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A.G. Grauwacke, „Autonome in Bewegung. Aus den ersten 23 Jahren“ Berlin, Hamburg, Göttingen: Association A., 2003, 408 Seiten. 20 Euro. Fünf autonome Männer aus Berlin haben ein Buch über die ersten 23 Jahre der Bewegung geschrieben. Sie schreiben über beinahe alle Bereiche, in denen „Autonome“ aktiv waren, von der Anti-AKW-Bewegung über den Häuserkampf bis zu den Auseinandersetzungen um Kleingruppenmilitanz und Feminismus. Das aus subjektiver Sicht geschriebene Buch wird ergänzt durch persönliche Erlebnisse und Berichte von weiteren autonomen AktivistInnen. Die Autoren zeigen zwar die Turbulenzen und Strudel der 1990er auf, für sie ist die Geschichte aber keineswegs zu Ende, es seien erst die ersten Jahre der autonomen Bewegung. Es gibt die Aufforderung, die Diskussionen um die autonome Geschichte weiterzuführen, woraus dann ein umfassenderes Bild entstehen kann als durch eine „objektive“ Beschreibung: http://autox.nadir.org Teilweise erscheinen die Autonomen, z.B. in der Anti-AKW-Bewegung, nur als der militante Flügel der BürgerInneninitiativen. Es gab zwar immer wieder Versuche, andere „Inhalte“ einzubringen, im Bild nach außen blieb aber die Militanz in beiden Bedeutungen, sowohl als Aktivismus wie auch in Verbindung mit Straßenkampf und konspirativen Aktionen (wie z.B. die Anschläge auf Strommasten zur Unterstützung der Anti-AKW-Bewegung). Der Mythos der Militanz ist dabei nicht nur von außen gekommen, er wurde auch von den beteiligten Autonomen gepflegt. Trotz der teilweisen Theorielosigkeit sind die autonomen Gruppen nicht nur Teil der Bewegungen, sondern die sozialrevolutionäre Bewegung in der Bundesrepublik, besonders in den 1980ern in Berlin. Darum ist es sinnvoll, dieses Buch zu lesen und dadurch an der Geschichte teilzunehmen, gerade weil sie so subjektiv geschrieben ist. Mensch kann sich identifizieren oder auch über die Blödheit der damaligen AktivistInnen ärgern, einfach miterleben, wie es war, aber auch für die zukünftigen Kämpfe, Auseinandersetzungen und Bewegungen etwas mitbekommen. Die Beiträge sind von unterschiedlicher Länge, es ist genau zu erkennen, bei welchen Auseinandersetzungen und Kampagnen die Autoren beteiligt waren und an welchen sie nur einen Blick von außen hatten. Der Text beginnt in der Phase zwischen 1980 und 1984 mit der Anti-AKW-Bewegung, dem Häuserkampf in Berlin, den Autonomen als militanten Teil der Friedensbewegung und gegen den Ausbau der „Startbahn West“ in der Nähe von Frankfurt. Besonders in der relativ detaillierten Beschreibung der Entwicklung der HausbesetzerInnenbewegung wird eine weiteres Charakteristikum der Autonomen deutlich. Es ging nicht nur um die Durchsetzung irgendwelcher politischer Forderungen, sondern um die Organisation des ganzen Lebens. So wird nicht nur über die spektakulären Aktionen berichtet, sondern auch über die Schwierigkeiten mit dem Leben und Überleben in den besetzten Häusern. Der nächste Teil berichtet über den Rückgang der Bewegung Mitte der 1980er mit der Dominanz der autonomen Kleingruppenmilitanz. Auch wenn es die Autoren nicht so direkt ausdrücken, wird dabei deutlich, wie diese Art der Militanz teilweise Ersatz für die fehlende Bewegung ist, die Schwächephasen überbrücken soll. In diesem Zusammenhang geht es dann auch um die Auseinandersetzungen mit anderen Zusammenhängen: einmal mit den AntiimperialistInnen, mit denen immer gemeinsame Aktionen gemacht wurden – die so genannten Blöcke der „autonomen und antiimperialistischen Gruppen“ – die aber auch wegen ihrer unkritischen Verteidigung der Aktionen der RAF (Rote Armee Fraktion) kritisiert wurden und werden. Dann mit den RZ (Revolutionäre Zellen), die ein Konzept der Kleingruppenmilitanz vertraten, das sich nicht von der Bewegung abheben sollte. Trotzdem werden sie kritisiert, weil sie zwar die autonome Bewegung beeinflussten, aber auf Kritik und Auseinandersetzung nicht reagierten, sich dadurch entgegen ihrem Anspruch als Avantgarde sahen. In einem dritten Teil geht es um die Kampagnenpolitik in der zweiten Hälfte der 1980er. Ein Einschub behandelt die Auseinandersetzung der Autoren mit dem Feminismus. Ich halte diese Beiträge für ausgezeichnet, weil es in ihnen nicht nur darum geht, die feministischen Parolen gut zu finden, wie sonst in der autonomen Bewegung sehr verbreitet, sondern weil über die persönlichen Verhältnisse und Beziehungen geschrieben und dadurch erst eine Auseinandersetzung möglich gemacht wird. Sonst geht es um die weitere Entwicklung in Berlin, besonders aber um die Kampagne gegen die Tagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) im September 1988. Die nicht nur autonomen Aktivitäten wurden ein voller Erfolg, weil sich die autonome Militanz mit fantasievollen und gewaltfreien Aktionen, aber auch einer inhaltlichen Auseinandersetzung verband. Nach dem Mauerfall im November 1989 kam es zu einer neuerlichen Welle von Hausbesetzungen, diesmal im östlichen Teil von Berlin, der in den militanten Kämpfen um die besetzten Häuser in der Mainzer Straße seinen Abschluß fand. Die 1990er werden mit der Überschrift „Strömungen, Turbulenzen und Strudel“ überschrieben. Es gab mehr Diskussionen in der autonomen Bewegung, z.B. um die Organisationsfrage. Jüngere, die nicht mehr die Bewegung aus der Zeit kennen, wo es um die Abgrenzung von den K-Gruppen ging, hatten weniger Probleme mit einer strafferen Organisierung. Im Zentrum der Aktivitäten standen der Antifaschismus (Antifa), das militante Auftreten gegen die massiv auf der Straße präsenten FaschistInnen, später dann auch Antirassismus. Die Kriege gegen den Irak 1991 und in Südosteuropa führten in Teilen der Linken zu Verwirrungen, die dann zur Unterstützung der jeweiligen Kriege führten – auch zum ersten bundesdeutschen Kriegseinsatz gegen Jugoslawien. Die Globalisierungsbewegung mit den Eckpunkten Seattle im November 1999 und Genua im Juni 2001 kommt nur am Rand vor, was zeigt, wie sehr die autonome Bewegung um diese Zeit mit ihren eigenen Verwicklungen und Auseinandersetzungen beschäftigt ist und damit kaum aktionsfähig – bis die Antirepressionsarbeit nach den Festnahmen in Göteborg und Genua wieder wichtig wurde. Zum Schluß noch einige Anmerkungen über die äußerliche Form des Buches. Neben dem durchgehenden Text gibt es auch Einschübe mit persönlichen Erlebnissen, Bildern und Plakaten und einer Zeitleiste mit internationalen Ereignissen, die von der Bewegung rezipiert wurden. Das Layout ist ein bißchen an das Autonomenlayout der 1980er angelehnt, aber nicht so, daß es nicht mehr lesbar wäre. Ich persönlich habe nur die Zeitleiste etwas lästig gefunden. Da sie eigentlich nichts mit dem übrigen Text zu tun hat, hätte sie auch an das Ende des Buches gepaßt. Die Autoren sehen noch nicht das Ende der Autonomen gekommen, sie werden militant in Bewegungen auftauchen, in der ersten Person handeln, sowohl als „Propaganda der Tat“ wie auch in der Auseinandersetzung der Veränderung des eigenen Lebens. Es werde auch irgendetwas undefinierbares geben wie eine Revolution, wo aber nicht behauptet wird, daß die Autoren wüßten, wie sie ausschaut. Da wir nicht wissen, wie die utopische Welt aussehen wird [...], ordnen wir unsere alltägliche Politik nicht dieser ungewissen Zukunft unter, sondern tun hier und heute das, was dem Ziel am nächsten scheint. Wir wollen keine Macht erobern, da wir sie irgendwann ja doch wieder loswerden wollen. Wir wollen keinen Reichtum, es sei denn reich an Erfahrungen, Freundschaften und sozialen Kompetenzen werden. Wir wollen nicht warten auf bessere Zeiten. Wir sind ungeduldig. Robert Foltin |
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