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Manfred Füllsack, „Leben ohne zur Arbeiten? Zur Sozialtheorie des Grundeinkommens“

Berlin: Avinus Verlag, 2002, 218 Seiten

Die Idee des garantierten Grundeinkommens wird zunehmend von den verschiedensten politischen Strömungen in die Diskussion eingebracht.[i] Da ich selbst dieses Konzept vertrete, freut es mich natürlich, daß Manfred Füllsack ohne Wenn und Aber für ein bedingungsloses garantiertes Grundeinkommen eintritt. Weniger überzeugend finde ich die Art, wie er dies tut, und den Standpunkt, von dem er aus argumentiert. Aber betrachten wir zuerst die positiven Seiten seines Buches.

Der Autor informiert kompetent über den Stand der akademischen Diskussion und nennt die wichtigsten VertreterInnen (etwa Philippe Van Parijs) und deren Argumente. Er resümiert die historische Entstehung dieser Idee und gibt einen Überblick über die politische Debatte in den verschiedenen Ländern. Interessant ist besonders seine Aufarbeitung des von Europa aus schwer zu recherchierenden „New Jersey und Pennsylvania Negative Income Tax Experiment“, in dem 1300 Familien zwischen 1968 und 1971 ein garantiertes Mindesteinkommen erhielten. Dieses Experiment wurde abgebrochen: „Die Negative Einkommensteuer wurde infolgedessen vielfach als schlechthin zu teuer, als Arbeitsanreiz zerstörend und als familienfeindlich eingestuft.“ (Füllsack 2002; 115) Ebenso zeigt er konkret die Handhabung des derzeit einzig real existierenden bedingungslosen Grundeinkommens in Alaska („Alaska Permanent Fund“) auf, das freilich 1999 nur bescheidene 1800 Dollar im Jahr betrug. Selbst KritikerInnen des Grundeinkommen sollten an jedem Informationsstand anknüpfen, den Füllsack bietet.[ii]

Sieht man sich jedoch die Argumentation des Autors im Detail an, so häufen sich leider die Einwände. Kaum geht Füllsack auf reale politische Bewegungen ein, die aus sich heraus die Forderung des Grundeinkommens erhoben haben. Für Deutschland ist die Entwicklung im Buch von Hans-Peter Krebs und Harald Rein, „Existenzgeld - Kontroversen und Positionen“ (Münster, 2000) gut dokumentiert, und es war die französische Arbeitslosenbewegung, die André Gorz in der Frage Grundeinkommen vom Saulus zum Paulus wandelte. „Die Forderung eines garantierten ausreichenden Grundeinkommens hat ihren utopischen, weltfremden Charakter verloren, seit sie im Winter 1995-96, im Verlauf großer Protestaktionen von französischen Arbeiter- und Arbeitslosenbewegungen übernommen wurde.“ [iii] Und als Wiener Autor hätte er die Arbeitsloseninitiative AMSand[iv], die öfters diese Frage diskutiert hat, zumindest in einer Fußnote erwähnen sollen.

Der Ausschluß realer Bewegungen aus dem Betrachtungsfeld hat leider Methode. Ausgehend von seinem theoretischen Hintergrund, den ich grob durch die Namen Luhmann und Habermas andeuten möchte, insistiert der Autor darauf, daß die Frage des Grundeinkommens „jenseits von links und rechts“ (Füllsack 2002; 9) anzusiedeln sei. Und an andere Stelle heißt es, es empfehle sich „... die Grundeinkommensfrage jenseits der klassischen Perspektiven ‚Links’ und ‚Rechts’ zu erörtern.“  (Füllsack 2002; 126) Ich meine, daß Füllsack zwei Dimensionen der Grundeinkommensfrage durcheinanderwirft. Als Thema besitzt die Frage „Grundeinkommen ja oder nein?“ ebensowenig einen unmittelbaren politischen Index wie etwa die Themen Lohn oder Arbeitszeit, der politische Index ergibt sich aus der Art der Beantwortung, aus dem Konzept, wie das Grundeinkommen durchgesetzt werden soll. Stellen wir uns zwei unterschiedliche Szenarien vor. Gehen wir einmal von einem Grundeinkommen in der Höhe von 300 Euro monatlich aus und verschärfen wir dieses Szenario noch dadurch, daß es keineswegs bedingungslos (wie Füllsack fordert) ausbezahlt wird, sondern an „Arbeitswilligkeit“ gebunden wird. Weiters werden alle anderen Transferleistungen, inklusive Rente, gestrichen. Stellen wir dem eine Situation gegenüber, bei der das monatliche Grundeinkommen ohne Bedingungen 1000 Euro für alle beträgt und die besonders Bedürftigen (z.B. Schwerkranke) zusätzliche Sozialleitungen erhalten. In diesen Details steckt der Unterschied ums Ganze.

Füllsack hat freilich recht, wenn er darauf verweist, daß gegenwärtig VertreterInnen aus den verschiedensten politischen und religiösen Lagern für ein bedingungsloses Grundeinkommen in menschenwürdiger Höhe eintreten. Sicher, in den Reihen der katholischen Sozialakademie Österreichs gibt es in der Tradition von Büchele und Wohlgenannt[v] stehende AktivistInnen (etwa Margit Appel) die mit teilweise wirklich guten Argumenten pro Grundeinkommen plädieren, ebenso schätze ich einiges an der Argumentation von Volker Kier (ehemals Liberales Forum). Nur: Bei diesen Personen und Strömungen handelt es sich um extrem minoritäre Kräfte innerhalb der politischen Strömungen, der sie angehören. Ebensowenig wie Robert Owen repräsentativ für Denken und Handeln der Bourgeoisie stand, repräsentieren die von Füllsack zitierten VertreterInnen des Grundeinkommens ihren politischen und theoretischen Hintergrund.

Liest man politiknahe Arbeiten, also Arbeiten, die, aus der Perspektive der Politikberatung geschrieben, sehr konkret diskutieren, wie und unter welchen Bedingungen abgeschwächte Formen des Grundeinkommens hier und heute zu verwirkliche wären, sieht die Welt mit einem Schlage völlig anders aus. Kaltenborn etwa, der im Auftrag der deutschen Grünen eine Studie zur Grundsicherung erarbeitet hat[vi], tritt letztlich nur für eine Summe kleiner Reförmchen ein und sorgt sich beständig um den notwendigen Arbeitsanreiz. Richard Hauser[vii] (im Auftrag der SPD) will die Reform der Sozialhilfe am liebsten kostenneutral gestalten, und Mitschke (Vordenker der Liberalen) kommentiert sein eigenes Modell einer negativen Einkommensteuer (berechnet für Österreich auf der Datenbasis von 1994), welches 9000,- ATS pro Monat für jede in Österreich lebende Person vorsah, mit dem Worten, aus diesem Modell  „... errechnet sich in allen Varianten ein so nicht tragbarer Finanzbedarf.“[viii]

Die konstruktivistische Perspektive, aus der Füllsack für die Trennung von Arbeit und Einkommen prädiert, führt ihn immer wieder zu, sagen wir, zumindest eigentümlichen Schlußfolgerungen. Auf der Umschlagseite der ersten Nummer der grundrisse zitierten wir Marx: „Es genügt nicht, daß der Gedanke zur Verwirklichung drängt, die Wirklichkeit muß sich selbst zum Gedanken drängen.“  Damit will Marx sagen, daß Prozesse der Emanzipation, Befreiung und Revolte an objektiven gesellschaftlichen Tendenzen anknüpfen müssen, um eine Chance auf Verwirklichung zu haben. Marx geht freilich von gegensätzlichen Interessen, von prinzipiellen Konflikten in der Gesellschaft aus. Aus systemtheoretischer Perspektive formuliert nun Füllsack: „Normative Konzepte, wie die eines Garantierten Grundeinkommens, sollten sich von daher vielleicht nicht grundsätzlich gegen den Strom wirtschaftlicher Interessen stemmen, als vielmehr versuchen, zumindest teilweise in ihm zu schwimmen, um so eine Chance zu erhalten, ihn in die con ihnen angepeilte Richtung zu lenken.“  (Füllsack 2002; 195) Und tatsächlich nennt der Autor die Freizeit- und Tourismusindustrie als „mächtige Verbündete“  (Füllsack 2002; 196) für die Idee des Grundeinkommens. Seltsam, nach der Logik von Füllsack müßte das Kapital in der Abteilung II (Konsumgüterindustrie) von jeher für massive Lohnerhöhungen eingetreten sein, da schließlich der Verkauf von Massengütern zahlungsfähige Nachfrage voraussetzen. Geschieht aber nicht.

Entschieden tritt Füllsack dem populären, um nicht zu sagen vulgären Einwand entgegen, das garantierte Grundeinkommen würde Parasiten und Schmarotzer finanzieren. Da Füllsack offensichtlich die Marxsche These, wonach die Akkumulation von Kapital auf der Aneignung unbezahlter Mehrarbeit beruht verwirft, kann er das Garantierte Grundeinkommen nicht als legitime Wiederaneignung ethisch rechtfertigen, sondern ist genötigt, umständlicher zu argumentieren. Soweit ich sehe, stützt sich Füllsack auf die schwindelerregend abstrakte, um nicht zu sagen gekünstelte Argumentation von Van Parijs[ix], andererseits favorisiert er zwei weitere Punkte. Erstens: ein garantiertes bedingungsloses Grundeinkommen sei leicht zu administrieren und erfordere kaum büropraktischen Aufwand. Dieser Punkt ist zweifellos richtig. Andererseits: „In realen Gesellschaften, in denen die Arbeitsplätze rar werden, läßt sich, so betonen viele Grundeinkommenstheoretiker, einfach nicht mehr eindeutig genug feststellen, ob jemand arbeiten will, aber nicht kann, oder ob er einfach grundsätzlich nicht will.“ (Füllsack 2002; 140) Füllsack wirft weiters das naheliegende und richtige Argument ins Spiel, daß der Mensch anthropologisch betrachtet kein Faultier ist, also zu Aktivität und Arbeit strebt, setzt aber, wie mir scheint, stärker auf die Ununterscheidbarkeit von „nicht können“ und „nicht wollen“.  Diese Unterscheidung bürokratisch prüfen zu wollen, würde nicht nur einen immensen bürokratischen Aufwand und sondern auch eine Art Gesinnungspolizei erordern, so Füllsack.[x]

Füllsacks Argumentation beruht aber letztlich auf der fordistischen Unterscheidung zwischen Lohnarbeit und Nichtarbeit. Obwohl der Autor die Diskussion um postfordistische Strukturen kennt und diese durchaus erwähnt, werden postfordistische Formen  bei der Argumentation pro Grundeinkommen keineswegs systematisch berücksichtigt. Wenn der Autor von Arbeit, Arbeitswilligkeit spricht, oder die rhetorisch Frage stellt, „Wer würde denn dann noch arbeiten?“ meint er immer und durchgehend Lohnarbeit. Dem Autor entgeht völlig, daß immer mehr Arbeit jenseits der klassischen Lohnarbeit geleistet wird, die unbezahlt, schlecht bezahlt oder nur teilweise bezahlt wird, zugleich aber gesellschaftlich nützlich und notwendig ist. Historisch wurde diese Form der Arbeit zuerst als Hausarbeit wahrgenommen und diskutiert. Heute ist Hausarbeit nur mehr ein Teil jener Arbeit, die jenseits der Lohnarbeit geleistet wird. Diese Schwäche in seiner Argumentation kommt jedoch nicht von ungefähr. Das Füllsack im Kapital kein gesellschaftliches Verhältnis erkennen kann (oder will), kann er auch nicht Arbeit (in welcher Form aus immer) ins Verhältnis zum kapitalistischen Verwertungsprozeß setzten, und in dieser Hinsicht Umbrüche und neue Entwicklungen auf den Begriff bringen.

Abschließend möchte ich noch auf einen positiven Punkt in seinem Buch verweisen. Obwohl der Autor auf eine quasi neutrale Systemlogik setzt, die von sich aus das Grundeinkommen einführen müßte, also eine klassen- und gruppenübergreifende Logik postuliert, konstatiert er, „daß die Einführung eines bedingungslosen, existenzsichernden Grundeinkommens weniger eine Frage der Finanzierung, als viel mehr eine des politischen Willens ist.“  (Füllsack 2002; 183) Richtig. Das Argument der Unfinanzierbarkeit wird nur von jenen vorgeschoben, die schlicht und einfach kein garantiertes Grundeinkommen wollen. Aber auch bei diesem Punkt ist die Frage zu stellen: Und dieser Wille soll sich jenseits von politischen Interessen, Gegensätzen und Konflikten herstellen und gesellschaftlich wirksam werden?

Karl Reitter


[i] „Die Forderung nach einem sozialen Lohn erweitert die Forderung, daß jede für die Kapitalreproduktion nötige Tätigkeit durch gleiche Kompensation Aberkennung findet, auf die gesamte Bevölkerung, so daß ein sozialer Lohn letztlich ein garantiertes Einkommen darstellt. Und da die staatsbürgerlichen rechte allen zustehen, können wir dieses garantierte Einkommen als Bürgereinkommen bezeichnen, das jedem als Mitglied der Gesellschaft zusteht.“ Negri/Hardt, „Empire“, dt. Übersetzung, Frankfurt/Main 2002, Seite 410

[ii] Als negatives Beispiel muß ich leider Ernst Lohoff nennen, dessen Artikel „Zuckerguß für eine bittere Pille – Zur linken Diskussion um das garantierte Mindesteinkommen“ in: Weg und Ziel Nr. 1/1999, vor allem durch blanke Ahnungslosigkeit bezüglich der bürgerlichen und akademischen Debatte besticht.

[iii] Gorz, Andre, - „Arbeit zwischen Misere und Utopie“, Frankfurt am Main 2000, Seite 126

[iv] Für unsere LeserInnen in Deutschland: AMSand ist ein schriftliches Wortspiel, AMS ist die Abkürzung für ArbeitsMarktVerwaltung.

[v] Beide AutorInnen initiierten bereits 1985 die Debatte um das Grundeinkommen mit dem Buch: „Grundeinkommen ohne Arbeit. Auf dem Weg zu einer kommunikativen Gesellschaft“ Wien, München, Zürich 1985

[vi] Kaltenborn, Bruno, „Von der Sozialhilfe zu einer zukunftsfähigen Grundsicherung“, Baden-Baden 1998

[vii] Hauser, Richard, „Ziele und Möglichkeiten einer sozialen Grundsicherung“, Baden-Baden 1996

[viii] Mitschke, Joachim, „Grundsicherungsmodelle - Ziele, Gestaltung, Wirkungen und Finanzbedarf. Eine Fundamentalanalyse mit besonderem Bezug auf die Steuer- und Sozialordnung sowie den Arbeitsmarkt der Republik Österreich“, Baden-Baden 2000, Seite 143

[ix] Die Stärke des belgischen Autors liegt für mich nicht in seiner Argumentation pro Grundeinkommen im engeren Sinne. Entscheidend ist, daß er radikal die Mängel der liberalen Sozialphilosophie erkennt und zu überwinden sucht. Van Parijs überschreitet in seiner Definition von Freiheit endgültig die Grenzen der traditionalen Gesellschaftskonzeption. Wirkliche Freiheit besteht für Van Parijs aus der Kombination formaler Freiheiten und realen, tatsächlichen Möglichkeiten für alle, „to do whatever one might want to do.(Van Parijs, Philippe, „Real Freedom for All. What (if anything) Can Justify Capitalism?” Oxford 1997, Seite  23)

[x] Auch hier müßte der Autor einmal erklären, warum diese offensichtlich so unvernünftige Praxis tagtätlich vom AMS exekutiert wird. Macht scheinbar irrationale Repression doch Sinn?

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ISSN 1814-3164 
Key title: Grundrisse (Wien, Online)

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