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Seymour Martin Lipset and Gary Marks: It didn’t happen here – why Socialism failed in the United Staates New York: W.W.Norton & Company, 2001, 384 Seiten, 15 US-Dollar Warum gab es in den USA keinen Sozialismus? Die USA sind die einzige bürgerliche Gesellschaft des Westens ohne eine einflussreiche sozialdemokratische oder sozialistische Partei. In ihrem Buch „It didn’t happen here – why Socialism failed in the United Staates“, versuchen Lipset und Marks dieses Phänomen zu erklären. Die Autoren führen dabei die LeserInnen durch eine spannende Geschichte der amerikanischen ArbeiterInnenbewegung vom Ende des 19.Jahrhunderts bis in die 60er Jahre. Den beiden Professoren ist durchaus bewusst, dass auch in Europa die revolutionäre ArbeiterInnenbewegung ihre Ziele nicht verwirklichen konnte und dass die Erklärung dieses Scheiterns noch aussteht. Das Paradoxe an der Geschichte der ArbeiterInnenbewegung in den USA ist, dass auf Fabrikebene militantere Streiks als in Westeuropa stattfanden, aber eine sozialistische ArbeiterInnenpartei sich nie auf nationaler Ebene etablieren konnte. Auch die politischen und sozialen Bewegungen der 60er Jahre, wie die BürgerInnenrechts- oder StudentInnenbewegung waren in ihren radikalen Teilen viel stärker von anarchistischen, pazifistischen oder radikaldemokratischen Traditionen geprägt, als von sozialdemokratischen oder kommunistischen. Das erste Kapitel des Buches beschreibt die Hoffnungen der europäischen SozialistInnen in das damals sich am schnellsten entwickelte Industrieland der Welt. Zum Beispiel glaubte August Bebel, der Vorsitzende der deutschen SPD 1907, dass die USA als erstes Land die sozialistische Republik ausrufen würde. Auch Marx und Engels waren voller Bewunderung für die dynamischen USA. Engels bemerkte aber, dass die ArbeiterInnenklasse in einem Land, das nie Feudalismus kannte und vom BürgerInnentum gegründet wurde, logischerweise unter bürgerlichem Einfluss stehe würde. Sowohl der russische Marxist Plechanov als auch Marx wiesen darauf hin, dass die amerikanischen ArbeiterInnen der Lohnarbeit in den Fabriken entfliehen und SiedlerInnen auf „freiem“ Land werden konnten. Lipset und Marks zeigen, dass die sozialistischen Parteien in vielen Ländern Europas im Kampf für das allgemeine Wahlrecht stark wurden, indem sie die historische Rolle des BürgerInnentums übernahmen. In den USA entstanden die ArbeiterInnenparteien erst, nachdem das allgemeine Wahlrecht schon eingeführt wurde. Ein demokratischer Kampf konnte also schlecht geführt werden. Die Abwesenheit einer dritten Partei neben DemokratInnen und RepublikanerInnen wird häufig mit dem Mehrheitswahlrecht in den USA erklärt, wo nur die GewinnerIn eines Wahlkreises nach Washington ziehen darf. Im Prinzip stimmen die Autoren diesem Argument zu, verweisen aber darauf, dass in Ländern mit noch ungünstigerem Wahlrecht wie dem Deutschen Reich oder Ländern mit Mehrheitswahlrecht wie Schweden sich auch starke sozialistische Parteien Anfang des 20.Jahrhunderts etablieren konnten. In den USA gelang es den DemokratInnen häufig durch geschicktes Lavieren Teile der IndustriearbeiterInnenschaft als WählerInnen zu gewinnen. Als Beispiel sei Präsident Roosevelt genannt, der in seine Koalition für den „New Deal“ Teile der radikalen Linken und FarmerInnenparteien einbinden konnte. Die Roosevelt-Administration gab 1938 fast den doppelten Prozentsatz vom Bruttosozialprodukt für Soziales aus (6,3 Prozent) wie Frankreich und Schweden sowie deutlich mehr als Großbritannien und Nazi-Deutschland. Von 1927 bis 1939 wuchsen die Mitgliederzahlen der Gewerkschaften von drei Millionen auf über acht Millionen (Das waren 28,6 Prozent der nicht in der Landwirtschaft Beschäftigten), ohne dass die Sozialistische oder Kommunistische Partei davon deutlich profitieren konnte. 1955 waren sogar 35 Prozent der ArbeiterInnen in den Gewerkschaften organisiert. Durch die Unterstützung des „New Deal“ besaß die Kommunistische Partei auf ihren Höhepunkt 1939 zwar ca. 80.000 Mitglieder, die sich zur Hälfte aus Angestellten rekrutieren, damit war der Zenit aber auch schon erreicht. Im Kapitel über die Repression gegen die ArbeiterInnenbewegung zeigten die Autoren, dass diese zwar brutal, die Kommunistische Partei aber schon im Niedergang begriffen war, bevor McCarthy in den 50er Jahren seinen „Kreuzzug“ gegen den Kommunismus startete. Neben dem Argument des Wahlsystems wird häufig angeführt, dass in dem EinwanderInnenland USA die politischen Konflikte entlang ethnischer Grenzen und nicht der Klassen ausgetragen werden. Dies spiegelte sich auch innerhalb der Arbeiterbewegung wieder. 1916 wurden 13 von 16 sozialistischen Tageszeitungen in einer anderen Sprache als Englisch veröffentlicht. Lipset und Marks zeigen, dass die Gewerkschaft „American Federation of Labour“ hauptsächlich nur die weißen, männlichen und alteingesessenen ImmigrantInnen aus Westeuropa gewinnen konnte. Katholische ImmigrantInnen konnten kaum erreicht werden. Die Radikalen untern den neuen und ausgegrenzten ImmigrantInnen aus Süd- und Osteuropa schlossen sich den IWW (Industrial Workers of the World) an, der vor dem 1.Weltkrieg seine größten Streikwellen organisieren konnte. Auch die Kommunistische Partei bestand nach dem 1.Weltkrieg zum großen Teil aus russischen EinwanderInnen. Diese Spaltungen konnten nicht überwunden werden. Laut Lipset und Marks führten die ArbeiterInnen in den USA zwar militante Streiks durch, konnten aber nie als Klasse agieren. Sie zeigen, dass Wahlsysteme oder Zuwanderung allein noch nicht die Abwesenheit einer starken sozialistischen Partei erklären können. Ihr Buch macht Lust sich mehr mit der Geschichte der USA zu befassen. Als Kritikpunkte sind anzumerken, dass die Autoren zu sehr auf den Parteimarxismus fixiert sind. Über die Wobblies (IWW) erfährt man wenig, obwohl die Frage, warum auch die anti-staatliche, libertäre ArbeiterInnenbewegung gescheitert ist, noch beantwortet werden muss. Außerdem kann ich der kritischen Bewertung des „dogmatischen“ Charakters der Sozialistischen Partei im Sinne der Autoren nicht zustimmen. Lipset und Marks argumentieren, dass die Sozialdemokratischen Parteien in Europa von der Unterstützung des 1.Weltkrieges enorm profitieren konnten. Diese Unterstützung machte in vielen Ländern den Weg in die Regierungsämter frei und führte häufig zur Verdoppelung der WählerInnenstimmen bei der ersten Wahl nach dem Krieg. So bedauern die Autoren die Ablehnung des Krieges durch die amerikanischen SozialistInnen. Durch diese Ablehnung hatten sie sich gesellschaftlich isoliert und konnten nicht nur Massenpartei werden. Die Kriegsunterstützung fast alle ArbeiterInnpartein in Europa war meiner Meinung nach das Ende der Sozialdemokratie in Europa als fortschrittliche Kraft. Die SozialdemokratInnen verrieten dadurch den Internationalismus und halfen mit, das gegenseitige Abschlachten der Bevölkerungen in Europa zu organisieren. In Deutschland verhinderte die SPD sogar im Bündnis mit den preußischen Junkern 1918 eine demokratische Revolution. Wer das Scheitern der Sozialdemokratie erklären will, muss erklären wie es möglich wurde, dass die 2. Internationale 1914 dem Krieg zustimmte. Als Fazit lässt sich ziehen, das „It didn’t happen here“ in die Sammlung zur Erklärung der Niederlage des Sozialismus im 20.Jahrhundert gehört, uns aber auf diesem Gebiet noch viel Arbeit bevorsteht. Paul Pop |
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