Marlene Radl: Affektive vs. Reproduktive Arbeit

Eine Begegnung marxistisch-feministischer und (post-)operaistischer Theorie

Ungeachtet des Erfolgs der Empire Trilogie von Michael Hardt und Antonio Negri in der akademischen wie auch aktivistischen Linken, lässt sich eine feministische Lücke in der Auseinandersetzung mit Hardt und Negris Thesen feststellen. Dabei könnte sich das Integrieren marxistisch-feministischer Kritikpunkte in die Arbeitstheorie von Hardt/Negri als aufschlussreich für eine adäquate Theoretisierung von Reproduktionsarbeit im Postfordismus herausstellen, wie nicht zuletzt die Ausführungen der Feministin und Operaistin Silvia Federici zeigen. Immerhin wollen Hardt/Negri die Veränderungen der hegemonialen Arbeitsformen im Postfordismus thematisieren. Dazu gehört auch, so schreiben sie selbst, „die gewöhnlich als Frauenarbeit bezeichnete Arbeit, insbesondere die Reproduktions- und Hausarbeit.“[1] Dieser Anspruch ist zunächst durchaus positiv erwähnenswert, jedoch gilt es ihn sogleich einer kritischen Betrachtung auszusetzten.

Marxistische Feminist_innen plädieren seit den 1960er Jahren dafür, den werterzeugenden Gehalt der Reproduktionsarbeit sowie ihren Grundlagencharakter für kapitalistische Produktionsverhältnisse anzuerkennen. Diese Forderung zielt seit jeher in das Herz marxistischer Theoriebildung, in welcher der Funktion von Reproduktionsarbeit über weite Strecken hinweg keinerlei besondere Bedeutung zugesprochen worden ist. Diesem augenscheinlichen Mangel wirken Hardt/Negri entgegen, indem sie die Produktion von Leben ins Zentrum ihrer Arbeitstheorie stellen. Doch verschleiern sie dadurch eher gesellschaftliche Machtverhältnisse, anstatt diese zu explizieren. Geschlechtsspezifische Ungleichheiten und Hierarchien werden weitgehend ausgeblendet. Analytische Fehlschlüsse führen dabei letztlich erneut zur „Unterschätzung des Ausmaßes der kapitalistischen Ausbeutung der Arbeitskraft“[2], indem der signifikante Charakter von Reproduktionsarbeit weitgehend verkannt wird. Ein Manko, das für marxistische Theoriebildung leider nach wie vor die Regel darstellt.

Grundzüge des Marxistischen Feminismus

Die Qualität marxistisch-feministischer Analysen liegt nach wie vor im Erfassen der spezifischen Rolle von Reproduktionsarbeit im Kapitalismus. Dabei steht die Entwicklung des marxistischen Feminismus selbst in enger Verbindung mit der des Operaismus, auch wenn diese in der herkömmlichen operaistischen Geschichtsschreibung zumeist ausgeblendet wird. Denn die feministische Auseinandersetzung mit der Marx‘schen Kritik der Politischen Ökonomie in den 1960er und 70er Jahren ergründete sich (zumindest in Italien) auf dem Einfluss des Operaismus, der einen Bruch mit der evolutionären Lesart des Marxismus markierte. Viele marxistische Feminist_innen traten aus den männlich dominierten operaistischen Gruppierungen aus und organisierten sich autonom, um eine feministische Kritik an der marxistischen Theorie und Praxis zu formulieren. Dabei galt es eine neue Kapitalismusanalyse zu konzipieren, die den Stellenwert der Reproduktionsarbeit betonte und Ausbeutungs- und Arbeitsverhältnisse neu dachte. Im Zentrum dieser Kritik stand seit jeher das Argument, die Marxsche Analyse des Kapitalismus leide darunter, dass Marx nicht in der Lage gewesen sei, wertschöpfende Arbeit anders zu denken als in der Form der Warenproduktion.[3] Marxistische Feminist_innen nahmen den Haushalt als Ort wahr, an dem Produktion stattfindet. Jedoch nicht die Produktion materieller Waren, sondern die Produktion von Arbeiter_innen, was schließlich auch einer Produktion von Leben gleichkommt - eine Begrifflichkeit die später von Hardt/Negri aufgegriffen wird.

Lohn für Hausarbeit

An der operaistischen Bewegung im Speziellen kritisierten die italienischen Feminist_innen den Fokus auf den Lohn als Instrument zur Organisierung und Hierarchisierung der Gesellschaft. In diesem Sinne stand als berühmtes Beispiel die Lohn für Hausarbeit – Kampagne. Diese Kampagne war keinesfalls nur an eine bürgerlich-patriarchale Öffentlichkeit gerichtet, sondern war vor allem auch eine Intervention in eine marxistische innerlinke Debatte. Es ging darum, die Produktion und Reproduktion der Ware Arbeitskraft als notwendigen Teil der kapitalistischen Akkumulation zu diskutieren. Dazu kam auch die Frage nach dem politischen Subjekt, welches fortan nicht mehr so einfach mit dem männlichen Lohnarbeiter gleichgesetzt werden konnte. Seit Marx sei klar, so Mariarosa Dalla Costa, dass der Lohnarbeiter und seine direkte Ausbeutung Grundlage der kapitalistischen Gesellschaft sei. Doch niemals wurde erkannt, „dass gerade durch den Lohn die Ausbeutung der Nichtlohnarbeiter organisiert wird. Diese Form der Ausbeutung war noch effektiver, weil das Fehlen eines Lohns sie verschleierte, mystifizierte. […] Die Frauenarbeit erscheint daher als persönliche Dienstleistung außerhalb des Kapitals.“[4] Der Lohn nahm in dieser frühen marxistisch-feministischen Diskussionen einen besonderen Stellenwert ein, da er von der herkömmlichen Linken (und besonders von den frühen Operaist_innen) als Kriterium akzeptiert wurde, anhand dessen die Arbeit von der Nicht-Arbeit unterschieden wurde.[5] Daraus folgte, dass im Namen des Klassenkampfes immer bestimmte Sektoren der Arbeiter_innenklasse zu revolutionären Subjekten erklärt wurden, während andere Sektoren des Proletariats außen vor gelassen wurden. Um dem entgegenzuwirken, musste Hausarbeit öffentlich sichtbar gemacht werden. Dies war der wesentliche Anspruch der Lohn für Hausarbeit - Kampagne.

In der autonomen Frauenbewegung galt es Frauen- und Reproduktionsarbeit als Klassenkampf zu thematisieren. Nicht zuletzt dieser Fokus auf den Klassenkampf verdeutlicht die operaistische Prägung der Theoretiker_innen. Eine der politischen Konsequenzen dieser theoretischen Einsicht war die Zurückweisung bestimmter Kampfformen des Operaismus wie etwa die Vorstellung vom Generalstreik. Denn, ein wirklicher „Generalstreik“ war nicht möglich, während die Hälfte der Bevölkerung zuhause in der Küche weiterarbeitete[6]. Stattdessen wurde „Verweigerung“ gewissermaßen zum zentralen Begriff marxistischer Feminist_innen der 70er, denn er zielte in operaistischer Tradition darauf, Arbeit an sich zu verweigern, statt lediglich ihre Bedingungen zu verbessern. Der Kampf gegen die Arbeit galt auch als Kampf gegen das Geschlecht.[7] Daran anschließend erklärt Federici auch heute noch die gleichzeitige Ablehnung von Reproduktionsarbeit und von Lohnarbeit als Ziel der feministischen Bewegung. Denn die Annahme, dass Lohnarbeit Frauen aus dem Haushalt befreie, war seit jeher illusionärer Art. So muss klar sein, dass der Weg zur Befreiung nicht darin bestehen kann, um Lohnarbeit zu kämpfen. „Lohnarbeit mag eine Notwendigkeit sein, sie kann aber keine politische Strategie sein.“[8]

Die Bedeutung der autonomen Frauenbewegung und ihre Kritiken müssen betont werden, um die Situation der Linken in Italien der 70er generell und ihre theoretischen Auswirkungen für den (Post-)Operaismus im Speziellen in einem angebrachten Kontext verorten zu können. Schließlich nennt Silvia Federici die Kämpfe der Frauen in den 60ern und 70ern „the most important, most transformative social/cultural revolution in our time.“[9] Dies geschieht in klarer Abgrenzung zum Postoperaismus von Hardt/Negri, der zwar ebenfalls die Kämpfe der 60er und 70er Jahre akzentuiert, dabei aber seinen impliziten Fokus auf die Kämpfe des männlichen Industrieproletariats schwer verbergen kann.

Affektive Arbeit bei Hardt/Negri

Reproduktionsarbeit taucht nun bei Hardt/Negri als Bestandteil der Affektiven Arbeit auf. Diese sei jene Seite der Immateriellen Arbeit, welche prinzipiell die Produktion und Handhabung von Affekten beschreibe. Direkte Arbeit am und mit Menschen wird ebenso unter diese Kategorie subsumiert wie etwa „soziale Kompetenz“, die in nahezu allen Bereichen des Beschäftigungsspektrums heute gefragt sei.[10] „Affektive Arbeit ist […] die Arbeit, die Affekte wie Behagen, Befriedigung, Erregung, oder Leidenschaft hervorbringt oder manipuliert.“[11] Das Lächeln des_r Verkäufers_in im Fast-Food Restaurant fällt ebenso in diese Kategorie, wie Arbeiter_innen im Kunst und Kulturbereich, die durch Filme oder Musikstücke Zufriedenheit, Anspannung etc. erzeugen.

Hardt und Negri selbst argumentieren, Affektive Arbeit solle von der Seite her begriffen werden, „was in feministischen Untersuchungen zur Frauenarbeit als ‚Arbeit am körperlichen Befinden‘ bezeichnet wird.“[12] Ihre Bestimmung der Affektiven Arbeit jedoch gehe über diese feministischen Vorüberlegungen insofern hinaus, als dass sie im Kontext ihrer veränderten Rolle innerhalb des postfordistischen Kapitalismus vorgenommen werde. Diese Arbeit spiele heute eine veränderte und zentrale Rolle für antikapitalistische Projekte. Hardt expliziert, dass er sich zwar dessen bewusst ist, dass affektive und fürsorgliche Arbeiten kein neues Phänomen darstellen, dass jedoch „der Grad, in dem die affektive immaterielle Arbeit produktiv für das Kapital gemacht und in weiten Bereichen der Ökonomie verallgemeinert wurde“[13] neu sei. Heute berge die Affektive Arbeit die höchste Wertschöpfung für das Kapital innerhalb der gegenwärtigen Ökonomie. Der Unterschied liege demnach in der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung der Affektiven Arbeit. Zunächst fassen Hardt und Negri den Begriff jedoch sehr weit. Mehr oder weniger stark spiele die Affektive Arbeit in allen Momenten menschlicher Interaktion oder Kommunikation, und somit überall im Dienstleistungssektor, eine Rolle. Darüber hinaus tendiere sie dazu sich weiter auszudehnen und einen immer wichtigeren Platz in der Produktion des gesellschaftlichen Lebens einzunehmen.

„Die affektive Arbeit ist heute nicht nur direkt produktiv für das Kapital, mehr noch, sie bildet die Spitze in der Hierarchie der Arbeitsformen.“[14] Affektive Arbeit produziere soziale Netzwerke, Formen der Gemeinschaftlichkeit und letztlich das Leben selbst, denn sie sei durch und durch biopolitisch. Genau diese biopolitische Dimension, hat bei Hardt/Negri, anders als bei Foucault oder den meisten Feminist_innen, eine auch positive Bedeutung. Denn Hardt und Negri begreifen die Produktion von Leben auch als ein „Vermögen, das sich als Biopolitik gegen die unterdrückende Biomacht wenden kann.“[15] In der Erzeugung von Sozialität, die für das Kapital verwertet wird, sieht Hardt auch das außerordentliche Potenzial, welches in der Affektiven Arbeit stecke. Er deutet die Biomacht als „eine Macht von unten“, die gegen das Kapital und gegen herrschende Verhältnisse der Entfremdung gerichtet werden kann. Affektive Arbeit avanciert so in der Arbeitswertlehre von Hardt und Negri direkt ins Zentrum des befreienden Potenzials der Biomacht.

Affektive Arbeit vs. Reproduktionsarbeit

Mit der Einführung des Begriffs der Affektiven Arbeit knüpfen Hardt und Negri an das Thema „Reproduktionsarbeit“ an, welches seit Jahrzehnten im Mittelpunkt feministischer Auseinandersetzungen steht. Hardt und Negri selbst behaupten, sie nehmen die feministische Kritik auf, indem sie sich dezidiert nicht auf bezahlte Erwerbsarbeit fokussieren, sondern eine Arbeitstheorie vertreten, in deren Zentrum die Produktion von Leben stehe. Sie führen aus, dass die Hegemonie der Immateriellen Arbeit ein Resultat der Veränderung hin zur Reellen Subsumtion der Arbeit unter das Kapital sei. Affektive Arbeit an sich sei zwar kein neues Phänomen, wohl aber der Grad in dem sie vom Kapital ausgebeutet werde. Die Frage, wie Affektive Arbeit in der (vorangegangenen) Phase der Formellen Subsumtion der Arbeit unter das Kapital organisiert war bzw. wie diese zur Mehrwerterzeugung beitrug, bleibt gänzlich unbeantwortet.

Es sollte jedoch klar sein, dass für jede Epoche der kapitalistischen Entwicklung Reproduktionsarbeit notwendiger Bestandteil der Kapitalakkumulation war. Dabei beschreibt Reproduktionsarbeit die Produktion von Arbeitskraft und damit eine an sich produktive Arbeit. Es sollte weiter klar sein, dass diese Arbeit zu keiner Zeit außerhalb des Ausbeutungsverhältnisses des Kapitals existieren konnte, denn sie erfüllt, über die Produktion reiner Gebrauchswerte hinaus, eine wesentliche Funktion in der Produktion des Mehrwerts. Der Kapitalismus profitierte zu jeder Phase direkt von (weitgehend unbezahlter) Reproduktionsarbeit, denn diese stellt schließlich die Grundlage für die Produktivität der Lohnarbeit dar und ist somit als „Quelle der gesellschaftlichen Produktivität“[16] dem Kapital auch direkt untergeordnet.

Die Abwertung der Reproduktionsarbeit (die ebenso eine Abwertung der sozialen Stellung der Frau impliziert) hat es dem Kapital seit jeher ermöglicht, Frauen- und Reproduktionsarbeit unbezahlt zu akkumulieren. Die Behauptung diese Art von Arbeit habe in irgendeiner Phase kapitalistischer Produktion außerhalb des Ausbeutungsverhältnisses existiert, muss aus materialistisch-feministischer Perspektive zurückgewiesen werden. Sie ist nicht lediglich eine von vielen Formen immaterieller Arbeit, sie war unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen immer schon die Grundlage für jegliche gesellschaftliche Produktivität. Der Begriff der Affektiven Arbeit von Hardt/Negri ist gerade nicht in der Lage, diesen Grundlagencharakter der Reproduktionsarbeit entsprechend anzuerkennen und zu integrieren. Entscheidend für das Verständnis von Reproduktionsarbeit ist dabei die Festhaltung am Begriff der „Arbeitskraft“, auch wenn dieser in der feministischen Diskussion oft als reduktiv bezeichnet wird. Denn die Verwendung des Begriffs, vor allem im Zusammenhang mit deren Produktion, signalisiert, dass Reproduktionsarbeit „keine selbstbestimmte Tätigkeit“[17] ist, da sie nicht die Reproduktion unserer selbst oder anderer gemäß unseren freien Willens oder den Wünschen der von uns Reproduzierten darstellt.

Denn als „[…]Produktion und Reproduktion des dem Kapitalisten unentbehrlichsten Produktionsmittels, des Arbeiters selbst“[18], kann die Reproduktionsarbeit keine freie Tätigkeit sein. Sie ist durchweg von den Bedingungen geprägt, die ihr von der kapitalistischen Arbeitsorganisation und den Produktionsverhältnissen oktroyiert werden. Anders als Hardt/Negri begreift Federici den Begriff der Reproduktion der Arbeitskraft deshalb als antagonistisch. Sein Potenzial charakterisiert sich nicht durch die weitgehende Selbstbestimmtheit und Kreativität dieser Arbeitsform, sondern durch die aktive Möglichkeit zur Verweigerung. Bei Federici beginnt der Widerstand gegen kapitalistische Produktionsverhältnisse beim Kampf gegen die (unbezahlte) Reproduktion der Arbeitskraft.

Ungendering of Labor

Der Verdienst des Konzepts der Affektiven Arbeit liegt unbestritten darin, dass es die Reichweite der Immateriellen Arbeit beträchtlich erweitert, denn es schließt weite Teile bislang ignorierter Arbeitsformen ein. Doch besteht die Gefahr, dass Affektive Arbeit zur Generalisierung weiblich konnotierter Reproduktionsarbeit führt, und demnach geschlechtsspezifische Unterschiede unsichtbar gemacht werden - „[…] the main function AL [Affective Labor] performs is the ungendering of labor.“[19] Feminist_innen die sich ebenso mit der Frage nach Arbeit, die Affekte stimuliert, auseinandergesetzt haben, lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass Frauen die zentralen Subjekte dieser Art von Arbeit sind. Der quantitative Anstieg des Dienstleistungssektors habe diese Arbeit eventuell neu standardisiert und systematisiert, aber ihre Existenz beruht nach wie vor auf der Tatsache, dass reproduktive Tätigkeiten geschlechtsspezifisch sozialisiert werden.[20] Affektive Arbeit, wie sie bei Hardt/Negri aufkommt, weist keine solch eindeutig geschlechtsspezifische Bestimmung auf. Da Affektive Arbeit mehr oder weniger eine Komponente jeglicher immaterieller Arbeit sei, verliert sie ihre geschlechtliche Konnotation vollkommen. Das Ignorieren des geschlechtsspezifischen Gehalts verschiedener Arten von Arbeit knüpft an einen Fehlschluss in der Arbeitstheorie von Hardt/Negri an - die Aufhebung der Grenze von Produktions- und Reproduktionssphäre. So argumentieren sie zwar richtig, dass gesellschaftliche Produktion heute ebenso innerhalb und außerhalb der Fabrik, wie auch innerhalb und außerhalb des Lohnverhältnisses stattfinde[21], schlussfolgern aber daraus verkürzt, dass es keinen qualitativen Unterschied mehr zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit gebe. Zwischen den verschiedenen Arten von Arbeit verlaufe „keine gesellschaftliche Trennlinie“[22], denn die Transformation der Arbeit im Postfordismus verschiebe die Grenze zwischen produktiver und reproduktiver Arbeit soweit, bis sich diese Trennlinie letztlich gänzlich auflöse.

Die schlichte Aufhebung dieser Grenze ist äußerst problematisch, denn damit verunmöglichen Hardt/Negri jeden Versuch, die durch diese Grenze produzierten Hierarchisierungen und Ungleichheiten zu kritisieren.[23] Es scheint eher so, als würden sie mit der Aufhebung bezwecken, sich dem Thema der Organisation der Grenze zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit überhaupt nicht stellen zu müssen.[24] Dabei verschleiern sie real existierende Ungleichheiten zwischen Männer und Frauen, und verpassen die Möglichkeit, diese direkt anzugreifen. Hier ist anzumerken, dass sich die Grenze zwischen Produktions- und Reproduktionsarbeit im neoliberalen Postfordismus tatsächlich verschiebt. Doch diese Verschiebung verläuft keinesfalls „geschlechtsblind“, sondern hat enorm divergierende Geschlechterimplikationen. So mag auch ein Anstieg der Frauenerwerbsarbeit keine Aufhebung der geschlechtlichen Arbeitsteilung bedeuten, in der Tätigkeiten dem Geschlecht nach zugeordnet werden und unterschiedliche soziale wie materielle Anerkennungen implizieren.

Neoliberale Privatisierungen belasten auf mehrfacher Ebene größtenteils Frauen und tragen zu einer Retraditionalisierung von Geschlechterverhältnissen bei, in der die Familie als zentraler Ort von Sicherheit und Zugehörigkeit ein Aufleben erfährt, was als Kompensation für die Aushöhlung von sozialer Solidarität und gesellschaftlichen Zusammenhalt interpretiert werden kann.[25] Die Verschiebung von Öffentlichkeit und Privatheit, von Produktion und Reproduktion, in der auch die Delegation von Reproduktionsarbeit an unterprivilegierte Frauen und Migrant_innen ihren Ausdruck findet, verschärft demnach eher Geschlechterdisparitäten und eine gesellschaftliche Trennlinie, deren vermeintliches Verschwinden Hardt und Negri postulieren. „Das Modell der Verschmelzung von Produktion und Reproduktion bildet insofern weniger die Realität von Arbeitsverhältnissen ab, als vielmehr ein bestimmtes hegemoniales Bild weiblicher Subjektivität, in dem die Reproduktionsarbeit in den Nischen des neoliberalen Patchworkalltags verschwindet.“[26] Von einer abnehmenden Bedeutung der Grenze zwischen Produktion und Reproduktion zu sprechen, wenn gleichzeitig öffentliche Leistungen im Zuge des neoliberalen Umbaus des Staates gekürzt werden, welche Reproduktionsarbeit zunehmend wieder reprivatisieren, kann als fehlgeschlagener Versuch interpretiert werden, der Komplexität der Produktion von Leben gerecht zu werden.

Ausblick

Somit ist der tatsächlich biopolitische Gehalt des Begriffs der Affektiven Arbeit, wie er bei Hardt/Negri Verwendung findet, in Frage zu stellen. Dies allen voran weil die Autoren weitgehend die Machtverhältnisse und die Haushaltsstrukturen ausklammern, unter denen Menschen leben und Arbeit organisiert wird. Dadurch lösen sie die Produktion von Affekten aus ihrem Entstehungskontext heraus[27], denn Tätigkeiten wie Fürsorge oder Erziehung sind immer auch eingebettet in ein komplexes hegemoniales Geschlechterverhältnis, welches es mitzudenken gilt, sofern diese Art von Arbeit in ihrem spezifischen Charakter erfasst werden will. Dabei erkennt Hardt paradoxerweise in seinem Aufsatz zur Affektiven Arbeit durchaus an, „wie schwierig es zur Zeit noch ist, das Potenzial der affektiven Arbeit von den patriarchalischen Bedingungen der Reproduktion wie von der Familie als dem schwarzen Loch des Subjektiven abzulösen.“[28] Dieser scheinbaren Einsicht zum Trotz, analysieren Hardt und Negri weder diese patriarchalen Bedingungen, noch die Organisation von Reproduktionsarbeit, was nicht zuletzt einer Inkonsequenz ihres eigenen Anspruches gleicht.

Dadurch büßt schließlich nicht nur die postoperaistische Arbeitstheorie an analytischer Treffsicherheit ein, sondern damit wird den Grundzügen der postoperaistischen Befreiungstheorie der Boden unter den Füßen genommen. Denn eine Befreiungstheorie von kapitalistischen Produktionsverhältnissen müsste festhalten, dass „Frauen in diesem Kapitalismus anders und mehr ausgebeutet [werden] als Männer, sie sind es, die für die Produktion und die Erhaltung des Lebens verantwortlich gemacht werden […] – auch im Postfordismus.“[29] Antonio Negri und Michael Hardt versuchen die progressive Perspektive der 60er Jahre in ihren Arbeiten fortzusetzen und diese mit poststrukturalistischen Ansätzen zu ergänzen. Daran sollte und kann theoretisch angeknüpft werden. Die bisherigen Vorschläge, die veränderten Arbeitsformen bzw. die Organisation des gesellschaftlichen Lebens im Postfordismus zu theoretisieren, sind jedoch mitunter fehlgeschlagen, da sie zentrale feministische Erkenntnisse ignorieren. Nur in der Einbeziehung materialistisch-feministischer Perspektiven kann Reproduktionsarbeit im postmodernen Kapitalismus angemessen theoretisiert werden. Affektive Arbeit vermag schließlich die zentralen Charakteristika der Reproduktionsarbeit nicht zu integrieren und schon gar nicht zu kompensieren. Denn was heute benötigt wird, ist „die Wiederaufnahme eines kollektiven Kampfes um die Reproduktion“[30], der darauf abzielt, die Macht über die Produktion von Leben wiederzuerlangen und die gesellschaftliche Reproduktion außerhalb der Logik des Kapitals anzusiedeln. Reproduktive Arbeit könnte sich, mehr denn je, als Triebfeder der Revolution herausstellen.


Anmerkungen:

[1] Hardt/Negri 2004, S.129

[2] Federici 2012, S. 22

[3] vgl. ebd.

[4] Dalla Costa 1978, S. 34

[5] vgl. Federici 2012 [1974], S. 107

[6] vgl. Federici 2012, S. 40f

[7] Adamczak et al. 2012, S. 15

[8] Federici 2012, S. 82

[9] Federici 2011, S. 67

[10] vgl. Hardt/Negri 2004, S. 126

[11] Hardt/Negri 2004, S. 126

[12] Hardt/Negri 2002, S. 304

[13] Hardt 2004, S. 183

[14] Hardt 2004, S. 175

[15] Birkner/Foltin 2010, S. 93

[16] Dalla Costa 1978, S. 40

[17] Federici 2012, S. 46f

[18] MEW, Bd. 23, S. 597

[19] Federici 2011, S. 64

[20] vgl. ebd., S. 65f

[21] vgl. Hardt/Negri 2004, S. 155

[22] Hardt/Negri 2004, S. 155

[23] vgl. Schultz 2002, S. 15

[24] ebd.

[25] vgl. Michalitsch 2006, S. 126f

[26] Schultz 2002, S. 15

[27] vgl. Eichhorn 2004, S. 198

[28] Hardt 2004, S. 186

[29] Birkner/Foltin 2010, S. 161

[30] Federici 2012, S. 83

Literatur

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Michalitsch, Gabriele (2006): Privatisiert. Geschlechterimplikationen neoliberaler Transformation, in: Lemke, Meike et al. (Hg.innen): Genus Oeconomicum. Ökonomie – Macht – Geschlechterverhältnisse. Konstanz: UVK, S. 119-129.

Schultz, Susanne (2002): Aufgelöste Grenzen und „affektive Arbeit“. Über das Verschwinden von Reproduktionsarbeit und feministischer Kritik in Empire. In: Fantomas. Magazin für linke Debatte und Praxis, 2/2002, S. 13-16.

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