dem so postmodernen wie gesellschaftlich unwirksamen
Sich-Einzementieren auf Szene- und/oder Mikropolitik oder gar den
antideutschen Stumpfsinn aus. Erfolge unserer Theorieproduktion lassen sich
bestenfalls daran festmachen, dass es ohne die grundrisse noch schlimmer
bestellt wäre. Ein schwacher Trost, aber immerhin....weiter
Robert Foltin: Dreizehn Jahre Grundrisse.
Nach über
dreizehn Jahren stellen wir die grundrisse.zeitschrift für linke theorie
und debatte ein. Sie wird nicht sang- und klanglos verschwinden. Es wird
uns weiter als Gruppe geben, zu unseren Aktivitäten aber an einem anderen
Ort. Ich werde die Geschichte der grundrisse aus meiner Sicht
beschreiben und ich hoffe, es wird klar, warum auch ich für die Einstellung
war, obwohl diese Zeitschrift „mein Herzblutprojekt“ war. Ein Problem dabei
ist, dass Schlagworte dominieren werden – und kein Platz ist, um sie zu
erklären. Ich kann nur darauf hinweisen, sich „alte“ Nummern zu besorgen....weiter
Stefan Junker: Nieder mit der eigenen Regierung!
Es ist immer schwer, sich
in geschichtliche Epochen hineinzuversetzen, besonders wenn es sich um
Ausnahmesituationen handelt. Aber stellen wir uns einfach vor, die Krise in der
Ukraine weitet sich aus. Zuerst weigern sich große Teile der ukrainischen Armee
gegen die eigene Bevölkerung im Osten und Süden vorzugehen. Dem zu begegnen
setzt die Regierung in Kiew auf rechte und faschistische Kräfte, welche den Kern
eines erneuerten Militärs bilden. Die vielerorts aufkeimenden Gefechte und
Demonstrationen werden blutig niedergeschlagen und kosten viele Menschenleben in
der Zivilbevölkerung. Der Bürgerkrieg ist nicht mehr zu leugnen. Mählich werden
auch die militärische und logistische Unterstützung, welche die Regierung in
Kiew von Seiten der USA und der EU erhält, immer weniger leugbar. In dieser
Situation fühlt sich Putin gezwungen, militärisch zu intervenieren, offiziell
zum Schutz der russisch sprechenden Bevölkerung der Ukraine. Die NATO verlangt
ultimativ den Rückzug der russischen Truppen. ...weiter
Marlene Radl: Affektive vs. Reproduktive Arbeit
Ungeachtet des Erfolgs der Empire Trilogie von
Michael Hardt und Antonio Negri in der akademischen wie auch aktivistischen
Linken, lässt sich eine feministische Lücke in der Auseinandersetzung mit Hardt
und Negris Thesen feststellen. Dabei könnte sich das Integrieren
marxistisch-feministischer Kritikpunkte in die Arbeitstheorie von Hardt/Negri
als aufschlussreich für eine adäquate Theoretisierung von Reproduktionsarbeit im
Postfordismus herausstellen, wie nicht zuletzt die Ausführungen der Feministin
und Operaistin Silvia Federici zeigen. Immerhin wollen Hardt/Negri die
Veränderungen der hegemonialen Arbeitsformen im Postfordismus thematisieren.
Dazu gehört auch, so schreiben sie selbst, „die gewöhnlich als Frauenarbeit
bezeichnete Arbeit, insbesondere die Reproduktions- und Hausarbeit.“[1]
Dieser Anspruch ist zunächst durchaus positiv erwähnenswert, jedoch gilt es ihn
sogleich einer kritischen Betrachtung auszusetzten....weiter
Irmi Voglmayr: Prekäre Lebensverhältnisse im Alter
Ein Gespenst geht um im Lande Österreich und es
nennt sich Pensionskonto. Seit Anfang Juni des Jahres werden Erstgutschriften,
die alle bisher erworbenen Versicherungszeiten ausweisen, an alle ab dem
Jahrgang 1955 Geborenen versendet. Jährlich wird eine Teilgutschrift mit den
aktuellen Pensionsbeiträgen Auskunft geben, was wir in der Pension zu erwarten
haben (vgl. neuespensionskonto 2014). Dieses Pensionskonto bereitet uns in
„verständlicher, transparenter und nachvollziehbarer Weise“ auf noch prekärere
Lebensbedingungen im Alter vor, die auch mit Altersarmut umschrieben werden
können. Wer aber sind wir?...weiter
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