Irmi Voglmayr: Prekäre Lebensverhältnisse im Alter

Ein Gespenst geht um im Lande Österreich und es nennt sich Pensionskonto. Seit Anfang Juni des Jahres werden Erstgutschriften, die alle bisher erworbenen Versicherungszeiten ausweisen, an alle ab dem Jahrgang 1955 Geborenen versendet. Jährlich wird eine Teilgutschrift mit den aktuellen Pensionsbeiträgen Auskunft geben, was wir in der Pension zu erwarten haben (vgl. neuespensionskonto 2014). Dieses Pensionskonto bereitet uns in „verständlicher, transparenter und nachvollziehbarer Weise“ auf noch prekärere Lebensbedingungen im Alter vor,  die auch mit Altersarmut umschrieben werden können. Wer aber sind wir?

Zum einen beziehe ich mich hier konkret auf die Alterskohorte der 50- bis 60-jährigen, die dem gut ausgebildeten  Wissens- und Kreativmilieu zuzuordnen ist, die zeitlebens in prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen gelebt hat. Zum anderen spreche ich über die vielen Frauen, gut oder weniger gut ausgebildet, die brüchige Erwerbsbiografien aufgrund geschlechtlicher Vergesellschaftsungsformen aufweisen und ebenfalls massiv davon betroffen sind. 290, 500, 700, 1300 Euro brutto; das sind die Größenordnungen, in denen sich die zirkulierende (vorläufige) Pensionshöhe bewegt. Generell ist der Gender-Gap bei den Pensionen in Österreich sehr hoch: So beträgt das gegenwärtige monatliche Pensionseinkommen bei Frauen 890 Euro und bei Männern 1.483 Euro (Statistik Austria 2014). An diesen Zahlen wird deutlich, dass Frauen bezüglich ihrer Lebenslage im Alter mehrfach sozial gefährdet sind; aufgrund ihrer Geschlechts- und Klassenzugehörigkeit sowie ethnischen Zugehörigkeit und mit der mit dem Alter einhergehenden sozialen Gefährdung, wobei Personen ohne österreichische Staatsbürgerschaft am meisten von Armutsgefährdung betroffen sind (www.50plus.at). Ausgehend von der „Transparenzleistung Pensionskonto“ werde ich Einblicke in die Diskursgeschichte des Alters geben - Altern wird vorrangig als sozialpolitischer Diskurs geführt - und dabei auf feministische sowie hegemoniale (mediale) Altersdiskurse in ihrem jeweiligen historischen und sozio-ökonomischen Kontext eingehen, bevor ich mich abschließend der Frage zuwende, wie wir eigentlich im Alter leben wollen. Mit dieser Frage werden auch urbane Praxen in den Blick genommen, die sich aber nicht ausschließlich auf Altern als Identitätskategorie, sondern verknüpft mit einer queeren Perspektive, beziehen.

Prekärer Ruhestand

Der Eintritt in den sogenannten Ruhestand bringt für viele von uns Veränderungen der materiellen Lebensumstände mit sich und trägt zur Marginalisierung älterer Menschen bei. Aufgrund von klassen-, geschlechts- und ethnischen Differenzen, die ausschlaggebend sind für die soziale Lage in der Nach-Erwerbsphase, betrifft es vor allem alte Frauen, deren prekäre Lage ihre frühere Position am Arbeitsmarkt widerspiegelt. War doch in der erwerbszentrierten kapitalistisch–industriellen Gesellschaft die Erwerbsarbeit unstrittig der zentrale soziale Platzanweiser und gleichzeitig wurden über sie vielfältige Dimensionen sozialer Ungleichheit bis heute vermittelt (Völker 2009: 220). Prekarität ist somit als soziales Phänomen von Beginn der Industrialisierung an nicht zuletzt in Gestalt der flexiblen und marginalen Beschäftigung von Frauen aufgetreten. Dies ist zurückzuführen auf die vergeschlechtlichte Weise gesellschaftlicher Arbeitsteilung, die sich in der vornehmlichen Festlegung von Frauen auf reproduktive und sorgende Arbeiten offenbart und die sich trotz ansteigender weiblicher Erwerbsarbeit weiter fortsetzt. Barbara Duden thematisiert gerade die gegenwärtige „Feminisierung“ steigender Versorgungsansprüche an die privaten Haushalte bei gleichzeitiger Minderung der zeitlichen und materiellen Ressourcen (Duden 2012: 274f). Sie ortet in den Debatten um die neoliberale Deregulierung und Förderung prekärer Arbeitsmärkte eine „Verbetriebswirtschaftlichung des Sozialen“ und zeigt auf, wie mit dem Abbau des öffentlichen Sektors eine „Re-Privatisierung“ und „Feminisierung“ von Lasten verbunden ist bei gleichzeitiger De-Thematisierung von Frauen in der Care- Ökonomie. Diese reproduktive Verpflichtung geht auf Kosten ihrer Integration in die Lohnarbeit, „die als ein zentraler Modus gesellschaftlicher Partizipation und Inklusion betrachtet wird“ (Manske/Pühl 2010: 9).

Ein Blick zurück in die jüngere Diskursgeschichte des Alters zeigt uns, dass ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Alter(n)sdiskurs als sozialpolitischer Diskurs geführt wird. Alter wird „zur Sozialstaatsklientel, das völlig andere Thematisierungslogiken fordert und nach sich zieht“, so Göckenjan (2000: 301). Der Kern der sozialen Konstruktion des Alter(n)s ist zu jener Zeit der „Abbruch“ einer als notwendig angesehenen Lebenskontinuität in der Berufsgesellschaft. Alter wird durch Sozialpolitik zu einer eigenständigen Lebensphase, die von der Phase der Berufstätigkeit abgegrenzt ist, die materielle Bedürftigkeit des Alters in den Vordergrund stellt. Nachdem die Alten keine “nützliche Funktion“ mehr in der aufstrebenden Industriegesellschaft ausüben, werden sie als eine potenziell die soziale Ordnung gefährdende soziale Gruppe gesehen, die gestaltet und integriert werden muss (ebd. 2000: 376). Dieser Berufsgesellschaft liegen jedoch asymmetrische Geschlechterverhältnisse zugrunde, denn mit dem Ende der Nachkriegszeit wurden die Frauen vom Arbeitsmarkt verdrängt und die Geschlechterordnung durch die Restauration „normaler Familien“ und die Remaskulinisierung der Gesellschaft wieder hergestellt (Duden 2012: 272).

Im Kontext dieser gesellschaftlichen Geschlechterverhältnisse nimmt es auch nicht wunder, dass der Ruhestand für die große Feministin Simone de Beauvoir vorrangig ein Männerproblem darstellt, der vor allem im Leben eines Mannes einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit bedeutet und einem „Abstieg ins Grab“ gleichkommt. Für Frauen hingegen stellt sie fest, dass sich bei ihnen Arbeit und Leben durchdringen, „keine Verfügung von außen unterbricht brutal ihre Tätigkeiten“ (Beauvoir 2000: 337f). Sie gesteht den Frauen einen besseren Umgang mit dem Altern aufgrund einer spezifischen Weiblichkeit zu, die sich in Gemeinschaften offenbare. Ältere Frauen seien es gewohnt, für andere und durch andere zu leben. „So sind sie auch im Alter noch für die anderen da, im Guten wie im Bösen“ (ebd.: 622), schrieb sie in ihrem Werk „Das Alter“, das 1970 erschienen ist. Beauvoir muss allerdings weitergedacht werden, denn in den modernen marktvermittelten Arbeitsgesellschaften hat Erwerbsarbeit für alle Subjekte eine zentrale Bedeutung in Hinblick auf die Gestaltung ihres Lebens. Die Frauen der sogenannten Baby Boom-Generation, also jene, die in den 1960ern geboren wurden und heute Adressat_innen des Pensionskontos sind, haben sich längst den Eintritt in den Arbeitsmarkt verschafft, auch Frauen sind heute zum lebenslangen Verkauf ihrer Arbeitskraft „gezwungen“. Mit dieser zunehmenden Erwerbsintegration hat sich dann auch eine Pluralisierung der Lebensformen vollzogen, die für Frauen im Hinblick auf ihr (Renten-)Alter subjektive Widersprüche, Risiken, aber auch Chancen beinhaltet (Backes 2002: 119).

Altern und Körper

Beauvoir weiter denken bedeutet auch, den Fokus auf die Neuverhandlung des Alterns in der neoliberalen Gesellschaftsordnung zu legen, die sich insbesondere dem Körperkult verschrieben hat. Für Beauvoir bedeutet Altern Verfall; sie nimmt den Prozess des Alterns als eine mit dem Verfall von Klugheit und Schönheit verbundene peinigende Selbsterfahrung wahr und steht damit in der negativistischen Altersreflexionstradition. Im neoliberalen Setting hingegen werden neue Normierungen von vergeschlechtlichten Körpern und Körperbildern, die eingebunden sind in spezifische Körpertechnologien und neue Zeitkonzepte, verhandelt (van Dyk/Lessenich 2009).  Aufgrund der steigenden Lebenserwartung – gegenwärtig liegt die durchschnittliche Lebenserwartung von Frauen bei 83 Jahren, von  Männern bei 78 Jahren - haben sich Zeitkonzepte durch die gleichzeitige “Entberuflichung“ und „Verjüngung“ des Alters verändert. Letzteres wird durch Forschungen belegt, die zeigen, dass heutige 70-Jährige so fit und gesund sind wie vor 50 Jahren die 60-Jährigen und dass bei einer Lebenserwartung bis zu 140 Jahren (Hengstschläger) von Kindern, die 2014 auf die Welt gekommen sind, mehr als die Hälfte 106 Jahre alt werden wird, so der Demografieforscher Vaupel (Der Standard, 11./12. Oktober 2014). In diesem Kontext entsteht eine Aufwertung des Körperlichen, der Körper wird zum Kommunikations- und Handlungsträger, und mit ihm wird der Schein erweckt, dass nur fitte und gesunde Körper ein attraktives wie marktkonformes Leben im neoliberalen Kapitalismus führen können. Der Körper, der im Rahmen von Gesundheitspolitik(en) zum Gegenstand staatlichen Gestaltens und Regulierens gemacht wird, spielt auch jenseits der Zurichtung für den Arbeitsmarkt eine zentrale Rolle. Insbesondere Praktiken der Fitness und Wellness stehen für eine visualisierte Gesundheit sowie für eine sichtbar gemachte, distinktive Form der aktiven Lebensführung (Schroeter 2009: 368). Anti-Aging und erfolgreiches Altern werden miteinander verknüpft, und durch die „Arbeit gegen das Altern“ wird eine neue Form biopolitischer Regulierung und Normalisierung hervorgebracht, die sich auf die „Autonomie“ der Individuen stützt und zwischen Freiheit und Zwang zur Selbstgestaltung changiert (Mehlmann/Ruby 2010: 20). Diese fortwährende Selbstkontrolle, die aus freiem Willen zu erfolgen scheint, erfordert einen „gelehrigen Körper“, „der sich hinsichtlich seiner Konstitution und Gestalt nicht nur fortlaufender Verhaltenssteuerung und Produktivität, sondern vor allem technisch-operativen und ästhetisch-stilistischen Optimierungsmaßnahmen unterwirft“ (Bublitz 2010: 40). Folglich steht der trainierte Körper, der Ausdauer, Disziplin und Beharrungsvermögen symbolisiert, für eine erfolgreiche Selbstführung und -optimierung, während dem „außerordentlichen Körper“, der Zeichen des Alters wie Gebrechlichkeit oder Behinderung aufweist und damit alle angstbesetzten, negativen Repräsentationen auf sich konzentriert, der Subjektstatus verweigert wird (Dederich 2010). Eingebettet in einen biopolitischen Körperkult wird der alternde, gebrechliche und sterbende Körper zum Ausnahmezustand, während der ästhetische, manipulierte, technisch aufgerüstete Körper zum Maß aller Dinge wird: An ihm lassen sich sozialer Aufstieg, Karriere, Ansehen und Anerkennung, insbesondere für das weibliche Geschlecht, ablesen bzw. nur er garantiert ein Leben, ein Glücksversprechen, das das Altern fernhält (vgl. Bublitz 2010). Es sind allen voran Werbung und Massenmedien, die genau diese Bilder und Vorstellungen vom Alter (re)produzieren und verdichten und folglich für die Definition und Festlegung des öffentlichen Bildes vom alten Körper eine besonders bedeutsame Rolle spielen. Mediale Körperrepräsentationen stellen somit nicht nur ein gesellschaftliches Wissen über Alter(n) und Geschlecht in einem bestimmten Machtkontext her, sondern sie forcieren auch Durchsetzung und Einpassung hegemonialer kultureller Vorstellungen über das Altern in die neoliberale Praxis (Voglmayr 2008: 229).

Konstruktion Altern

Zunächst ist festzuhalten, dass die Alten keine homogene Gruppe darstellen und sich auch auf keine homogene Identitätskategorie beziehen können. Für eine genauere Analyse wäre es auch notwendig, das sozial konstruierte System der Heteronormativität zu verlassen und das Augenmerk auf die Pluralität  geschlechtlicher und sexueller Existenzweisen zu legen. Ältere Menschen lassen sich auf keine altersspezifische Lebensweise festlegen, sondern müssen in der Heterogenität von Subjektivitäten und Lebensformen wahrgenommen werden. Braidottis Bild der Nomadin liefert die Möglichkeit, der Dynamik und Vielschichtigkeit der Identitätsbildung in unserer Zeit gerecht zu werden. „Die Nomadin ist in diesem Sinne ‚polyglott’, relativ zum Kontext, permanenten Veränderungen ausgesetzt, fragmentiert, und letztendlich keine autonome oder universelle Wesenheit“ (Braidotti, zit. n. Villa 1996: 144). Übersetzt auf die Alten könnte es dann heißen, was wir sind, hängt in einem konstitutiven Sinne davon ab, in welchem Kontext, in welcher Interaktion, in welchem Moment und unter welchen Bedingungen wir alt sind.

Wie wir in unserer dritten Lebensphase leben und lieben wollen, welche Wohnformen wir wählen, welchen Formen von Arbeit wir nachgehen wollen/müssen, welche Bedeutung wir unserem Aussehen, unserem Körper beimessen, bestimmt sich über unterschiedliche Lebensentwürfe und -praxen, die es uns auch ermöglichen, festgeschriebene Altersnormierungen aufzubrechen und die vielfältigen Positionierungen und (widersprüchlichen) subjektiven Bedeutungen von Altern, die wiederum mit den Strukturkategorien Geschlecht, Klasse, „Rasse“ sowie der Differenzkategorie sexuelle Orientierung verwoben sind, zu erkennen. Jedoch lässt sich aus der Perspektive subjektiver Erfahrungen, Bedürfnisse und Bedeutungen noch keine Analyse von Gesellschaftsstrukturen und des spezifischen Gewichts verschiedener Formen von Differenzierung für den Gesellschaftsprozess erschließen (Knapp 2001: 44). Daher ist eine Herangehensweise an das Altern aus der Perspektive subjektiver Deutungsmuster und Sinnstiftungen immer auch ins Verhältnis zu objektivierenden Zusammenhangsanalysen zu setzen.

Altern ist eine sozial wirksame Konstruktion, die sich nicht nur gesamtgesellschaftlich, sondern auch individuell manifestiert. Subjektive (weibliche) Erfahrungen mit dem Älterwerden müssen daher in einen Zusammenhang mit der Chronologie des Alter(n)s gebracht werden, die sich in den entwickelten kapitalistischen Gesellschaften des Westens nationenübergreifend etabliert hat: Spätestens mit 50 beginnt das Phänomen der „age anxiety“, und diese außerordentliche Magie der Zahl 50 ist ein Beleg dafür, wie die statistische Panik in das persönliche Leben eingreifen kann und mit welch affektiver Aufladung bestimmte Altersstufen versehen werden (Kunow 2005: 30). Wie der Staat und seine Organe über Körper und Bevölkerungen in Form der Biomacht  (Foucault) das soziale Leben von innen heraus bestimmten Normen unterwirft, wird deutlich an der Reichweite und den Systematisierungsleistungen des Konzepts „Alter“. Angesichts der staatlich regulierten, verwissenschaftlichten Alterseinteilung in eine  dritte und vierte Lebensphase – „junge“ Alte und „alte“ Alte – ist offenkundig, dass Alter(n) nicht primär von biologischen Prozessen determiniert ist, sondern von dem Arsenal an sozio-kulturellen Bedeutungen, mit denen die biologische Ordnung in eine kulturelle Ordnung übersetzt wird (Kunow 2005: 23).

Im Spannungsfeld von staatlicher Regulierung und Versubjektivierung ist Altern eine Kategorie, gleich der Geschlechterkategorie, die an Relevanz und Erklärungskraft verliert und gleichzeitig ihre Wirkmächtigkeit beibehält. Eine „Verjüngung“ des Alters und die damit verbundene höhere Lebenserwartung, entbindet uns nicht von der Tatsache, dass wir den Blick nach vorne vom Boden der Endlichkeit und Begrenztheit aus einnehmen müssen. Butlers dekonstruktivistische Auseinandersetzung mit der Kategorie Frauen lässt sich dahingehend auf das Alter übertragen, dass die Kategorie durch die Dekonstruktion nicht unbrauchbar gemacht wird, sondern zu einer Kategorie wird, deren Verwendungen nicht mehr als „Referenten“ verdinglicht werden und Aussicht haben, offener und auf unterschiedliche Weise bedeutungsgebend zu sein. So muss es möglich sein, den Begriff zu verwenden, ihn taktisch zu benutzen, selbst wenn man selbst von ihm sozusagen verwendet und eingeordnet wird, und es muss auch möglich sein, den Begriff einer Kritik auszusetzen … (Butler 1994: 103).

Wenn wir Altern als kulturelle Konstruktion verstehen, dann müssen wir allerdings auch ein richtiges Bild vom Begriff „Konstruktion“ vor Augen haben, um nicht in den Irrtum zu verfallen, Konstruktion sei mit Kunstgriff gleichzusetzen. „Im Gegenteil“, schreibt Judith Butler, „der Konstruktivismus muss den Bereich der Zwänge berücksichtigen, ohne die ein bestimmtes lebendes und begehrendes Wesen seinen Weg nicht gehen kann. Und jedes derartige Wesen wird nicht nur von dem eingeschränkt, was schwer vorzustellen ist, sondern auch von dem, was radikal undenkbar bleibt“ (1994: 103). Konstruiert versus determiniert, so Butler, im Sinne von, das eine ist in gewisser Weise frei, das andere festgelegt, beschreibt nicht die Komplexität. Denn bei der Feststellung, „jemand ist alt“, geht es nicht nur um eine bloße Beschreibung eines Sachverhalts, sondern zugleich um eine Anweisung, alt zu sein, darin besteht die Performativität der Aussage (Butler 1995). Die spezifische Machtwirkung der Diskurse besteht in der Einführung einer sozialen Wirklichkeit und deren Ordnung. Diskurse zum Alter, die vorgeben, „was alt ist“ und was insbesondere eine „alte Frau“ ist, sind wirkmächtig und tatsachenbildend und werden allen voran durch mediale Diskurse und Repräsentationen fort- und festgeschrieben (Voglmayr 2008).  

Feministische Altersdiskurse

Kompetenz versus Verfall. Kulturelle Erzählungen über Altern werden überwiegend und nach wie vor als binäre Oppositionen einander gegenüber gestellt und sind in Alternsreflexionstraditionen zu verorten, die auf Altersanalysen des klassischen Altertums zurückgehen (Birkenstock 2000). Trotz diametral entgegengesetzter Herangehensweisen gehen sowohl Simone de Beauvoir als auch Betty Friedan von einem sozialen und kulturellen Konstruktcharakter scheinbar biologischer Gegebenheiten aus, und beide schreiben gegen das Altern als Form der Marginalisierung und Diskriminierung aufgrund dieser immer auch vergeschlechtlichten Konstruktion an. Betty Friedan, US-Feministin der ersten Stunde, sieht gerade im Alter eine Selbstverwirklichungsphase und legt ihren Schwerpunkt auf eine Neustrukturierung des Lebens im Alter. Sie plädiert dafür, im Ruhestand das Leben neu zu strukturieren, neue Ziele und eine Form von Arbeit zu finden, die in die Gesellschaft eingebunden ist, die ihr dient und die die Fähigkeit des Alters auf neue Art und Weise zum Tragen bringt. Friedan, die damit in einer positiven Altersreflexionstradition steht, weist vor allem darauf hin, dass im Alter höhere Werte, Werte jenseits von Geld, Prestige und Macht, zu verfolgen sind. Im Gegensatz zu Beauvoir, deren negatives Altersbild geprägt ist von Stillstand, Ermattung der Wissbegierde und Denkgewohnheiten, die dazu führen, an überholten Methoden festzuhalten, beschreibt Friedan das Syndrom des Jung-Alt-Seins. Darunter versteht sie ein Lebensgefühl, das vom „Vollbesitz seiner Kräfte und Fähigkeiten, seines ganzen Könnens“ geprägt ist (Friedan 1997: 300). Friedans Ansatz vom „Mythos Alter“ dient vielen von uns als Kraftquelle: mithalten zu können, der Zeit nicht hinterher zu hinken in dieser bewegten, schnelllebigen Welt. Mit ihrem Selbstverwirklichungsansatz, der sich auf erbauliche Ergebnisse aus der gerontologischen Forschung gründet, setzt sich Friedan jedoch der Kritik aus, dass sie die Alten mit ihren hohen Ansprüchen überfordere und ein Idealbild der Veränderbarkeit in der dritten Lebensphase darstelle. Altern ist demnach nicht allein ein unentrinnbarer physiologischer Prozess; das was Menschen erleben und erfahren, die als alt identifiziert werden, ist nicht einmal primär von biologischen Prozessen determiniert. Beauvoir macht vor allem die Klassengesellschaft für den Verfall des Individuums und den Altersabbau verantwortlich. Für sie sind die Ausgebeuteten im Alter zu Elend und Einsamkeit verurteilt. „Es ist die Schuld der Gesellschaft, wenn der Altersabbau bei ihnen vorzeitig einsetzt und wenn er sich so rasch vollzieht …, weil sie ihm mit leeren Händen gegenüberstehen“ (2000: 710). Ihr Ansatz einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung widersetzt sich den neoliberalen Regulierungstechniken, die das Individuum im Sinne der Selbstverantwortung für den Zustand des eigenen Körpers verantwortlich machen. Die klassenspezifische Hinwendung zum Körper, der mit dem Etikett „alt“ versehen wird, muss natürlich auch mit der Strukturkategorie Geschlecht verwoben werden. Denn über die Semantisierung und Semiotisierung physiologischer Prozesse zumeist an der Oberfläche des Körpers – graue Haare, Faltenbildung –  werden Frauen und Männer unterschiedlich in einem ganz unmittelbaren Wortsinn alt gemacht (Kunow 2005: 22f).

„Die neuen Alten“

In den 1980er Jahren entdecken Wissenschaft und Medien ein neues Phänomen: Das „neue Alter“, gekennzeichnet durch Freizeit- und Konsumorientierung, Eigenständigkeit und Kreativität. Die „neuen Alten“ werden nun zu Medienereignissen, und mit dieser medialen Entdeckung verlässt das Konzept des „erfolgreichen Alterns“ auch seine Fachlichkeit. Die Faszination des neuen Altenbildes speist sich aus den uneingeschränkten Wünschen und Aktivitäten der Alten, das auch medial entsprechend umgesetzt wird. Der Ernst, das Existentielle des Alters hat sich in private, subjektive Bereiche zurückgezogen, schreibt Göckenjan (2000: 406ff).  Mit dieser männlich konnotierten Diskursfigur wird gesellschaftlich durchaus der „verdiente“ Ruhestand verbunden, mit neuen Chancen des Alters und späten (Konsum-)Freiheiten, noch zugestanden (van Dyk/Lessenich 2009; Göckenjan 2000). Es war eine Zeit, in der die sozialstaatliche Absicherung - sichere Pensionen, kein Eingriff in bestehende Pensionen – noch nicht hinterfragt wurde und zugleich ein erleichterter Zugang in die vorzeitige Pension durch Frühpensionierungen, vor allem im Bereich der verstaatlichten Industrie in Österreich als Gegenmaßnahme zur steigenden Erwerbslosigkeit ermöglicht wurde. Für Beamt_innen galt das „Bundessozialplangesetz“, das 2003 auslief und die Möglichkeit bot, ab 55 in Pension zu gehen. Erst ab den späten 1980er Jahren trat das Nachdenken über das Pensionssystem stärker in den Dunstkreis der Finanzierungsaufgaben (Amann 2004).

Die Rede von einer neuen Alterskultur, geprägt durch eine selbstbestimmte, aktive Freizeit- und Lebensgestaltung, war insbesondere nach einer Zeit der Absonderung und des Rückzugs von alten Menschen, verwissenschaftlicht in der Disengagementtheorie, von Bedeutung. Die Ambivalenz dieser Alterskultur liegt nun darin, dass einerseits Eigeninitiative, aktives und erfolgreiches Altern im Vordergrund stehen und über den Rahmen der Altenhilfe hinausweisen. Andererseits verdichtet der Terminus „die neuen Alten“ eine gänzlich veränderte Altersstilisierung, die „eine utopische Phantasie der unbegrenzten Möglichkeiten in einer nie endenden Alterslebensphase im Überfluss der Konsumgesellschaft“ verbreitet (Göckenjan 2000: 406). Eine Leerstelle bildet in diesem hegemonialen Diskurs  die Sorgearbeit, die Alltäglichkeit von Sorgearbeiten und Sorgebeziehungen, die in der dritten und insbesondere in der vierten Lebensphase an Intensität und Qualität zunehmen. Gegenwärtig wird von einer problematischen analytischen Zweiteilung der Altersphase in ein drittes, junges, gesundes Alter und ein viertes Alter, das stark durch Krankheit, Abhängigkeit und Pflegebedürftigkeit geprägt ist, ausgegangen (Mehlmann/Ruby 2010: 15). Die Problematik an allen Altersdefinitionen und im Besonderen an dieser Zweiteilung liegt darin, dass sich vor allem in der Definition des vierten Alters, den sogenannten Hochaltrigen, alle Negativbilder, die wir vom Altern haben, konzentrieren (ebd.). Eine Altersstilisierung, die Unabhängigkeit und späte Freiheit vorgibt, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die alltägliche Erhaltung von Gesundheit und Leben für den alten Körper einen zunehmend größeren Aufmerksamkeitsraum einnimmt, sei es in Form von gepflegt werden oder sich um andere sorgen zu müssen. Mit der Vulnerabilität im Alter steigen Ängste, Ungewissheiten und Verunsicherungen, die die Frage nach  Sorgepraktiken immer dringlicher macht, vor allem wenn wir Sorge als Aufmerksamkeit verstehen, als Anerkennung des Umstands, dass das lebenswerte Leben nur in Interaktionen mit anderen entfaltet werden kann und, dass sich das Leben im Leben selbst entscheidet und nicht auf den Märkten besorgt werden kann,  wie es die Precarias a la deriva formulieren (2011: 112). 

 „Die jungen Alten“

Angekommen in den 1990er Jahren verliert sich die Spur der „neuen Alten“, die nun durch die Sozialfigur der “jungen Alten“ abgelöst werden (van Dyk/Lessenich 2009). Im Kontext von flexiblem Kapitalismus, demographischem Wandel und abgebautem Sozialstaat, setzt der Staat auf eine Sozialpolitik der Aktivierung, die als Befreiung aus der Unmündigkeit und als individuelles Recht auf Aktivität (im Alter) ausgegeben wird. Durch die damit entstandene gesellschaftliche Neuverhandlung des Alters wird nun die gezielte und verbindliche Nutzung der Ressourcen und Potenziale von jungen, fitten Alten eingefordert. Die sozialstaatliche Aktivierungspolitik zielt auf die Potenziale des Alters, indem den Alten, nicht zuletzt aufgrund ihres „verjüngten“ Alters“, individuelle Verantwortung und Autonomie zugewiesen wird; gleichzeitig werden sie für den gesellschaftlichen Zusammenhalt der Generationen verantwortlich gemacht. Zeitgleich mit dem Strukturwandel der Sozialpolitik und dem zu erwartenden Altersstrukturwandel nimmt das Prinzip selbstregulativer Prävention – das präventive, risikobewusste Verhalten der Einzelnen, das sich am Systembedarf orientiert – zunehmend normativen Charakter an. Im Zuge dessen wurde auch die Sozialpolitik gegenüber älteren Menschen schrittweise auf das ausgegebene Ziel eingestellt, die Subjekte für den Kampf gegen die „alternde“ Gesellschaft zu mobilisieren bzw. sie zumindest für die Bewältigung der Folgen der gesellschaftlichen Alterung zu aktivieren (ebd. 24). Programme, die sich vom Sozialstaat verabschieden, bedienen sich des „Aktivitätsideals“, dass das alte Spannungsverhältnis zwischen Produktivität und Unproduktivität durch ein entsprechendes Spektrum von Werten ersetzt, das von Aktivität bis zur Inaktivität reicht. Aktivität gilt in diesem Diskurs als zentrale Ressource für Mobilität und Selbstbestimmung im Alter und als „Wundermittel angesichts der Unwägbarkeiten des untergehenden Sozialstaates und des politischen Managements der so genannten gefährdeten Bevölkerung“ (Katz 2009: 179).

Sind bei Katz und den von ihn angeführten Untersuchungen noch Freizeitprogramme und soziale Teilhabe am gesellschaftlichen Leben vorherrschend, so steht gegenwärtig die gesellschaftliche  Verpflichtung zur Aktivität im Zentrum des Diskurses. Damit geht auch eine immer wiederkehrende heftige Debatte zur Anhebung des (Frauen-)Pensionsalters einher, die auf eine „Feminisierung“ der sozialpolitischen Lasten hinausläuft. Wir wissen um die Dominanz älterer Frauen im sozialen Ehrenamt und in der häuslichen Pflege sowie um den bestehenden Trend zur stärkeren Umverteilung von Care-Arbeit zwischen verschiedenen Frauengenerationen (Backes 2002). Ob und vor allem in welcher Tragweite es zu Verschiebungen im Geschlechter-Arrangement der Versorgerehe, das auf die Nach-Erwerbsphase gerade in Bezug auf Pensionseinkommen ausstrahlt, im Alter kommt, indem sich Männer weiblichen Vergesellschaftungsformen annähern oder billige Dienstleisterinnen aus den armen Ländern in Anspruch genommen werden, kann hier – auch mangels vorliegender Studien -  nur kurz angedacht werden. Was zudem normalisierte prekarisierte Arbeits- und Lebensverhältnisse, in denen Beruf und Pension durcheinander geraten, bei den alternden Subjekten anrichtet, wird sich uns erst in den nächsten Jahren erschließen.

Prekäres Altern

Ein Blick auf die Sozialdaten zeigt, dass, nur wenn eine Person zumindest 30 Jahre erwerbstätig gewesen ist, sich ihr Armutsgefährdungsrisiko im Alter gegenüber Personen, die niemals erwerbstätig waren, verringert (Heitzmann/Eiffe 2008: 22). Daraus lässt sich folgern, dass sogenannte „weibliche Normalarbeitsverhältnisse“ und vor allem “selbst gewählte“ prekäre Arbeitsverhältnisse sich eben nicht mit  der männlich konnotierten Vorstellung von Freiheit - wir können unser Leben frei, autonom und nach eigenen Entscheidungen gestalten - decken. Prekarisierungstendenzen in ihrer alten Gestalt haben mehrheitlich für Frauen immer schon eine unsichere Existenz geschaffen, die sich im Alter gerade in Hinblick auf die Verfügbarkeit von Ressourcen jeglicher Art fortsetzt. In ihrer alten und neuen Gestalt erfasst Prekarisierung nun nicht nur die Ränder des Beschäftigungssystems, sondern sein Zentrum und damit in historisch neuem Ausmaß auch die Männer (Aulenbacher 2009: 65). Indem Prekarisierung im Neoliberalismus  über das Beschäftigungssystem hinausgeht und die gesamte Existenz erfasst, stellt sie ein Phänomen dar, das sich allmählich normalisiert und ihr bedrohliches Potenzial verliert. Prekarisierung verwandelt sich zum normalisierten politisch-ökonomischen Instrument (Lorey 2012: 57). Folglich kann Prekarität nicht auf ein Unterklassenphänomen reduziert und generell mit Armut und sozialer Exklusion gleichgesetzt werden, sondern muss als Prozess verstanden werden, der tendenziell die Gesamtheit sozialer Verhältnisse umfasst. Trotz dieser Entwicklungen finden sich auch innerhalb des „Prekariats“ handfeste Differenzen und Diskrepanzen zwischen den Angehörigen verschiedener Berufs- und Bildungsgruppen, die zunehmende soziale Ungleichheit offen zu Tage treten lässt. Soziale Gräben durchziehen sowohl die Kreativwirtschaft als auch den Wissenschaftsbetrieb, auch hier bestimmen Hierarchisierungen und Differenzierungen die Felder. Und die Prekarität der Marginalisierten behält weiterhin ihr gefährliches Potenzial (Lorey 2012). Angesichts des brüchigwerdens staatlicher Sicherungssysteme verbunden mit einer handfesten Krise der Erwerbsarbeitsgesellschaft, ist für kommende (Frauen-)Generationen Armut im Alter vorprogrammiert, wenn nicht im Hier und Jetzt politisches emanzipatorisches Handeln gegen die vom kapitalistischen System produzierten Mehrfachkrisen erfolgt.

Mediale Altersdiskurse

Die gesellschaftliche Produktion des Wissens über Altern muss einem historischen Vergleich unterzogen werden, um plausible Antworten geliefert zu bekommen, warum immer wieder bestimmte Generalisierungen des Alters benutzt werden und was diese überhaupt mit dem empirischen Alter(n) zu tun haben könnten (Göckenjan 2000: 13). Im Hinblick auf Altersdiskurse und –repräsentationen sind es vor allem ideologische Apparate wie die Medien, die gesellschaftliche Bedeutungen produzieren und in der Gesellschaft verbreiten. Folglich sind Medien eine machtvolle Quelle von Vorstellungen über Altern; sie transportieren zum einen Normierungen für das individuelle Verhalten in einer zunehmend medial verfassten und erfahrenen Realität und sind so an der Konstitution von vergeschlechtlichten Altersbildern wesentlich beteiligt. Zum anderen unterliegt die „Versorgung mit sozialem Wissen“, implizit oder explizit, bestimmten Absichten innerhalb von Ideologien (Hall 1989: 151). Ein Einblick in mediale Diskurse zum Topos Altern in den österreichischen Printmedien, vom Boulevard bis zu den sogenannten Qualitäts- und Alternativzeitungen/schriften im Zeitraum 2013-14 zeigt, dass Altern fast ausschließlich über das Diskursfeld Pensionen abgehandelt wird (Interner Seminarbericht 2014). (Mediale) Alterspolitik wird demnach auf Rentenpolitik reduziert, und das zeugt von der engen Verflechtung der Medien mit gesellschaftlichen Institutionen, Diskursen und sozialen Praxen, die sie nicht nur beeinflussen, sondern auch mitkonstituieren. Die angeführten Argumente - das Pensionssystem sei zu teuer, die Menschen gingen zu früh in Rente und würden so zu einer zunehmenden finanziellen Belastung für die gesamte Gesellschaft - unterliegen einem starken Wiederholungszwang, nicht nur von konservativer Seite. 2011 gingen in Österreich  Männer im Durchschnitt mit 59,1 und Frauen mit  57,6 Jahren in Pension. Im OECD-Vergleich lag das durchschnittliche Pensionsalter bei 63,6 bei den Männern und 62,4 Jahre bei den Frauen. Aufgrund der vorgenommenen Verschärfungen, nicht zuletzt bei der Hacklerregelung, weisen die Daten der Statistik Austria bereits Ende Dezember 2012 ein höheres Pensionsantrittsalter aus, Männer gingen im Schnitt mit 62,9 und Frauen mit 59,3 Jahren in die normale Alterspension. Im Kontext des Rück- und Umbaus des Sozialstaats verbreiten Mainstream-Medien fast ausschließlich solche Konzepte gegen die Gefährdung „unserer“ Pensionssysteme, die auf eine Neuberechnung des Pensionsalters abzielen. Gegenwärtig werden wir mit dem ÖVP-Vorschlag „Pensionsautomatik“ massiv konfrontiert, der ganz allgemein besagt, dass mit steigender Lebenserwartung das Pensionsantrittsalter automatisch angehoben werden soll. Ein Konzept übrigens, das bereits 2006 von der SPÖ-Spitze vorgeschlagen und mit Blick auf ihre alten Stammwähler_innen auch gleich wieder verworfen wurde. Diskutiert wird auch ein skandinavischer Pensionsentwurf, der vorsieht, das Rentenalter aus statistischer Lebenserwartung minus 17 Jahre zu berechnen (Vaupel 2014). Die in den Medien zu Wort kommenden Expert_innen sind durchweg sozial gesicherte, gesunde und gebildete (männliche) Alte, die der neoliberalen Logik verhaftet sind und keine konkreten gesellschaftlichen Utopien zu denken vermögen. So auch der Altersforscher Rosenmayr, der mit Beispielen aus Japan, wo über 80-jährige Universitätsprofessor_innen nach ihrer wissenschaftlichen Karriere noch als Lehrer_innen an Schulen tätig sind, wahrlich aufhorchen lässt. Leistungsverweigerung oder „Halbsimulantentum“ schreibt er hingegen jenen zu, die mit „58 oder 59 Jahren im herbstlichen Garten nur mehr die Birnen“ ernten (Der Standard, 28.10.2011). Keinen Eingang in den öffentlichen Diskurs findet das „Leben der Beherrschten“; nicht gehört werden jene, die Flexibilisierung und Vermarktlichung als Fremdbestimmung erleben und die vielleicht gerade in der (gemeinsamen) Gartenarbeit einen Weg aus Erschöpfungs- und Depressionszuständen sehen. Implizit und explizit ist die mediale Berichterstattung durchtränkt von repressiver Altersdiskriminierung, die an unterschiedlichen Schauplätzen auftritt und die als eine verkörperte Form von Unterdrückung verstanden werden muss, denn altersdiskriminierende Praktiken können nicht von den Körpern getrennt werden, auf die sie gerichtet sind oder auf deren Basis sie konstruiert werden (Laws 2009: 112).

Alten als Risiko und Chance

Wie Subjekte altern, hängt – schwere Schicksalsschläge beiseite gelassen – immer auch davon ab, wie sie ihr Leben in der Vergangenheit gelebt haben und wie sie es weiter entwerfen werden. Somit stellt sich die grundlegende Frage, inwieweit persönliche Lebenswege, oftmals durch Mehrfachbelastungen und schwere körperliche Arbeit gekennzeichnet, verallgemeinerbare Elemente aufweisen und ob in der Folge ein staatlich festgelegtes einheitliches Pensionsantrittsalter nicht überhaupt infrage gestellt werden muss.

Das Leben selbst ist ein Risiko, Alter(n) wird zum besonderen Risiko; diese Risiken werden intersubjektiv geteilt bzw. verteilt und als unentrinnbare Gefährdungen erlebt. Simone de Beauvoir drückt dies so aus: „Eine begrenzte Zukunft, eine erstarrte Vergangenheit – das ist die Situation, der sich der alte Mensch gegenübersieht“ (Beauvoir 2000: 492). Diese Form des Erlebens von Alter(n) ist zwar individuell situiert, aber gesellschaftlich konstruiert. Beauvoir, die das Verhältnis von Lebensalter und Altersabbau vorrangig mit der Klassenzugehörigkeit argumentiert, führt den gesellschaftlichen Umgang mit alten Menschen auf ein „Scheitern unserer Zivilisation“ zurück (ebd.: 711f). Sie fordert, dass in einer idealen Gesellschaft das Alter gewissermaßen gar nicht existieren sollte. Das letzte Alter entspricht ihrem Wunsch nach einer Existenzphase, die sich von der Jugend und dem Erwachsenenalter unterscheidet, aber ihr eigenes Gleichgewicht besitzt und das dem Menschen eine weite Skala von Möglichkeiten offen lässt.

Ihre Vorstellung vom letzten Alter eröffnet die Möglichkeit eines Gegendiskurses zum hegemonialen Diskurs des „alterslosen Selbst“ das auf einer Illusion basierend, durch die Gestaltung des Körpers mittels propagierter Maßnahmen wie Faltenreduktion, Fitnessprogramme, Lifestyle-Medikamente und Schönheitschirurgie gestützt wird. In der Frage nach der „weiten Skala von Möglichkeiten“ erschöpft sich Denkbares in der neoliberalen Alterskultur ganz schnell im Aktivitätsdogma, das durch die „jungen Alten“ repräsentiert wird. Sie sind aktuell Ausgangspunkt einer (sozial)politischen Steuerung der „alternden“ Gesellschaft und somit wert- und stilprägend für das soziale Leben der Zukunft (van Dyk/ Lessenich 2009: 405). Katz (2009) spricht von einer „Aktivitätsmanie“ der Alten, von „geschäftigen Körpern in der aktiven Gesellschaft“, die auch in der Werbewelt und Medienlandschaft vorherrschend sind und denen es ein Leichtes scheint, auch in sozial unsicheren und instabilen Zeiten gesellschaftliche Erwartungen aus den Bereichen Leistung, Gesundheit und Ästhetik locker und leicht zu realisieren.  Mit dem Aufstieg des als aktiv gedachten und gewünschten Alters werden die „jungen Alten“ in erster Linie angehalten, für den Arbeitsmarkt bereitzustehen, obwohl gegenwärtig jede/r vierte arbeitslos Vermerkte über 50 Jahre alt ist und Eingliederungsmaßnahmen und Bemühungen um eine Optimierung der Zusammenarbeit zwischen Jung und Alt (Age Diversity Management) so gut wie keine Erfolge zeigen. Die Konstruktion des alten Körpers als aktiver Körper, der eine Verherrlichung der Jugend darstellt, ist daher als Disziplinarstrategie zu begreifen, die nicht nur die Alten nötigt, die sozialpolitischen Folgen ihres Alt werden (mit)zutragen, sondern auch aktiv an der Konsumökonomie zu partizipieren. Mit der Aufwertung des Alters erfolgt die Anweisung, auch im Ruhestand eine konsumorientierte Lebensweise fortzusetzen und das durchaus mit Erfolg: Denn seit den 1980er ist eine neue Generation von alten Konsument_innen in Erscheinung getreten, die mit dem Bild der „bedürfnislosen Alten“ aufgeräumt hat.

Innerhalb dieser Disziplinarkonstellation von Wissen, Macht, Lifestyle und Gesundheit tritt die -  auch mit Konsum verbundene - ununterbrochene Aktivität an die Stelle der persönlichen Entwicklung. Diejenigen, die ihre Innenwelten der äußeren Welt vorziehen, dem Müßiggang huldigen und sich dem propagierten Aktivitätsideal entsagen, gelten fortan als Problemfälle. Damit diese wertprägenden normierenden Altersstandards erkannt und erreicht werden können, werden die Alten angehalten, an ihrem Selbst zu arbeiten, um die Art von Person zu werden, die innerhalb dieses Aktivitätsdiskures gehört und gesehen werden kann (Katz 2009).  Beauvoirs  Denken von einer „weiten Skala von Möglichkeiten“ im Alter endet somit im neoliberalen Aktivitätsdiskurs; einem Diskurs, der Anwendungen und  Orientierungen für die Umsetzung in Handlungen gegen das Altern als Form der Marginalisierung und gegen die „negativen“ Kräfte, die in Gestalt von Abhängigkeit, Krankheit und Einsamkeit im untergehenden Sozialstaat daherkommen, bereitstellen soll.

Wie wollen wir im Alter leben?

Leben in der Stadt oder auf dem Land? In den eigenen vier Wänden, in der Senior_innenresidenz, in intergenerationellen Wohnbauten, in queeren Wohngemeinschaften? Nicht leben wollen wir in krankenhausähnlichen Institutionen, in schlecht geführten Pflegeeinrichtungen, in sogenannten Alten-Ghettos, die bestimmten (sozialen) Ordnungsvorstellungen unterliegen. Foucault spricht vom heterotopischen Ort Altersheim, ein Raum, in den Individuen, deren Verhalten abweichend ist im Verhältnis zur Norm, gesteckt werden. Das Altersheim liegt an der Grenze zwischen der Krisenheterotopie und der Abweichungsheterotopie; „denn das Alter ist eine Krise, aber auch eine Abweichung, da in unserer Gesellschaft, wo die Freiheit die Regel ist, der Müßiggang eine Art Abweichung ist“ (Foucault 1999: 151-154).

Und damit rückt im Alter das Alltagsleben und der Primat des Wohnens wieder in den Fokus. Gegen den entfremdeten, urbanisierten Alltag, als Produkt einer technokratischen Regulierung und ökonomischen Bewirtschaftung (Lefebvre 2014), entwickeln generationenübergreifende Gruppen und Kollektive urbane Praxen, die sich zunehmend gegen die Untergrabung des Wohnraumes, reduziert auf elementare Funktionen wie Essen, Schlafen und Fortpflanzung, richten. In diesen neuen Formen des Zusammenlebens verbindet sich soziales Miteinander mit gesicherter Lebensführung; zugleich spiegelt sich auch eine Widerstandshaltung gegen die neoliberale Raumverwertung. Diese gemeinschaftlichen Entwicklungen sind auch im Kontext prekarisierter Arbeits- und Lebenszusammenhänge zu begreifen, weil die damit einhergehende soziale Unbestimmtheit zu einem verstärkten Sicherheitsbedürfnis, allen voran in der Mittelklasse führt, die von sozialen Abstiegsängsten geplagt wird. Alternativ konzipierte Wohnmodelle, die auf Selbstorganisation und Partizipation basieren, umschließen private Rückzugsräume und große Gemeinschaftsräume, Arbeitsräume und soziale Räume, Betreuungsmöglichkeiten für die Alten, Biogärten und stellen Commoning, das Tauschen und Teilen von Gütern, wieder in den Mittelpunkt des Handelns. Durch die kollektive Nutzung von Ressourcen stellen Commons eine Strategie gegen neue Verelendungsformen im untergehenden Sozialstaat, wie die zunehmend sichtbare (Alters-)Armut, dar (Helfrich 2013).

Es gilt jedoch grundlegendere politische Veränderungen aus unterschiedlichen Perspektiven zu denken. Ausgehend von einer grundsätzlichen Infragestellung der „Aktivgesellschaft“ und der daraus resultierenden Zwangsaktivierung müssen sich widerständische Praxen konkret gegen den Zwang zum Verkauf der Arbeitskraft bis ins hohe Alter richten bei gleichzeitiger Wahlfreiheit für jene, die länger im Erwerbsarbeitsprozess stehen wollen. Gegen soziale Gefährdungen in „entsicherten Verhältnissen“ stellt das Recht auf Existenzsicherung in Form eines bedingungslosen Grundeinkommens, mit dem sich soziales Leben reproduzieren lässt, eine Alternative dar, die nicht auf Arbeitszwang basiert. Zudem würde diese Form der Existenzsicherung die Rahmenbedingungen für generationenübergreifende Commons-Initiativen in Bezug auf Wohnen, Energie, gesunde Nahrungsmittel  etc. enorm verbessern. Eine relevante Rolle spielt in diesem neuen Gesellschaftsentwurf die Verfügbarkeit über Zeit, die ja mit der dritten Lebensphase idealiter verknüpft wird. Zeitautonomie ist Voraussetzung für den Aufbau von sozialen Beziehungen und Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen, die es  uns erlauben, unseren Möglichkeitssinn für ein gutes Leben (für alle) zu schärfen. Zum guten Leben gehört auch die Aufteilung der Reproduktionsarbeit auf alle Geschlechter, bei ihrer gleichzeitigen Verortung im gesellschaftlichen Zentrum, denn die Sorge um das Leben ist vorherrschend in der Welt der Alten. In einer alternden Gesellschaft – in Österreich sind rund 1,5 Millionen Menschen über 65 Jahre alt - bedeutet Teilhabe am urbanen Leben, dem Wohlbefinden des Körpers und seines Lebensraumes vermehrte gesellschaftliche Aufmerksamkeit zuteilwerden zu lassen, nicht zuletzt in der Umsetzung von Handlungs- und Bewegungsfreiheit im öffentlichen Raum.

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