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Ronald Blaschke, Adeline Otto, Norbert Schepers (Hrsg.):
Grundeinkommen Berlin 2010: Texte/Rosa Luxemburg-Stiftung, Bd. 67 Buchbesprechung von Markus Blümel Dieses Grundeinkommensbuch ist unverkennbar mit dem Namen von Ronald Blaschke (profilierter Denker und Aktivist des bedingungslosen Grundeinkommens in Deutschland) verbunden. Der Philosoph, Publizist und Mitbegründer des deutschen „Netzwerk Grundeinkommen“ hat zu diesem Buch den ersten und knapp 300 Seiten umfassenden Abschnitt (über „Geschichte, Fragen und Antworten einer Idee“) beigesteuert und den dritten Teil über Ansätze und Modelle von Grundsicherungen und Grundeinkommen in Deutschland verfasst. Der zweite (kurze) Abschnitt stammt von Katja Kipping und versteht sich als politischer Essay. Im vierten Teil hat Adeline Otto Beiträge mehrerer AutorInnen unter dem Stichwort „Die Grundeinkommensdebatte in Europa aus linker Perspektive“ versammelt. Der Band „Grundeinkommen“ kann insbesondere als Beitrag zur Verortung der Grundeinkommens-Debatte im linken, emanzipatorischen Spektrum verstanden werden. Das bedingungslose Grundeinkommen hat in der Linken nämlich nicht nur Zuspruch: In Deutschland sind einerseits neoliberale Bürgergeldmodelle in Diskussion, die oftmals benutzt werden, um das Grundeinkommen als ungeeigneten Debattenansatz abzutun. Andererseits erfährt das Grundeinkommen z.B. aus sozialdemokratischer bzw. gewerkschaftlicher Richtung Gegenwind, weil dadurch Konzepte wie Erwerbsarbeit, Wachstum oder vorsorgender Sozialstaat in Frage gestellt würden. Abschnitt I und II Wer einen umfassenden und kurz gehaltenen Streifzug durch die (Geschichte der) Idee des Grundeinkommens sucht, ist mit anderen Publikationen u.U. besser bedient. Was dieses Buch hervorragend leistet, ist, ausgewählte „ProtagonistInnen“ des Grundeinkommens bzw. deren Denken ausführlich vorzustellen. Dazu gehören hierzulande wenig zitierte Denker wie Thomas Paine und Thomas Spence oder aber „KlassikerInnen“ wie Erich Fromm, André Gorz, Michael Opielka, Lieselotte Wohlgenannt oder Georg Vobruba. Blaschke zeigt auf, dass das bedingungslose Grundeinkommen seinen festen Platz in der Geschichte des linken und emanzipatorischen Denkens hat und viele interessante Querverbindungen zwischen Grundeinkommen und anderen emanzipatorischen Ansätzen gegeben sind. Blaschke widmet sich ausgiebig den Werken von Thomas Paine (einem sozialliberal geprägten Vertreter der englischen Frühsozialisten) und Thomas Spence (ebenfalls Frühsozialist) und deren naturrechtlichen Begründungen eines Grundeinkommens. Der Autor zeigt auf, dass beide bereits zu ihrer Zeit heute aktuelle Fragestellungen thematisiert haben: So etwa die Fragen „Grundeinkommen und dekommodifizierte, öffentliche Infrastrukturen und Dienstleistungen“, „Grundeinkommen auch für Reiche?“ oder „Grundeinkommen auch für MigrantInnen?“. Soziale Infrastrukturen spielen in der Debatte der deutschen Linken eine wichtige Rolle, ebenso Dekommodifizierung („Entkleidung vom Charakter einer käuflichen und verkäuflichen Ware“). Blaschke zeigt auf, dass soziale Infrastrukturen und Grundeinkommen kein Gegensatz sind, im Gegenteil! Dekommodifizierung könne auf drei Arten erreicht werden kann. Erstens durch den universellen Zugang aller Menschen zu Teilhaberessourcen (Grundeinkommen plus gebührenfreie Nutzung von öffentlichen Gütern, Infrastrukturen und Dienstleistungen), zweitens durch eine Demokratisierung der Sozialpolitik und drittens durch autonome Eigenarbeit im informellen Sektor (ermöglicht durch ein Grundeinkommen). Ausführlich setzt sich Blaschke mit dem Thema „Eigentum“ auseinander. Für Blaschke ist das „bürgerliche Recht auf Eigentum (und Einkommen) durch Arbeit/Wertschöpfung (auch durch eigene Arbeit) zu befragen“. So zitiert er Offe, der erklärt, dass „Gratisdienste“ vorangegangener Generationen – als „geschenkte Hintergrundbedingungen“ – es den so genannten Leistungsträgern ohne deren Verdienst und Zutun erlauben würden, ein scheinbar allein durch individuelle Arbeitsanstrengung „verdientes“ Einkommen zu erzielen. Schätzungsweise würden diese „Hintergrundbedingungen“ für 90% der Einkommen in Europa und den USA verantwortlich sein. Dazu kommen noch die gesellschaftlich unbezahlten Tätigkeiten, etwa in den Haushalten und Familien, die zum gesellschaftlichen Reichtum beitragen. Es sei also nicht - wie oftmals vorgebracht - so, dass diejenigen, die einer Lohnarbeit nachgehen, die Grundeinkommens-BezieherInnen alimentieren würden. Blaschke plädiert einerseits für eine (Rück-)Vergemeinschaftung privatisierten gemeinschaftlichen Eigentums (wie auch Spence), andererseits für eine neue Distribution – und zwar gerade auch an das Individuum. Angestrebt sei also keine Kollektivierung des Privateigentums. Vielmehr solle jedes Individuum auch ein Recht auf ein „Privat-Eigenes“ haben. Dieses solle dem Menschen (in Anlehnung an Hannah Arendt) den nötigen Schutz vor der Willkür des Staates und des Marktes bieten und die Grundlage geben, dass Menschen „autonom sprechen und handeln“ können. Womit diese zu „Mitgestaltern des Öffentlich-Politischen“ werden können. Das „Privat-Eigene“ ist der öffentlich garantierte, unantastbare individuelle Anteil an einem gemeinsamen Eigentum. Konkretisiert werden soll das „Privat-Eigene“ laut Blaschke durch das bedingungslose Grundeinkommen. Das Grundeinkommen könne demnach auch als „Sorgepauschale für das Öffentlich-Politische“ verstanden werden, es sei jedoch keine Entlohnung. Bereits bei Thomas Spence gehören bürgerliche und politische Grundrechte zusammen. Das Wahlrecht müsse ökonomisch abgesichert sein. Bereits Spence erklärt, dass die Bindung politischer/bürgerlicher Rechte an spezifische ökonomische Teilhabeformen (wie Eigentum, Arbeit, Einkommen,..) obsolet ist. Stattdessen stellt er fest, dass universelle bürgerliche und politische Rechte auch universeller (uneingeschränkter, unbedingter) ökonomischer und sozialer Teilhabemöglichkeiten bedürfen. Oder wie Gorz es formuliert: Das Recht auf Einkommen dürfe nicht länger von entlohnter Beschäftigung abhängen. In Zeiten eines „Nützlichkeits-Rassismus“ sei im Sinne von Arendt besonders wichtig zu betonen, dass es „ein Recht gibt, Rechte zu haben“. Die Bedeutung des Grundeinkommens im Sinne einer „Demokratiepauschale“ forciert auch Katja Kipping, prominente Vertreterin der Partei DIE LINKE. Als AbgeordneteR erhalte man recht stattliche Diäten, um die Unabhängigkeit zu wahren. Warum also nicht „Diäten light“ an alle zahlen? „Das wäre die materielle Vollendung des Anspruchs einer Demokratie für alle“, so Kipping. Lohnarbeit wird von Grundeinkommens-BefürworterInnen kritisch betrachtet: als entfremdete Arbeit im Gegensatz zu autonomer, selbst bestimmter Eigenarbeit; als Arbeit, die nur Mittel zum Lohnerhalt ist; als reine Marktarbeit, die andere Arbeit entwertet; als Einkommensquelle, die für viele kein Auskommen ermöglicht; als Arbeit, die auf die ganze Lebenszeit zugreift usw. So sprechen etwa Büchele/Wohlgenannt der Marktarbeit den Vorrang vor anderen Tätigkeiten ab. In diesem Kontext wird auch Kritik an Sozial- und Bildungspolitiken laut, die darauf abzielen, den Menschen letztlich bloß auf seine Rolle als Ware auf einem Arbeitsmarkt vorzubereiten. Eine Ausweitung der entfremdeten Lohnarbeit sei bereits für Marx kein geeigneter Weg gewesen, wird betont. Vielmehr müsse es Frei-Zeiten und –Räume geben, um Autonomie und Fähigkeiten zu entwickeln. Blaschke nennt hier Marta Nussbaums Fähigkeiten-Ansatz als anschlussfähig an die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens. So wie Gorz betont auch Blaschke, dass nicht allein die Schule der Ort für eine solche Entwicklung sei, sondern auch informelle Zusammenhänge oder etwa Orte der Eigenarbeit dafür nötig sind. Viel Raum nimmt bei Blaschke Erich Fromm (1900-1980) ein. Fromm sei der „bedeutendste Vertreter eines humanistischen und demokratischen Sozialismus, der die Idee des Grundeinkommens befördert hat“. Fromm, der sich deutlich abgrenzte vom stalinistischen und bürokratischen „Sozialismus“ will die Abhängigkeit des Menschen von Markt und Staat überwinden. In Anlehnung an Marx formuliert Fromm: „Die Arbeit ist ein Mittel zum Geldverdienen, und nicht eine in sich sinnvolle Tätigkeit“. Der Verlust schöpferischer Potenziale würde eingetauscht gegen Plunder auf dem Waren-, Dienstleistungs- und Freizeitmarkt, der allerdings eine Status verleihende Kraft habe. Seine innere Leere versuche der „homo consumens“ mit einem ständigen, stets wachsenden Konsum zu kompensieren. Für Fromm ist der Übergang von einer Psychologie des Mangels zu einer des Überflusses wichtig. Eine Psychologie des Mangels erzeuge Angst, Neid und Egoismus. Wer von Arbeitsplätzen und Wirtschaftswachstum tagein, tagaus spreche, suggeriert Mangel. Diese Rede wolle nur eines hervorbringen: Marktverhalten. Der Mensch erlebe sich als „Tauschwert“, als „Markcharakter“, der Mensch werde zur Ware auf dem „Persönlichkeitsmarkt“. Die Idee, freie Bindungen eingehen zu können, betonen auch Büchele/Wohlgenannt. Fromm meint, dass der Mensch bisher zu sehr mit seiner Arbeit beschäftigt war. Mit einem Grundeinkommen könne er sich mit den Lebensfragen beschäftigen: „Was ist der Sinn des Lebens?“, „Welche Werte vertrete ich?“. Im Sinne einer reflektierten Ausrichtung des eigenen, selbstverantwortlichen Lebens und der eigenen Teilnahme am gesellschaftlichen Leben entspreche das Grundeinkommen bei Fromm einer Pauschale für Muße-, Besinnungs- und Umorientierungszeiten, so Blaschke, Blaschke greift zahlreiche Themen der Grundeinkommens-Debatte auf: den Faulheitsvorwurf genauso wie die Debatte um die Emanzipation der Frau durch ein Grundeinkommen oder Grundeinkommen als (arbeits-)marktpolitischen Ansatz. Einen guten einführenden Einblick in christliche Positionen zum Grundeinkommen bietet er mit dem Kapitel 7.7. Hier werden Argumente aus der Sicht der Katholischen Soziallehre wie aus der Rechtfertigungslehre der evang. Kirche vorgetragen. Blaschke plädiert gemeinsam mit anderen DenkerInnen für ein Gemeinwesen, in dem sich Individuen frei assoziieren und solidarisch leben können. Der autonom denkende und handelnde Mensch ist unverzichtbar für ein demokratisches Gemeinwesen. Oder anders ausgedrückt: Sozialismus ist nicht ohne Freiheit denkbar. Abschließend fasst Blaschke zusammen, dass das bedingungslose Grundeinkommen (wie auch bei Fromm) eingebunden ist in eine grundlegende transformatorische Konzeption in Richtung einer demokratisch-freiheitlichen und sozialistischen Gesellschaft. Abschnitt III Sehr umfassend ist der Vergleich von Grundsicherungs- und Grundeinkommensmodellen ausgefallen (ca. 80 Seiten). Hier werden allerdings nur Modelle aus Deutschland berücksichtigt. Sehr gut nachvollziehbar in diesem Band ist, dass Grundsicherungs- bzw. Mindestsicherungsmodelle (im Gegensatz zu Grundeinkommens-Modellen) immer eine Neiddebatte hervorrufen. Zudem seien sie weder Armut bekämpfend noch existenz- und die gesellschaftliche Teilhabe sichernd (wie das Grundeinkommen), weil sie dem Lohnabstandsgebot gehorchen. Abschnitt IV Im letzten Teil des Bandes stellt Jose Iglésias Fernández das „Grundeinkommen der Gleichen“ vor (Spanien). Ruurik Holm informiert über die politische Auseinandersetzung mit dem Grundeinkommen in Finnland. Melina Klaus (KPÖ) beschreibt den Diskussionsprozess in der Kommunistischen Partei Österreichs zum Grundeinkommen und Sepp Kusstatscher berichtet über den Stand der Grundeinkommens-Debatte in Italien. |
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