Inhalt der Nr. 22 der grundrisse |
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Editorial
Am 9. Mai durchsuchte die Polizei an die 40 Objekte in Deutschland, um eine
angebliche terroristische Vereinigung zur Störung des G8-Gipfels in Heiligendamm
zu zerschlagen. Wenn es darum gegangen sein sollte, die Bewegung
einzuschüchtern, so ist das Polizei und Staatsapparat nicht gelungen. Denn am
gleichen und am nächsten Tag demonstrierten 10.000e in ganz Deutschland gegen
die Repression. Auch in Wien zogen über 100 Menschen vor die deutsche Botschaft,
um ihren Protest auszudrücken. Das Kalkül, die Bewegung durch Einschüchterung zu
spalten und zu demoralisieren ist offensichtlich nicht aufgegangen, im
Gegenteil, die Mobilisierung gegen den G-8 Gipfel erhielt dadurch neuen
Schwung....weiter
Thomas Seibert:
Neue Gemeinplätze
Bewegung, Organisierung und linke Intervention
Von breiten Bündnissen getragene
Großmobilisierungen sind immer ein Anlass, perspektivische Fragen nach dem Stand
der sozialen Bewegungen und ihrer politischen Linken aufzuwerfen. Sie sind aber
auch eine Gelegenheit, Antworten neu zu diskutieren, die zuvor auf solche Fragen
gegeben wurden.Die Mobilisierung nach Heiligendamm erfordert von daher den
Rückblick auf den letzten G8-Gipfel in Deutschland, der 1999 in Köln stattfand,
und sie gibt Raum für eine Zwischenbilanz der Bewegungen, die sich seit der
selben Zeit als „globalisierungskritische Bewegungen“ bezeichnen.....weiter
Gáspár Miklós Tamás: Ein ganz normaler Kapitalismus
Übersetzt von Gerold Wallner
Die
symbolische und historische Bedeutung Osteuropas für die Linke steht außer
Zweifel. Es war ja Osteuropa, wo das sozialistische Experiment angeblich
unternommen worden war. Der Zusammenbruch der Ostblockregime 1989 bedeutete für
die meisten Menschen, dass es jenseits des Horizonts eines globalen Kapitalismus
nichts gibt. Obwohl es keineswegs sicher ist, dass es Sozialismus war, das da
scheiterte, kollabierten Institutionen, Organisationen und Strömungen der
westlichen Linken, geradeso als ob das, was sie vertraten, identisch gewesen
wäre mit dem traurigen Ruinenhaufen, der das Reich von Stalins diadochoi
war. Wie ruhmlos, eintönig, ängstlich und ermüdend dieses Imperium auch
war, die heute dort Lebenden halten dafür, dass es in allen Belangen den neuen
Einrichtungen bei Weitem überlegen war. SozialistInnen scheinen desavouiert zu
werden durch die generelle Annahme, dass Kapitalismus alles ist, was es gibt,
und DemokratInnen wird anscheinend erklärt, dass verglichen mit dieser neuen
liberalen Demokratie die Diktatur ein Vergnügen war....weiter
Minimol: ... auf den Geschmack gekommen – sechs Monate Streik bei Gate Gourmet
Ein Rezensionsessay
„Arbeiten oder Streiken? Vom Finanziellen her ist Arbeiten besser – aber vom
Arbeiten her: Streiken!“ streikende Küchenhilfe/Produktionsarbeiterin (Umschlag
Rückseite) „Die Entscheidung für den Streik war für mich schwer, weil das gegen
meine bürgerliche Existenz an sich geht. Von meiner Herkunft her bin ich kein
Streiker. Wenn da steht „Solidarität“ ... das ist einfach Träumerei. Das ist nie
die Gedankenwelt unserer Familie gewesen.“ streikender LKW-Fahrer (Seite 107)
Ein ganzes Buch über einen Streik von knapp 80 Menschen bei einem
Flughafen-Catering-Betrieb, der noch dazu kaum als Erfolgsstory bezeichnet
werden kann?....weiter
Franz Naetar:
Das bedingungslose Grundeinkommen: eine kommunistische Forderung!
In
einer ersten Reaktion auf die Debatte über die Grundsicherung meinte die
damalige Innenministerin Liese Prokop: „Das Grundeinkommen ist eine
urkommunistische Forderung… Da würde sich ja jeder überlegen, ob es sich
überhaupt noch auszahlt, 40 Stunden zu arbeiten.“
Liese Prokop bezog
sich wahrscheinlich auf die damals von der VP noch nicht abgesegnete
SP-Forderung nach einer Grundsicherung,
nicht auf das bedingungslose Grundeinkommen. Aber hatte sie mit ihrer Behauptung
bezüglich des Grundeinkommens nicht Recht? Drehen wir doch ihre Argumentation
um: Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine kommunistische Forderung! Und
zwar eine kommunistische Forderung, die schon hier und jetzt gefordert wird und
gefordert werden muss....weiter
Meinhard Creydt: Warum eigentlich Materialismus?
Helmut Fleischers praxisanalytisches Materialismuskonzept
Helmut Fleischer (Jg. 1927) hat in
Debatten um Ethik, um Sozialismus und um die Analyse historischer
Transformationen mit einer Fülle von Arbeiten interveniert. Einen roten
Faden seines Werkes bildet die Frage, was als Materialismus heute mit guten
Gründen vertreten werden kann....weiter
Paul Pop:
Ist Sex
subversiv?
Linke Theorien der sexuellen Befreiung und Gender-Dekonstruktion
Teil 2: Von der feministischen Sex-Debatte zum postmodernen
Gender-Trouble
Am 13.September 1968
flogen auf einer Delegiertenkonferenz drei Tomaten auf grinsende Männer am
Vorstandtisch des SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund). Die männlichen
Genossen hatten offensichtlich der Rede von Helke Sander vom „Aktionsrat zur
Befreiung der Frau“ nicht ernsthaft genug zuhören wollen. Dieser Tomatenwurf
wird weithin als der Beginn der zweiten oder neuen Frauenbewegung in Deutschland
angesehen. Unter dem Motto „Befreit die sozialistischen Eminenzen von ihren
bürgerlichen Schwänzen“ organisierten sich nun die Frauen innerhalb der neuen
Linken und wandten sich gegen „sozialistischen Bumszwang“ und
„Orgasmusterror“....weiter
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