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AktivistInnen des Clandestina Network: Barrikaden und Barrieren: MigrantInnen im „Griechischen Dezember“ aus dem Englischen von Minimol (in Zusammenarbeit mit Birgit Mennel) Aus Anlass der Dezemberrevolte in Griechenland sind bereits verschiedenste Darstellungen auf Englisch und in anderen Sprachen erschienen, die allesamt die Beteiligung von MigrantInnen an den Unruhen sowie an den sich entwickelnden Prozessen begrüßen.[1] Mit diesem Text wollen wir versuchen, diese wirklich beeindruckende und ergreifende Tatsache im Komplex von Machtverhältnissen zu verorten, die diese Beteiligung geformt haben; deshalb nehmen wir notwendigerweise die Hindernisse und Einschränkungen, die diese Mitwirkung durchziehen, ebenso in den Blick wie einige der Faktoren, die sich hinter der Nicht-Beteiligung vieler MigrantInnen verbergen. Dieser Text basiert auf kollektiven Diskussionen innerhalb der MigrantInnen- und Flüchtlingsgruppe Clandestina Network und in deren Umfeld sowie des sozialen Ortes „Dromos“[2] in Thessaloniki. Über MigrantInnen in den Dezember-Unruhen in Griechenland Während und nach dem griechischen Dezember 2008, einem Aufstand, der über 15.000 Menschen mit allen möglichen Hintergründen und in allen Altersstufen – einschließlich 14jähriger SchülerInnen und 50jähriger albanischer MigrantInnen – in über fünfzehn größeren und kleineren Städten Griechenlands für fast einen Monat auf die Straßen brachte, wurde in den Diskussionen der Linken und sogar der radikalen und anarchistischen „Szene“ eine Art „Subjektologie“ virulent: Die Frage „Was bzw. wer ist das Subjekt der Revolte?“ wurde eine Art Gassenhauer oder Witz, was vielleicht als Hinweis auf die noch immer ambivalente Haltung vieler in der Bewegung gegenüber der „Akademisierung“ der Diskussionen, die in der Bewegung zu ihrer Selbstverständigung entwickelt werden, verstanden werden kann. Wir sprechen das Verhältnis von MigrantInnen und Flüchtlingen zur Revolte hauptsächlich darum an, um uns unseren Weg durch und gegen zwei Arten von Mystifikationen zu bahnen: einerseits eine Analyse der Ereignisse, die sich auf die Vorstellung eines einheitlichen und emblematischen „Subjekts“ der Revolte gründet, die also von einer bereits existierenden oder im Entstehen begriffenen soziologischen Gruppe ausgeht; eine Gruppe, die zwar noch aussteht, vermittels derer die Revolte aber begriffen werden soll (es handelt sich in erster Linie um die „Jugend“); zum anderen geht es uns um jene Zugänge, die die Revolte als mehr oder weniger „subjektloses“ Ereignis darstellen, das heißt als radikalen Bruch mit den gesellschaftlichen Bedingungen, der seinerseits selbst als neue politische Form, also als Veränderung begriffen werden muss. Ein Ausgangspunkt, um die Bedeutung der Rolle der MigrantInnen in der Rebellion einzuschätzen, könnte die kritische Untersuchung der Reaktionen des Feindes sein, so wie sie im massenmedialen Diskurs während und kurz nach der Rebellion zu Tage traten. Wir beziehen uns hier auf zwei Momente des ideologischen Gegenangriffes des griechischen Staats, die sich qualitativ unterscheiden, obwohl sie sich sicherlich gegenseitig verstärken. Einerseits die aufeinander folgenden Versuche von Fernsehen und Presse, eine Differenzierung zwischen legitimen und illegitimen RebellInnen einzuführen: Vermummte versus nicht Vermummte; Gewalttätige versus nicht Gewalttätige; jene, die wahllos Ziele angriffen, versus jene, die symbolische Ziele angriffen; jene, die nur zerstören, versus jene, die zerstören und plündern; Zerstörer versus Plünderer. Der letzte und am meisten verunglimpfte Rest wurde in diesen sukzessiven Spaltungsversuchen den MigrantInnen zugeschrieben, namentlich den verarmten MigrantInnen aus dem Zentrum des Athener Quasi-Ghettos (gemeinsam mit den „ZigeunerInnen“ aus den Außenbezirken der Stadt und den Junkies, die im öffentlichen Mainstream-Diskurs als chronisch degradierte soziale Figuren immer zu den Hauptverdächtigen zählen). Wenig überraschend war dies also eine der Karten, die der Staat und seine journalistischen KomplizInnen ausspielten, um die öffentliche Meinung gegen die Rebellion aufzubringen und deren Reihen auseinanderzudividieren: das Schuldigsprechen eben dieser „Fremden“. Ihnen wurde unterstellt, sie hätten sich den Protesten nur deshalb angeschlossen, um die Geschäfte und Einkaufszentren zu plündern, die während der Unruhen aufgebrochen wurden. Wir erachten diese Gesten des Staates aber nicht nur als Begleiterscheinung jener Strategie, die der Staat zur Spaltung der Protestierenden hauptsächlich zum Einsatz bringt. Dieses – fehlgeschlagene – Manöver des Staates vollzog sich in einer zur Mobilisierung von diskriminierenden Einstellungen zweckdienlichen Form, die auf die Disziplinierung jener Teile der politisch ausschlaggebenden Mittelklasse/des politischen Zentrums/der „Arbeiteraristokratien“ hinauslief, die sich dafür zu erwärmen begonnen – bzw. davon hinreißen lassen – hatten, dass die Rebellion, sowohl was ihre Ursachen als auch was ihre Mittel angeht, gerechtfertigt sei. Waren es doch zum Teil ihre Kinder, die gegen das Regime der tatsächlichen oder zukünftigen prekären Proletarisierung protestierten. Doch der ideologische Fokus, den der Staat auf die MigrantInnen richtete, sollte nicht einfach als kalkulierte Verzerrung verstanden werden, hinter der sich die Absicht nach Spaltung der Rebellion verbarg, während diese schrittweise auf die Auflösung diverser Barrieren zustrebte. Für uns verweist diese unverhältnismäßige, gezielte Bestrafung von MigrantInnen[3] nicht nur auf eine Strategie, das schwächste und verletzbarste Glied zu treffen, sondern auch auf eine genuine, langfristige und strategische Angst des griechischen Staates vor den sich herausbildenden Praxen der Politisierung und Beteiligung von MigrantInnen; diese gaben, da sie sich an einer Rebellion beteiligten, für die diffuser und allgemeiner Protest charakteristisch war, de facto der direkten konfrontativen Aktion den Vorzug gegenüber einer befriedenden Repräsentation. Für den Staat war es äußerst wichtig, der migrantischen Bevölkerung die deutliche Botschaft zu übermitteln, dass „diese Tage“ nicht „ihre Tage“ waren; dass sie, die MigrantInnen, nicht die gleiche Behandlung erfahren würden wie die GriechInnen und dass ihre „Politisierung“ – ihre weitere und zukünftige Involvierung in radikale Widerstandspraktiken – nicht toleriert werden würde. An dieser Stelle müssen wir uns dem zweiten Moment des Gegenangriffs von Seiten des griechischen Polizeistaates zuwenden: und zwar dem Neologismus „Lathrotromokratis“, „klandestiner Terrorist“, der erstmals in der Ausgabe vom 20. Jänner 2009 der Zeitung „Eleftherotypia“ auftauchte: „Auf der Liste der Verdächtigen erscheinen MigrantInnen – abgesehen von jenen Personen, deren Profile bereits im Vorfeld von der Anti-Terror-Polizei umrissen wurden – erstmals an prominenter Stelle und ihre Akten werden nunmehr gründlich durchforstet […]. Das Flugblatt, das an der Wirtschaftsuniversität von Athen (ΑΣΟΕΕ) am 15. Dezember auf Albanisch und Griechisch und später auch in drei anderen Sprachen (Englisch, Französisch und Deutsch) zirkulierte, löste Bedenken nicht nur auf Seiten der Polizei, sondern auch in der Politik aus […]. Im Laufe mehrerer Sitzungen in den letzten Tagen im Innenministerium, an denen hochrangige Polizeioffizieren teilnahmen, wurde die Einschätzung geäußert, dass in der migrantischen Szene Vorgänge stattfanden, die eine Revision der Einwanderungspolitik innerhalb des allgemeinen Kontexts öffentlicher Sicherheit und Ordnung nötig werden lassen.“ Dieses „mysteriöse“ Flugblatt ist genau jenes, das unsere GenossInnen vom Steki (ein sozialer Ort) der albanischen MigrantInnen herausgaben und wir einige Zeit nach seiner Verbreitung auf Englisch übersetzten sowie auf unserer Website veröffentlichten. Wie der Steki in einer späteren Publikation erklärte, wies dieses Flugblatt die Unterschrift und Adresse des Steki auf[4] – was der Autor des Zeitungsartikels in seinem Bericht unterschlägt. „Wir sind daran gewöhnt, dass MigrantInnen für den Anstieg der Kriminalität und der Arbeitslosigkeit verantwortlich gemacht werden. Es scheint jedoch, dass sich die alten Bilder von MigrantInnen nicht mehr verkaufen lassen! Der „angesehene“ Journalist ist das Sprachrohr der neuesten Gedanken und Befehle sowohl der griechischen Polizei wie des Innenministeriums. Wir wissen genau, dass die Öffentlichkeit Meinungen dieser Art schätzt. Schließlich gerät der Feind mit Namen und Nationalität ins Blickfeld! Es ist der äußere Feind, der exotische Migrant! […] Es wäre völlig unangebracht, zu behaupten, dass die Polizei in Zusammenarbeit mit dem Innenministerium und den Medien dem öffentlichen Image der MigrantInnen Schaden zufügen wolle. Falls die Polizei aber tatsächlich auf diesem Wege nach TerroristInnen sucht, schadet sie doch nur ihrem eigenen Image. Wir wollen nicht die Intelligenz der führenden Köpfe der Polizei unterschätzen. Wir wissen ganz genau, dass diese „Aussetzer“ Propagandazwecken dienen und die Ablehnung aller Forderungen der zweiten Generation von MigrantInnen legitimieren sollen. Wie könnte jemandem eine unbeschränkte Aufenthaltsbewilligung gewährt werden, wenn er oder sie des Terrorismus verdächtig ist? Wie können in Griechenland geborene Kinder von MigrantInnen zum Erhalt der griechischen Staatsbürgerschaft berechtigt sein, wenn sie dazu berufen sind, TerroristInnen zu werden?“[5] Dieses abschreckende neue Wort ist in der Tat ein weiterer Begriff im ideologischen Arsenal des griechischen Staates, der im Wesentlichen für den zukünftigen Gebrauch bestimmt ist. Wenn die Stereotypen, die in den 1990er Jahren florierten (der albanische Dieb, der georgische oder rumänische Gangster, die russische oder bulgarische Prostituierte etc.), bis zu einem gewissen Grad ihre Fähigkeit zur Verbreitung moralischer Bestürzung eingebüßt haben, müssen neue erfunden werden. Doch wie erbärmlich ihre ideologischen Konstrukte auch sein mögen, so sollte deren Macht nicht unterschätzt werden; insbesondere wenn wir bedenken, dass sie dazu bestimmt sind, in den seit geraumer Zeit – während und nach der Revolte – systematisch gepflegten Diskurs einer sich verallgemeinernden Anomie eingespeist zu werden, der wiederum eigentlich alles als glaubwürdig einführen und verfestigen kann. Kurz gesagt, was MigrantInnen betrifft, hatten die begrifflichen und ideologischen Manöver des Staates einen deutlich wahrnehmbaren Unterton: „Rechnet mit dem Schlimmsten, nun werdet ihr bluten müssen, um hier irgendwelche Rechte zu erhalten.“ Dies wurde schneller bestätigt, als es sogar die AutorInnen dieses Textes erwarteten: Im April 2009 begann eine große Anti-Dezember-Repressionswelle, die ihren Höhepunkt in der Kooperation zwischen Polizei und faschistischen Gruppen gegen MigrantInnen im Zentrum von Athen fand. Im Juni wurde das Flüchtlingscamp in Patras niedergerissen – nach einem Monat verstärkter Kontrolle in der gesamten Bucht, in der Flüchtlinge in den letzten zehn Jahren versucht haben sollen, heimlich auf Lastschiffe zu klettern, um nach Italien zu gelangen. Zahlreiche brutale Übergriffe sind dokumentiert, großteils – jedoch nicht ausschließlich – von Seiten der Polizei. Die genaue Anzahl der Abschiebungen im Sommer ist uns nicht bekannt. Das „Einwandererproblem“ wurde die zentrale Propagandaplattform für die EU-Wahlen im Juni 2009. Die Regierung kündigte den Bau von etlichen Anhaltezentren an; es gab Diskussionen über ein neues Gesetz, das die Abschiebung von MigrantInnen nur auf Grund der Beschuldigung durch eine ZeugIn – ohne gerichtliche Anklageerhebung – erlaubt hätte, wenn im Falle einer Verurteilung das für das angebliche Verbrechen vorgesehene Strafausmaß 10 Monate Haft überschreitet. (Und als dann die neu gewählte PASOK-Regierung die Situation von 2008 wiederherstellte, ein Anhaltezentrum schloss und in Zukunft bessere Bedingungen für Flüchtlinge versprach, glaubten die meisten Leute, eine progressive Wende zu erleben.) „Vielleicht wacht ihr auf und verlasst eure Käfige, wenn die Bullen eure eigenen Kinder töten“ An wen richtet sich diese immer noch populäre anarchistische Parole? Allen, die mit den Gegebenheiten der griechischen anarchistischen Szene vertraut sind, ist klar, dass sich diese Parole an diejenigen Leute richtet, die „zusehen“ und die Demonstrationen an sich vorbei ziehen lassen, ohne sich zu beteiligen. Selbstverständlich bezieht sich der Slogan nicht nur auf „ihre Kinder“ als physische Nachkommen der zuhörenden Individuen, sondern auch auf junge Leute, die jenen realen oder imaginierten Gemeinschaften nahe stehen oder entstammen, denen die ZuhörerInnen – wie zumindest von den Rufenden angenommen wird – angehören. Dieser Slogan ist jedoch nicht dazu geeignet, sich an jede/n zu richten: Zu viele Kinder von MigrantInnen wurden in der Stadt und an den Grenzen von der Polizei getötet; nie jedoch gab es eine solche Antwort wie jene, die auf den Mord an Alexis Grigoropoulos folgte.[6] Es gibt keinen Zweifel daran, dass die politische Responsivität im Falle eines jungen in Exarcheia ermordeten Griechen nicht dieselbe ist wie bei all jenen Geschehnissen, in denen MigrantInnen oder Angehörige anderer Minderheiten zu Tode kommen. Vielleicht war der tragische Tod von Alexis in diesem Sinne ein Ereignis. Alle anderen Fälle waren bloße Geschehnisse. Wir sollten den Tod von Alexis auf diese Art und Weise betrachten: als Schnittfläche mehrerer Parameter, die den Ausbruch der Dezember-Revolte möglich machte: Alexis war ein Kind aus der oberen Mittelklasse, ein „normales“ Kind, getötet in Exarcheia – jenem Ort mit der größten gegenkulturellen und radikal-politischen Bedeutung in Griechenland. Seine Ermordung war eines jener tragischen möglichen und doch unmöglichen – war es doch ein Alexis, der ermordet wurde – Ereignisse, in dem Sinn, dass dieser Mord die Überschreitung einer symbolischen Grenze bedeutet: Das Eindringen des Polizeistaates in Griechenland in etwas, das für die involvierten sozialen Gruppen zu einer bestimmten Zeit und an einem besonderen Ort eine Art geheiligtes Territorium darstellt.[7] Zu den Bedingungen der Beteiligung Unter Bedingungen der Beteiligung verstehen wir hier die Erscheinungsformen einer Art impliziten Verhandlung auf der Straße, an der alle Instanzen des gesellschaftlichen Antagonismus mitwirken: In diesem Fall die Art sowie das Ausmaß des sozialen Gegenschlages, den die Protestierenden wagen konnten und den der Staat – nicht die gerade amtierende Regierung – innerhalb des griechischen gesellschaftlichen Gefüges tolerieren konnte. Wie bereits erwähnt, ruft „derselbe“ Vorfall (die Polizei ermordet einen Unschuldigen) im selben gesellschaftlichen Gefüge weder dieselbe Kräftekonstellation noch dieselben Entscheidungen bei den Beteiligten hervor. Die praktische Verständigung über die Einsätze, Grenzen und Möglichkeiten der Überschreitung in jeder möglichen Konstellation ist nicht für alle Involvierten dieselbe – ebenso wie die die Einsätze und Grenzen jeweils andere sind. Es gilt, zwei Mythen zu entkräften, die die Massenmedien während der Unruhen populär zu machen versuchten: nämlich erstens, dass die MigrantInnen ins Zentrum von Athen „einfielen“, um zu zerstören und zu plündern. Diese Metaphorik, die das Bild einer Invasion von Gaunern und Halunken nahe legt, ist einfach nur ideologisch: MigrantInnen bewohnen die verarmten Bezirke im Zentrum von Athen, die von den Massenmedien sonst als „das Ghetto dort“ stigmatisiert werden. Sie leben auch in weniger verarmten Bezirken, aber da sie dort vor allem arbeiten, halten sie sich nur vorübergehend in diesen auf und sind unsichtbar. Jedenfalls beteiligten sich die meisten MigrantInnen an dem, was in den Straßen in ihrem Lebensumfeld stattfand. Der zweite Mythos behauptet, dass sich viele MigrantInnen an den Unruhen in „chaotischer“ oder „unpolitisch“ rachsüchtiger Weise beteiligten, die ihrem Mangel an politischer Kultur geschuldet ist – ein Nebeneffekt ihrer Sozialisation unter autoritären Regimen in ihren Herkunftsländern. Diese Argumentationslinie war nicht nur in den Massenmedien, sondern auch in der Linken und sogar in der anarchistischen Szene weit verbreitet. Unserer Meinung nach sollten wir uns darum bemühen, die Klage über den Mangel an „demokratischer Kultur“ oder „demokratischen Absichten“ unter MigrantInnen, die diese davon abhält, an den direkt-demokratischen Verfahren der radikalen Szene teilzunehmen, zu durchschauen. Denn sie macht deutlich, in welchem Maß die Dezember-Revolte – ebenso wie viele der radikalen Aktivitäten im Allgemeinen – sich implizit an das Kräftespiel staatlicher Demokratiepolitik bzw., wenn man so will, an die „politische Hauptbühne“ richten – auch wenn behauptet wird, es gehe um ein „alternatives Universum“ von „Politisierung“ und Vergesellschaftung. Diese Sichtweise impliziert weitenteils auch eine rassistische Hierarchie von sozusagen mehr oder weniger legitimen Denkweisen, was dieselben Formen des Protests – sogar innerhalb der Unruhen selbst – angeht. Auch hier wollen wir uns nicht daran festmachen, wie Einzelne oder Gruppen zu Opfern einer diskriminierenden Haltung werden – oder eben nicht; vielmehr geht es uns um die Tatsache realer Unterschiede zwischen den meisten GriechInnen und den meisten MigrantInnen, was die praktische Verständigung über Formen und Ziele des Protests betrifft. Jede/r hat etwas zu verlieren; und die verhafteten MigrantInnen haben ihre klandestine Freiheit bereits verloren. Wir müssen uns hier nicht erneut auf den Wiederaneignungsaspekt des Plünderns berufen, um irgendjemanden zu „entschuldigen“. Politisch wichtig ist allein die Tatsache, dass einige MigrantInnen diesen Aspekt auf die Straße getragen haben. Über Teufelskreise der Absonderung MigrantInnen verstehen sich selbst als die prekärste soziale Gruppe innerhalb der griechischen Gesellschaft; und das sind sie auch. Das macht die meisten von ihnen sehr zurückhaltend, wenn es um Formen des „politischen“ Engagements geht, ganz zu schweigen von „radikaler Politik“, deren Wirksamkeit hinsichtlich einer Verbesserung der elementaren materiellen Bedingungen individueller Lebensweisen sehr wenig spürbar bleibt. Diese Zurückhaltung, die tatsächlich zerstörerische Effekte zeitigt, was das Maß der verantwortlichen Beteiligung, des politischen Lernens sowie der politischen Aktivierung von MigrantInnen angeht, verstärkt ihrerseits die impliziten Barrieren, die von vielen radikalen Organisationen in Griechenland errichtet werden, insofern diese erwarten, dass sich ihnen ausschließlich „voll entwickelte radikale Subjekte“ à la grecque anschließen. Kurz könnte man sagen, zeichnet diese maniera greca sich ausnahmslos aus durch: formelhafte Praktiken, informelle Hierarchien, Machismus, „Spontaneismus“ und Kurzsichtigkeit, Gewalt- (oder Gewaltlosigkeits-)Fetischismus, Intellektualismus, Verbalismus[8], Fragmentierung, Mangel an Reflexion und Selbstkritik sowie auf einer elementareren Ebene die ausgrenzende Wichtigkeit junger Einzelpersonen, die Aufrechterhaltung von Ungleichheiten, die von unterschiedlichen Positionierungen in der Gesellschaft herrühren, ebenso wie die Bewahrung von traditionellen, erstickenden und Ungleichheit produzierenden familiären Fesseln; d. h. diese maniera greca zeichnet sich durch alle problematischen „impliziten Codes“ aus, die den modus operandi von auf „Piazzas“ operierenden „Cliquen“ ausmachen – während sie zugleich die staatliche Politik adressieren –, sowie durch die soziale Grundstruktur radikaler Politik in Griechenland als Lifestyle. Noch schwieriger zu entwirren und zu bewältigen wird die Situation, wenn das Aufeinandertreffen auf Seiten der MigrantInnen durch ethnische, ghettoähnlich strukturierte Netzwerke vermittelt wird, sei es in Form von „Vereinen“ oder nicht. Es ist kein Zufall, dass diese relativ weit verbreiteten Formen migrantischer Organisierung auf Graswurzelebene in der Tat genau den gleichen ausschließenden Problemen und organisatorischen Schwächen zum Opfer fallen, wie sie auch den oben erwähnten griechischen radikalen Gruppen eigen sind. Auch wenn es hier um „greifbarere“ Probleme der Migration geht und selbstverständlich nicht um einen radikalen politischen Purismus oder politische Korrektheit, da Überlebensstrategien im Mittelpunkt stehen, ist das Ergebnis doch das gleiche: ausschließende Strukturen mit beständiger Produktion von „AußenseiterInnen“, Hierarchien, Personenzentriertheit und Kurzsichtigkeit. Diese Netzwerke dienen zwar den realen Bedürfnissen der migrantischen Bevölkerung – direkte und praktische Solidarität, Sozialisierung, Selbstschutz –, sind aber weder stark genug, um langfristige und unabhängige radikale Massenprojekte hervorzubringen, noch, um koordiniert zu handeln – und beabsichtigen dies auch nicht. Zu verschiedenen Generationen von MigrantInnen Während der Unruhen und auf den Barrikaden wurden, zumindest in Thessaloniki und unserer Erfahrung nach, nicht nur Griechisch, sondern auch Albanisch, Russisch, Bulgarisch, Türkisch und in vielen anderen Sprachen gesprochen. Das ist selbstverständlich der Tatsache geschuldet, dass sich viele aus der „zweiten Generation“ beteiligten. Wir wollen hier auch versuchen, deren Bedingungen der Teilhabe analysieren. Seit Migration zu einem Thema in der griechischen Gesellschaft wurde, war die Polizei als einzige staatliche Institution damit betraut, sich systematisch und regelmäßig mit MigrantInnen auseinanderzusetzen. Das ist die traurige Wahrheit in einem Staat, der für seine migrantische Bevölkerung keinerlei Sozialleistungen bereitgestellt hat. Die Geschichte dieses zwanzig Jahre währenden engen Kontakts zwischen Polizei und migrantischer Bevölkerung ist eine Geschichte von Ausbeutung, Misshandlung und Mord. Es ist die Geschichte der migrantischen „Angst vor den Bullen“. Und im Hinblick auf die Ereignisse im Dezember ist es die Geschichte des Widerstands gegen diese Angst. Was wir in unseren Diskussionen als „Angst vor den Bullen“ bezeichnen, ist ein komplexes Geschehen, das eine Differenzierung zwischen der ersten und der zweiten Generation von MigrantInnen impliziert. Bei jenen, die zunächst mit ihrer Familie Anfang oder Mitte der 1990er Jahre nach Griechenland gekommen sind bzw. bei denen, die jetzt ankommen, bewirkt der Anblick der griechischen Polizeikräfte sozusagen einen „Brechreiz“ als spontane und instinktive Reaktion auf die drohende Gefahr; eine Erinnerung an die Angst, die sie während den Grenzüberschreitung(en), den „Räumungsoperationen“ und angesichts der Straßensperren zur Anhaltung und Durchsuchung verspürten; ein Gefühl der Prekarität gegenüber dem griechischen Staat im Allgemeinen. Die PolizistIn war lange und ausschließlich genug die Personifizierung des griechischen Staates, sodass für einen großen Teil der migrantischen Bevölkerung die Möglichkeit einer Konfrontation mit dieser Instanz ausradiert wurde – sie kann ausgetrickst, bestochen oder ertragen werden. Die Teilnahme an einer Aktion gegen die Polizei käme einer Konfrontation mit dem griechischen Staat selbst gleich; und gegenüber diesem kann man keine Forderungen stellen, sondern muss dankbar sein kann, wenn man nicht misshandelt wird (deshalb werden auch harte, aber gesetzeskonforme bürokratische Haltungen der Polizei von MigrantInnen manchmal positiv aufgenommen). Mit der zweiten Generation verhält es sich anders. Die für sie nähere staatliche Institution ist das Bildungssystem, die Schule, da die Kinder von MigrantInnen relativ kurz nach dem Massenzustrom an den öffentlichen Schulen zugelassen wurden – was nicht heißt, dass über die Zulassung hinaus besondere Sorge für ihre Integration unter gleichen Bedingungen getragen wurde. Und doch bringt die rechtliche Sicherheit einer Teilhabe am öffentlichen Bildungswesen Griechenlands und das Aufwachsen sowie die Sozialisierung im monokulturellen griechischen Kontext, der nicht mehr als eine bedingungslose Assimilation zulässt, einen kulturellen Selbstentwurf mit sich, der zwar nicht darauf hinausläuft „GriechIn zu sein“, aber zumindest auch nicht darauf, etwas anderes oder anders zu sein. Dies führt zu einer anderen Responsivität gegenüber dem griechischen Staat. Obwohl sie „bereits in der Wiege mit Rassismus“ konfrontiert werden und die „zweite Generation“ oftmals nicht nur keine griechische, sondern gar keine StaatsbürgerInnenschaft innehat, ist die Haltung der Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die in Griechenland aufgewachsen sind, der Haltung gleichaltriger GriechInnen in vielerlei Hinsicht ähnlicher als der ihrer migrantischen Eltern. Sie dulden keine Diskriminierung und geben sich mit dem, was sie (nicht) haben, nicht zufrieden. Die Familie und die kulturelle Erinnerung an die Nöte ihrer Eltern rufen kein Mehr an Angst, sondern ein Mehr an Zorn hervor. In Griechenland gibt es beinahe keine Debatten über kulturelle Identität. Das griechische kulturelle Milieu ist bemerkenswert monologisch und die unwesentliche öffentliche Diskussion setzt sich in vernachlässigbare Politik oder vernachlässigbaren Einfluss um. Seit der Gründung des griechischen Staates waren Fragen der kulturellen Vielfalt eng verwoben mit Ideen von territorialer Expansion (Irredentismus[9], Hellenismus) oder territorialer Bedrohung (Kommunismus als „Slawismus“, d. h. BulgarInnen als „fünfte Kolonne“[10]). Seit der Niederlage im Bürgerkrieg ist sogar die Linke mehr und mehr in Richtung nachdrücklicher Beteuerungen der nationalen Einheit und Einförmigkeit geglitten und sicherte sich so zwar selbst die Legitimität zur Verleihung von „respektablen“ Positionen in der öffentlichen Sphäre, kümmerte sich aber nicht darum, mehr Vorteile für jene Bevölkerungsgruppen zu gewährleisten, die unter starkem kulturellen und sozialen Druck stehen. So kann es sich der offizielle griechische Staat beinahe problemlos leisten, Minderheiten oder andere Kulturen nicht anzuerkennen und diese mehr oder weniger als den inneren Feind zu behandeln. Über Zugehörigkeit und Kämpfe In die gegenwärtigen migrantischen Lebensläufe übersetzt sich der oben beschriebene Zusammenhang in folgenden Gemeinplatz: Wer sich nicht assimiliert (nicht assimilieren kann oder will), kann nur marginalisiert werden. Aber das beinhaltet möglicherweise eine unerwartete Wendung, die hier von Interesse ist: Die bedingungslose Assimilation, die der griechische Staat und die griechische Mainstream-Gesellschaft der migrantischen Bevölkerung explizit wie auch implizit abverlangen, wirkt sich auf die zweite Generation ihrerseits wiederum als Nötigung, aber auch als Ermutigung und Ermöglichung aus, sich sozusagen „griechische Lebensweisen“ anzueignen – zumindest für diejenigen aus der zweiten Generation, die dazu in der Lage sind. Auch wenn also Akzeptiertwerden in der griechischen Gesellschaft nur durch die Übernahme der griechischen Lebensweise erreicht werden kann, verbindet sich damit für die Individuen, für die dies machbar ist und ausreichend gefestigt werden kann, ein Zugehörigkeitssinn und eine Selbstbestätigung. Dieser Zugehörigkeitssinn sowie diese Zuversicht bedeuten nicht nur größere persönliche Ambitionen, sondern in einigen Fällen auch eine „Wiederentdeckung“ und intensive Aufarbeitung der migrantischen Identität und der ethnischen/kulturellen Differenz (der Eltern). Was jedoch hinsichtlich dieses Zugehörigkeitssinns von größerem Interesse ist, ist der von den meisten – insbesondere von jungen – MigrantInnen geteilte Standpunkt, dass sie eher die griechische Gesellschaft adressieren und mit ihr als gegen sie oder getrennt von ihr kämpfen können und sollten. Auch dies ist ein Produkt sowohl der Wahlmöglichkeit wie auch der Notwendigkeit – in einem Staat, in dem der strukturelle Rassismus grassiert und sich die „Entfremdung“ vom Staat sozusagen stärker niederschlägt als die Entfremdung von der Gesellschaft, und zwar trotz der im griechischen Alltagsleben wie in der Verwaltung allgegenwärtigen Diskriminierung. Haben sich MigrantInnen der „zweiten Generation“ an den Protesten von Dezember „unter griechischen Bedingungen“ beteiligt? Das könnte Verschiedenes bedeuten, was MigrantInnen anbelangt: dass sie sich im allgemeinen Protest „aufgelöst“ haben und darin „aufgegangen“ sind; dass sie innerhalb nicht-migrantischer Organisationen agierten; dass sie die Diskurse und Praxen der unterschiedlichen Bestandteile der griechischen Bewegung „en gros“ für ihre migrantischen Organisationen übernahmen etc. Aber jedenfalls bedeutet es, dass es ihnen nicht gelang, dem Protest spezifische Charakteristika oder Forderungen einzuschreiben. Wir wollen hier nicht die (als Journalismus maskierte) Propaganda des Ministeriums für öffentliche Sicherheit reproduzieren und behaupten, dass „Proteste von afghanischen Flüchtlingen antiautoritäre Züge annehmen“, wie dies etwa anlässlich der Unruhen im Hafen von Patras im Jänner 2008, an denen sich über 1000 AfghanInnen beteiligten, sowie im August 2008 während des No Border Camps betrieben wurde – als ob Menschen, die einen Krieg erlebt haben, nicht mit gewaltförmigen Konfrontationspraxen vertraut wären … Was wir beschreiben wollen, ist sozusagen die innere Dynamik, die hinter dem Umstand steht, dass MigrantInnen der „zweiten Generation“, insbesondere viele AlbanerInnen, aktiven Anteil an den Ereignissen von Dezember gehabt haben, nicht jedoch eine eigene deutlich wahrnehmbare Stimme. Ein allgemeiner Eindruck könnte in der folgendem ambivalenten Empfindung gefasst werden: Optimismus hinsichtlich der Beteiligung von MigrantInnen der zweiten Generation und gleichzeitig einige Bedenken – zumindest für jene unter uns, die nicht auf Zugewinne bei Wahlen oder ein Mehr an Mitgliedschaften bei Splittergruppen aus sind – über das relative Fehlen der Artikulation erkennbarer migrantischer Forderungen oder Formen der Beteiligung (worunter wir vor allem eine an andere MigrantInnen gerichtete Beteiligung verstehen). Das ist eine widersprüchliche Situation. Wir haben bereits auf die Grenzen hingewiesen, die jede Sichtweise impliziert, welche die nach wie vor existierenden Segregationen und Differenzen innerhalb der Bewegung ignoriert, um für die Etablierung einer authentischen „Einheit“ oder „Gemeinsamkeit“ bzw. einer „gemeinsamen Kultur des Kampfes“ zu argumentieren. Wir nehmen nun einen letzten kurzen Umweg zur Ausarbeitung dieses Fehlens migrantischer Artikulation. Unser Vorschlag läuft darauf hinaus, dies als Ausdruck der Tatsache zu sehen, dass der „Kulturalismus“, wie oben bereits angedeutet, von der pro-migrantischen Bewegung keinesfalls als Essenz oder auch nur als wesentlich hinsichtlich Fragen der Migration erachtet wurde; dieser vorsätzlich „blinde Fleck“ gegenüber kultureller/ethnischer Identitätspolitik hat in Griechenland die Emphase, die Zeit, die Energie und die Ressourcen aufgespart, die anderswo in Debatten über Beziehungen zwischen verschiedenen Communities oder über ethnische Identitätspolitik kanalisiert werden; dadurch blieb relativ gesehen mehr Raum für nachdrückliche und konfrontative Diskurse gegen die Zentralgewalt. Auf der anderen Seite macht es dieser Mangel an Diskussion schwierig, Themen, die illegalisierte MigrantInnen betreffen, in einem kämpferisch-produktiven Rahmen in die Bewegung einzubringen und die praktischen, oft diskriminierenden Bedingungen, unter denen sich MigrantInnen an politischen Abläufen beteiligen oder nicht, kritisch anzusprechen. So sah sich der „Steki albanischer MigrantInnen“ mitten im Sommer der gegen MigrantInnen gerichteten Repression dazu genötigt, zu betonen: „Solidarität zu zeigen bedeutet, ein Verständnis dafür entwickeln zu können, dass AlbanerIn, BulgarIn oder Pakistani zu sein keine Frage der Wahl ist – im Gegensatz zu Nationalistin, Internationalistin, links oder rechts sein –, obwohl dies auf einer praktischen Ebene nichtsdestoweniger die meisten Aspekte des Lebens der Betroffenen bestimmt.“[11] Weder waren MigrantInnen eine Speerspitze, noch Migration ein im Vordergrund stehendes Thema während der Dezember-Revolte. Wir können es uns nicht verkneifen darauf hinzuweisen, dass dies eine problematische Artikulation genuin sozialer Fragen und Gründe für einen entschlossenen Widerstand gegen den Staat durch viele der Praktiken der Revolte sichtbar werden lässt, die die Bewegung nicht gegen die Methoden der kommenden Aufstandsbekämpfung immunisieren konnte. Der düsterste Schatten senkte sich allerdings mit dem Auftauchen der selbsternannten bewaffneten Avantgarde nieder: „Die Notwendigkeit, den proletarischen Zorn politisch zu vermitteln – und sei es, ihn durch eine bewaffnete Vermittlung zu vermitteln –, hatte seine Ursache nicht im Kampf selbst, sondern war etwas, das dem Kampf von außen und danach aufgezwungen wurde. Zu Beginn kam es zu zwei Angriffen durch die so genannte ,bewaffnete Avantgarde‘: erstmals am 23. Dezember, nachdem die Rebellion ihren Höhepunkt erreicht hatte, und schließlich am 5. Jänner mit dem Wiederaufleben der Rebellion. Von einem proletarischen Standpunkt aus betrachtet war alleine die Tatsache, dass wir nach einem Monat zu ZeugInnen dieser ,exemplarischen Handlungen‘ wurden, die niemals Teil unserer kollektiven Praxis waren, an sich bereits eine Niederlage – selbst wenn diese Angriffe nicht vom Staat organisiert wurden. […] Als die Rebellion abflaute, kam es zu einer bemerkenswerten Zunahme von Angriffen gegen Banken und staatliche Gebäude durch etliche Gruppen, die nicht der Kategorie der Taten der ,bewaffneten Avantgarde‘ zugeordnet werden können, da die meisten von ihnen nicht den Anspruch erhoben, der gegenwärtigen Bewegung voraus zu sein (obwohl es ihnen nicht notwendigerweise an einer voluntaristischen, arroganten Haltung mangelte). Die Wiederkehr der ,bewaffneten Avantgarde‘ ausgerechnet mit der Hinrichtung eines Polizisten einer Anti-Terror-Einheit Anfang Juni, gerade als die Erinnerung an die Rebellion schwand, lieferte dem Militarismus und der Eskalation reiner Gewalt einen Vorwand, sich selbst als Alternative zu einem (kleinen?) Teil derer zu präsentieren, die sich an der Rebellion beteiligten – als ob wir durch die politische Toleranz der antiautoritären Szene gegenüber dieser Aktion zu beurteilen wären.“[12] Abschließend wollen wir folgendes festhalten: Viele MigrantInnen der zweiten Generation beteiligten sich nicht nur deshalb an der Revolte im Dezember, um für ihre eigene prekäre Gegenwart und Zukunft einzutreten, sondern auch um Rache für das vergangene Leiden ihrer älteren Familienmitglieder in Griechenland zu nehmen – was sie vielleicht von ihren AltersgenossInnen unterscheidet. Die Ursache für das Fehlen „spezifischer Forderungen“ ist wiederum Ergebnis ihrer ambivalenten Position: Einerseits sind sie ein Teil der griechischen Gesellschaft und trafen sich im Hinblick auf den Widerstandsgeist im Dezember; andererseits wussten die MigrantInnen zweiter Generation, dass sie, selbst wenn sie spezifische Themen oder Forderungen angesprochen hätten, ohnehin nicht gehört worden wären. Clandestina ist ein mehrsprachiges Informations- und Koordinationsnetzwerk zu Migrationspolitik(en) und Widerstand. http://clandestinenglish.wordpress.com/ [1] Zwei kürzlich erschienene Texte sind: „A Day when Nothing is Certain: Writings on the Greek Insurrection“, vgl.: http://www.occupiedlondon.org/blog/wp-content/uploads/2009/11/a-day-when-nothing-is-certain.pdf sowie „Everyone to the Streets: Communiques and Texts from the Streets and Occupations“; dieser Text kann hier bestellt werden: http://56a.org.uk/ [2] Δρόμος (Dromos) wurde 2008 von einigen GriechInnen und MigrantInnen gegründet. Dromos führte eine Kampagne gegen die „Richtlinie der Schande“ (Rückführungsrichtlinie der EU von Juni 2008, die primär auf zwei ausgrenzenden Maßnahmen basiert: die Einführung einer willkürlichen Inhaftierung von Menschen ohne Papiere bis zu 18 Monate und die gewaltsame Rückführung ohne die Möglichkeit, innerhalb der nächsten 5 Jahre wieder europäischen Boden zu betreten). Dromos veranstaltete politische Diskussionen und Filmvorführungen, gemeinsam mit der Libertarian Syndicalist Union. Es wurden Sonntagsfrühstücke angeboten und einige Cocktailpartys gegeben (die manchmal zu erfolgreich waren). Dromos ist vor kurzem in eine ehemalige Tischlerwerkstatt in einer Fußgängerzone im Zentrum von Thessaloniki umgezogen und steht MigrantInnen, Flüchtlingen und anderen offen. Dort finden Sprachkurse, politische und kulturelle Veranstaltungen statt. Wir werden sehen, was noch. Wie jede Straße (=δρόμος), bauen wir sie, während wir darauf gehen. [3] Vgl. den Text „Prison and Deportation for Holding a Cell Phone Charger!“, http://clandestinenglish.wordpress.com/2008/12/19/prison-and-deportation-for-holding-a-cellphone-charger/ [4] Vgl. „Our Share of these Days!“, http://clandestinenglish.wordpress.com/2008/12/19/our-share-of-these-days/ [5] Siehe das Posting auf ihrem Blog http://steki-am.blogspot.com/2009/01/11012009.html (Text auf Griechisch) [6] Für eine ausführliche Liste dieser Morde vgl. den Text „Greece: 5 Immigrants Murdered in one Year, 50 in the last Decade“, http://clandestinenglish.wordpress.com/2009/10/14/greece-five-immigrants-murdered-in-one-year-15-in-the-last-decade/. Ebenfalls erwähnenswert ist, dass, einige Stunden bevor Alexis Grigoropoulos erschossen wurde, ein 26tägiger Hungerstreik von MigrantInnen in Chania auf Kreta beendet wurde, nachdem die Hungerstreikenden mit vielen ihrer Forderungen erfolgreich waren, obschon es trotz der Anstrengungen der lokalen „Solidarity Assembly and Forum of Immigrants“ nicht gelang, die lokale Solidaritätsbewegung auf ganz Griechenland auszuweiten. [7] Der Tod von Alexis war die traumatische Wiederholung des Mordes an dem 15jährigen Michalis Kaltezas, der 1985 in Exarcheia vom einem Polizisten in den Kopf geschossen wurde – während einer Demonstration zum Jahrestag des Aufstandes von SchülerInnen an der Polytechnischen Schule gegen die Diktatur im Jahr 1973. Der Tod von Michalis Kaltezas ist seither Symbol der Brutalität der Polizei und Bezugspunkt von AnarchistInnen und Antiautoritären. [8] Verbalismus meint hier, dass die Form des sprachlichen Ausdrucks wichtiger genommen wird als der Inhalt des Ausgedrückten. (Anm. d. Übers.) [9] Irredentismus bezeichnet eine Ideologie, die auf die Zusammenführung möglichst aller Angehörigen einer bestimmten Ethnie in einem einheitlichen Staat hinzielt, in der Regel durch Annexion von Gebieten anderer Staaten; siehe auch http://de.wikipedia.org/wiki/Irredentismus (Anm. d. Übers.) [10] Zumindest bis Anfang 2001 war den slawischen VeteranInnen des Bürgerkriegs auf Seiten der KommunistInnen die Rückkehr – und sei es zu einem Kurzbesuch – in ihre Heimatdörfer in Griechenland verwehrt, da sich die Rehabilitierung der kommunistischen BürgerkriegsteilnehmerInnen von 1982 durch den griechischen Staat nur auf die „ellines to genos“ (d.h. „mit griechischer Abstammung“) bezieht. Zur Politik des griechischen Staates gegenüber der bulgarischen bzw. slawischen Minderheit in Griechenland vgl. Christian Voss, Die slavische Minderheit in Griechenland. Politik der kleinen Schritte und die Liberalisierung in Ägäis-Makedonien, http://www.gfbv.de/inhaltsDok.php?id=197 (Anm. d. Übers.) [11] Vgl. auch den Text des Albanian Immigrants Haunt (auf Griechisch) http://steki-am.blogspot.com/2009/07/normal-0-microsoftinternetexplorer4_08.html [12] Vgl. „The Rebellious Passage of a Proletarian Minority through a Brief Period of Time – TPTG“, http://libcom.org/library/rebellious-passage-proletarian-minority-through-brief-period-time-tptg |
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