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Die hier vorliegende journalistische Intervention von S’bu Zikode, des Vorsitzenden von Abahlali baseMjondolo, löste bei ihrem Erscheinen im November 2005 eine landesweite Sensation aus, insbesondere auch aufgrund der Nachdrücklichkeit, in der der Text verfasst ist. Der Ausdruck „dritte Kraft“ wurde Bestandteil der nationalen Vorstellungskraft in Südafrika, nachdem er zuvor zur Bezeichnung der Sicherheitskräfte des Apartheidregimes verwendet worden war, die den Zulu-Nationalisten, die in den letzten Jahren der Apartheid einen Krieg gegen den ANC [African National Congress] führten, militärische Unterstützung angeboten hatten. Der Terminus „dritte Kraft“ war äußerst pejorativ konnotiert und impliziert verborgene weiße Manipulation auf ein böses Ende hin. In diesem Text macht S’bu Zikode den Vorschlag einer aufsehenerregenden und in mancher Hinsicht hochgradig militanten Antwort auf die Behauptungen, die „dritte Kraft“ stehe hinter den von Abahlali baseMjondolo organisierten Massenmobilisierungen. 

S’bu Zikode: Die „dritte Kraft“

übersetzt von Birgit Mennel

Die Bewegung der BarackenbewohnerInnen [shack dwellers movement], die Tausenden von Menschen in Durban Hoffnung gab, wird immer beschuldigt, Teil der „dritten Kraft“ zu sein. Dies wird in Zeitungen und in allen möglichen Sitzungen wieder und wieder wiederholt. Sie verschwenden sogar Geld, um Nachforschungen über die „dritte Kraft“ anzustellen. Die Frage der „dritten Kraft“ muss also thematisiert werden, um eine Verwirrung unter den Menschen zu vermeiden.

Ich muss jene GenossInnen, Regierungsbedienstete, PolitikerInnen und Intellektuelle, die über die „dritte Kraft“ sprechen, warnen: Sie haben keine Ahnung, wovon sie reden. Sie fliegen zu hoch, um wirklich zu fühlen, was wir fühlen. Sie wollen immer an unserer statt und für uns sprechen, aber sie müssen zulassen, dass wir selbst über unsere Leben und unsere Kämpfe reden.

Wir müssen einige Dinge klarstellen: Es gibt zweifellos eine „dritte Kraft“. Die Frage bleibt: Was ist diese „dritte Kraft“ und wer ist Teil davon? Nun, ich selbst bin die „dritte Kraft“. Die „dritte Kraft“ ist all der Schmerz und das Leiden, dem die Armen in jeder Sekunde ihres Lebens unterworfen sind. Die BarackenbewohnerInnen können einiges über die „dritte Kraft“ erzählen. Es ist Zeit für uns, unsere Stimmen zu erheben und zu sagen: Das sind wir, hier sind wir und so leben wir. Das Leben, das wir leben, macht aus unseren Gemeinschaften die „dritte Kraft“. Die meisten von uns haben keine Arbeit und müssen jeden Tag damit zubringen, ein kleines bisschen Geld aufzustellen. AIDS ist in den Barackensiedlungen schlimmer als anderswo. Ohne eigene Häuser, Wasser, Elektrizität, Müllbeseitigung und Toiletten pflanzen sich alle möglichen Krankheiten fort. Die Gründe sind klar erkennbar und jeder Dick, Tom und Harry kann sie verstehen. Unsere Körper jucken jeden Tag wegen der Insekten. Wenn es regnet, ist alles nass – Decken und Böden. Ist es heiß, sind immer Moskitos und Fliegen da. In den Baracken gibt es keinen Urlaub. Der Einbruch des Abends ist immer eine Herausforderung. Die Nacht soll dazu dienen, sich zu erholen und auszuruhen. Aber in den jondolos geschieht das nicht. Die Menschen bleiben wach und sorgen sich um ihr Leben. Ihr solltet sehen, wie groß die Ratten sind, die in der Nacht über die kleinen Babys laufen. Ihr solltet sehen, wie die Menschen, wenn es regnet, unter Brücken schlafen müssen, weil die Böden so nass sind. Der Regen dringt in die Häuser der Leute ein. Manche Menschen bleiben die ganze Nacht wach.

Aber Armut bedeutet nicht nur zu leiden. Sie bedroht uns jeden Tag mit dem Tod. Wir haben gesehen, wie gefährlich Armut sein kann. In der Siedlung in der Kennedy Road haben wir erlebt, wie Mhlengi Khumalo, ein einjähriges Kind, letzten Monat in einem Barackenbrand gestorben ist. Sieben andere sind in den Bränden ums Leben gekommen, seit eThekwini Metro den Entschluss gefasst hat, die Elektrizitätslieferungen an informelle Siedlungen einzustellen. Es gibt viele Mhlengis im ganzen Land. Armut bedroht selbst Menschen in Wohnungen. In Bayview in Chatsworth verhungerte eine Frau früher in diesem Jahr – sie wagte es nicht, ihren Nachbarn zu sagen, dass sie kein Essen hatte, und sie starb, allein.

Die MachthaberInnen sind blind für unser Leiden. Das ist darauf zurückzuführen, dass sie nicht gesehen haben, was wir sehen; dass sie nicht gefühlt haben, was wir jede Sekunde, jeden Tag fühlen. Meine Bitte ist, dass all jene AnführerInnen, die um die Leben der Menschen besorgt sind, in die jondolos kommen und mindestens eine Woche dort bleiben müssen. Sie müssen den Dreck fühlen. Sie müssen sechs Toiletten mit 6000 Menschen teilen. Sie müssen ihren eigenen Abfall loswerden, während sie neben der Müllhalde leben. Sie müssen uns begleiten, während wir Arbeit suchen. Sie müssen die Ratten verjagen und die Kinder davon abhalten, gegen die Kerzen zu stoßen. Sie müssen sich um die Kranken kümmern, wenn lange Schlangen vor dem Wasserhahn stehen. Es muss ihre Aufgabe sein, den Kindern zu erklären, warum sie nicht die technische Hochschule besuchen können, die am Fuß des Hügels liegt. Sie müssen dabei sein, wenn wir unsere Kinder begraben, die in den Bränden, an Durchfall oder AIDS gestorben sind.

Der wichtigste Kampf für uns ist der für unsere Anerkennung als menschliche Wesen. Während der Kämpfe vor 1994 gab es nur zwei Ebenen, zwei Klassen – die Reichen und die Armen. Jetzt, nach den Wahlen gibt es drei Klassen – die Armen, die Mittelklasse und die Reichen. Die Armen wurden von der Mittelklasse abgespalten. Wir werden immer ärmer und der Rest wird immer reicher. Wir sind auf uns allein gestellt. Wir sind ganz allein. 

Unser Präsident Mbeki politisiert – unser Ministerpräsident Ndebele, Shilowa in Gauteng und Rasool in Western Cape politisieren ebenso wie alle BürgermeisterInnen im ganzen Land. Aber wer wird über die wahren Probleme sprechen, die die Menschen jeden Tag bewegen – Wasser, Elektrizität, Land, Behausung? Wir dachten, eine lokale Regierung würde weniger über Politik sprechen und sich auf die Bedürfnisse der Menschen konzentrieren. Aber alles wird zur Politik.

Wir haben bemerkt, dass uns unsere Stadtverwaltung nicht zuhört, wenn wir mit ihnen in Zulu sprechen. Wir haben es in Englisch versucht. Jetzt haben wir begriffen, dass sie auch Xhosa oder Sotho nicht verstehen werden. Die einzige Sprache, die sie verstehen, ist, wenn wir Tausende Menschen auf die Straße bringen. Wir haben die Ergebnisse gesehen und das hat uns Mut gegeben. Das funktioniert sehr gut. Es ist das einzige Werkzeug, das wir für die Emanzipation unserer Leute zur Verfügung haben. Warum sollten wir damit aufhören?

Wir sind in unserem Leiden gereift. Wir hatten ein Programm, um einen Weg nach Vorne zu finden. Unser Programm bestand in der Fortsetzung der friedlichen Verhandlungen mit den Autoritäten, die erstmals vor zehn Jahren begonnen wurden. Aber unser Plan wurde vereitelt. Wir wurden belogen. Wir mussten uns einen Alternativplan einfallen lassen.

Der 16. Februar 2005 war der Beginn unseres Kampfes. An diesem Tag hatte das Kennedy Road Komitee eine sehr erfolgreiche Sitzung mit dem Vorsitz des Wohnbau-Portfolios vom Lenkungsausschuss der Stadtverwaltung, mit dem für Wohnbau zuständigen Direktor und mit dem Stadtrat des Wahlbezirks. Sie alle haben uns das leer stehende Land in Clare Estate zur Bebauung versprochen. Das Land in der Elf Road war eines der uns versprochenen Areale. Aber dann wurden wir von den Leuten betrogen, denen wir am meisten Vertrauen geschenkt hatten. Ohne Warnung oder Erklärung begannen nur einen Monat später Bulldozer das Land umzugraben. Die Leute waren aufgeregt. Sie gingen hin, um zu sehen, was geschah, und waren schockiert, als ihnen gesagt wurde, dass dort eine Ziegelfabrik gebaut werden soll. Es gingen noch mehr Menschen hinunter, um das zu sehen. Wir waren so viele, dass wir die Straße blockierten. Der Mann, der die Fabrik baut, rief die Polizei und unseren lokalen Stadtrat, jenen Mann, der durch unsere Stimmen an die Macht gekommen ist und auf den wir all unser Vertrauen und unsere Hoffnung gesetzt haben. Dieser Mann sagte zur Polizei: „Verhaftet diese Menschen, sie sind Verbrecher“. Die Polizei schlug uns, ihre Hunde bissen uns und sie verhafteten vierzehn von uns. Wir fragten nach, was mit dem versprochenen Land geschehen war. Uns wurde gesagt: „Wer seid ihr, dass ihr glaubt, einen Anspruch auf dieses Land zu haben?“ Dieser Verrat mobilisierte die Menschen. Die Menschen, die uns betrogen haben, sind für diese Bewegung verantwortlich. Sie sind die „zweite Kraft“.

Unsere Bewegung begann mit vierzehn Verhaftungen – wir nennen sie die vierzehn HeldInnen. Mittlerweile sind wir vierzehn Siedlungseinheiten, die sich als Abahlali baseMondolo [BarackenbewohnerInnen] zusammengetan haben. Jede Siedlung hält einmal pro Woche eine Versammlung ab; die AnführerInnen aller Siedlungen versammeln sich einmal in der Woche. Wir sind zum Gespräch bereit, aber sollte dies nichts bringen, sind wir darauf vorbereitet, unsere Kraft einzusetzen. Wir werden tun, was immer nötig ist, um zu bekommen, was wir für ein sicheres Leben brauchen.

Aus unserer Erfahrung haben wir gelernt, dass, wenn man versucht zu erreichen, was man haben möchte, wenn man auf dem Wege friedlicher Verhandlungen, mit Bescheidenheit und Respekt für die Autorität erreichen will, was nur legitim ist, dass dieses Gesuch zum Verbrechen erklärt wird. Wir wurden mehr als zehn Jahre lang hintergangen, verarscht und demoralisiert. Darum sind wir auf die Straßen gegangen. Wenn wir uns dort zu Tausenden versammeln, werden wir ernst genommen.

Der Kampf, der in der Kennedy Road seinen Ausgang nahm, ist der Beginn einer neuen Ära. Uns sind die Strategien gegenwärtig, die die Polizei einsetzt, um die Armen zu demoralisieren und zu bedrohen. Es kümmert uns nicht, dass sie Gefängnisse für uns bauen und mehr Sicherheitskräfte anwerben, wenn sie keine Bereitschaft zeigen, das zu hören, was wir sagen. Es ist für alle BarackenbewohnerInnen wichtig zu wissen, dass wir Kenntnis davon haben, was im Stadtteil Alexander in Johannesburg, in Port Elizabeth und in Kapstadt vor sich geht. Wir wissen, dass wir nicht allein sind in unserem Kampf. Wir haben solidarische Grüße geschickt. Wir werden solange nicht ruhen, bis den Armen Gerechtigkeit widerfährt – nicht nur in der Kennedy Road, denn es gibt viele Kennedy Roads, viele Mhlengis, viele arme Stimmen, die nicht gehört und nicht verstanden werden. Aber wir haben die Entdeckung gemacht, dass Sprache Wirkungen zeigt. Wir werden uns daran halten. Die Opfer haben gesprochen. Wir haben gesagt: Es reicht!

Es muss klar sein, dass dies kein politisches Spiel ist. Diese Bewegung ist eine Art soziales Werkzeug, durch dessen Einsatz die Gemeinschaft schnellere Resultate zu bewirken erhofft. Das hat nichts mit Politik oder Parteien zu tun. Unsere Mitglieder sind Teil aller politischen Organisation, die man sich nur vorstellen kann. Abahlali baseMjondolo ist eine unpolitische Bewegung. Sie wird ihren Job beenden, wenn Land und Behausung, Elektrizität sowie die wesentlichen Grunddienste erkämpft sind und Armut eliminiert ist. Wir werden uns so lange zusammenfinden, bis unsere Leute, erreicht haben, was gefordert wird – das Wesentliche. Bis dahin werden wir nicht aufhören.

Die Gemeinschaft hat begriffen, dass die Wahl von Parteien für uns keine Veränderung gebracht hat – insbesondere auf der Ebene der Wahlen für die lokale Regierung. Wir sehen einige wichtige Veränderungen auf nationaler Ebene, aber auf lokaler Ebene wird, wer immer die Wahlen gewinnt, von uns hinterfragt werden. Wir wurden von dem von uns gewählten Stadtrat betrogen. Wir haben uns daher entschlossen, nicht zur Wahl zu gehen. Die Kampagne „Kein Land, keine Behausung, keine Stimmabgabe“, die gerade begonnen hat, ist eine Kampagne, auf die sich alle 14 Siedlungen geeinigt haben.

Die „dritte Kraft“, das Leiden der Armen, ist unsere Triebkraft.  Die „zweite Kraft“ sind die, die uns verraten haben. Die „erste Kraft“ war unser Kampf gegen die Apartheid. Die „dritte Kraft“ wird dann ihr Ende finden, wenn die „vierte Kraft“ aufkommt. Die „vierte Kraft“ ist Land, Behausung, Wasser, Elektrizität, Gesundheitsversorgung, Bildung und Arbeit. Wir fordern nur das Wesentliche, keinen Luxus. Das ist der Kampf der Armen. Es wurde Zeit für die Armen, selbst zu zeigen, dass sie arm sein mögen im Leben, aber nicht im Denken.

Die Zeit war uns eine sehr gute Lehrerin. Die Leute haben sehr viel begriffen. Wir haben aus der Vergangenheit gelernt – wir haben alleine gelitten. Dieser Schmerz und dieses Leiden haben uns eine Menge beigebracht. Wir haben begonnen, zu verstehen, dass wir unter solchen Bedingungen nicht leben sollten. Eine Demokratie der Armen beginnt Einzug zu halten. Niemand hätte uns dies gesagt – weder unsere gewählten AnführerInnen noch sonst irgendwelche FunktionärInnen hätten uns gesagt, worauf wir Anspruch haben. Selbst die Friedenscharta ist nur in der Theorie brauchbar. Sie hat nichts mit dem gewöhnlichen Leben der Armen zu tun. Sie hilft uns nicht. Das Denken der Massen von Menschen ist das, was zählt. Wir haben festgestellt, dass unser Land reich ist. Weitere Flughäfen werden gebaut, es gibt weitere Entwicklungen der Point Waterfront in Durban, weitere Stadien werden renoviert, es ist viel Geld in Umlauf, soviel, dass es sogar an Mugabe verliehen wird. Aber wenn man nach dem Wesentlichen fragt, bekommt man die Antwort, es gebe kein Geld. Klar ist, dass es kein Geld für die Armen gibt. Das Geld ist für die Reichen bestimmt. Wir haben und dafür entschieden, zu sagen: „Es reicht!“. Wir sind uns darin einig, dass etwas geschehen muss.

 

S’bu Zikode ist der gewählte Vorsitzende der Bewegung Abahlali baseMjondolo, die derzeit vierzehn Siedlungen umfasst.

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ISSN 1814-3164 
Key title: Grundrisse (Wien, Online)

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