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Minimol: ... auf den Geschmack gekommen – sechs Monate Streik bei
Gate Gourmet
Ein Rezensionsessay
„Arbeiten oder Streiken? Vom Finanziellen her ist Arbeiten besser – aber vom
Arbeiten her: Streiken!“
streikende Küchenhilfe/Produktionsarbeiterin (Umschlag Rückseite)
„Die
Entscheidung für den Streik war für mich schwer, weil das gegen meine
bürgerliche Existenz an sich geht. Von meiner Herkunft her bin ich kein Streiker.
Wenn da steht „Solidarität“ ... das ist einfach Träumerei. Das ist nie die
Gedankenwelt unserer Familie gewesen.“
streikender LKW-Fahrer (Seite 107)
Ein
ganzes Buch über einen Streik von knapp 80 Menschen bei einem
Flughafen-Catering-Betrieb, der noch dazu kaum als Erfolgsstory bezeichnet
werden kann?
Zunächst einmal sind Fabriken und fabriksähnlich organisierte Betriebe zwar aus
den Köpfen verschwunden, nicht jedoch aus der Realität. Wie die beiden
französischen Soziologen Stéphane Beaud und Michel Pialoux in der Einleitung zu
ihrer Studie „Die verlorene Zukunft der Arbeiter“, die 2004 auf Deutsch
erschienen ist, feststellen, sind ArbeiterInnen gesellschaftlich unsichtbar
geworden. Dieser Umstand lässt sich unter anderem daran festmachen, dass ihre
tatsächliche Anzahl systematisch unterschätzt wird, wie sich bei Befragungen von
StudentInnen der Soziologie in Frankreich herausgestellt hat. Theorien über die
„Dienstleistungsgesellschaft“, die die ökonomische Überflüssigkeit der
ArbeiterInnen verkünden, stünden dem Kapital zur Seite, so die HerausgeberInnen
des Buches über den Streik bei Gate Gourmet Düsseldorf. Nun sind
Flugzeug-Catering-Firmen wie Gate Gourmet zum Einem Dienstleistungsunternehmen,
d. h. die Kundin nimmt nur den affektiven Teil der Arbeit wahr, während der
dahinter liegende Produktionsprozess – und mit ihm die dort Arbeitenden –
unsichtbar bleiben. Zum Anderen sind Flughäfen durch die rasante Zunahme von
Passagierzahlen und Luftfracht zu riesigen ArbeiterInnenkonzentrationen geworden
– am Düsseldorfer Flughafen, der den Passagierzahlen nach der drittgrößte
Deutschlands ist, sind 15.000 Menschen beschäftigt. Aus zwei Gründen glauben die
HerausgeberInnen, dass Flughäfen eine besondere Bedeutung bei
ArbeiterInnenkämpfen zukommen kann: erstens weil sie nicht so ohne Weiteres
verlagerbar sind und zweitens weil die Arbeit am Flughafen wie sehr eng
verkettete just-in-time-Produktion funktioniert, was dazu führt, dass kleine
Aktionen große Verzögerungen auslösen können, die auch relativ schnell
Auswirkungen auf den internationalen Flugplan haben. Denn die stets drohenden
Delays, mit denen die ArbeiterInnen unter Druck gesetzt und angetrieben werden,
können von diesen auch gegen die Unternehmen gewendet werden. Insbesondere durch
das System der Slots – Zeitfenster, die von den Fluggesellschaften gekauft
werden; bei Überschreitung des Zeitfensters muss auf das nächste gewartet werden
– können aus wenigen Minuten Verspätung schon mal Stunden werden, was
finanzielle Auswirkungen auf die Firmen hat, da dann Vertragsstrafen fällig
werden.
Der von
Oktober 2005 bis April 2006 anhaltende Streik bei Gate Gourmet Düsseldorf ist
für die HerausgeberInnen, die dem UnterstützerInnenkreis des Streiks entstammen,
in mehrerer Hinsicht exemplarisch – einerseits was Eigeninitiative und
Selbstermächtigung betrifft, andererseits aber auch hinsichtlich der aktuellen
Schwierigkeiten von ArbeiterInnen, Macht zu entwickeln. Detlef Hartmann wiederum
spricht in seinem Beitrag über die auch bei Gate Gourmet aktive
Unternehmensberaterfirma McKinsey von einem „modernen“ Streik, dessen Bedeutung
darin liege, dass sich bei den Streikenden durch „die Beharrung auf
,Menschenwürde‘, die Auseinandersetzung mit dem Zugriff auf das ,eigene Selbst‘
und mit der Infektion durch den ,Virus‘ der Selbstrationalisierung die
Dimensionen des Zusammenpralls erkennen (lassen)." (Seite 215) Hartmann
schließt seinen Beitrag mit den Worten: „Es ist ein kapitalistischer Mythos,
dass das ,Selbst‘ und der ,Eigenwillen‘ nunmehr in seiner Gesamtheit zu einer
produktiven Ressource geworden ist. Es gibt nach wie vor eine Grenze und ein
Außen der Zugriffe, auch wenn sie weiter ins Innere des Selbst getrieben werden.
Eine ihrer Manifestationen, und noch dazu eine sehr artikulierte, haben wir im
Streik bei Gate Gourmet erlebt.“ (Seite 223)
Ein
weiterer wichtiger Aspekt, der sich deutlich herauskristallisiert – und in
Debatten um die Prekarisierung der Arbeit oft zu kurz kommt –, ist die auch
quantitativ zunehmende Rolle der Leiharbeit bei der Spaltung und
Neuzusammensetzung der Arbeit. Ein Problem, das den KollegInnen von Gate Gourmet
Düsseldorf während des Streiks (Streikbruch) und nach Ende des Streiks
(vermehrter Einsatz von LeiharbeiterInnen) schwer zu schaffen machte.
Interessant und positiv die Versuche nach Beendigung des Streiks, die Spaltung
innerhalb des Betriebs zu überwinden und gezielt die spezifischen Probleme der
LeiharbeiterInnen anzusprechen. Bemühungen der UnterstützerInnen Interviews mit
streikbrechenden LeiharbeiterInnen zu führen, die oft nicht allzu glücklich mit
ihrer Rolle als Streikbrecher waren, scheiterten leider trotz einiger vager
Zusagen an den Einschüchterungen der SklavenhändlerInnen.
Das
Buch ist als Lesebuch von ArbeiterInnen für ArbeiterInnen konzipiert.
Dementsprechend viele Beteiligte – Streikende, aber auch UnterstützerInnen – mit
all ihren Widersprüchen und Zweifeln kommen darin zu Wort. Durch die aktive
Beteiligung am Streik, die versuchte sich an den Bedürfnissen der ArbeiterInnen
zu orientieren und nicht besserwisserisch daherzukommen, konnten die
UnterstützerInnen mit vielen Beteiligten sprechen und auch deren Vertrauen
gewinnen. Durch die lange Streikdauer konnten aber auch die Streikenden selbst –
befreit von der täglichen endlosen Plackerei – über sich selbst und ihr
Verhalten ausführlich reflektieren. Die mannigfaltigen Erfahrungen aus dem
Gate-Gourmet-Streik anderen zugänglich zu machen ist Absicht des Textes, der
folgerichtig nicht laut dröhnend heroisch daherkommt, sondern leise und minutiös
genau, analytisch bezüglich der vielen Schwächen, Widersprüche und zu spät
erkannten Probleme. Fehleinschätzungen und Versäumnisse werden ausführlich
angesprochen.
Der
Mikrokosmos eines Flughafen-Cateringbetriebes wird entfaltet. Im Besonderen im
Kernstück des Buches, das mit „die Produktion des Streiks“ betitelt ist, aber
durchaus auch „Anatomie eines Streiks“ heißen könnte, und zu großen Teilen aus
verdichteten Interviews mit Streikenden besteht, werden Arbeitsinhalte und –organisation
sowie die untergründigen Bewegungen und Vernetzungen, die später zum
Streikausbruch führen, detailliert, ja nahezu mikroskopisch genau, beschrieben.
Auch
wenn die HerausgeberInnen die lange Dauer des Streiks nicht als Zeichen der
Stärke, sondern der Schwäche einschätzen, da nicht genügend Druck auf die
Geschäftsleitung entwickelt werden konnte, entsteht durch die vielen gemeinsamen
Debatten in dieser langen Zeitspanne eine dynamische Prozesshaftigkeit, die im
Buch – vor allem, aber nicht nur, durch die ausführliche Darstellung der
Situation vor dem Streik (die permanente Verschlimmerung der Lebenssituation und
das aktive Mitwirken der später Streikenden daran) – anschaulich nachgezeichnet
wird. Denn auch wenn das offizielle Streikziel 4,5 Prozent Lohnerhöhung war,
ging es doch von Anfang an auch um die Menschenwürde der
Arbeitenden/Streikenden.
„Von
außen ist schwer zu verstehen, was in einem Streik wirklich passiert. Hinter der
formalen Organisation des Streiks durch die Gewerkschaft kann eine unsichtbare
informelle Organisation stehen, und die Darstellung des Streiks nach außen muss
nicht unbedingt der tatsächlichen inneren Dynamik entsprechen. Was ist die
Motivation der Beteiligten? Geht es um das offizielle Streikziel, oder haben die
Streikenden andere Gründe? Wie erleben sie diese Zeit der Nicht-Arbeit? In
welchem Verhältnis steht der Streik zu den vorherigen alltäglichen
Auseinandersetzungen am Arbeitsplatz?“
HerausgeberInnen (S 91)
Vor
dem Streik
Gate
Gourmet ist ein europaweit operierendes Unternehmen, das im Dezember 2002 von
der insolventen Swissair an die Texas Pacific Group (im Folgenden TPG) verkauft
wurde. TGP ist eine Private-Equity-Firma, die marode Unternehmen aufkauft und
nach drastischen Reorganisationsmaßnahmen zu einem weit höheren Preis
weiterverkauft, wobei dem Käufer zukünftig höhere Gewinne in Aussicht gestellt
werden.
Um nach
Möglichkeiten der Arbeitsintensivierung und Kostenersparnis zu suchen, wurden
noch während der Übernahme McKinsey und andere Beraterfirmen in die
verschiedenen Gate-Gourmet-Filialen geschickt. Von Anfang an wurden die
ArbeiterInnen, im Besonderen die untere Führungsstruktur, in die Analyse und
Rationalisierung der Arbeitsabläufe einbezogen. Sie wurden von den
McKinsey-BeraterInnen dahin geführt, mögliche Einsparungen in der Arbeitszeit
selbst zu erkennen und wichtig zu finden. Einige Verbesserungen machten durchaus
Sinn und halfen sogar, die Arbeit zu erleichtern. Nur: nach dem Analyse- und
Verbesserungsprozess wurden die einzelnen Arbeitsschritte genauestens mit der
Stoppuhr festgelegt und danach als verbindlicher Planwert vorgeschrieben. Es
wurde der Begriff waste time definiert, die es unbedingt zu vermeiden
galt, wobei als waste time bereits eine ½ Minute Zeitverzögerung oder ein
paar nicht unbedingt notwendige Schritte gelten. Zeiten wurden von den
ArbeiterInnen geschönt, was ihnen nachher auf den Kopf fiel – die Konsequenzen
waren vielen nicht klar. Die Konkurrenz nahm zu, KollegInnen wurden bei der
Abteilungs- oder Betriebsführung denunziert.
„Wir
waren eine dermaßen zerstrittene Belegschaft. Deshalb hat das auch so lang
gedauert, bis es zu dem Streik gekommen ist. Wir waren immer schon zerstritten,
aber wo das los ging mit den Zeiten, da ist es noch krasser geworden. Weil du so
rennen musstest, und wenn du beim Frühdienst 6 Maschinen hattest, dann ist dir
jeder im Weg herumgerannt. Jeder kam mit seinem Wägelchen angefahren: „Geh mal
weg, ich muss mich beeilen!“ Dadurch dass du deine eigene Arbeit komplett
alleine fertig gemacht hast, musstest du natürlich sehen, dass du die Zeiten
irgendwie einhältst. Wenn du jemand so unter Zeitdruck setzt, dann ist jedes
kleine Bisschen, das dich aus diesem Rhythmus rausbringt, dein Feind. Und so
sind auch die Mitarbeiter immer mehr aneinander geraten.“
streikender LKW-Fahrer (Seite 132)
Die
größten Auswirkungen hatte jedoch die totale Arbeitszeitflexibilisierung. Es
wurden so genannte Poolschichten eingeführt, die zur Folge hatten, dass die
ArbeiterInnen bei Schichtbeginn noch nicht wussten, ob sie 5, 8 oder 10 Stunden
zu arbeiten hatten. Das führte u. a. dazu, dass Kinder vorm Kindergarten standen
und nicht abgeholt wurden.
Die
Hälfte der ArbeiterInnen bei Gate Gourmet Düsseldorf stammt nicht aus
Deutschland, davon ca. die Hälfte aus der Türkei, der Rest aus allen Ecken der
Welt. In den Interviews kommen 13 KollegInnen, davon 3 Frauen, zu Wort. Die
HerausgeberInnen selbst stellen fest, dass die Frauen, die ungefähr ein Drittel
der Belegschaft ausmachen, verhältnismäßig zu kurz kommen, und bemerken dazu:
„Gerade die Frauen berichten aber, wie sie sich im alltäglichen
Produktionsprozess teilweise erfolgreich und kollektiv gegen das Management zur
Wehr setzen konnten. Das Problem, dass über Interviews diejenigen stärker in
Erscheinung treten, die sich besser und selbstbewusster artikulieren können,
haben wir nicht wirklich lösen können – obwohl wir aus unseren Fabrikerfahrungen
nur zu gut wissen, wie sehr Reden und Handeln auseinander fallen können.“
(Seite 96)
Das
Fließband in der Produktion, in der hauptsächlich Frauen arbeiten, sollte
abgeschafft und durch bestens einsehbare und kontrollierbare
Einzelarbeitsplätze, so genannte Workstations, ersetzt werden. Jeder Handgriff
und jeder Schritt wurde genauestens vorgegeben, sodass jeder Fehler individuell
zugeordnet werden kann. Den Arbeiterinnen war klar, dass die Abschaffung des
Fließbands keine „Humanisierung“ ihrer Arbeit bedeutet, sie verteidigten ihre
kollektive Arbeitssituation in einem zähen Kleinkrieg – sechsmal wurde das Band
rausgeschafft und wieder reingeholt.
Durch
die Arbeitshetze stieg die Unfallgefahr beim Be- und Entladen der Flugzeuge
erheblich ... und die Zahl der Krankenstände. Die Geschäftsleitung versuchte die
KollegInnen gegeneinander, gegen die Kranken, aufzuhetzen. Im Laufe der Zeit
allerdings mit immer weniger Erfolg.
Ya
Basta!!!
Auch
wenn der Streik bei Gate Gourmet Düsseldorf defensiv war, so ging es nicht um
den Erhalt des Arbeitsplatzes, sondern gegen zu viel Arbeit und die täglich
steigenden Zumutungen. Die KollegInnen legten den Horror der Arbeit offen,
sagten STOP! und ließen sich nicht mehr mit dem Erhalt des Arbeitsplatzes
erpressen.
„...
und immer wieder taucht die Frage auf, wie wir am besten die Angst verlieren
können. Wir erzählen das so: Angst hilft uns nicht mehr, das ist schon lange
vorbei. Wie lange soll ich Angst haben um meinen Arbeitsplatz? Wenn ich
gesundheitlich pleite bin und familiär, wenn ich sozial ausgegrenzt bin ... was
nützt mir da mein Arbeitsplatz. Wir leben seit so vielen Jahren in diesem
asozialen Zustand. Wir haben kein Vereinsleben mehr, wir haben kein vernünftiges
Familienleben mehr, wir haben überhaupt keine Bekannten mehr. Durch diese
verschiedenen Schichten erleben wir das soziale Abseits. Das ist das Problem,
warum die Leute gesagt haben: Noch mehr ist nicht drin. Wir haben sämtliche
Grenzen schon lange überschritten.“
streikender Betriebsrat (Seite 136/137)
Der
Streik war jedoch nicht „spontan“, er wäre nicht möglich gewesen ohne ein kurz
zuvor durchgesetztes kämpferisches Betriebsratsmitglied sowie ein vom
Betriebsrat unabhängiges informelles Netzwerk von vertrauenswürdigen KollegInnen
– das von den Streikenden selbst so genannte U-Boot –, aus dem sich dann auch
die informelle Streikleitung zusammensetzte. Der Streik wurde lange vorbereitet,
die Stimmung unter den KollegInnen ausgelotet (im Buch Pulsmessungen genannt).
Anfang September 2006 wird ein unangekündigter Warnstreik durchgeführt, dessen
Vorbereitung nur einem Betriebsratsmitglied bekannt ist und der zur Folge hat,
dass 7 LTU-Flüge ohne Catering abheben. Die Zusammensetzung des U-Bootes liegt
aus Sorgsamkeitsgründen etwas im Dunklen, es lässt sich aber so viel
herauslesen, dass es sich dabei nicht um eine Betriebszelle mit einer
einheitlichen politischen Linie handelte. Während des eigentlichen 6-monatigen
Streiks nimmt die informelle Streikleitung der Gewerkschaft die Pressearbeit aus
der Hand, beeinflusst die Zusammensetzung der Tarifkommission und hat ein Auge
auf Stimmungstiefs, die im Laufe eines der längsten und kältesten Winter, die
Deutschland je gesehen hat, im Streikzelt häufig auftauchen.
Trotz
dieser Vorbereitungen gelingt es nicht, das Unternehmen still zu legen. Ab dem
ersten Streiktag werden StreikbrecherInnen eingesetzt, zum Teil ArbeiterInnen
von anderen Gate-Gourmet-Standorten, zum Teil LeiharbeiterInnen. Blockaden der
Ausfahrt der LKW zum Flugfeld finden statt, werden aber von der Gewerkschaft aus
rechtlichen Haftungsgründen abgewürgt. Die letzte Blockade mit
Gewerkschaftsunterstützung findet am 18. November statt, dem 140.
Gründungsjubiläum der NGG (Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten,
zweitkleinste Einzelgewerkschaft im DGB). Ein LKW-Fahrer fährt in die Menge, als
Reaktion darauf sprüht weibliche kreative Militanz: streikende Frauen schmieren
Speiseeis und Butter, die die Streikenden als Spende erhalten hatten, auf die
Windschutzscheibe. Im Nachhinein gesehen wurde zu spät überlegt, an welchen
konkreten Punkten des Arbeitsablaufes die Produktion effektiv lahm gelegt hätte
werden können. Dieser Vorwurf wird von ArbeiterInnen im Buch auch an die
Gewerkschaft formuliert, die dies aufgrund ihrer größeren Erfahrung vorher
bedenken hätte müssen. Ferner wurde der Streik zu Beginn der Wintersaison
ausgerufen, was den Streikenden aufgrund der viel geringeren Flugdichte weniger
Druckmittel in die Hand gab, als dies während der Sommersaison der Fall gewesen
wäre. Versuche, den Streik auf Gate-Gourmet-Niederlassungen in anderen deutschen
Städten bzw. auf andere am Flughafen Düsseldorf ansässige Unternehmen
auszudehnen, scheitern.
Der
Umgang der Streikenden mit der Gewerkschaft lässt sich nahezu als Lehrstück
lesen. In den sechs langen Monaten des Streiks breitet sich ein Gefühl der
Ohnmacht im Streikzelt aus – Enttäuschung darüber, dass die Gewerkschaft nichts
gegen den Streikbruch unternimmt. So manche Aktionsidee wird nicht verwirklicht,
niemand will einen Bruch mit der Gewerkschaft riskieren, denn das Streikgeld und
die Infrastruktur der Gewerkschaft sind unverzichtbar, auch wenn beim Streikgeld
die ungleichen Löhne reproduziert werden, da sich die Höhe nach Ausgangslohn und
Dauer der Gewerkschaftszugehörigkeit bemisst (zumindest sind alle Streikenden
weiterhin sozialversichert). Zu Streikbeginn hatte die Belegschaft große
Erwartungen in die Gewerkschaft. Es stellte sich jedoch bald heraus, dass sich
die NGG keinerlei Druckmittel gegen die Geschäftsführung überlegt hatte. Bereits
nach drei Wochen begannen die Versuche der NGG, den Streik ergebnislos
abzubrechen, und einen flexiblen bzw. rollierenden Streik zu initiieren.
Offensichtlich wollte die Gewerkschaftsführung nur noch irgendwie aus dieser
Auseinandersetzung wieder herauskommen. Das wurde von den Streikenden
verhindert, nachdem sie sich mit KollegInnen und GewerkschafterInnen aus anderen
Betrieben darüber besprochen hatten. Der Konflikt zwischen Belegschaft und
Gewerkschaft wurde dennoch nicht an die große Glocke gehängt, sondern nur
punktuell in die Öffentlichkeit getragen, um Druck auf die NGG auszuüben. Unter
den Streikenden kursierten schon härtere Ideen zur Blockade der LKW-Ausfahrt,
die jedoch nicht ausgeführt wurden, denn „die Beendigung eines Arbeitskampfes
beschließt der Geschäftsführende Hauptvorstand ... Sie soll auch entgegen der
Ansicht der am Arbeitskampf beteiligten Gruppen erfolgen, wenn nach den
Umständen die Weiterführung des Kampfes zwecklos geworden ist oder sich für die
NGG als schädigend auswirken kann.“ § 20 der NGG-Satzung (Seite 158) Legal
ist ein Streik nur, wenn er auf ein tariflich regelbares Ziel hinausläuft und
von einer Gewerkschaft getragen wird. Später sprangen hier die
UnterstützerInnengruppen in Rücksprache mit den Streikenden ein.
Die
Blockade zum 100. Streiktag war die größte Unterstützungsaktion. Mehrere
LKW-Ausfahrten werden von 40 bis 50 UnterstützerInnen blockiert, 9 beladene LKW
sitzen fest. Die Polizei verkündet mehrmals erfolglos die Auflösung der
Blockaden. LKW brechen aus, die Lücke wird von DemonstrantInnen wieder
geschlossen, bevor die Blockaden dann endgültig von der Polizei aufgelöst
werden. Die Blockaden zum 100. Streiktag waren insofern effektiv, als sie zu
Verspätungen von mehreren LTU-Langstrecken-Flügen führten. Die Streikenden
freuten sich … den hauptamtlichen Gewerkschaftsfunktionären war es eindeutig zu
viel. Sie hatten Angst vor einer unkontrollierbaren Situation und warnten die
Streikenden davor, sich von linken Gruppen missbrauchen zu lassen.
Erfreulicherweise gelang es ihnen bis zuletzt nicht, einen Keil zwischen die
Streikenden und die UnterstützerInnen zu treiben. Die NGG tat auch nichts zur
Vernetzung mit weiteren Gate-Gourmet-Niederlassungen bzw. mit anderen sich
gerade im Streik befindlichen Betrieben. Ganz im Gegenteil sabotiert sie
Kommunikationsversuche der Streikenden mit KollegInnen von Gate Gourmet Heathrow
(den wilden Streiks in London-Heathrow im August 2005 ist im Buch ein eigenes
Kapitel gewidmet) und Gate Gourmet Frankfurt – dennoch finden Austauschbesuche
statt.
Anfang
Dezember kristallisiert sich ein Kompromiss heraus, der keiner ist, da der
Abschluss unter den Ausgangsbedingungen liegt. Die Mehrheit der Belegschaft
stimmt dennoch zähneknirschend zu, da sie froh wäre, den Streik nach 2 Monaten
beenden zu können. Dann jedoch zieht die Geschäftsleitung den faulen Kompromiss
zurück. Später stellt sich auch noch heraus, dass es gar keinen gültigen
Manteltarifvertrag (Regelung von Arbeitszeiten, Urlaub, Eingruppierungen usw.;
im Unterschied zum Entgelttarifvertrag, in dem Löhne geregelt werden) gibt, da
die Geschäftsleitung den letzten nie unterschrieben hat. Anfang Januar fordert
die Geschäftsleitung weitere Einsparungen an Lohnkosten – je länger der Streik
dauert, desto mehr Forderungen stellt Gate Gourmet an die ArbeiterInnen.
Ratlosigkeit macht sich breit – der Streik wird fortgesetzt, denn mit einem
schlechteren Verhandlungsergebnis als zu Beginn will niemand abbrechen.
Anfang
März werden während des laufenden Streiks Betriebsratswahlen abgehalten. Die
Streikenden treten mit zwei Listen an: die der Streikenden selbst, die
„Menschenwürde“ heißt, und einer Extraliste, die aufgrund ihrer personellen
Zusammensetzung für LeiharbeiterInnen attraktiv sein soll. Die Gegenseite tritt
mit drei Listen an. Die Streikenden erringen mit fünf von sieben Sitzen eine
klare Mehrheit im Betriebsrat. Ende März und Anfang April kommt es zu weiteren
Verhandlungen mit der Gegenseite.
Das
Ende des Streiks und nach dem Streik
Am 6.
April findet die entscheidende Streikversammlung statt, bei der das
ausgehandelte Ergebnis präsentiert wird. Die ArbeiterInnen erhalten einen neuen
Manteltarifvertrag, können die im Laufe des Streiks von Gate Gourmet verlangte
10%ige LOHNKÜRZUNG auf 7% reduzieren und noch einige Kleinigkeiten retten. Das
Motto „Kein Sieg, aber auch keine Niederlage“ hat einen bitteren Beigeschmack.
Es gibt hitzige Diskussionen darüber, ob es sinnvoll ist, weiter zu streiken, ob
mehr erreichbar ist, ob der Streik überhaupt weiter aufrecht erhalten werden
kann. Am nächsten Morgen wird nach sechs Monaten Streik in der Urabstimmung mit
61%iger Mehrheit das Streik-Ende beschlossen.
Schon
während des Streiks herrschte Angst vor der Rückkehr in den Betrieb nach
Streik-Ende – Angst davor, dass der Zusammenhalt verloren gehen könnte, dass die
isolierten und isolierenden Arbeitssituationen sich durchsetzen. Frau/man machte
sich gegenseitig Mut, eine kollektive Kampfperspektive über den Streik hinaus
fehlte jedoch. 20 der am Streik aktiv Beteiligten verlassen den Betrieb mit
einer Abfindung. Einige sagen, sie könnten nicht wieder reingehen, alleine der
Gedanke daran sei ihnen unerträglich, denn der aufrechte Gang, der während des
Streiks so zentral gewesen war, wäre im Betrieb nicht aufrechtzuerhalten. Doch
auch die ChefInnen und die StreikbrecherInnen haben Angst vor der Rückkehr der
Ex-Streikenden. Die Ex-Streikenden kehren in einen völlig neu zusammengesetzten
Betrieb zurück – LeiharbeiterInnen werden benutzt, um sie zu trennen, und ein
Betriebspsychologe eingestellt. Die deutlichste Veränderung nach dem Streik ist
die hohe Anzahl von LeiharbeiterInnen. Einige Konflikte zwischen
festangestellten Ex-StreikerInnen und prekären Ex-StreikbrecherInnen drohen fast
handgreiflich zu werden. Bald wird die Rationalisierungsschraube wieder
angezogen. Die Kooperation zwischen Festangestellten und LeiharbeiterInnen
funktioniert nicht – weder für die Firma noch für einen gemeinsamen Kampf gegen
die Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen –, der Hass auf die
Streikbrecherrolle sitzt tief. Teile des Betriebsrats versuchen jedoch auf die
LeiharbeiterInnen zuzugehen und verteilen mehrsprachige Merkblätter, auf denen
den LeiharbeiterInnen ihre wenigen Rechte mitgeteilt werden, die ihnen meist
nicht bekannt sind. Während der Sommermonate 2006 häufen sich die Delays, die
Geschäftsleitung spricht von Sabotage. Kleine Zettel tauchen auf, auf denen
gleicher Lohn und bessere Arbeitsbedingungen für LeiharbeiterInnen gefordert
werden. Wie es weiter geht, bleibt offen.
Stellt
sich die Frage, was der Streik nun eigentlich gebracht hat, die von den
HerausgeberInnen im allerletzten Absatz des Buches so beantwortet wird: „In
den Kämpfen entdecken Menschen neue Orte und neue Dimensionen ihrer
Gesellschaftlichkeit, die jenseits von Gelderwerb und Arbeitsfleiß liegen. Eine
neue Welt wird nicht vom Himmel fallen und kein Staat wird sie uns schaffen
können. Wir werden sie nur selber produzieren können, indem wir endlich unsere
Menschlichkeit selber herstellen. Selbst in einem so kleinen Streik wie bei Gate
Gourmet haben die KollegInnen es einfach genossen, den Chefs, die sie täglich
drangsalierten, ein schlichtes „Nein“ zu sagen. Das ist noch keine neue Welt,
aber diese Selbstbehauptung und dieses Ringen um Autonomie ist die einzige
Substanz, aus der sie entstehen könnte.“ (Seite 251)
„UnterstützerInnenkreis wird zur 3. tragenden Säule des Streiks“
Diese
Aussage stammt nicht von den HerausgeberInnen, sondern von einem streikenden
Kollegen von Gate Gourmet Düsseldorf, dessen Streiktagebuch über 60 Seiten des
Buches einnimmt. Abgesehen von der direkten Blockade der LKW-Ausfahrten liegt
die Funktion der UnterstützerInnen in der Herstellung von Öffentlichkeit für den
Streik und in der Unterstützung der Vernetzungsversuche, z. B. mit Arbeiterinnen
bei Gate Gourmet Heathrow, die ebenfalls einen Arbeitskampf führen.
„Die
meisten Streikenden waren am Anfang ziemlich unpolitisch. Wir haben erstmal
erlebt, wie die Gewerkschaft mit dem Streik umgeht, was die Gewerkschaft für
Meinungen hat. Wir haben festgestellt, dass die Gewerkschaft irgendwie auch
ziemlich gegängelt ist, selber gängelt oder gegängelt wird, und sehr
bürokratisiert ist. Wir haben dann erlebt, wie die Unterstützer reinkamen, im
November und Dezember, dass sich die Sachen verändert haben, gerade was die
Auffassung vom Streik betrifft. Der Horizont wurde erweitert, es kam mehr so ein
Klassenkampfbewusstsein rein, was vorher nicht so war. Das war vorher eine
ziemlich geschlossene Gruppe, die nur für ihr eigenes Ding gekämpft hat in
diesem Arbeitskampf, um die Lohnerhöhung und um bessere Arbeitsbedingungen.
Durch die Unterstützerkreise wurde das auf jeden Fall mehr politisiert, ziemlich
kräftig sogar. Es wurde mehr nach außen getragen, und die Streikenden haben
dadurch auch viel mehr Verbindung nach außen bekommen, die sie vorher nicht
gehabt haben ...“
streikender Büroarbeiter
(Seite 166)
Der
UnterstützerInnenkreis war kein Bündnis zwischen linken Organisationen, sondern
ein heterogener loser Zusammenschluss von Einzelpersonen, wenn auch einige davon
politischen Organisationen angehörten – wobei es gelang, ein breiteres linkes
Spektrum zusammen zu bekommen. Die Mobilisierung lief sehr persönlich: wer mal
am Streikzelt war, nahm das nächste Mal jemanden anderen mit. In gewisser Weise
haben die Streikenden dafür gesorgt, dass sich die Linke neu zusammengesetzt
hat. Für die Unterstützung des Streiks waren meist nicht ideologische, sondern
persönliche Motive ausschlaggebend. Es handelte sich nicht um eine Intervention,
es ging nicht um die richtige Linie, sondern um an den Bedürfnissen der
Streikenden orientierte Unterstützung. Doch auch Parallelen zur eigenen
Situation waren motivierend, denn wie einer der UnterstützerInnen anmerkt, sind
die Gate-Gourmet-ArbeiterInnen ähnlich wie die Hartz-IV-BezieherInnen dem Zwang
zur Selbstinstrumentalisierung unterworfen. Unter den UnterstützerInnen gab es
viel Begeisterung und manchmal auch Überforderung durch die soziale Dynamik. Es
wird selbstkritisch angemerkt, dass die UnterstützerInnen manchmal in ihrer
eigenen Dynamik gefangen waren. Für die Beschäftigung mit Streikbruch durch
Leiharbeit reichte die Kraft nicht aus. Ferner wird das Problem aufgeworfen,
dass lange Kämpfe zeitintensiv sind, sodass Menschen, die viel lohnarbeiten,
sich in einem weit geringeren Maße daran beteiligen können. Die Heterogenität
der UnterstützerInnen kommt in ihren doch recht unterschiedlichen
Ausgangspositionen zu Streiks im Allgemeinen sehr gut zum Ausdruck.
„Ich
fand das am Anfang ein bisschen verdächtig: Schon wieder Arbeiterkampf, schon
wieder Hauptwiderspruch ... aber aus dem, was die Leute erzählt haben – das
waren sehr verschiedene Leute – habe ich dann andere Sachen rausgehört. Da waren
durchaus feministische Fragestellungen, da waren antirassistische
Fragestellungen (...) Was die Leute machen, sowohl die UnterstützerInnen als
auch die Leute vor Ort, wie ich am letzten Tag konkreter erfahren habe können,
ist was sehr Eigenes, was sehr Vielfältiges und was unglaublich Selbstbewusstes,
was auch jenseits von Organisation mit Subjekten, mit Subjektivierung und
Erfahrungen zu tun hat, die ansonsten sehr wenig thematisiert wurden. Es war
etwas sehr Offenes, das war mein Eindruck.“
distanzierte und beobachtende Unterstützerin (Seite 232)
„Ich
bin der Meinung, dass umfassend versucht wird, den Wert der Ware Arbeitskraft in
dieser Gesellschaft zu senken. Von daher habe ich nicht gedacht, wie ihr das
mehrfach geäußert habt, dass das eine Frage von ,Lohnkampf oder nicht’ ist,
sondern es ist eine Abwehr gegen diese Angriffe. Wir müssen uns klarmachen: Wenn
der Lohn unter einen bestimmten Level gedrückt wird, bist du dem Zugriff im
Betrieb völlig ausgesetzt. Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Lohnhöhe und
dem Druck auf deine physische aber auch deine gedankliche Position. Das hängt
zusammen, das darf man nicht trennen. Nach meiner Erfahrung steckt in jedem
Streik, und wenn er noch so kurz dauert, das Moment, dass diese Gesellschaft
anders sein kann.“
Unterstützer/Metallarbeiter (Seite 235/236)
Theoretische Teile sind sparsam eingesetzt, das theoretisch-politische Gerüst
der HerausgeberInnen schimmert dennoch auch in den praktischen Teilen durch. Die
AutorInnen verhehlen nicht, dass sie der Meinung sind, dass die Machtfrage im
Produktionsprozess gestellt wird, da die Produktion jener Ort ist, an dem das
Kapital und die gesellschaftlichen Verhältnisse produziert und reproduziert
werden. Sie schreiben an gegen Vorstellungen von einer schönen neuen
Dienstleistungsgesellschaft und vertreten die Position, dass die
Rationalisierungen und Umstrukturierungen bei Gate Gourmet knallharter
Taylorismus waren und die täglich dort verrichtete Arbeit nichts von Arbeit als
Wissen, das bei Konsum nicht verzehrt, sondern vermehrt wird, an sich hat. Gegen
Ende des Buches werfen sie die Frage auf, warum Kämpfe immer dann abgebrochen
werden, wenn sie zu wirken beginnen.
Frau/man muss nicht der Meinung sein, dass Fabriken DER zentrale Ort sind, es
reicht, Fabriken als EINEN DER zentralen Orte der gesellschaftlichen Produktion
und Auseinandersetzung zu betrachten, um von der Lektüre des Buches gefesselt zu
sein.
E-Mail:
redaktion@grundrisse.net
Literatur
Flying Pickets (Hrsg.): Sechs Monate Streik bei Gate Gourmet ... auf den
Geschmack gekommen, Berlin, Hamburg: Assoziation A 2007
Stéphane Beaud, Michel Pialoux: Die verlorene Zukunft der Arbeiter. Die
Peugeot-Werke von Sochaux-Montbéliard, Konstanz: UVK 2004
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