|
Isolde Charim, „Der Althusser-Effekt. Entwurf einer Ideologietheorie“ Wien: Passagen Verlag, 2002 Ausgehend von einem fragmentarischen Text des französischen Philosophen Louis Althusser – “Ideologie und ideologische Staatsapparate” – stellt sich Isolde Charim die Aufgabe, die Anknüpfungspunkte, aber auch die Leerstellen des Althusserschen Textes offenzulegen, ihn sowohl als Fragment als auch als Primärtext zu lesen. Gegen eine “aufklärerische Ideologie-Kritik” gerichtet, gibt für Charim wie für Althusser “nicht mehr die Wahrheit, sondern die Macht den Kontext der Ideologie ab”. Hinter dieser spinozistischen Wendung lauert der zweite Frontalangriff: jener auf das Subjekt. Letzteres werde überhaupt erst durch die “Anrufung” der Ideologie konstituiert, kann also schwerlich gegen “das System” (als Komplex von repressiven und ideologischen Staatsapparaten, RSA´s und ISA´s) in Anschlag gebracht werden. Hat mensch sich erst einmal mit der – den meisten “strukturalistischen” Texten eigene - etwas spröden und gewöhnungsbedürftigen Sprache vertraut gemacht, finden sich in Charims Buch weitreichende Ansätze zu einer Theorie der Ideologie. Ob die ausschließende Entgegenstellung von Ideologietheorie und Ideologiekritik tatsächlich in die richtige Richtung weist, sei hier einmal dahingestellt. Im Zentrum von Charims Arbeit steht die meist unausgesprochene Auseinandersetzung Althussers mit jenen Theoretikern, die den ideengeschichtlichen Kontext für seine Ideologietheorie abgeben: Freud, Gramsci, Foucault und Lacan. Wie schon Althusser in “Ideologie und ideologische Staatsapparate” nähert sich Charim in konzentrischen Kreisen, über ca. die Hälfte des Textes einer Definition des Staates an: als Instanz (“mit Freud”), als Zivilgesellschaft (“mit Gramsci”) und schliesslich als Apparat (“mit Freud gegen Gramsci”). Die Wirkungsweise der ideologischen Staatsapparate – allen voran der schulische ISA - ist jene der freiwilligen Unterwerfung. Diese verweist auf die Wichtigkeit einer Theorie des Unbewussten und somit auf die “Demarkationslinie” zwischen Althusser und Gramsci, dessen Ideologie-Definition noch als bewußtseinsphilosophisch beschrieben werden kann. Für Althusser hingegen besitzt die Ideologie “eine materielle Existenz”, sie ist eben genau nicht das berühmte “falsche Bewußtsein” des orthodoxen Marxismus. Die zentrale Frage ist also nicht jene undurchführbare nach der “Entlarvung”, sonder jene nach der Wirkungsweise von Ideologie. Diese Frage manifestiert sich in einem Zitat Pascals´, welches Althusser sinngemäß wiedergibt: „Knie nieder, bewege die Lippen zum Gebet, und Du wirst glauben.” Charim verortet die spezifische Materialität der Ideologie in einem “überdeterminierten Verhältnis von Knien und Glauben, deren komplexe Produktion” - in den ideologischen Staatsapparaten. Die folgenden Teile sind den beiden Funktionsweisen der ISA gewidmet: der repressiven und der ideologischen. Währen in den RSA´s – wie Polizei oder Heer - naturgemäß der repressive Aspekt über den ideologischen dominiert, ist es in den ISA´s genau umgekehrt. Die Auseinandersetzung mit der repressiven Funktionsweise der ISA´s verweist auf die Machttheorie Michel Foucaults. Das disziplinierte, funktionierende Individuum erscheint als einheitliches Resultat von “Dressur” und Normierung, wobei diese Wirkungen der disziplinierenden Macht nicht von einem Machtzentrum, etwa der herrschenden Klasse, ausgehen. Die “herrschende Klasse” fungiert in Charims marxistischer Wendung gegen Foucault zwar nicht als Subjekt der Ideologie, doch aber als “Trägerin ihrer herrschenden ideologischen Funktion”. Die “herrschende Ideologie” als Bündelung durchaus disparater ISA´s (Kirche, Schule, Familie, Gewerkschaft(!) ...) ist veränderliches und veränderbares Resultat von Klassenkämpfen, wobei die Kämpfe der antagonistischen Klassen nicht vereinheitlichbar sind. Hier ähnelt die Konzeption Althussers jener der Gramscischen Hegemonietheorie, in der ja durchaus qualitative Unterschiede zwischen hegemonialen Artikulationen herrschender und subalterner Akteurinnen auszumachen sind. Den vielleicht folgenreichsten Abschnitt bildet die das Buch beschließende Subjekttheorie. “Die Ideologie”, so Althusser, “ruft die Subjekte an”. Die Individuen werden von der symbolischen in die imaginäre Ordnung gerufen und es gibt keinen Ausweg, da wir in dieser notwendig “geschlossenen Struktur” unser “Verhältnis zur Welt” leben. Diese erzwungene Unterwerfung, die als freiwillige erscheint, kann uns nicht bewusst werden. “Es gibt Subjekte nur durch und für ihre Unterwerfung” (Althusser). In diesem letzten Kapitel bricht die funktionalistische “Schlagseite” des strukturalistischen Denkens besonders deutlich hervor. Die Wichtigkeit theoretischer Widerlegung von “historischen Missionen” und Geschichtsmetaphysiken soll nicht bestritten werden, hier aber wurde das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Wir dürfen die (Theorie der) Subjektivität nicht dem Irrationalismus überlassen. In Charims Buch aber habe ich sie nicht gefunden. Ist aber so schlimm auch nicht. Martin Pirkner |
|