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Jens Petz Kastner: Feminismus der Straße Auch aus der Rippe von Evo, schreibt Maria Galindo von den Mujeres Creando, wird keine Eva entstehen. Ihr Artikel erschien kurz nach der Wahl von Evo Morales zum Staatspräsidenten Boliviens im Dezember 2005. Darin werden zum einen konkrete Versäumnisse aus feministischer Sicht kritisiert. Sowohl in Morales’ Wahlkampf als auch in seiner Partei „Bewegung zum Sozialismus“ (MAS) spielten Frauen bloß eine marginale Rolle. Selbst von den indigenen Frauenorganisationen und akademischen „Gender-Technokratinnen“ sei nicht viel zu erwarten: Auch sie nähmen Frauen nur als Mütter oder „Partnerinnen von“ wahr, und nicht als politische Subjekte. Die Geschichte der Linken sei geprägt von einer „Banalisierung der Präsenz von Frauen“. Die feministische Fundamentalkritik, die der Text damit zum anderen formuliert, ist seit nunmehr vierzehn Jahren die Sache der Mujeres Creando. Das 1992 in La Paz gegründete Frauenkollektiv produziert aber nicht nur Texte. Die Mujeres Creando veranstalten diverse Workshops, betreiben ein eigenes Frauenhaus namens „Virgen de los deseos“ („Jungfrau der Wünsche“) und zwei Homepages (www.mujerescreando.org und www.mujerescreando.com). In La Paz berüchtigt und in Westeuropa bekannt geworden sind sie allerdings vor allem durch ihre Interventionen im öffentlichen Raum: In Graffitis und mit recht spektakulären Performances greifen die Mujeres Creando verschiedene frauenspezifische Themen auf. Aber auch gegen die erneute Präsidentschaft Hugo Banzers (1997-2002), der von 1971 bis 1978 als Militärdiktator die Repression gegen Oppositionelle zu verantworten hatte, fanden Aktionen statt. Oder gegen den Neoliberalismus, der mit verschiedenen Privatisierungsoffensiven seit 1985 in Bolivien installiert wurde. Dabei beharren die Feministinnen darauf, mit ihren Performances keine Kunst, sondern Politik zu machen. Die Kunstwelt sei ein gesellschaftlicher Bereich des Erlaubten. Ihre Performances aber stehen im Kontext einer Strategie des Ungehorsams. Denn unter Politik verstehen sie weit mehr als die repräsentative Demokratie zulässt. Ihre Aktionen richten sich ganz allgemein gegen den Rassismus der bolivianischen Gesellschaft, gegen Homophobie und Klassendünkel. Für diesen Kampf sei die Straße der beste Ort. Einerseits liegt dem ein sehr emphatisches Verständnis der Straße zu Grunde. Sie ist nicht nur der Ort, an dem von jeher politische Basiskämpfe ausgetragen werden. Die Straße besitze auch einen ganz eigenen „Rhythmus“. Beispielsweise auf dem von Frauen organisierten Schwarzmarkt, auf dem mit gefälschten Markenprodukten der Politik der transnationalen Konzerne getrotzt werde. Dass ihre Aktionen auch auf Canal 7 im bolivianischen Fernsehen gezeigt wurden, widerspricht dem programmatischen Faible für die Straße nicht. „Das Fernsehen“, schreibt Maria Galindo in einem Sammelband zu Theorien der Öffentlichkeit, „ist eine Straße, die den privaten Raum durchquert. Das Fernsehen ist ein öffentlicher Ort. Und deshalb bringen wir uns ins Fernsehen mit derselben Sprache ein, mit der wir auch die Straße in Beschlag nehmen.“ Als transnationale Ausweitung dieses Ortes kann so auch die Ausstrahlung der Mujeres Creando-Performances im Rahmen der feministischen Sendung an.schläge TV verstanden werden, die seit einigen Monaten auf dem Wiener Sender Okto läuft. Im Lob der Straße kommt andererseits auch die grundsätzlich anti-repräsentative Haltung der Mujeres Creando zum Ausdruck. „Ich bin keine Sprecherin von irgendjemandem“, heißt es im besagten Text von Galindo, „nicht einmal die Stimmen meiner Schwestern, der Frauen von Mujeres Creando, kann ich vertreten.“ Zwar lautet einer der an die Wände der Stadt gesprühten Sprüche „Indias, Huren und Lesben: Vereint, anders herum und verschwistert“. Ein übergeordneter Vertretungsanspruch erwächst daraus aber nicht, „jede schafft ihre eigene Sprache und spricht für sich selbst.“ (Galindo). In diesem repräsentationskritischen Kontext steht auch die bereits erwähnte Kritik an der „Gender-Technokratie“. Damit sind Frauen gemeint, die in NGOs die Interessen der internationalen Organisationen exekutieren und sich zu Erfüllungsgehilfinnen falsch verstandener Entwicklungsprojekte machen lassen. Auch hinsichtlich der parlamentarischen Quotenregelung, die dreißig Prozent der Parlamentssitze für Frauen vorsieht, üben die Mujeres Creando immer wieder scharfe Kritik. Die Quote, die in der neoliberalen Ära eingeführt und von der indigen-linken Regierung übernommen wurde, basiere nur auf dem biologischen Frau-Sein und nicht auf Inhalten. Es sei nicht einzusehen, warum Frauen andere Frauen nur aufgrund der Biologie repräsentieren sollten. Außerdem halte die Quote Frauen davon ab, sich außerhalb gemischter Gruppen und außerhalb der Parteien autonom zu organisieren. In einer ihrer Graffiti-Parolen zusammengefasst, lautet die Forderung der Mujeres Creando dann „Wir wollen das gesamte Paradies, nicht 30 % der neoliberalen Hölle“. Trotz oder gerade wegen ihrer klaren Haltung zur Quote, einem Dauerbrenner hitziger feministischer Debatten, ist der Feminismus der Mujeres Creando in westeuropäisch-nordamerikanische Kategorien schwer einzuordnen. „Wir haben keine Linie“, heißt es in einem für die österreichische Kunst-Zeitschrift Bildpunkt verfassten Text, „wir sind reine Kurven“. Dieser Titel persifliert nicht nur die diversen Parteilinien. Er deutet zudem den Kampf um die Rückeroberung der Körper an. Diese starke Bezugnahme auf den eigenen Körper, verbunden mit dem ideologiekritischen Angriff auf die diesbezüglich herrschenden Normen – in einer Performance befreien sich Frauen aus einem mit Barbie-Puppen verknüpften Fadengestrüpp –, erinnert stark an den Feminismus der zweiten Frauenbewegung in Nordamerika und Westeuropa. Im Gegensatz zu diesen Strömungen der späten 1960er und 1970er Jahre aber setzen die Mujeres Creando weniger auf Identitätspolitik. Eine gemeinsame Identität, ein „Wir Frauen“, wird, außer in den Diskriminierungserfahrungen als kleinster gemeinsamer Nenner, nicht behauptet. Die postmoderne Kritik am 1970er-Jahre-Feminismus, die bemängelte, dass mit dem „Wir“ der Frauenbewegung in erster Linie weiße Mittelschichtsfrauen gemeint und andere ausgeschlossen waren, mussten die Mujeres Creando also gar nicht erst aufkommen lassen. Heterogenität, so betonen Florentina Alegre und Maria Galindo in einem Interview mit der linken Hamburger Zeitschrift ak – analyse und kritik, habe am Ausgangspunkt der Bewegung gestanden. Bei den Mujeres Creando haben sich nicht nur so unterschiedliche Frauen wie Heterosexuelle vom Land und lesbische Städterinnen organisiert. Auch Sexarbeiterinnen und Akademikerinnen scheinen zunächst nicht viele Gemeinsamkeiten zu haben. Trotz der Abgrenzung zu den NGO-Frauen, in der sich die in ganz Lateinamerika vorherrschende Spaltung von institutionalisierten, eher akademischen und bewegungsorientierten, tendenziell proletarischen Frauenbewegten spiegelt, setzen auch die Mujeres Creando auf gegenseitige Bereicherung. Im genannten Theorieband formuliert Galindo das so: „Um Identitäten und subversive Heterogenitäten zu konstruieren, muss ich meine Differenzen, meine Geschichten, meine Schmerzen und meine Talente mit `der Anderen´, die sich von mir unterscheidet, ergänzen, erstreiten und vermischen.“ Dass die Unterschiede zwischen Frauen von Beginn an Thema gewesen seien, hebt auch Mujeres Creando-Mitbegründerin Julieta Ojeda im Gespräch mit der feministischen Zeitung an.schläge (Wien) hervor. Zwar haben Frauen aus bäuerlichen Familien des Hochlandes und weiße, akademische Städterinnen verschiedene Marginalisierungen erfahren. Die Stigmatisierung als Frauen und der Wunsch, gemeinsame Räume mit „komplexen Formen der Interaktion“ (Galindo) zu schaffen, seien allerdings hinreichend verbindende Elemente. Aber nicht nur das: Allein die Thematisierung der Unterschiede richtet sich laut Ojeda schon gegen die „extrem rassistische, homophobe Macho-Gesellschaft“. Differenzen zu benennen, bedeutet nicht, sie zu bejahen. Im Gegenteil: In dem ärmsten Land Lateinamerikas mit dem höchsten Anteil indigener Bevölkerungsgruppen, scheint der antirassistische Kampf zugleich einer um soziale Gleichheit zu sein. Eine der Straßenaktionen konfrontiert bürgerliche Frauen mit ihrer Abneigung gegen Indigene. Zu Verschwesterungsszenen kommt es, ganz anders als in der feministischen Gruppe selbst, dabei nicht. Diese Konfrontationen mit kulturellen Ausschlüssen muten sie aber nicht nur der weißen Oligarchie, sondern auch der indigen-linken Regierung zu. So auch in ihrer Analyse der Wahl zur Verfassungsgebenden Versammlung. Diese fand am 02. Juli 2006 statt und soll den Prozess der „Neugründung Boliviens“ unter Morales einleiten. Durch das Wahlgesetz sei weder eine direkte Repräsentation der sozialen Bewegungen vorgesehen, so Galindo auf der Mujeres Creando-Homepage, noch seien die „Exilierten des Neoliberalismus“ berücksichtigt: BolivianerInnen, die in Argentinien, Brasilien, Spanien oder den USA lebten und zu einer wichtigen Stütze der bolivianischen Wirtschaft geworden seien. In ihren Aktionen und Texten beschreiben die Feministinnen immer wieder die Verschränkungen geschlechtlicher, sexueller, ethnischer und klassenstruktureller Herrschaft. Zum Ausdruck kommt dabei ebenfalls, dass die Kämpfe dagegen auch dementsprechend Hand in Hand gehen sollten. So stimmen die Feministinnen auch grundsätzlich mit der vom MAS angestrebten Dekolonisierung des Landes überein. Ohne die Depatriarchalisierung allerdings sei diese nicht möglich. |
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