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Joachim Becker, „Akkumulation, Regulation, Territorium Zum Erscheinungsbild: Das Buch ist rot und hat rund 250 Seiten. Mit seiner Habilitation legt Joachim Becker ein sehr dicht geschriebenes Werk über die Genese und Entwicklung der Regulationstheorie vor, um „ausgehend von einer kritischen Rekonstruktion ... das Verhältnis von Veränderung der Akkumulation und der Territorialität des Staates konzeptionell zu fassen.“ Entstanden ist die Regulationstheorie in den 70er Jahren in Frankreich in kritischem Anschluß an die strukturale Lesart des Marxismus. Untersuchungsgegenstand war die Frage „weshalb der Kapitalismus trotz der im Kapitalverhältnis angelegten Widersprüche bisher überdauern konnte, weshalb Phasen relativ stabilen Wachstums in epochale Stagnations- und Krisenperioden übergehen können, was die Bedingungen der Überwindung dieser Krisen sind.“(Joachim Hirsch, zit. nach Becker S. 12). Konzeptualisiert wurden die Zentralbegriffe Akkumulationsregime und die für die Theorie namensstiftende Regulationsweise „die sich auf die Bearbeitung gesellschaftlicher Widersprüche beziehen.“ In den ersten Kapiteln geht es um die zusammenfassende Darstellung früher Debatten zum Verhältnis von Kapitalismus, Staat und Territorium sowie um eine einführende Darstellung der Regulationstheorie und ihrer verschiedenen Strömungen bzw. Schulen. Im folgenden versucht Becker vor allem die Bezüge verschiedener (regulations)theoretischer Ansätze zum Aspekt der Territorialität, also der räumlichen Verfasstheit von Akkumulationsregimen bzw. Regulationsweisen herauszuarbeiten. Dabei orientiert er sich tendenziell eher an den frühen Werken von de Bernis, Aglietta und vor allem Lipietz, aber auch an der weberianischen Lesart politischer Räumlichkeit durch Bruno Théret. Die Konzepte des Akkumulationsregimes der wichtigsten Vertreter (Frau gibt es keine einzige!) der Grenoblerund Pariser„Schule“ werden vom Autor vorgestellt, charakterisiert, einander gegenübergestellt, die Reichweiten ihrer Konzepte verglichen und ihre Unzulänglichkeiten skizziert, oft in so kompakter Weise, so dass der Stil einen fast lexikalen Charakter erhält. In kritischem Anschluß daran rekonzeptionalisiert Becker zentrale regulationstheoretische Begrifflichkeiten um den - nicht zuletzt an Foucault angelehnten - Zentralbegriff des Regulationsdispositivs. Mittels der so entwickelten beiden Grundformen sozialer Verhältnisse im Kapitalismus, Waren- bzw. Staatsform, sowie den vier strukturellen Formen von Regulation (Lohnverhältnis, Konkurrenzverhältnis, ökologische Beschränkung, Geldbeschränkung) lassen sich die Bewegungen kapitalistischer Regulation erfassen. Immer wieder bezieht sich der Text auch auf das Verhältnis von Kapitalismus und Nationalstaat, wobei für Becker der Nationalstaat zwar ein zentraler Aspekt modernder ökonomischer Territorialität ist, aber nicht ausreicht, um die Bedeutung von Territorialität und deren Transformationen hinreichend zu begreifen, beispielsweise im Hinblick auf die Organisation von In- bzw. Exklusion von MigrantInnen innerhalb veränderter geographischer Konstruktionen wie Schengen. Solche konkreten politischen Implikationen werden jedoch leider oft der „wissenschaftlichen Objektivität“ geopfert und nur am Rande gestreift. Ein wesentlicher und begrüssenswerter Aspekt des Buches ist, dass Becker zwar die Fortentwicklungen der Regulationstheorie produktiv aufnimmt, deren Abwendung von zentralen Marxschen Termini und Theorieaspekten jedoch nicht nachvollzieht. Im Gegenteil, er versucht die Marxsche Arbeitswertlehre für ein avanciertes Verständnis politökonomischer Räumlichkeit nutzbar zu machen und bezieht auch soziale Kämpfe in die Theoriebildung ein, was ihm allerdings nur teilweise gelingt. Überhaupt ist das Buch eben „ganz Habilitation“, argumentiert also auf einem nicht voraussetzungslosen Abstraktionsniveau. Gerade wenn Becker aber die höchsten theoretischen Ebenen verlässt, liest sich das Buch geradezu spannend. Wie beispielsweise im letzten Kapitel, wo anhand von so unterschiedlichen historischen Fallbeispielen wie u.a. der kolonialen Expansionsbewegung Ende des 19. Jahrhunderts, der Entwicklung des Lateinamerikanischen Mercosur oder des „Roten Wien“ das theoretische Konzept seine Anwendung erfährt; oder auch in den Schlußteilen der einzelnen Kapitel, wo die verschiedenen Teilaspekte seiner abstrakten Analysen retrospektiv zusammengefaßt werden. Beim Lesen wird deutlich, dass Becker sich teilweise auf theoretisches Neuland begibt; was nicht negativ zu verstehen ist, stellt sich doch mehr als nur die Ahnung davon ein, dass in den bisherigen Versuchen neuerer marxistischer (Staats-)theorie durchaus wichtige Aspekte „übersehen“ wurden. Interessant ist dies, weil gerade die Zwillingsschwester des Raumes, die Zeit, eine theoretische Aufwertung im (post)marxistischen Diskurs erfahren hat. Neben einer nicht gerade leicht verdaulichen, aber äußerst fundierten Einführung in die Regulationstheorie bietet das Buch also genügend Denkstoff für die Redimensionalisierung eines kritischen Begriffes von „gesellschaftlicher Totalität“ - gerade in Zeiten der GLOBALisierung. Käthe Knittler, Martin Birkner |
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