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Heide Hammer: Revolutionierung des Alltags. Auf der Spur kollektiver Widerstandspraktiken.

Wien: Milena 2007. 176 Seiten. EUR 17,90

Bereits die hübsche graphische Gestaltung des Buchs (Layout: Vanessa Wieser) zeigt an, wohin die inhaltlichen Achsen führen: ein bisschen wird da mit den vielen verschiedenen Schriften und Glyphen die Ästhetik von Flyern und Publikationen aus links-autonomen Kreisen angedeutet und der Eindruck erweckt, dass hier aus vielen bereits bestehenden Texten ein neuer zusammengebastelt wurde. Dies ist, wie bereits den ersten Seiten von Heide Hammers „Revolutionierung des Alltags. Auf der Spur kollektiver Widerstandspraktiken“ herauszulesen ist, jedoch nicht als Mangel an eigenen Erkenntnissen der Autorin und auch nicht einfach als bezugsloses Kokettieren mit linksradikaler Ästhetik zu verstehen. Vielmehr ist dies ein bewusst gewählter Ansatz der umtriebigen Philosophin, der die Stärken von kollektiver Wissensproduktion und Mehrstimmigkeit betont und dem die Kritik am wissenschaftlichen Diktat der AutorInnenschaft des/der Einzelnen und den damit korrespondierenden Geschlossenheitskonzepten eingeschrieben ist. So bezieht sich Hammer denn auch im Vorwort mit ihrer Herangehensweise auf Deleuze/Guattari und die Kommunikationsguerilla: „Da strenge Klassifikationen und Zuordnungen als wirksames Herrschaftsinstrument begriffen werden, deren Überwindung nicht in ebensolche vermeintliche Eindeutigkeit führen soll, gelten meine Bemühungen einer rhizomatischen Praxis (to be something at the same time), eines Regimes völliger Vielfalt. […] Die Bedeutung der Allianz, der Kollektive und Assoziationen besteht in der Wahrnehmung von Variationen, wohingegen das autonome Subjekt, seine Gewissheiten und klaren Trennungen zu Beschränkungen und Geschlossenheitsphantasien führen, die das Begehren und hedonistische Vergnügen begrenzen.“ (S. 11) Im Zitat klingen auch die zwei großen Grundlinien des Buchs an: einerseits wird ein anerkennendes Nebeneinanders der Erkenntnisse von Poststrukturalismus und Kritischer Theorie verfolgt, andererseits werden Widerstandserfahrungen, die sich parodistischer und spielerischer Formen bedienen und die ohne Bezugspunkt auf das eine „revolutionäre Subjekt“ auskommen, vergegenwärtigt. Der zirkuläre Prozess, in dem dies in weiterer Folge geschieht, veranschaulicht diesen Ansatz wiederholt: die Autorin entwickelt ihre Überlegungen, indem sie Reflexionen über linke Praxis mit theoretischen Debatten verwebt und umgekehrt.

Wenn Hammer, die selbst seit vielen Jahren in der (Wiener) linken Szene aktiv ist, in den letzten Jahren innerhalb der Linken wieder eine Trennung in unterschiedliche Kämpfe (z.B. in antirassistische und anti-antisemitische Positionen) bemerkt[1], versucht sie diesen eine Haltung, die herkömmliche Dichotomien (Ihr da oben – wir da unten; die Einteilung von Subjekten in Männer und Frauen etc.) radikal zurückweist, entgegenzuhalten. Im theoretischen Teil des Buchs, das seinen LeserInnen durchaus eine gewisse Kenntnis der Kritischen Theorie und poststrukturalistischer bzw. dekonstruktivistischer Positionen abverlangt, werden Michel Foucaults Macht- und Subjektkritik reaktiviert, Louis Althussers Entwurf einer materialistische Subjektkonstitution wiedergelesen und Judith Butlers Heteronormativitätskritik analysiert. Ausgehend davon positioniert sich die Autorin in ihrer Lektüre schließlich dahingehend, dass Widerstand auch abseits identitärer Politik möglich sein kann: „Das Handlungsvermögen des Subjekts kann nicht marionettenhaft durch die Konventionen der Macht, die Annahme eines Platzes, durch Territorialisierungen bestimmt werden; es geht in der Beharrlichkeit des Begehrens, den Wirkungen der Psyche über Regulierungen der Konstitution hinaus.“ (S. 106) Gleichzeitig weiß sie um die Schwierigkeit, radikale Politik zu betreiben, ohne dabei auf monolithische Erklärungsmodelle zurückzufallen: „Das Üben kollektiver Selbsttechniken, das Wahrnehmen von Komplexität und Pluralität, das Finden von Alternativen zu vorgegebenen Alternativen, bleibt weiterhin ein schwieriges Geschäft.“ (S. 162)

Hammer liefert in ihrer Diskussion der oben genannten theoretischen Strömungen einer orientierungslosen Linken keine fertigen Antworten – vielmehr werden Fragen, die sich aus dem Wust an Diskursen ergeben, herauskristallisiert: Fragen, die sich die Linke zu stellen hätte, um Ausschlüsse zu vermeiden und Selbstblockaden aufzulösen. Das bedeutet wohl auch anzuerkennen, dass die Sprache des Widerstandes nicht eine ist, sondern es derlei viele gibt und Konstellationen wechseln: In einer solchen Auffassung greifen schließlich auch Negri und Hardt zu kurz, indem sie letztlich immer noch das Empire gegen die Multitude stellen …

Dass die Autorin ihre LeserInnen nicht in eine erstarrte Ratlosigkeit entlässt, ist nicht zuletzt dem Abschlusskapitel des Buchs zu verdanken: Unter dem Titel „Spaß am Widerstand“ wird von „gelungenen kollektiven Widerstandserfahrungen“ erzählt, die sich nach Hammer nicht in der Logik von SiegerInnen und Besiegten erschöpfen, darunter der Mai 1968 in Frankreich, die Autonomia in Italien, die Aktionen der Diskursguerilla EZLN und lokale Aktionsformen, die teilweise bereits in Vergessenheit geraten sind, wie das permanent breakfast und Checkpoint Austria. Damit erfüllt gerade dieser Teil von „Revolutionierung des Alltags“ zwei wunderbare Funktionen: einerseits macht es das Buch zur Nachlese, zum Erinnerungsbuch an schöne, aber oft flüchtige Aktionen, andererseits wird deutlich, dass Spaß und Widerstand keine Gegensätze sind und in der lustvollen Komponente von Aktivismus eine Wirkungsmacht liegt, die zum Nachahmen und Wiederholen animiert und das Verlangen nach eigenem widerständigen Handeln (wieder) weckt.

Jana Sommeregger


[1] Vgl. Hammer im Gespräch mit J.S., Unique 08/07, S. 9.

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ISSN 1814-3164 
Key title: Grundrisse (Wien, Online)

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