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Gerhard Klas: Die Mikrofinanz-Industrie. Die große Illusion oder das Geschäft mit der Arbeit

Hamburg: Verlag Assoziation A 2011, 320 Seiten, Euro 19,80

Buchbesprechung von Werner Hörtner

Die Kreditprogramme der Grameen-Bank von Nobelpreisträger Muhammad Yunus aus Bangladesch dienen weltweit hunderten von Organisationen der Mikrofinanz-Branche als Modell. „Mikrofinanz ist eine Erfolgsgeschichte“, geben die Verteidiger dieser Idee der Armutsbekämpfung, allen voran natürlich Yunus selbst, unaufhörlich von sich.

Mikrokreditprogramme haben sich in den letzten Jahren in der ganzen Welt, selbst in Europa und den USA, zu einer viel gepriesenen Methode entwickelt, um Arme in prosperierende Kleinstunternehmer zu verwandeln. Auch die staatliche Entwicklungspolitik ist auf dieses Pferd aufgesprungen. Mehr als die Hälfte aller Mikrokredite werden in Südasien vergeben. Die Bilder von glücklich lächelnden Kreditunternehmerinnen in bunten Saris gingen und gehen um die ganze Welt – Hillary Clinton und Nicolas Sarkozy und viele andere Politiker der wohlhabenden Welt verteidigen das System der Kleinstkredite als erfolgreiche Empowerment-Maßnahme. 2005 wurde von der UNO als Jahr der Mikrokredite ausgerufen, und im Jahr darauf erhielt der Mikrofinanz-Guru Yunus den Friedensnobelpreis.

„Wir sind mittlerweile seit mehr als zehn Jahren in der Mikrofinanzierung aktiv. Durch unsere Mikrokredite leisten wir langfristige Hilfe zur Selbsthilfe. Wir haben mehr als zwei Millionen Menschen dabei unterstützt, den Teufelskreis aus Arbeitslosigkeit und Armut zu durchbrechen und sich eine eigene Existenz aufzubauen. Wir meinen es also ernst mit unserem nachhaltigen Handeln und gesellschaftlicher Verantwortung.“

Diese aufbauenden, hoffnungsvoll stimmenden Sätze stammen von einem der wichtigsten Männer der Geschäftswelt, von Josef Ackermann, dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank. Er ist einer der mächtigsten Vorkämpfer der Idee der Mikrokredite, die sich in der Finanzwelt unter dem Motto „Geld verdienen und Gutes tun“ großer Beliebtheit erfreut.

Mittlerweile gibt es viele Tausend Institutionen, die die „Bekämpfung der Armut“ als Geschäft entdeckt haben. Sie sind als Banken, als Nichtregierungsorganisationen oder als Fonds konstitutiert, einige sind sogar an die Börse gegangen. Dann gibt es noch, in viel geringerem Ausmaß, nicht-kommerzielle Akteure wie Oikocredit und Opportunity International.

Die Mikrofinanzindustrie ist eine ausgesprochen boomende Branche. Gegenwärtig sind etwa 60 Milliarden US$ als Mikrokredite im Umlauf, verteilt an zirka 100 Millionen Kunden. Nach Schätzungen der Deutschen Bank gehören eine Milliarde Menschen zum potenziellen Kundenstamm. Das Geld für die kommerziellen Mikrofinanz-Institutionen  kommt von den Kapitalmärkten oder auch von der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit.

Bangladesch, die Heimat von Muhammad Yunus und der Grameen-Bank, ist die Herzkammer der Mikrofinanz-Industrie. Beinahe ein Fünftel der 160 Millionen Einwohner sind Kunden bzw. Kundinnen bei einem Institut für Kleinstkredite. Der Autor Gerhard Klas geht ausführlich auf die Auswirkungen dieser Vormachtstellung auf das selbst postulierte Ziel der Armutsbekämpfung ein.  Und er demontiert das vor allem in Europa und den USA gepflegte Bild von Muhammad Yunus als einem Visionär, der mit den Kleinstkrediten das weltweit erfolgreichste Instrument zur Bekämpfung der Armut entwickelt habe.

Mikrokredite sind Frauenpower, bedeuten Empowerment, die Frauen sind die verlässlichsten Rückzahler usw. - die Verteidiger dieser Form der „Armutsbekämpfung“ - so gut wie ausschließlich Männer – werden nicht müde, diese Art des Frauenlobs lauthals zu verkünden. Und die Symbolfigur Yunus bezeichnet die Mikrokredite immer als Glücksbringer für die Frauen. Soziologische Untersuchungen in Bangladesch haben hingegen ergeben, dass Mikrokredite den Frauen die Hauptlast der Armutsbekämpfung aufbürden und dass sie ihre soziale und wirtschaftliche Entwicklung sogar behindern. Einen kritischeren Blick hat hier die deutsche feministische Politologin Christa Wichterich:

„Die meisten Regierungen in den Zielländern sind gute Geschäftspartner. Sie haben die Mikrokreditprogramme freudig als Entlastungsprogramm übernommen, um sich aus der Verantwortung für soziale Aufgaben, Umverteilung und direkte Armutsbekämpfung zurückzuziehen und ein Gros der Verantwortung an die hochgradig motivierten Frauen und ihre sogenannte Eigeninitiative übergeben zu können.“

Gerhard Klas geht auch ausführlich auf Yunus' Lieblingsidee vom 'Social Business', vom Sozialen Unternehmertum, ein. Soziales Unternehmertum meint, dass die Gewinne eines Produkts nicht als Dividenden ausgeschüttet, sondern in dessen Weiterentwicklung investiert werden.

„Soziales Unternehmertum kann jeder. Es funktioniert sogar mit einem sehr kleinen Unternehmen. Mit Social Business können wir praktisch das ganze Problem der Arbeitslosigkeit lösen. Wir können den Menschen helfen, aus der Fürsorge herauszukommen. Niemand braucht mehr Sozialhilfe. Die Menschen können für sich selbst sorgen.“

Diese Vision verkündete Yunus auf einem weiteren Mikrokredit-Gipfel in Berlin Ende 2009. Im Unterschied zum Friedensnobelpreisträger meint allerdings der deutsche Journalist Klas nicht, dass die Mikrofinanz eine Revolution in der Entwicklungspolitik und der Armutsbekämpfung darstelle. Yunus’ Zusammenarbeit mit Danone, mit BASF und mit dem Otto-Konzern habe keineswegs die propagierte Armutsreduktion gebracht. Für Gerhard Klas stehen Mikrokredite vielmehr im Widerspruch zu den Zielen, die sie erreichen wollen. Eine Befreiung aus der Armut wird es nur dann geben, wenn die Armen selbst die handelnden Subjekte sind, ist der Autor überzeugt.

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ISSN 1814-3164 
Key title: Grundrisse (Wien, Online)

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