Inhalt der Nr. 20 der grundrisse |
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Editorial/Leserinnenbrief
Liebe Leserinnen und Leser!
Jubeljubeljubel - 5 Jahre und 20 Ausgaben grundrisse sind
vollbracht! In dieser Zeit hat sich Redaktion wie Zeitschrift gewandelt: von
einer rein männlich zusammengesetzten Theorieproduktionsrunde hin zu einem
geschlechtermässig gemischten, jüngeren und politischeren Zusammenhang.
Redaktionsmitglieder sind in verschiedensten politischen Zusammenhängen aktiv (Euromayday,
Arbeitslosenselbstorganisation, Antirassismus, feministische Zusammenhänge,
Runder Tisch Grundeinkommen,
www.chefduzen.at, etc.); diese verschiedenartigen Erfahrungen und nicht
zuletzt auch die quantitative Vergrößerung waren und sind zentrale Aspekte der
Dynamisierung der Redaktion. Die Möglichkeit der Überwindung des Kapitalismus
und der staatskritische Zugang zu Fragen von politischer Organisation und Aktion
sind dabei ebenso geteilte Eckpunkte wie die Uneinheitlichkeit der methodischen
und thematischen Zugänge. Die grundrisse sind keine Strömungszeitschrift und das
ist gut so. ...weiter
Die Reife der Zeit: Zur Aktualität der Multitude
Gespräch
von Colectivo Situaciones mit Paolo Virno
Colectivo Situaciones: Wir
glauben, ein Gespräch mit dir muss von einer Prämisse ausgehen, die sowohl für
deine Werke als auch für die so vieler anderer italienischer GenossInnen von
großer Bedeutung ist: die Theoretisierung des Postfordismus vom Standpunkt der
Arbeit und ihrer Veränderungen. Offensichtlich bringt der Postfordismus deiner
Ansicht nach nicht spezialisierte Charakter- oder Wesenszüge der Art ins Spiel,
die vorher außerhalb der kapitalistischen Produktion waren. Lässt sich nun gemäß
dieser Sichtweise in deinen jüngsten Texten eine gewisse Kontinuität zwischen
den Anliegen, die in der Grammatik der Multitude aufkommen, und diesen
Erörterungen zum menschlichen Tier, zur Sprache, zur Innovation und zum
„Offenen“ finden? Würdest du sagen, dass die Untersuchung des Postfordismus und
der Multitude die Neurowissenschaften, die Anthropologie sowie die moderne
Linguistik durchlaufen muss, um derart zur Natur des sprachbegabten Tieres und
seinen aktuellen politischen Perspektiven vorzudringen? Wenn ja, warum? Ist es
immer dasselbe politische Anliegen, das deine Untersuchungen durchzieht?
Übersetzt von Birgit Mennel...weiter
Jens Petz Kastner: Modifizierte Stärke
Soziale Bewegungen in Lateinamerika im Überblick
Die Barrikaden, die
allnächtlich die historische Innenstadt von Oaxaca abriegeln, die Hauptstadt des
gleichnamigen Bundesstaates im Südwesten Mexikos, rufen unweigerlich
Assoziationen zu vergangenen sozialen Kämpfen hervor: „Der Geist von Louise
Michel“ sei hier anwesend, kommentiert die linke mexikanische Tageszeitung La
Jornada Ende September 2006. Die Mitglieder der rund 360 Gruppen und
Organisationen, die sich in der Versammlung der BürgerInnen von Oaxaca (APPO)
zusammengeschlossen haben, um den Rücktritt des verhassten rechten Gouverneurs
Ulises Ruiz zu erzwingen, würden vom Geist der Pariser Kommune (1871) begleitet.
Der in der Selbstorganisation der Bevölkerung mündende Aufstand von Paris, an
dem auch die Anarchistin Louise Michel (1830-1905) beteiligt war, galt schon
Karl Marx als der Prototyp der „Revolution gegen den Staat“ (Marx 1973: 541)...weiter
Jens Petz Kastner: Feminismus der Straße
Die Mujeres Creando in Bolivien
Auch aus der Rippe von Evo,
schreibt Maria Galindo von den Mujeres Creando, wird keine Eva entstehen.
Ihr Artikel erschien kurz nach der Wahl von Evo Morales zum Staatspräsidenten
Boliviens im Dezember 2005. Darin werden zum einen konkrete Versäumnisse aus
feministischer Sicht kritisiert. Sowohl in Morales’ Wahlkampf als auch in seiner
Partei „Bewegung zum Sozialismus“ (MAS) spielten Frauen bloß eine marginale
Rolle. Selbst von den indigenen Frauenorganisationen und akademischen „Gender-Technokratinnen“
sei nicht viel zu erwarten: Auch sie nähmen Frauen nur als Mütter oder
„Partnerinnen von“ wahr, und nicht als politische Subjekte...weiter
Maria Galindo: Öffentlichkeiten der Mujeres Creando
Wir besetzen das Fernsehen genauso wie die Straße
Ich kann mich Ihnen nur
als Betrügerin vorstellen. Als Betrügerin innerhalb jeglichen
Institutionengefüges, als eine Betrügerin, die Sinn, Wert und Kraft nur
außerhalb gewinnt, außerhalb der Institution, außerhalb des Systems. Außerhalb
und nicht innerhalb. Nicht innerhalb der Galerie, nicht innerhalb der
Institution, nicht innerhalb der Akzeptanz, nicht innerhalb der Legitimation,
nicht innerhalb des Systems...weiter
Karl Reitter:
Traurige Ratlosigkeit.
Bemerkungen zur Kritik
am Grundeinkommen von Markus Koza und Angela Klein.
In einem Beitrag in der „SoZ“ (Sozialistische Zeitung,
Frankfurt) schreibt Angela Klein über das Grundeinkommen[1],
wie es von Götz Werner propagiert wird, in der „akin“ (Wien) Markus Koza über
diese Forderung an eine Wortmeldung von Bernhard Redl anknüpfend[2].
Mit diesen Beiträgen meldet sich eine Linke zu Wort, die das Grundeinkommen
durchwegs ablehnt. Ihre Kritik lässt jedoch keine Alternative erkennen, sondern
besticht durch weitgehende Resultatlosigkeit...weiter
Paul Pop: Ist Sex subversiv?
Linke Theorien der sexuellen Befreiung und Gender-Dekonstruktion
In der Linken ist es schon
seit langem aus der Mode gekommen über sexuelle Befreiung zu sprechen. Die
Freudomarxisten sahen in den sexuellen Bedürfnissen und Trieben der Menschen
eine wichtige Stoßkraft für die proletarische Revolution. Ihre Unterdrückung sei
die Ursache für autoritäre Charaktere und die Massenbasis des Faschismus. Die
„natürlichen“ Triebe des Menschen würden gegen die „unnatürlichen“ Institutionen
wie die patriarchalische Familie ins Feld geführt. Heute stellt sich viel mehr
die Frage: Was ist Sexualität überhaupt und von was soll sie befreit werden? ...weiter
Franz Naetar: Wie hältst Du es mit der Demokratie?
Negri und Badiou sowie ein „grundrisse“ Seminar zur Demokratie
In einer Veranstaltung der „grundrisse“
zusammen mit Wildcat über China wurde in einem Nebensatz das heutige Indonesien
als demokratisch und das heutige China als eine Diktatur bezeichnet.
Auch in einer Reihe anderer Publikationen der
Linken werden Begriffe wie totalitär (für China) und Diktatur in einem Sinn
verwendet, wie er in den liberalen und konservativen Zeitungen auch verwendet
wird. Zu Indien fällt einem als mediale Phrase zum Beispiel sofort der Stehsatz
von der „größten Demokratie der Welt“ ein; während Russland mehr als autoritär
(ob Diktatur oder Demokratie ist noch in Schwebe) bezeichnet wird...weiter
Was ist die
Organisation politique?
Im Artikel „Wie hältst
Du es mit der Demokratie“ in diesem Heft wird an mehreren Stellen auf die
„Organisation politique“ Bezug genommen. Bekannte Namen dieser Organisation sind
neben Alain Badiou auch Sylvain Lazarus. Die Organisation war in den letzten
Jahren vor allem im Umfeld der „Sans Papier“ aktiv. Um ein klareres Verständnis
einer möglichen, praktischen Auseinandersetzung mit den
philosophisch-theoretischen Schriften Badiou’s zu bekommen (zu dessen Arbeit im
Umfeld der Grundrisse ein Arbeitskreis entstand), möchten wir hier eine
Selbstdarstellung der „Organisation politique“ aus dem Jahre 2001 abdrucken. Das
in französisch verfasste Original ist abrufbar unter
http://orgapoli.net/spip.php?article86.
Übersetzt von Birgit
Mennel und überarbeitet von Franz Naetar. ..weiter
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