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Es gibt
geschichtliche Ereignisse, die keine Theorie vorhersehen kann. Marx ging davon
aus, daß die Revolution zuerst in den fortgeschrittensten Ländern losbrechen würde.
Die Machtergreifung der Bolschewiki jedoch erforderte massive theoretische
Anstrengungen, neue Überlegungen und neue Konzeptionen von Revolution. Die
Debatte, wie denn dieses historische Ereignis, und das daraus hervorgehende
Regime einzuschätzen sei, ist bis heute mit gutem Grund nicht beendet. Ähnlich
stellte die 68er Revolte alle Vorstellungen und Vermutungen über revolutionäre
Prozesse aller Schattierungen des Nachkriegsmarxismus auf den Kopf. Nur: Die
68er Bewegung konnte in keinem Land die kapitalistische Herrschaft umstürzen.
Noch vor wenigen Jahren konnte zwischen der Russischen Revolution und der 68er
Bewegung mit großer Geste ein fundamentaler Unterschied verkündet werden:
geschichtsmächtige Tat hier, Fußnote der Geschichte da. Nun, auch diese
Bewertung ist inzwischen Geschichte. Aber vielleicht bewirkt auch das letztliche
Scheitern der Russischen Revolution, daß manche vom all zu starren Dogma
„Weltgeschichte ist Weltgericht“ abzurücken und unvoreingenommen die Frage
nach Charakter und den Auswirkungen der bedeutendsten und gewaltigsten Rebellion
in den westlich-kapitalistischen Ländern stellen. Interessanterweise
ist der Stachel der 68er Bewegung noch immer nicht erloschen. Sie ist kein
besonders beliebtes Thema, eher ein Vorfall, der mit ärgerlicher Gebärde
entsorgt werden soll. In den bürgerliche Medien bewirkt 68 nur ein Kaleidoskop
an Assoziationen – Kommunen, freie Liebe, Drogen, revoltierende StudentInnen
– ernsthaftere Untersuchungen, seien sie aus linker oder akademischer
Perspektive geschrieben, zerlegen das Phänomen 68er Bewegung oftmals bis zur
Unkenntlichkeit in Teilaspekte, in den Mai 68 in Frankreich, die deutsche
StudentInnenbewegung, die amerikanische Hippie-Szene usw. Für linke Gruppen und
Organisationen, immer auf der Suche nach großen historischen Ereignissen, mit
denen sie ihre eigene Identität zu legitimieren suchen, ist 68 wenig ergiebig.
Zu flüchtig, unstet und zu vielfältig war dieses Ereignis, um daraus bestätigende
Bezüge zu gewinnen. Eher geht es dabei um Überwindung. Aber ich vermute in der
zumeist unwirschen Abwehr der 68er Bewegung gegenwärtig mehr als ein bloßes
Beharren auf das hier und heute. Es ist mehr, als daß das Bedenken eines
geschichtlichen Ereignisses die gegenwärtige Orientierung verwirren und
verkomplizieren könnte. Ich meine, daß diese eigentlich gescheiterte Bewegung
doch das Verständnis von Emanzipation und Revolte, den Begriff der Revolution
so nachhaltig verändert und durch gesellschaftliche Praxis neu definiert hat,
daß jene, die hartnäckig hinter dem Stand dieses historischen Ereignisses
unverdrossen ihre Politik abspulen, nicht zu unrecht dieses Thema meiden wie der
Teufel das Weihwasser. Die 68er Bewegung hat sich nie mit Kleinigkeiten
abgegeben. Das war zumindest ihr Anspruch. Ihre Themen waren immer die ganz großen.
Das Verhältnis von individueller zu kollektiver Emanzipation, das Verhältnis
der revolutionären Veränderungen konkret hier und jetzt im Alltag zum großen
Horizont der Weltrevolution, die Solidarität aller trotz und gerade ob der großen
Unterschiede der rebellierenden Subjekte, die Ausweitung der Kritik am
Kapitalismus bis tief in das a priori der Technik, Herrschaft und Kultur hinein,
die Tiefenwirkungen der kapitalistischen Herrschaft auf Triebe, Wünsche,
Sexualität und Wahrnehmungsfähigkeit, das waren die Themen der 68er Bewegung.
Die kleinen-Brötchen-BäckerInnen der real existierenden Zivilgesellschaft
grinsen angesichts dieses Horizonts und verweisen feixend auf das Scheitern der
Bewegung und die Korruption von Personen, die sie in historischer Unkenntnis und
selbstverschuldeter Ahnungslosigkeit für Protagonisten der damaligen Ereignisse
halten. Ich erlaube mir nun ein wenig Pathos und halte dem uninformierten Gerede[i]
„Die RebellInnen von damals sind die KarrieristInnen von heute“ folgendes
Zitat entgegen: „Aber täuschen wir uns nicht: Es gibt Gewinnler der
Revolte und die Verlierer. (...) Die Zahl dieser Revolteverlierer darf nicht
unterschätzt werden, auch wenn sie im öffentlichen Smalltalk nicht vorkommen.
Es sind die Besten ihrer Generation; sie haben ihre lebensgeschichtlichen
Entscheidungen nicht auf Kosten anderer getroffen – diese faulige,
unverbindliche Kompromißhaltung, die die Menschen einsam, sentimental und unglücklich
macht...“ (Mosler 1977; 1f) Viele der RebellInnen von 1968 haben ihr
Engagement mit ihrer psychischen und physischen Gesundheit, manche sogar mit dem
Leben bezahlt; viele blieben auf der Strecke, das sollten wir nicht vergessen. Äußerliche Merkmale der 68er BewegungEs ist schon
eigenartig, daß zur Kennzeichnung allein eine Jahreszahl dient – eben 1968.
Ich kenne kein zweites geschichtliches Ereignis, bei dem allein die Zeitangabe
zur Charakterisierung genügen würde.[ii]
Ob das bloße Nennen einer Zahl Ausdruck der Schwierigkeit sein mag, diese
Bewegung mit einem klar umrissenen Inhalt zu identifizieren? Immerhin, die
zeitliche Eingrenzung ist kaum umstritten. „Zwischen der zweiten Hälfte
der 60er Jahre und dem Anfang der 70er findet eine Revolution statt, die nahezu
alle Länder erfaßt: eine tiefgreifende Veränderung der Machtapparate, der
Organisation der Produktion und der gesamten Sozialstruktur.“ (Viale
1979; 8) Obwohl die Bewegung einen von Land zu Land unterschiedlichen Rhythmus
aufweist – in den USA begann sie bereits Ende der 50er Jahre um langsam in den
70ern auszuklingen, während sie in Frankreich innerhalb von 6 höchst
ereignisreichen Wochen stattfand – erreicht sie simultan in den Jahren 67 bis
69 ihren Höhepunkt. In diesen drei Jahren überstürzen sich die Ereignisse und
Geschehnisse. Die Dichte der Zeitfolge verweist auf höchste Simultanität; es
kann kein Zentrum ausgemacht werden, von dem sich die Bewegung in geographischen
und zeitlichen konzentrischen Kreisen ausgebreitet hätte[iii].
Die Gleichzeitigkeit der Ereignisse wurde von den ProtagonistInnen selbst als
eines, wenn nicht das stärkste Argument für die geschichtlichen Möglichkeiten
der Revolution benutzt. Konnte es Zufall sein, daß „überall“ auf der Welt
der Sturm gegen das Establishment losbrach? In den Augen der damaligen Bewegten
keineswegs: „Und in dem wärmenden Lichtschein dieser großartigen und
utopischen Idee (der Revolte K.R.) schienen tausend disparate Ereignisse
überall in der Welt – die Studentenerhebungen, die Experimente der Hippies,
der Wandel religiöser Vorstellungen und Werte, der Aufstieg des Kommunismus in
manchen Ländern sowie die ersten Anzeichen seines Sturzes an anderen Orten, die
Black-Power-Bewegung bis hin zu Feminismus und aufrührerischen Impulsen der
Zeit – zu einer einzigen Flutwelle zu verschmelzen.“ (Berman
1998; 8f) Geographisch
würde ich die 68er Bewegung auf Nordamerika, Japan und Europa beschränken. Ob
in Lateinamerika von einer 68er Bewegung zu sprechen ist, ist nicht einfach zu
beantworten. Ebenso ist es schwierig, das Ausmaß und Anteil der 68er Bewegung
in den Ländern des sogenannten Realen Sozialismus einzuschätzen. Daß die
westliche 68er Bewegung die Guerilla in Südamerika ebenso für sich reklamierte
wie die Kulturrevolution in China und sich damit identifizierte, heißt natürlich
noch lange nicht, daß es tatsächlich inhaltliche Übereinstimmung gab. Aber
lassen wir es vorerst bei dieser groben zeitlichen und geographischen
Einordnung. Bei der Frage nach
den sozialen und gesellschaftlichen TrägerInnen der Bewegung stoßen wir auf
zwei Vokabeln: „Jugend“ und „StudentInnen“. Beide Ausdrücke sind mit
spezifischen Deutungen der 68er Bewegung verbunden, die in den verschiedensten
Variationen bis zur Gegenwart vertreten werden. Wer die 68er Bewegung vor allem
als Jugendbewegung charakterisiert, interpretiert die Rebellion zumeist als ödipales
Spektakel, als ob das Aufbegehren und der Widerspruch eine Art ontologische
Eigenschaft einer bestimmten Entwicklungsphase in der Sozialisation des Menschen
wäre. Diese elegante Art, das Phänomen 68er Bewegung weg zu theoretisieren,
gibt es in zahlreichen Varianten. So etwa als die (zumeist) ödipal gewendete
Theorie der Generationen, auf Karl Mannheim aufbauend, oder als atavistische
Reminiszenz der historischen Romantik, in der eine sich selbst ermächtigende
Jugend dem Weltlauf den Eigendünkel ihres Herzens entgegensetzt; als ob die
68er Bewegung sich auf eine Wiederholung der Jugendbewegung der Jahrhundertwende
reduzieren ließe. Solche a-historischen Ansätze, die universal gültige
Entwicklungsstufen postulieren, beweisen immer zugleich zuwenig und zuviel.
Zuwenig um den spezifischen Charakter der 68er Bewegung zu erklären, zuviel, um
den Konformismus der nächsten Generation zu deuten. Ihre entlastende Funktion,
Protest und Revolte nicht ernst nehmen zu müssen, liegt auf der Hand. Was die einen mit
der „Jugend“ versuchten die anderen mit den „StudentInnen“, um die
Herausforderung und Bedrohung durch diese unerhörte Revolte zu entsorgen. Hier
waren es vor allem die kommunistischen Parteien, allen voran die KPF, die mit
der einfachen Gleichung „ein Student ist kein Arbeiter, also ist die 68er
Bewegung eine kleinbürgerliche Bewegung“, phasenweise massiv gegen die
Revolte opponierte. Aber selbst diese oberflächliche Etikettierung als
„studentisch“ ist nicht wirklich korrekt. Als 1968 bei Unruhen als Antwort
auf das Attentat auf Rudi Dutschke in der damaligen BRD 847 Beschuldigte
festgenommen wurde, gab Ernst Benda (CDU) am 30.4.1968 vor dem Deutschen
Bundestag über Alter und Identität der Verhafteten folgende Auskunft: „Von
den Beschuldigten sind 87 bis zu 18 Jahre als, 210 zwischen 19 und 21 Jahren,
246 zwischen 22 und 25 Jahren, 286 Personen sind älter als 25 Jahre. Nach
Berufen aufgegliedert ergibt sich folgendes Bild: 92 sind Schüler, 286
Studenten, 185 Angestellte 150 Arbeiter, 31 sonstige Berufe, 97 ohne Beruf,
unbekannt ist der Beruf bei 26 Personen. Meine Damen und Herren – diese
Aufgliederung scheint mir zu zeigen, wie falsch es wäre, die Gewaltaktion als
Studentenunruhen zu bezeichnen“ (Zitiert nach Mosler 1977; 76) Der wahre
Kern in der Bezeichnung der 68er als „StudentInnen“ lag einfach darin, daß
die AktivstInnen nicht aus jenen Kreisen kamen, die von den kommunistischen
Parteien als sogenannte „Kernschichten der ArbeiterInnenklasse“ bezeichnet
wurden. Vor allem: Die Revolte nahmen Themen auf, entwickelte Aktionsformen und
formulierte Ideale, die auch die nach Moskau orientierten kommunistischen
Parteien zu tiefst beunruhigen mußten. Um so größer war das Aufatmen in den
Reihen der KPen, als die 68er Bewegung zusammenbrach, und in der BRD allerlei
Parteiaufbauprojekte begonnen wurden. Der stalinistische Vordenker Walter Harich
kommentierte diese Wende in äußerst bezeichnender Weise: „Ganz am Rande
bemerkt, läuft die jüngste Entwicklung auch darauf hinaus, daß besorgte
Eltern es wahrscheinlich dem Einfluß der M.L., mitsamt der unter linken
Studenten neuerdings um sich greifenden Stalin-Renaissance, zu verdanken haben
werden, wenn ihre Kinder vor Rauschgiftsucht bewahrt bleiben sollten.“ (Harich
1971; 99) Andererseits soll natürlich nicht geleugnet werden, daß StudentInnen soziologisch oftmals einen nicht unbedeutenden Teil der AktivistInnen stellten. Allerdings, die gesellschaftliche Lage der StudentInnen war rapide im Umbruch begriffen. In allen westlichen Industrieländern stieg die Zahl der StudentInnen seit den 50er Jahren beträchtlich! Aus der Eliteuniversität mit elitärer sozialer Zukunft für die AbsolventInnen wurde binnen weniger Jahre eine Massenuniversität, inklusive höchst unsicherer beruflicher und gesellschaftlicher Zukunft für die AbsolventInnen. Aus heutiger Sicht ist es leicht zu erkennen, daß sich Mitte der 60er Jahre die Auflösung klarer sozialer Identitäten abzuzeichnen begann, die gegenwärtig ja mit Händen zu greifen ist. Haben wir mit der grundlegenden Transformation des gesellschaftlichen Seins von StudentInnen und der damit korrespondierenden Umwälzungen im Ausbildungssektor ein unterirdisches, von den damalige ProtagonistInnen noch nicht klar erkennbaren objektiven Faktor für die 68er Bewegung gefunden? Wir sollten nicht den Fehler vieler interessanter Analysen der 68er Bewegung wiederholen, sofort eine plausible Erklärung zum Nabel der Interpretation zu machen. Lassen wir die Transformation des Bildungssektors als ein mögliches Motiv der Revolte einmal so stehen, und sehen wir weiter. Ein weiteres
Merkmal ist die ungeheure Beschleunigung und Dichte der biographischen Prozesse
jener, die an der Bewegung Anteil hatten. „Welch ein Jahr der Irrungen und
Wirrungen, dieses 1969. Alles war in Auflösung begriffen, alle gingen auf
Reisen – in sich selbst, zu Gurus nach Indien, nach Italien, wo die Klassenkämpfe
und das pralle Leben tobten, zu den nationalen Befreiungsbewegungen in Süd-
oder Mittelamerika oder nach Palästina. Welch ein Jahr der Windungen und
Wendungen, dieses 1969. An einem Tag Haschrebell und Stadtindianer, am nächsten
maoistischer Kader und Fabrikarbeiter, an einem Tag Stadtguerilla, am Nächsten
JUSO-Funktionär, Jungunternehmer, Verleger, Kunstkritiker, Theater und
Filmregisseur. Eindeutig erkennbar war nur die Unübersichtlichkeit, waren
Fluchten auf der Suche nach Selbstverwirklichung, Aufbrüche zu neuen Ufern.“
(Kunzelmann 1998; 107) Für die ProtagonistInnen eröffnete sich ein
offenes Feld von Möglichkeiten und Freiheiten. Der deutsche Liedermacher Funny
van Dannen hat in seinen Song „Als Willi Brandt Bundeskanzler war“ die nette
Strophe eingefügt: „Wir warn so unbeschwert, sogar beim
Geschlechtsverkehr...“ Unbekümmertheit und Leichtigkeit war die eine Seite,
die sich auf eine Art mit Ernsthaftigkeit und Konsequenz verknüpfte, wie sie
eben nur im Geist der 68er Bewegung zu finden war. „Innerhalb eines Jahres,
hauptsächlich nach dem Juni 1967, radikalisierten sich junge Frauen und Männer
sehr schnell, gaben sehr bald ihre ‚Bürgerlichkeit’ auf, trennten sich von
ihren sozialen Milieus, stellten ihre Berufswünsche um, schlossen sich Gruppen
an und wurden kurzfristig ‚Berufsrevolutionäre’“; so beschreibt
Rabehl den Werdegang vieler Mitglieder des SDS (Rabehl 1998; 39) Und Viale
betont das Ausmaß der Entwicklung jener, die sich im Mahlstrom der 68er
Bewegung wiederfanden: „Der Bruch mit der Vergangenheit, den sie
vollziehen, ist aber gewaltig: hinter sich lassen sie familiäre Repression
(aber auch familiäre Sicherheit), vorgefertigte Sicherheiten, einen sicheren
sozialen Aufstieg, eine graue, aber bequeme Zukunft.“ (Viale 1979; 55) Wie
eng tiefe Ernsthaftigkeit und provokante Clownerie biographisch verwoben waren,
zeigt zum Beispiel die Entwicklung von Rudi Dutschke und Dieter Kunzelmann. Noch
1966 hatten sie gemeinsam mit einigen anderen am Kochel See in Bayern als
Mitglieder der „Subversiven Aktion“ die Möglichkeiten revolutionärer
Praxis, insbesondere die Gründung alternativer Wohnkommunen diskutiert, seit
1959 hatten sie in der Gruppe SPUR (die sich etwas großmäulig deutsche Sektion
der situationistischen Internationale nannte)[iv]
zusammengearbeitet, so trennten sich ihre Wege unmittelbar nach ihrer Übersiedlung
nach Berlin. Als am 12.5.67 die Kommune I aus dem SDS ausgeschlossen wurde, war
Kunzelmann einer der KommunardInnen, die den SDS verlassen mußten, während
Dutschke zum wichtigsten Wortführer der „rebellierenden StudentInnen“
geworden war. Anteil an der 68er
Bewegung haben, bedeutete die rapide Beschleunigung der persönlichen
Entwicklung. Aber wohin die Reise ging, in einem Klima unbeschwerter
Aufbruchstimmung und monatlicher neuer Entdeckungen, das war keinen Moment
eindeutig. Wir müssen zu den Polen Ernsthaftigkeit – Unbeschwertheit noch
zwei weitere, wichtige Momente denken, um begreifen zu können, was es
bedeutete, damals Teil der Bewegung zu sein. Alle unvereingenommenen AutorInnen
unterscheiden den kulturellen vom politischen Flügel. „Die Jugendbewegung
der 60er Jahre hatte in der BRD und in Frankreich vorwiegend politischen
Charakter und wurde Studentenbewegung genannt; in England war es eine
Kulturrevolte und eigentlich nur in den USA waren deutlich sichtbar diese beiden
Momente in einer identischen Bewegung zusammengefaßt.“ (Marks 1977; 55)
Ein wenig muß ich Stephan Marks widersprechen, in allen Ländern gab es diese
Strömungen. Wichtig ist festzuhalten, daß diese Trennung in den kulturellen
und in den politischen Flügel eine rein analytische ist, die sich erst im Laufe
der Entwicklung herauskristallisierte. In der genuinen 68er Bewegung, die in
diesem magischen Datum wohl zugleich ihren Höhepunkt und ihr eigentliches Ende
hatte, waren diese Momente nicht wirklich getrennt. „Auf dem Höhepunkt der
Bewegung standen für kurze Zeit die radikaldemokratisch - sozialistische
Studentenbewegung und das mehr gegenkulturell - anarchistische street movement
in enger Wechselbeziehung und produzierten eine Synthese von gegenkulturellem
Lebenszusammenhang und politischem Kampf.“
(Leineweber/Schibel 1975; 6) Anders gesagt, mit der Trennung setzt der
Verfall ein. Diese These ist nicht nur bei Marks selbst zu finden: „Die
vollständige Trennung der Kulturrevolte von der Studentenbewegung auch in den
USA war die erste und tiefgreifendste Spaltung der Jugendbewegung, nämlich ihr
Ende.“ (Marks 1977; 55) sondern auch in der Bilanz von Herbert Marcuse. Er
erklärt diese Trennung aus dem Umstand, daß es der Bewegung nicht wirklich
gelang, Masseneinfluß zu erlangen. „Allergisch gegen ihre tatsächliche
Trennung von den Massen und nicht bereit, einzusehen, daß sich darin die
gesellschaftliche Struktur des fortgeschrittenen Kapitalismus ausdrückt und daß
ihr separater Charakter nur im Verlauf eines langen Kampfes um Veränderung
dieser Struktur überwunden werden kann, zeigt die Bewegung
Minderwertigkeitskomplexe, Defätismus oder Apathie.“
Daher, so Marcuse weiter, müsse sie in zwei Flügel zerfallen, die jeder
für sich an spiegelbildlichen Defiziten krankt. „Dieses Verhalten begünstigt
die Entpolitisierung und Privatisierung des Hippie-Flügels, dem der politischen
Flügel seinen politischen Puritanismus in Theorie und Praxis entgegensetzt.“
(Marcuse 1973; 43) Dieser Bruch
vollzog sich in den verschiedenen Ländern
in unterschiedlichem Tempo und Intensität. In den USA wurde er nie
wirklich radikal vollzogen[v],
während in Frankreich beide Flügel immer weitgehend getrennt waren. Punktuell
gab es auch Entwicklungen, die den politischen und den kulturellen Bereich
wieder aneinander annäherten, etwa die nicht unbedeutende Arena Bewegung im
Sommer/Herbst 1976 in Wien. Die historische Distanz zu den Ereignissen ermöglicht
es uns heute, klar zwischen der Selbstinterpretation und Selbstdeutung der
damaligen AktivistInnen und ihrem tatsächlichen Tun zu unterscheiden. Der
Zerfall einer einheitlichen Bewegung in den politischen und kulturellen Flügel
wurde, insbesondere in der damaligen BRD vom politischen als Überwindung der
antiautoritären Phase, als Klärungsprozeß usw. gefeiert. Tatsächlich meine
ich, daß dieser Bruch einen wichtigen Rückschlag für die 68er Bewegung
bedeutete, die ihr weiteres Schicksal wesentlich bestimmen sollte.
Subjektive Merkmale der 68er BewegungMichael Rutschky
schrieb ein Buch, in dem er sensibel die Unruhe und die Aufbruchstimmung
deutscher Germanistik - StudentInnen um 68 beschreibt. Das genialste ist
vielleicht der Titel: „Erfahrungshunger“. Wenn wir „Erkenntnishunger“
hinzusetzen, haben wir schon einiges an jener Subjektivität angezeigt, die 68
kennzeichnete. Die kapitalistische Gesellschaft war in den Augen der 68er nicht
bloß eine, die auf Ungerechtigkeit, Ausbeutung und Lüge basierte, sie war eine
– und hier tritt die eigene Subjektivität ins Spiel – die Erfahrung und
Erkenntnis abriegelte, verunmöglichte und verleugnete. Sie stellte sich nicht
bloß als höchst repressiv, ja hysterisch dar, sie wurde als verarmt, reduziert
und in ihrer steifen Selbstgefälligkeit als lächerlich erkannt. Sie ließ
Erfahrung ebenso wie Erkenntnis nicht zu, sie hatte dahingehend einfach nichts
zu bieten, abgesehen von einem künstlichen Schauspiel, vom „Spektakel“ der
Repräsentation und Politik und von plumper Manipulation der Medien. Der
ungeheute Haß, der sich nach dem Attentat auf Dutschke sofort gegen die
Springer-Presse (Bild-Zeitung) entlud, hatte etwas programmatisches. Springer
– das war die Fassade, die Lüge, aber auch die Leere. Erfahrung und
Erkenntnis zu suchen, hieß die Grenzen des Establishment zu überschreiten. Der
Begriff Establishment, selbst Herbert Marcuse verwendete diesen Ausdruck oft und
gerne, ist vom 68er Geist nicht zu trennen. Establishment, das ist mehr als die
herrschende Klasse in der marxistischen Analyse, das sind auch nicht einfach die
Etablierten, das sind in Wirklichkeit all jene, die bewußtlos mitmachen. Es
sind all jene, die ein Universum stützen, das authentische Erfahrung und
Erkenntnis verunmöglichen. Sie verunmöglichen dies aber nicht bloß durch
Repression und Herrschaft (das auch), sondern weil der Alltag, das Private, das
Nebensächliche, das scheinbar Unwichtige, gegen neue, authentische Erfahrung
abgeriegelt ist. Herrschaft ist nicht bloß ideologisch, sie ist praktisch,
konkret. Daher der Spruch, „Das Persönliche ist Politisch“. Gerade weil der
Alltag von Heterogenität durchdrungen ist, muß exakt hier die Rebellion
ansetzen. Von der Trennung der Sphären, von der Eigenlogik gesellschaftlicher
Subsysteme, wie sie in den Soziologien von Luhmann und Habermas auftauchen,
hielt die 68er Bewegung nichts. Gesellschaft wurde als Totalität erfahren, aber
als eine Totalität, gegen die durchaus ein Kraut gewachsen war. Der Kampf gegen
Imperialismus und ungerechte Verteilung war eigentlich nur die äußerlichste
Erscheinungsform eines viel tiefer liegenden Konflikts. Es ging um die
Wiederaneignung der Welt selbst. Eine der oberflächlichsten
Charakterisierung der 68er Bewegung mündet im Ausdruck „antiautoritär“.
Wer so spricht, erkennt nicht die fundamentale Spaltung in „Wir“ und
„Sie“, die die 68er Bewegung imaginierte. Ihr Weltbild war zutiefst
dichotom. Auf der einen Seite stand das Establishment mit seinen RepräsentantInnen,
auf der anderen Seite „die Bewegung“, eben das „wir“, welches mit
revolutionären Kräften von Cuba, Vietnam bis hin zu den „Wissenden“ (Hip =
erfahren, weise), also den Hippies identifiziert wurde. Wir lächeln heute über
diese naive Aufteilung der Welt in Gut und Böse. Aber mir geht es jetzt nicht
um die offenbare Naivität, sondern um das Fehlurteil des Antiautoritarismus.
„Antiautoritär“ war die 68er Bewegung ausschließlich gegenüber dem
Establishment und jenen, die als ihre Vertreter identifiziert wurden. In der
anderen, bessern Hälfte der Welt, zeigte sich die Bewegung als suchende,
forschende. Theodore Roszak interpretiert die 68er zwar auch als
Jugendbewegung, aber diese Charakterisierung ist ihm nur eine grobe Folie, auf
der er sehr kluge Einsichten aufbaut. Er weiß, daß auf die erste Entdeckung
nicht unmittelbar die kritische Reflexion folgen kann: „In unserer
Jugendkultur jedoch stehen wir gerade erst am Anfang. In der Springflut von
Entdeckungen, Experimenten und verhaltener Faszination wäre es vielleicht
zuviel verlangt, wollte man von den Jugendlichen diszipliniertes Vorgehen bei
ihrem Unternehmen erwarten – und mit Sicherheit wäre es Unfug, wollte man
versuchen, einzelne aus ihrem glücklichen Chaos herauszuführen. Sie sind auf
einen lange vergrabenen Schatz gestoßen und nun eifrig dabei, das wunderliche
Glitzerzeug durch ihre Finger rinnen zu lassen.“ (Roszak 1971; 212) Diese
Entdeckungen trugen natürlich verschiedene Namen: Reich, Marx, Mao, Luxemburg
aber auch LSD, Cannabis, Indien, die Lehren des Don Juan usw.; also all jene
Momente, die die journalistische Darstellung von 68 so schön zu buchstabieren
weiß. Gegenüber dem, was die Bewegung als authentisch, als den
Erfahrungshunger stillend zu erkennen glaubte, verharrte sie zumeist in stiller
Ehrfrucht und Anerkennung. Daß sich die ProtagonistenInnen gegenüber den
etablierten Autoritäten zumeist rotzfrech und provokant verhielten, darf nicht
übersehen lassen, daß genau die selben Personen mit tiefer Ernsthaftigkeit
Lehren, Erfahrungen und Botschaften rezipierten, die wir heute wohl nicht so
ernst nehmen würden. Den Ruf, substantiell antiautoritär zu sein, erwarb sich
die Bewegung nicht zuletzt deshalb, weil sie auch die Sozialdemokratie und die
kommunistischen Parteien als Moment des Establishments begriff und sich
dementsprechend verhielt. In der Bezeichnung „antiautoritär“ spiegelt sich
bei jenen, die diese Charakterisierung auch noch heute aussprechen, die geheime
Erkenntnis, den emanzipatorischen Standards der damaligen Bewegung noch immer
nicht zu entsprechen. Wohl nicht zu unrecht. Wohl eine der
wichtigsten Erfahrungen die die aufkeimende Bewegung machte, war die völlig überzogene
und unangemessene Reaktion des Establishments. Schulbehörden und Politiker,
Polizeikräfte und Medien reagierten, als ob die Revolution tatsächlich bevorstünde.
Polizeieinsätze, oft nur gegen einige hundert DemonstrantInnen, wurden mit
einer Brutalität durchgeführt, als ob der Sturm auf das Winterpalais tatsächlich
bevorstünde. Handelte es sich bei den 68ern tatsächlich um eine
Massenbewegung? Wenn wir einmal den Mai 68 in Paris und die Kämpfe in den
norditalienischen Industriezentren ausblenden, so war die Anzahl der wirklich
Aktiven oft erstaunlich gering. Während der 50er Jahre hatte es Demonstrationen
gegeben (Ostermarschbewegung), die weit mehr Menschen mobilisieren konnten, als
in den Jahren 67 bis 69 auf die Straße gingen und die Größe etwa der „grünen“
Anti-AKW Demonstrationen, sowie die Proteste in Seattle, Prag und Genua stellten
von der Quantität der Teilnehmer alles in den Schatten, was die 68er als
Massenprotest organisieren konnten. Wer also einfach DemonstrantInnen zählt
oder die Anzahl der Kundgebungen, für den verschwindet 68 überhaupt als Phänomen.
Nicht nur in Österreich, auch jenseits der Grenzen war vom revolutionären
Geist oft wenig zu spüren. Kaum eine Darstellung der Ereignisse in Frankreich
verzichtet darauf, den Artikel von Vianson-Ponté aus Le Monde zu erwähnen, der
noch am 15. März 1968 seinem Beitrag den Titel gab: „Frankreich langweilt
sich“.[vi]
Und selbst in der BRD reduzierten sich Ereignisse, über die die Presse
berichten konnte, im Wesentlichen auf die Städte Berlin und Frankfurt.
[Die Graphik ist der Arbeit „Straßenprotest“ von Thomas
Balistier (1996; 337) entnommen.] Die eigentliche Stärke
der 68er lag nicht in der Quantität, sie lag in der Qualität. Jede undeutende
Aktion wurde zur großen Provokation, eine handvoll Personen konnte durch
ironische oder agitatorische Aktivitäten einen Sturm der Entrüstung auslösen.
Reinhard Kahl, der zum leitenden Mitglied der USSB (Schülerorganisation) wurde,
schrieb in seinen Erinnerungen. „Als sich in den USA der reaktionäre Barry
Goldwater um die Präsidentschaft bewarb, brachten wir von Arko Aufkleber der
Ostermarschorganisation „Kampagne für Abrüstung“ mit in die Schule. Da
stand drauf: „Gott behüte uns und unser Haus vor Barry Goldwater und Franz
Josef Strauß“. Den Aufkleber backten wir sofort außen an die Klassentür,
gut sichtbar. Zum ersten Mal zündelten wir in der Schule, und gleich brannte
es. Lichterloh. Daß das Stroh so trocken war, hätten wir nicht geglaubt.“
[vii] Aber die Reaktion bestand nicht bloß in Hysterie.
Zugleich wurde der Protest auch bitter ernst genommen. Der seinerzeit bekannte
Fernsehmoderator Günter Gaus führte ein einstündiges Interview mit Rudi
Dutschke durch. Im Gegensatz zu den heutigen Talk-Shows wurde Dutschke damals
keineswegs als schrille Figur, als irrer Revoluzzer oder als gefährliches
Monster vorgeführt, sondern (trotz einiger relativierender Worte am Beginn der
Sendung) als ernstzunehmender Gesprächspartner, dem natürlich klar
widersprochen werden mußte. Aber Widerspruch gegen Dutschke war schon deshalb
so notwendig, weil er offenbar ernsthafte Argumente vorbringen konnte. Auch wenn
die Bewegung oft klein und schwach war, so konnte sie zu recht moralische Überlegenheit
für sich reklamieren. Diese moralische Überlegenheit fokussierte sich
in einer Frage: dem Krieg der USA gegen Vietnam. Bei diesem Thema wußte
die Bewegung ihre unangefochtene Hegemonie auszuspielen, hier wußte sie sich im
Bündnis mit liberalen, ja bürgerlichen Kräften, die noch einen Funken Anstand
und Ehrlichkeit für sich reklamierten. In der BRD und Österreich konnte die Bewegung zudem am offiziellen Antifaschismus anknüpfen. Einerseits als Staatsdoktrin verkündet, entpuppte sie sich stets als folgenloses Lippenbekenntnis, ja als Heuchelei. Alte und neue Nazis saßen unbehelligt an den höchsten Stellen im Staatsapparat und in den Parteien, wie etwa der in Wien lehrende Professor Borodajkewicz, der unbehelligt antisemitische Tiraden verkünden konnte[viii]. In den Augen der damaligen Bewegung war dies ein klarer Beweis für Doppelmoral und den faschistoiden Charakters des Establishments. Es ist einfach, diese Konstellation in treffende Metaphern zu kleiden und etwa zu sagen: Die 68er Bewegung hatte den Zeitgeist auf ihrer Seite oder den Wind der Geschichte in ihren Segeln. Solche Bilder geben zwar treffend die objektive Situation wie die subjektive Erfahrung wieder, können jedoch eine analytische Erklärung nicht ersetzen. Doch nochmals - bevor wir zu schnell Urteile fällen, sollten wir versuchen, ihre Elemente besser zu verstehen. Aus
der Praxis der 68er Bewegung „Das Neue an
der Bewegung ist die sozusagen reine Form, in der die eigenen, unmittelbaren
Lebensbedingungen in die revolutionäre Debatte eingebracht werden;“
(Viale 1977; 14) Unmittelbarkeit ist wahrscheinlich der treffendste Ausdruck, um
68 zu charakterisieren. Diese Unmittelbarkeit beschränkte sich aber nicht bloß
auf Diskussionen, sie konkretisierte sich in einer breit gefächerten Praxis, in
neuen Formen sozialer Beziehungen, in einer Unzahl konkreter Projekte. Ich werde
versuchen, diese im folgenden kurz anzureißen und nenne vorerst nur einige
wichtige Felder, in denen die 68er aktiv wurden: Wohngemeinschaften und
Kommuneprojekte, Buchproduktionen und Raubdrucke, Reisen und Drogen, Musik,
Sexualität, neue Formen des politische Handelns wie die Happenings, die
Provokation und das Teach-In, Kinder und Pädagogik, Kleidung, und Nahrung,
Psychiatrie und Gefängnis.[ix]
Die traditionellen kommunistischen Parteien standen dieser Praxis mit
vollkommenem Unverständnis gegenüber. Für sie zerfiel Politik in zwei
Ingredienzien, in Interessen und Macht. Interessen, die tatsächlichen und viel
mehr noch die vermeintlichen der Arbeiterklasse mußte durch geschickte Taktik
und Strategie in das Netz der Machtkonstellationen eingeschrieben werden. In
letzter Instanz lief es immer darauf hinaus, Einfluß und Macht der Partei zu stärken.
Die 68er Bewegung hingegen beharrte auf Unmittelbarkeit, auf einem anderen
Leben. Zugleich, und das stellte die ApologetInnen des Sowjetkommunismus vor
nicht geringe Probleme, verlor die Bewegung das große Ziel, die
gesamtgesellschaftliche Umwälzung auf Weltebene, nie aus den Augen. Marcuses
Begriff der „Großen Weigerung“ traf den Nagel auf den Kopf. Dem Universum
des Establishments ein anderes entgegenzusetzen, das freilich erst entwickelt
werden mußte. Dazu sollte eine Praxis entwickelt werden, die Marcuse in ihrer
Bedeutung klar erfaßt hat. „Eine solche Praxis“ schreibt er über
das Paradigma der Projekte der 68er Bewegung, „umfaßt den Bruch mit dem
Wohlvertrauten, den routinierten Weisen des Sehens, Hörens, Fühlens und
Verstehens der Dinge,...“ (Marcuse 1969; 19) „... die Revolution muß
gleichzeitig eine Revolution der Wahrnehmung sein, welche den materiellen und
geistigen Umbau der Gesellschaft begleitet und neue Umwelt hervorbringt.“ (Marcuse
1969; 61) Revolution der Wahrnehmung? Wem die Thesen Herbert Marcuses wie ein
Buch mit sieben Siegeln erscheinen, der sollte sich zu 68 eher mit Vorsicht äußern... Kommunen und Wohngemeinschaften Wie
lächerlich es ist, 1968 durch einige blasse Formeln auf den Begriff bringen zu
wollen, zeigt allein schon das Thema der Kommunen und Wohngemeinschaften. Die
Idee, Gemeinschaften zu gründen, die jenseits (und gegen) die herrschenden Verhältnisse
Ideale durch konkretes Zusammenleben verwirklichen wollten, gab es natürlich
schon lange vor 1968. Ich erinnere an den von Engels sehr geschätzten Robert
Owen und seine Projekte oder an Monte Verita und dessen wechselvolle Geschichte.
Um 1968 kam es simultan zu einem Aufleben von Kommunegründungen. Der Bogen
spannte sich von den berühmt-berüchtigten K I und K II in Berlin, über die Gründung
von Auroville im indischen Bundesstaat Tamil Nadu bis zu den großen Hippie
Siedlungen in Haight Ashbury (San Fransisco) und East Village (New York). Ebenso
bunt, wie Größe und personelle Zusammensetzung war auch das Selbstverständnis
der Kommunarden. Klaus Vollmar
hatte die Kommunen in den USA bereist, und berichtete von spiritueller,
anarchistischer, mystischer, sektenhafter aber auch sehr politischer
Ausrichtung. Es gab Kommunen, die Drogen ablehnten und andre, die sie als Mittel
der Erkenntnis feierten. Einige Kommunen orientierten sich am Roman von Henry
David Thoreau „Walden“[x].
Nicht wenige Landkommunen scheiterten an den Anforderungen der strengen Winter
in Nordamerika. „Von nahezu 200 ruralen Kommunen, die im Herbst 1967 in den
USA überall gegründet wurden, bestanden denn auch im Frühjahr 1968 nur noch
deren 62.“ (Hollstein 1969; 132) Viele waren jedoch sehr langlebig, und
die berühmte Kommune Twin Oaks
existiert heute noch und lädt auf ihrer Webseite http://www.twinoaks.org/index.html
zu Besuchen ein. Wieviele
Menschen um 68 in solchen Projekten lebten (und heute noch leben), darüber
existieren kaum Daten. Dieses Fehlen kann nicht nur mit demoskopischen Problemen
erklärt werden[xi],
tatsächlich gab und gibt es ein massives Desinteresse sowohl innerhalb der
akademischen als auch der linken, marxistischen Wissenschaft, dieses Thema ernst
zunehmen. Ich kenne bloß die Zahlen von Schwendter und Vollmar. Schwendter
nennt Quellen, die etwa 2000 Landkommunen in den USA vermuteten, aber ebenso die
Schätzung von Judson Jerome, der von weit größeren Zahlen ausging (20.000 bis
30.000 Kommunen). (Schwendter 1981; 377) Klaus Vollmar zitiert Robert Houriet,
der 400.000 Kommunenmitglieder in den USA vermutete. Etwas genauer lassen sich
die Anzahl der BewohnerInnen der beiden großen Hippie-Kolonien in New York und
San Francisco bestimmen. In Haight Ashbury lebten zwischen 30 und 50 Tausend
Menschen, am Höhepunkt (Sommer 1967) sollen es fast eine halbe Million gewesen
sein, in East Village
an der Ostküste hingegen etwa 10 bis 15 Tausend.[xii]
Während es kaum
ernsthafte quantitative Untersuchungen gibt, existiert hingegen eine Flut an
Literatur, in der die verschiedensten Projekte von den ProtagonistInnen selbst
reflektiert werden. Sowohl über die Motive der Betroffenen als auch über die
Dynamik der Entwicklung verfügen wir also über zahlloses authentisches
Material. Grob gesagt lassen sich zwei unterschiedliche Konzeptionen erkennen:
eine außengerichtete und eine innengerichtete. Die nach außenorientierten
Wohngemeinschaften existierten vor allem in Städten, in den Zentren der
politischen Auseinandersetzungen. Sie waren – zumindest dem Anspruch nach –
gleichermaßen Solidargemeinschaft von Kämpfenden, Umschlagplätze für
Nachrichten, Kanäle der Kommunikation, Orte der Entwicklung politischer
Aktionen, Brennpunkte der informellen Diskussion und persönliches Rekrutierfeld
für politische Organisationsprojekte. Die Kommune I in Berlin, im wesentlichen
aus Kunzelmann, Langhans, Teufel und U. Enzensberger bestehend, war Prototyp
dieser nach außen gerichteten Konzeption. Ob an dieser Truppe wie etwa Tilman
Fichter und Siegwart Lönnendonker kein gutes Haar gelassen wird („existentialistische
Pseudolinke“)[xiii], oder an deren oft zynischen Provokationen Momente
der Rebellion erkennen will, jedenfalls wird die Außenorientierung der K I von
allen AutorInnen klar herausgearbeitet: „Was immer die Boulevard-Presse an
schmutzigen und geilen Phantasien über sie ausgoß, was immer ihre linken
Gegner zu Recht oder zu Unrecht über sie behaupteten, es wurde von ihnen mit
freudiger Begeisterung aufgegriffen. ‚Bei den Zeitungsausschnitten (wie am
Morgen nach der Theaterpremiere) während unseres Kommunefrühstücks haben wir
uns immer köstlich darüber amüsiert, wie Streicheleinheiten neu verteilt
waren und der eine als ein größerer Star als der andere herausgestellt
wurde.’“ (Koenen 2001; 153)
Als nach dem Ende der eigentlichen 68er Bewegung maoistische und trotzkistische
Gruppen ihre Parteiaufbauprojekte in Schwung zu bringen versuchten, erlebte
diese nach außen gerichtete Konzeption von Wohngemeinschaften einen erneuten
Aufschwung. Aus der Durchkreuzung von politischen und persönlichen Kontakten
wurden WGs zu Brennpunkten der verschiedenen Organisationen. Der Einzug in eine
Wohngemeinschaft fiel oftmals mit dem Beitritt zur Organisation zusammen, und
ebenso bedeutete der Auszug oftmals den Austritt. Radikaler in ihrer
Konzeption mußten die nach innen gerichteten Projekte sein. Denn es ging darum,
in einer verschworenen Gemeinschaft Werte und Ziele zu verwirklichen, die
woanders keinen Platz hatten. Diese Ziele waren naturgemäß höchst
unterschiedlich, sie reichten von spirituellen, esoterischen bis hin zur
Verwirklichung von freier Sexualität – oder was darunter verstanden wird.
Diese Projekte zogen sich fast immer aus den Zentren, den Städten zurück,
waren an Publizität und öffentlicher Aufmerksamkeit wenig, ja oft gar nicht
interessiert. Bloß die radikalsten Gruppierungen, allen voran die von Otto Mühl
dominierte AAO war an einer gewissen Außenwirkung erpicht, schließlich galt es
doch einen kontinuierlichen Zufluß an ProbandInnen sicherzustellen. Fast immer
wurde die Stadt als kapitalistischer, entfremdeter und zerstörerischer Moloch
abgelehnt, und das Land als solches favorisiert. Gerade die Landkommunen waren
(und sind) immer von einer gewissen Banalisierung bedroht. Was unterscheidet
letztlich eine Gruppe von Personen, die gemeinsam ein Stück Land bebaut, von
einer simplen Genossenschaft? Gegenüber den innerhalb der kapitalistischen
Vergesellschaftung möglichen und unhintergehbaren Formen der Gemeinschaft
(Freundschaft, Liebe, Verwandtschaft, solidarische Zusammenarbeit in Projekten)
mußten diese Kommuneprojekte ihre Gemeinschaft immer substantieller,
weitreichender und umfassender begründen. Angebote in diese Richtung gab (und
gibt) es genug: Spirituelle Heilslehren und esoterische Elitekonzeptionen boten
sich ebenso an wie das Thema Sexualität.[xiv]
Es wäre jedoch eine krasse Fehleinschätzung zu meinen, alle jene, die (vor
allem in den USA) nach dem Zusammenbruch von Haight Ashbury an
Landkommunenprojekten teilnahmen, hätten sich Hals über Kopf in spirituelle,
autoritäre Strukturen geworfen. Innerhalb des Kommunebewegung der 68er Bewegung
ist zwischen einem pragmatischen und einem substantialistischen Flügel zu
unterscheiden. Der pragmatische wollte einfach raus aus dem Dreck der Stadt, ein
einfaches solidarisches Leben auf dem Lande, offene, nicht hierarchische
Strukturen und vor allem sich jenen Individualismus bewahren, den die
Hippie-Bewegung immer auszeichnete. Ein Individualismus (do your thing) der zwar
einerseits oft entsolidarisierende Züge annahm, andererseits mit hierarchischen
Strukturen und Führerkulten unvereinbar war. Das Credo der Hippies, jeder müsse
seinen eigenen Weg finden, mag uns heute ob seines gekünstelten und überzogenen
Individualismus ein Lächeln abringen, erwies sich jedoch als starkes Gegengift
gegen autoritäre Heilslehren und Strukturen. Die Stunde der großen Gurus von
Gemeinschaftsprojekten (Otto Mühl, Dieter Duhm) schlug erst nach der 68er
Bewegung. Daß sich die Landkommunenbewegung am stärksten in den USA entwickelte, führe ich vor allem auf objektiv günstige Bedingungen zurück. (Dünn besiedelte Landstriche, billiger Boden abseits der Zentren.) Klaus Vollmar berichtet nicht nur von Personen, die von Kommune zu Kommune zogen, und so eine gewisse Gegenöffentlichkeit herstellten und Nachrichten zirkulieren ließen, sondern auch von einem höchst bemerkenswerten Umstand. In vielen Kommunen bemerkte er eine gewisse Schweigsamkeit, ja einige hatten sogar Schweigetage institutionalisiert, an denen wenig oder fast gar nichts gesprochen wurde. Mir ist die Bedeutung diese Phänomens nicht wirklich klar. Sollte der Gemeinschaftsgeist nicht vorschnell zerredet werden, hatte das Leben am Lande so wenig Themen zu bieten? Ungeheuer viel gesprochen wurde jedenfalls in der K II in Berlin. Die K II gab 1969 ein Buch heraus, welches den Untertitel trug: „Versuch der Revolutionierung der bürgerlichen Individuums“ in der freimütig über ihre „Gruppenanalyse“ berichtet wurde, die regelmäßig stattfand. Werden diese Protokolle gelesen, so ist der Eindruck nicht von der Hand zu weisen, daß diese Gruppenanalyse Züge von masochistischem Psychoterror aufwies. Das Vokabular, das in diesen Sitzungen verwendet wurde, entstammt direkt aus dem Fundus der klassischen Psychoanalyse von Freud, Reich und Melanie Klein. Jedenfalls war diese Kommune auch eindeutig nach innen ausgerichtet. Im intimen Binnenraum der Wohngemeinschaft sollten die psychischen Defekte des bürgerlichen Individuums ausgemerzt werden. Ich führe dieses Beispiel der Kommune II deshalb an, weil daran erkennbar ist, daß die Unterscheidung zwischen Innen- und Außengerichtetheit nicht einfach mit dem politischen vs. kulturellen Flügel gleichgesetzt werden kann. Erst nach der eigentlichen 68er Bewegung setzte die große Entmischung ein. Reisen und Drogen Es gibt mehrere
gute Gründe, diese beiden Themen in einem gemeinsamen Abschnitt zu behandeln.
Nicht nur, daß das englische Wort „Trip“ sowohl „Reise“ als auch
„LSD“ bedeutet, beides, die inneren wie die äußeren Reisen, entsprangen ähnlichen
Motiven. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob diese beiden Formen
sozialer Praxis nichts Spezifisches an sich hätten. Werden jedoch diese Praxen
um das Jahr 1968 genauer analysiert, wrden beträchtliche Besonderheiten
sichtbar. Wieder ist es die eigentümliche Mischung aus Erfahrungshunger, Naivität,
Erstaunen ob des soeben Entdeckten, zumeist mit Motiven grundsätzlicher
Zivilisationskritik verbunden, die Milieus und Verhaltenweisen hervorbrachte,
die heute in dieser Form nicht mehr existieren. „Im Staub und
Elend Indiens hofften die Hippies jene geistigen Werte und authentischen
Erfahrungen zu finden, an denen es dem Westen so deutlich mangelte.“ (Willis
1981; 165) Auf die Frage, wie viele denn um 68 auf dem Landweg (Flugreisen waren
damals unerschwinglich) nach Pakistan, Afghanistan, Indien und Nepal pilgerten,
schweigt die akademische Sozialwissenschaft vollkommen. Nur bei Theodore Roszak
habe ich eine Schätzung gefunden, er geht von 10.000 Personen pro Jahr aus, die
nach Südostasien zogen. Eine Zahl, die mir sehr gering angesetzt scheint, da
darin die weniger Kühnen nicht berücksichtigt sind, die es mit Griechenland
als Reiseziel beließen. Aber selbst dorthin dauerte es Tage beschwerlicher Zug-
und Busfahrten, um endlich an die Strände Kretas zu gelangen. Während heute
selbst Rucksacktouristen per Flugzeug anreisen und ausgestattet mit der
aktuellen Ausgabe des unvermeidlichen „lonely planet“[xv]
längst abgegraste Gegenden abfahren, waren damals höchstens schwärmerische
Reiseromane im Gepäck und äußerst vage Vorstellungen davon, was einem
erwarten würde. Im Gegensatz zu den heutigen Kurzurlauben, waren es damals
Wochen, Monate und manchmal Jahre. Nach Indien zu reisen bedeutete, alle Brücken
abzubrechen, Freundschaften und Beziehungen auf unbestimmte Zeit stillzulegen
– von Ausbildung und Beruf ganz zu schweigen. Auch heute noch sind diese Länder
für Besitzer westlicher Devisen unglaublich billig, damals waren sie für ein
anspruchsloses Leben fast kostenlos. Obwohl es oft zu Konflikten zwischen den
Hippies und den EinwohnerInnen kam (Sexualität, Nacktheit), trafen sie auf der
anderen Seite ebenso oft auf herzliche Gastfreundschaft, die in dem Maße zurück
ging, als die TramperInnen als Objekt der Bereicherung entdeckt wurden. Mit dem
Ende der 68er Bewegung und dem Sinken der Flugpreise, verschwand diese
spezifische Form des Reisens. Ich kenne, wie gesagt, keine einzige
sozialwissenschaftliche Studie, die dieses Phänomen überhaupt einmal
wahrnimmt, geschweige denn, systematisch untersucht.[xvi]
Es ist schon eigentümlich, daß eine spezifische, unwiederholbare Erfahrung
zehntausender, wenn nicht hunderttausender Menschen auf kein Interesse stößt. Eine
unausgesprochene Motivation für diese abenteuerlichen Fahren waren zweifellos
auch die Drogen, die dort billig und praktisch legal zu haben waren. In einem
Interview schilderte Michael „Bommi“ Baumann seine erste Erfahrung, als er
mit einem Bus in Afghanistan eintraf. Die Händler hätten solche Mengen von
Haschischplatten an die Scheiben gedrückt, daß sich das Innere des Wagens
verdunkelte. Aber es wäre falsch, ausschließlich den Zugang zu Drogen als
Ursache für den Entschluß nach Südostasien zu reisen, zu vermuten. Es war die
Sehnsucht nach neuen Erfahrungen, nach einer Welt, die als authentisch und
unverdorben, der westlichen Zivilisation entgegengesetzt imaginiert wurde. Der
reale Trip verschmolz mit dem psychedelischen Trip zu einer untrennbaren
Erlebnis. Allerdings muß auch hier auf die andere Seite der 68er Bewegung
verweisen werden. Nicht wenige Hippies gingen an Krankheit, den Strapazen und
Entbehrungen und nicht zuletzt an einer Überdosis Heroin zugrunde. Bei Kabul
gab es einen eigenen Friedhof mit schlichten Holzkreuzen für die verstorbenen
Sucher nach einer besseren Welt; ob er heute noch existiert, kann ich nicht
beurteilen. Die heutigen
Drogenszenen unterscheiden sich fundamental von jener der 68er Bewegung. In
keinem Punkt vollzog sich die Entmischung so radikal, wie hier. Mit
psychologischen oder psychoanalytischen Erklärungsmustern ist der Unterschied
nicht zu erfassen. Tatsächlich liegen Welten zwischen heute und 68. Drogen, das
bedeutete damals Cannabis und LSD. Kokain gab es auf dem europäischen Markt so
gut wie nicht, die synthetischen Drogen waren noch gar nicht entwickelt und
Heroin konsumierte eine verschwindende Minderheit, die zu klein war, um eine
Straßenszene zu bilden. Entscheidend war die Entwicklung einer Kultur des
Drogenkonsums. Es wurden verschiedene Rituale der Einnahme praktiziert, die
letztlich all zu exzessiven Gebrauch verhinderten. Viele Cannabis-RaucherInnen
lehnten aus guten Gründen den gleichzeitigen Konsum von Alkohol, ja oft Alkohol
überhaupt ab. Auch wenn zumeist spirituelle Gründe genannt wurden, der
Gesundheit zuträglich war dieser Beschluß allemal. Drogen wurde mit großer
Ehrfurcht begegnet, ihnen wurden bewußtseinsverändernde und bewußtseinserweiternde
Wirkungen zugesprochen. „Die Behauptung, Drogen
- und besonders LSD – könnten blockierte Erfahrungsbereiche öffnen,
war etwas absolut Zentrales in der ganzen Kultur.“ (Willis 1981; 177) In
der Subkultur zirkulierten Anweisungen und Empfehlungen, wie und unter welchen
Umständen ein Trip anzutreten wäre. Auch wenn diese Ratschläge negative
Folgen nicht immer verhindern konnten, zeigen sie doch das Bemühen der Szene
auf, so etwas wie eine Drogenkultur zu entwickeln. BücherMusik unter dem
Abschnitt „Formen sozialer Praxis“ zu behandeln, mag möglicherweise
Erstaunen auslösen. Doch ich bin überzeugt, daß das spezifisch Neue der 68er
Musik nur unter diesem Aspekt zu begreifen ist. Wer unter dem Gesichtspunkt von
Tonsatz und Kontrapunkt an das Phänomen herangeht, wird scheitern und nichts
erkennen. Musik war Ausdrucks- und Identifikationsmedium, sie repräsentierte
und symbolisierte einen bestimmten Lebensstil, der umgekehrt wieder auf die
Produktion dieser Musik zurückwirkte. Ein ausgesprochen produktiver Zirkel
wurde in Gang gesetzt. Die 68er Musik hatte überragende soziale Bedeutung, und
weil sie so bedeutend war, wurden in den Jahren 67 bis 69 eine Flut von
kreativen und außergewöhnlichen Platten produziert. „Nun kamen diese
Musiker sehr häufig aus irgendeiner Variante der Hippiekultur. Daher
reflektierte die Musik immer deutlicher die Anliegen dieser kulturellen Gruppe
und entwickelte sie weiter. Die Hippiekultur als solche übte einen
entscheidenden Einfluß auf die Musik aus, genau wie die Musik einen Einfluß
auf die Kultur ausübte.“ (Willis 1981; 207) Dieser produktive und
kreative Zirkel fand natürlich nicht außerhalb von kommerziellen Beziehungen
statt. Aber nur Böswillige und Unwissende können den Unterschied zwischen den
Bedingungen von 68 und der gegenwärtigen Musikindustrie nicht erkennen. Allen
Beteiligten ging es um die Musik, und nur sekundär um das Geschäft. So brachte
auch die Szene Persönlichkeiten wie den Produzenten Joe Boyd hervor, der unter
anderem die Incredible String Band, Fairport Convention und Nick Drake betreute.
Oder John Peel, der in ungezählten Radiosendungen jenseits von kommerziellen
Erwägungen die ganze Breite der Musikszene seinem Publikum nahebrachte und bis
heute in England einen hervorragenden Ruf besitzt. Das oft unbedarfte und
amateurhafte Herangehen zeigte sich auch im legendären Woodstock-Festival.
Statt einer überdachten Bühne wurde bloß ein erhöhter Bretterboden
gezimmert; die einzigen Reklameschilder waren jene, die an den transportablen
WCs fix montiert waren. Auch wenn die damaligen Stars nicht am Hungertuche
nagten, so liegen zwischen den heutigen und den damaligen Einkommen Welten. Jene
Gruppen, die noch im Geschäft sind, verdienen gegenwärtig pro Tournee mehr als
in all den Jahren damals zusammen. Obwohl
68 als internationales Phänomen zu begreifen ist, entwickelte sich die 68er
Musik fast ausschließlich in den USA und vor allem in Großbritannien. Warum?
Ich kann zwei Momente erkennen. Einerseits war der kulturelle Flügel in diesen
Ländern immer besonders stark. Insbesondere in Großbritannien scheint die 68er
Bewegung nie so intellektuell und studentisch geprägt gewesen zu sein, als etwa
in der BRD. Andererseits gab es in diesen Ländern nie diese strikte Trennung
zwischen E und U Musik, die herzulande fast hysterisch praktiziert wurde. E
stand für „ernste“ Musik, und als ernst wiederum wurde die europäische
Tradition aufgefaßt, in der sich das Bildungsbürgertum kulturell spiegelte und
erkannte. U stand für Unterhaltungsmusik, also seichter Schlager-Tingeltangel.[xix]
Diese Unterscheidung wurde keineswegs nur von politischen Konservativen
vertreten, sondern findet sich ebenso in Adornos Musiktheorie. Sofern die 68er
Musik vom Establishment überhaupt wahrgenommen wurde, wurde sie sofort in die
Schublade der U Musik gesteckt und überdies mit Spott und Hohn übergossen.
Auch wenn das Urteil nicht immer so radikal ausfiel, die Abwertung dieser Musik
war eindeutig. Sie stand auf der untersten Stufe der Hierarchie und jeder
musikalisch Gebildete schätzte sie als einfältig und primitiv ein. Dieses
Urteil beruhte in den seltensten Fällen auf einer tatsächlichen Kenntnis der
unglaublich vielfältigen Formen, die die 68er Musik annahm, sehr wohl auf dem
Instinkt, Kompetenz nicht abgeben zu wollen. Die geschichtlich spezifische Form
des Musizierens, die tradierten Formen der Ausbildung, die höchst selektive
Geschmacksbildung der europäischen Musiktradition – jenseits dieses
Musikuniversums konnte es nur Minderwertiges geben. Musikkonsum wurde völlig zu
recht von der 68er Bewegung unmittelbar als Kulturkampf aufgefaßt. Es ging
darum, das eigene musikalische Empfinden gegen hochnäsige Abwertung zu
behaupten. Der Konsum der Musik, das Sammeln von Platten, das gemeinsame Hören,
oft stundenlange Diskussionen über Vorzüge und Mängel bestimmter Gruppen, all
das konstituierte eine spezifische Praxis. Und allen Beteiligten war klar, daß
sie sich in einem kulturellen Gegenuniversum bewegten, welches das Establishment
nicht verstehen konnte. Kinder
und Erziehung Zur
Praxis der alternativen und antiautoritären Erziehung führten viele Wege,
programmatische wie pragmatische. Was lag näher als das Thema Pädagogik, wenn
es darum ging, bürgerliche Zwänge und Verkrüpplungen zu überwinden? Eine
Bewegung wie die 68er, die Revolte so radikal ansetzte, mußte zwangsläufig
davon träumen, neue Menschen zu schaffen. Und ein Weg dazu war wohl eine neue,
freie Form der Erziehung. Zugleich existierten auch reale Kinder, die ihre Ansprüche
kundgaben und irgendwie versorgt werden mußten. Als am 22.5.1966 in Frankfurt
der große SDS-Kongreß „Vietnam – Analyse eines Exempels“ stattfand und
Herbert Marcuse das Hauptreferat hielt, tobten die Kinder auf den Gängen herum
– angeblich führte das zur Gründung weiterer Kinderläden mit antiautoritärem
Anspruch. Als theoretische Grundlagen wurde, durchaus charakteristisch, von
einer Initiative in Frankfurt folgende Schriften genannt: „A. S. Neill,
Summerhill; Wilhelm Reich; J. und Paul Ritter, Free Family; Kirkdale, eine
Schule in London, von der die Anregung für unsere Initiative ausging und an der
zwei Lehrerinnen unserer Kinderschule hospitiert bzw. praktiziert haben.“
(Bott 1970; 45) Interessanterweise haben die Kindergruppen und Kinderläden,
1968 erfunden, die Zeit überdauert und werden noch gegenwärtig erfolgreich
praktiziert. Wer sich einmal konkret an diesen Projekten beteiligt hat, weiß,
wie grundlegend sich diese Initiativen von den üblichen Kindergärten und
Vorschulen unterscheiden. Die vor allem von der Sozialdemokratie gebauten
Kindergärten dienten (und dienen) ausschließlich dem Zweck, Frauen trotz
Kindern den Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Dementsprechend sahen (und
sehen) die „pädagogischen“ Prinzipien aus: maximale Öffnungszeiten und
minimale Kosten. Die selbstorganisierten Kinderläden hingegen wurden aus ganz
anderen Motiven initiiert. Einerseits ging es um eine alternative Pädagogik,
andererseits um eine Relativierung der Kleinfamilie durch den intensiven Kontakt
zwischen Kindern untereinander und zu den BetreuerInnen. Selbstorganisierte
Kinderläden erfordern jedoch einen nicht geringen finanziellen, aber vor allem
zeitlichen Einsatz: Monatliche Plenarsitzungen, Putzdienst, Kochdienst,
Begleitungen bei Ausflügen und Aktivitäten, dazu die üblichen Aufgaben, die
Vereine so mit sich bringen. Die funktionale Zurichtung der Frauen für die
Lohnarbeit war jedenfalls niemals erklärtes Ziel. Auch wenn der große
Anspruch, den antiautoritären Menschen zu schaffen, die „Erziehung zum
Ungehorsam“ zu verwirklichen, nicht eingelöst werden konnte, so ist doch in
der Frage Kindergruppen der Keim der 68er Bewegung aufgegangen. Allerdings
war die Praxis der alternativen Schulen nicht so erfolgreich. Thema waren sie
1968 natürlich allemal. „1967 war, quasi anonym, ein kleines Büchlein
erschienen: ‚Lettera a una professora’[xx],
geschrieben von Schülern an Don Milanis Schule in Barbiana. Dieses Buch wurde für
die Bewegung außerordentlich wichtig. (...) Ohne mit einem komplizierten
Begriffsapparat zu hantieren macht es klar, daß es in den Schulen – wo
bislang nur von der Dummheit der Schüler und der mangelnden Qualifikation der
Lehrer die Rede war – den Klassenkampf real gibt.“ (Viale 1979; 21) 1970
wurde über dieses Buch auch in Österreich bereichtet, und zwar in der
gesellschaftspolitisch wohl bedeutendsten Sendung des ORF seit 1945, in der
„Musicbox“, die einer ganzen Generation das Fenster zur 68er Musik öffnete
und zugleich – so schließt sich der Kreis – auch von Elementen der
Rebellion berichtete; zwar zumeist aus einer radikaldemokratischen und
linkskatholischen Perspektive, aber was bedeutete das schon damals. Die Praxis
der Rebellion und Provokation blühte zwar auch unter den SchülerInnen – „daß
das Stroh so trocken war, hätten wir nicht geglaubt“ – die konkreten
Projekte alternativer Schulen krankten aber rasch an ähnliche Problemen wie die
diversen Kommuneexperimente. Die Kritik an repressiver Pädagogik und sozialer
Unterdrückung in den Schulen unmittelbar durch konkrete Praxis in Alternativen
zu überführen, klappte nirgends so recht. Entweder kippten die Projekte rasch
in banale Versionen von Privatschulen, oder die Besonderheit mußte durch
esoterische Lehren (Steiner-Schule) oder Elitekonzeptionen legitimiert und
motiviert werden. Zwei
Fehldeutungen der sozialen Praxis der 68er Bewegung (Schwendter/Willis) Der
Zweck meiner sehr summarischen Auflistung verschiedener Praxisformen ist es zu
zeigen, daß in der 68er Bewegung die Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen
organisch mit dem Versuch verbunden war, alternative Formen zu schaffen und der
„Großen Weigerung“ auch einen praktischen Ausdruck zu geben. Vieles mußte
dabei unerwähnt bleiben. Etwa die blühende Underground-Presse in den USA oder
die tatsächliche Auflösung der psychiatrischen Klinik in Triest durch ihren
ehemaligen Leiter Franco Basaglia, der damit eine europaweite Welle der
Psychiatriekritik auslöste, die auch in Wien durch eine sehr aktive Gruppe
vertreten war. Es ist ein grobes Fehlurteil zu meinen, die praktischen Aktivitäten
hätten sich ausschließlich am „Marsch durch die Institutionen“ orientiert,
eine Losung die Rudi Dutschke als Perspektive für den in Auflösung
befindlichen SDS formulierte; zu einem Zeitpunkt, an dem ihm niemand mehr zuhörte,
da jeder (und hier ist die männliche Form zutreffend) der führenden Kader
offen oder heimlich bereits am Parteiaufbau bastelten. Ich will auch nur am
Rande erwähnen, daß die stalinistischen Intellektuellen auf die Bewegung mit
blankem Haß reagierten und im Stile der niederträchtigsten Teile der bürgerlichen
Presse den Schmutzkübel über die Versuche, neue soziale Formen zu schaffen,
ausgossen. Kostprobe gefällig? „Antiautoritäre Zeichenlehrer ermuntern
ihre Schüler zu sinnlosem Drauflosschmieren, damit sie sich von den ‚Zwängen’
eines von vornherein aufs Resultat verpflichteten Tuns befreien möchten,
dergestalt ‚ganz neue Denkanstöße’ in sich erfahrend. Antiautoritäre
Lyriker ‚zerbrechen’ den ‚Zwang der Sprachstrukturen’. Antiautoritären
Kindergärtnerinnen wäre es am liebsten, die lieben Kleinen lernten ihren
Eltern in die Kaffeetassen zu pinkeln.“ (Harich 1971; 94) Eine
Fehldeutung der sozialen Praxis der 68er Bewegung findet sich in der Arbeit von
Rolf Schwendter, „Theorie der Subkultur“[xxi].
Das Buch erschien 1973. Es ist natürlich ein Versuch, 1968 theoretisch zu
erfassen. Die Besonderheit, die Unverwechselbarkeit von 1968 wird vom Autor wohl
erkannt, aber zu einer idiographischen Darstellung kann er sich nicht
durchringen. Letztlich löst er die spezifische Besonderheit der 68er Bewegung
im geschichtslosen soziologischen Begriff „Subkultur“ auf. Schwendter
erkennt zwar die emanzipatorische Ausrichtung der Bewegung und verteidigt diese
geschickt gegen poststalinistische Angriffe, ebenso ist der Materialreichtum des
Buches positiv zu vermerken. Aber durch die falsche Allgemeingültigkeit und Überzeitlichkeit
des Subkulturbegriffs geht die historische Einmaligkeit der 68er Bewegung in
einem heillos eklektizistischen Theorie-Wirrwarr unter. Die Kritik der
Geschichts- und Zeitlosigkeit ist auch an die Arbeit von Paul Willis „Profane
Culture“ zu richten. Willis zählt zu den Mitbegründern der „Cultural
Studies“. Willis untersucht darin die Kulturen der „Rocker“, die ihn
offensichtlich weniger interessiert haben, und der „Hippies“, die er mit großer
Liebe und Sorgfalt darstellt. Aber auch er blendet jede zeitliche Perspektive
aus. Daß kein Mensch als „Hippie“ geboren wird, sondern spezifische Umstände
sowohl lebensgeschichtlicher als auch sozialgeschichtlicher Art erst so etwas
wie eine Hippiekultur entstehen lassen, dieser Gedanke wird bei Willis nicht zu
finden sein. Gerade im Falle der Hippie Kultur erweist sich das Ausblenden der
Geschichtlichkeit als fatal. Im folgenden Zitat findet sich sowohl die Stärke,
als auch die strukturelle Schwäche der „Cultural Studies“ vereint. Willis
schreibt: „Und doch entwickeln diese Gruppen aus dem Rahmen eines vorgeprägten
Marktes erhältlichen Schund lebensfähige Kulturen und formulieren durch ihre
Bearbeitung von vorgefundenen Gebrauchsgütern tatsächlich eine lebendige,
gelebte und konkretisierte Kritik an der Gesellschaft, die diese verdrehten,
beleidigenden und oft sinnlosen Dinge produziert.“ (Willis 1981; 20) Die
Schaffung, ja Schöpfung kultureller Formen, ich sage lieber sozialer Praxis,
wird in dieser Passage bloß reaktiv definiert, als reine
Interpretationsleistung, die dem „Schund“ ernsthafte Bedeutung gibt, aber
gleichzeitig alles beim Alten läßt. Wenn aus diesem Ansatz Methode wird, dann
ist der Unterschied zwischen der Hippie-Kultur der 68er Jahre, der 68er Bewegung
überhaupt und der gegenwärtigen Snowboard- oder Skater-Szene eingeebnet.
Kapitalismus und Kulturindustrie produzieren ihre „beleidigenden und oft
sinnlosen Dinge“, aber doch werden diese in „lebensfähige Kulturen“
integriert, ja entzünden sich daran. Wir erkennen also ein zeitloses Muster.
Spannend ist allerdings, daß die im Vorspann des Buches skizzierte Methode in
seiner materialen Analyse der Hippie-Kultur gar nicht zu finden ist. Wie
selbstverständlich interpretiert Willis diese Kultur als antikapitalistisch und
widerständig und entwickelt einen fiktiven Dialog mit ihren ProtagonistInnen.
Willis konstatiert der englischen Hippie-Kultur einmal eine substantielle
Berechtigung: „Das alternative Hippieleben ist eine stumme, jedoch
vernichtende Verurteilung des kulturellen Bankrotts der extremen Linken.“
(Willis 1981; 168) Die radikale Kritik der Linken wie der Szene würden sich
„genau entsprechen“. Auch wären die Hippies keineswegs theoretisch
ungebildet. Aber leider würden ihre Einsichten immer wieder von jenem
subjektiven Gefühl überlagert und zugeschüttet, das nicht einfach zu
begreifen sei, eben jene Mischung aus Überlegenheit, Wohlgefühl und
exzessiver, narzißtisch erlebter Individualität: „Die hohe Bewertung der
subjektiven Erfahrung ließ jedes theoretische Wissen, das die Hippies über
Ungleichheit und Ausbeutung besaßen, umkippen. Solange man nur die Situation
als angenehm erlebte, war es nicht von Bedeutung, ob man ausgebeutet wurde.“
(Willis 1981; 166) Mit viel Feingefühl erkennt Wills auch das Fatalistische an
der Hippie Bewegung. „Ein Greifen nach der Gegenwart konnte zukünftige
Katastrophen bedeuten. Immer schien die Krise zu drohen.“ (Willis 1981;
131) In der Tat gab es in der Hippie Kultur eine Ahnung über das Vergehen der
eigenen Lebensart. Kaum geschaffen - wer war vor Mitte der 60er Jahre Hippie? -
wurde etwas von einer aussterbenden Art an sich selbst gespürt. Ohne die
eigenen geschichtlichen und gesellschaftlichen Bedingungen analysieren zukönnen,
existierte in der Hippie-Szene immer eine offene Ahnung, daß ihre Existenzweise
nur ein bloßes vergebliches Aufblitzen eines möglichen anderen Weges der
Menschheit sein könnte. Es war wohl mehr als politische Ironie, als am Höhepunkt
der Bewegung in den Underground-Zeitungen von San Francisco als Reaktion auf die
zunehmende Kommerzialisierung der Szene folgende Todesanzeige erschien: „Funeral
Notice: Hippie in the Haight A. District of ths city, Hippie, devote son of Mass
Media – Friends are invited to attend services beginning at sunrise, October
6, 1967 at Buena Vista Park.“ (Hollstein 1981;
65) Und wenn Willis seinen fiktiven Bekehrungsversuch zum Marxismus mit
folgenden Worten aufgibt, so trifft er zweifellos etwas vom vorherrschenden
Lebensgefühl: „Doch in eben diesen Schattenbereichen, aus denen der
wissenschaftliche Materialismus sie herausgeholt hätte, fühlten sich die
Hippies am meisten zu Hause. Aus diesen Schauplätzen konnte sich das Spiel am
besten entfalten, hier konnte das Suchen nach der schwer faßbaren Transzendenz
immer weitergehen.“ (Willis 1981; 169) Aus solchen Worten wird klar, wie
Willis tatsächlich zu der von ihm analysierten Kultur steht, er erkennt ein
rebellisches, radikal gesellschaftskritisches Milieu und beklagt dessen Grenzen. Zitierte
Literatur: Balestrini,
Nanni; Moroni, Primo (1994) „Die goldene Horde. Arbeiterbewegung,
Jugendrevolte und bewaffneter Kampf in Italien”, Berlin Berman,
Paul (1998) „Zappa meets Havel. 1968 und die Folgen
– eine politische Reise“, Hamburg
Bott,
Gerhard, (Hg.) (1970) „Erziehung zum Ungehorsam.
Kinderläden berichten aus der Praxis der antiautoritären Erziehung“,
Frankfurt Dutschke, Rudi
(1968) „Die Widersprüche des Spätkapitalismus, die antiautoritären
Studenten und ihr Verhältnis zur Dritten Welt“, in: Bergmann, Dutschke, Lefèvre,
Rabehl, „Rebellion der Studenten oder Die neue Opposition“, Reinbek bei
Hamburg Eisenberg, Götz;
Thiel Wolfgang (1975) “Fluchtversuche. Über Genesis, Verlauf und schlechte
Aufhebung der antiautoritären Bewegung“, Gießen Fichter,
Tilman, Lönnendonker, Siegwart (1977) „Kleine Geschichte des SDS“, Berlin Harich, Walter
(1971) „Zur Kritik der revolutionären Ungeduld. Eine Abrechnung mit dem neuen
und alten Anarchismus“, Basel Herrmann (Salanda),
Brigitte (1998) „Vom Cafe Hawelka zur Buchhandlung Herrmann“, in: B.
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[i] So fabuliert etwa Martin Viehöver, als „Student und Bundesvorsitzender der Jungen Ökologen“ im AutorInnen-Verzeichnis angeführt, mit unverfrorener Geschichtsfälschung: „Dreißig Jahre nach der 68er Revolte haben die Rebellen von einst den Marsch durch die Institutionen geschafft. Sie sitzen in den Universitäten, den Schulen, den Verwaltungen, in verschiedenen Parlamenten und haben führende Positionen in der Wirtschaft inne. Über die Medien beeinflussen sie die öffentliche Meinung.“ (Viehhöver 1998; 129) [ii] In Italien wird von der 77er-Bewegung gesprochen. Doch diese Bewegung ist aber nur eine sehr spezifische Form, in der die 68er Bewegung wirksam wurde. [iii] „Der Internationalismus der Bewegung, die Tatsache, daß voneinander unabhängige, aber analoge Prozesse gleichzeitig abliefen, ist nicht leicht zu erklären.“ (Viale 1977; 13) [iv] Die „Situationistische Internationale“ war eine kleine, sehr zerstrittene Intellektuellen- und KünstlerInnengruppe. Einer ihrer wichtigsten Vertreter war Guy Debord, dessen Buch „Die Gesellschaft des Spektakels“ oftmals aufgelegt und in viele Sprachen übersetzt wurde. [v] So spielte LSD selbst bei den „Weatherman“ immer eine bestimmte Rolle. „Um das Einschleusen von Polizeispitzeln zu verhindern, spielte bei den Einführungen in die klandestinen Zellen LSD eine nicht unwichtige Rolle, da Weather davon ausging, daß man unter dem Einfluß dieser Droge seine wahre Identität nicht verbergen könne.“, so Florian Ruttner in einer Buchbesprechung der Arbeit von Ron Jacobs, „Woher der Wind weht – eine Geschichte des Weather Underground“, Berlin 1999 - Egal, ob diese Geschichte stimmt oder nicht, jedenfalls zeigt sie die Präsenz des Themas LSD im amerikanischen Untergrund auf. [vi] Quelle: Malte, J. Rauch, Schirmbeck, H. Samuel, „Die Barrikaden von Paris. Der Aufstand der französischen Arbeiter und Studenten“, Frankfurt am Main 1968 [vii] In: Hafner, Georg M., Jacoby, Edmund (Hg.) „1968 – Bilderbuch einer Revolte“, 1993 Frankfurt am Main, Seite 66 [viii] Bei einer Demonstration am 31.3.1965 gegen Borodajkewicz wurde Ernst Kirchweger von einem Nazi erschlagen. [ix] Rolf Schwendter nennt in seiner Arbeit „Theorie der Subkultur“, 1981 ähnliche Praxisfelder, und zwar: Nahrung, Wohnung, Sexualität, Erziehung, Gesundheit, Transport (Rote Punkt Aktion), Konsum (worunter die Punkte Drogen und Kleidung fallen) sowie Arbeit & Muße = Kritik an der Leistungsgesellschaft. [x] Henry David Thoreau: „Walden. Ein Leben mit der Natur” Deutsch von Erika Ziha, München 1999 [xi] Das österreichische Recht kennt nur den Begriff Haushalt und Haushaltsvorstand. Wohngemeinschaften erscheinen, so die darin wohnenden überhaupt hauptgemeldet sind, einfach als großer Haushalt mit vielen Mitbewohnern auf. In allen anderen Ländern dürfte das nicht viel anders sein, Kurzum, Wohngemeinschaften und Kommunen existieren für die Welt der Statistik einfach nicht. [xii] Genaue Daten über Alter und soziale Herkunft der Hippies finden sich bei Hollstein (1969; 67ff). Soziologisch stammten die „Blumenkinder“ - wenig überraschend - vorwiegend aus der wohlhabenden Mittelschicht, allerdings gibt Hollstein an, daß die überwiegende Mehrzahl keine regelmäßige finanzielle Unterstützung von ihren Erlern erhielten: „Von 100 Hippies in New York wurden nur vier von zu Hause unterstützt; von 100 Hippies in San Francisco deren elf.“ (Hollstein 1969; 68) [xiii] Fichter, Tilman, Lönnendonker, Siegwart, „Kleine Geschichte des SDS“, Berlin 1977, Seite 103 [xiv] Die Arbeit von Elisabeth Voß, „Wege, Umwege, Irrwege... Ein Versuch über die Sehnsucht“, in: „Das KommuneBuch“ Göttingen 1998, Seite 69 – 98, zeigt genau die Einflüsse rechten Gedankenguts in der gegenwärtigen Kommune – Bewegung in Deutschland auf. Sie warnt allerdings zu Recht davor, alles mit der Faschismus-Keule zu erledigen, und die Zwischentöne nicht mehr zu beachten. [xv] Geschäftstüchtige Hippies erkannten bald die Marktlücke für alternative Reiseführer. Herr Felbiger baute rund um seinen legendären Griechenland-Reiseführer einen ganzen Verlag auf, ebenso der Weltenbummler Tony Wheeler um sein „Indien Handbuch“. [xvi] Für Informationen zu diesem Thema wäre ich besonders dankbar! [xvii] Die Buchhandlung Herrmann existierte 23 Jahre lang und war die linke Buchhandlung in Wien. [xviii] Koenen berichtet, daß der KBW im Herbst 1974 schlagartig 18 Buchläden, im Besitz des „Bundes Westdeutscher Kommunisten“ befindlich, einfach zusperrte und so „ein Stück linker Alternativkultur“ (Koenen 2001; 428) vernichtete. Offenbar wurden diese Läden als für den Parteiaufbau störend empfunden. [xix] Manche wird es überraschen, aber die sogenannte volkstümliche Musik a la Musikantenstadl entstand erst in den 80er und 90er Jahren. [xx] deutsch: „Die Schülerschule. Brief an eine Lehrerin“, Berlin 1970 [xxi] Aus heutiger Warte aus ist es amüsant zu lesen, wie unbefangen Schwendter alle Begriffe verwendet, die damals gut und teuer waren. Haupt- und Nebenwiderspruch geht ihm genauso locker über die Lippen, pardon die Schreibmaschine, wie positive Bezüge zur Psychoanalyse a la Wilhelm Reich. Sein Buch ist vollgestopft mit soziologischem Theorieplunder und jenen Theorien mittlerer Reichweite, die in den 60er aktuell waren. Man kann sich allerdings den Eindruck nicht verkneifen, daß Schwendter die Sache nicht so ernst nimmt und auf dem Klavier der „Theorien“ und „Namen“ herumspielt. |
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