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Clemens Knobloch: Wir sind doch nicht blöd: Die unternehmerische Hochschule

Münster: Westfälisches Dampfboot, 2010, 264 Seiten, Euro 24,90

Buchbesprechung von Anton Pam

Die Kritik der unternehmerischen Hochschule

Spätestens seit den Studierendenprotesten in Österreich 2010 werden die Reformen des Hochschulsystems in einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen und diskutiert. Clemens Knobloch hat mit „Wir sind doch nicht blöd: Die unternehmerische Hochschule“ eine ausführliche Kampfschrift gegen die „neo-liberalen“ Reformen am deutschen Beispiel verfasst. Sein Buch bietet eine Übersicht durch den Dschungel der neuen Konzepte und Institutionen. Um hier nur einige wichtige zu umreißen: In ganz Europa wurden die Studiengänge auf das sogenannte „Bologna-System“ umgestellt. Das beinhaltet die Einführung von Bachelor- und Master-Studiengängen sowie eines vermeintlich einheitlichen „European Credit Point System“ (ECTS) zur Bewertung des Zeitaufwandes für Studierende pro Kurs und Studiengang. Diese Maßnahme sollte die Mobilität der Studierenden erhöhen und den Wechsel der Universität erleichtern. „Bologna“ wird von der EU und nationalen Regierung als europäische Marke entwickelt. Auch einzelne Universitäten müssen „Profilbildung“ betreiben und sollen um „exzellente“ oder zahlkräftige Studierende sowie Drittmittel (Gelder von Wissenschaftsfonds und Unternehmen) konkurrieren. Fakultäten, Studiengänge, neueingestellte ProfessorInnen und wissenschaftliche MitarbeiterInnen werden externen Evaluierungen ihrer Leistungen unterworfen, die für das Fortkommen und die Finanzierung zentral sind. Durch ein Ranking von wissenschaftlichen Journalen nach ihrer Bedeutung soll der Wert von Veröffentlichungen messbar gemacht werden. Eingesetzte Gremien, die zum Teil auch mit ehemaligen Managern besetzt sind, übernehmen die Leitung der Hochschulen. Demokratisch gewählte Selbstverwaltungsgremien werden schrittweise entmachtet. Außerdem wird die Hochschullandschaft „diversifiziert“ und hierarchisiert. In Deutschland werden Gewinner der sogenannten „Exzellenz-Initiative“  - einzelne Universitäten oder Cluster - mit zusätzlichen Millionen von Bund und Ländern gefördert und damit die Unterschiede zwischen den Universitäten vergrößert.

Der populistische Angriff auf die Selbstverwaltung

Knobloch erklärt im ersten Teil des Buches überzeugend, wie es überhaupt möglich war, diese Reformen durchzusetzen. Seit Jahrzehnten hatten die Universitäten mit chronischer Unterfinanzierung bei steigenden Studierendenzahlen zu kämpfen. Zwischen 1980 und 2010 stiegt die Zahl der Studierenden in Deutschland von 1,03 auf 2,11 Millionen. Von Politik und Medien wurde erfolgreich ein Diskurs  über den „korporativen Erstickungstod“ der Universitäten vom Zaun gebrochen , in deren Selbstverwaltungsgremien „Besitzstandswahrer“ alle Reformversuche blockieren würden. Um wieder aktionsfähig zu werden, müsse diese Blockade gebrochen werden. Ironischerweise findet der Angriff auf die „alte“ Universität unter den wohlklingenden Parolen „Autonomie“, „Hochschulfreiheit“ und „Selbstverantwortung“ statt. (S.22). Knobloch meint, dass das „New Public Management“  von den linken KritikerInnen der Universität gelernt habe, ihre Schlagworte aufgreife und ihnen neue Bedeutungen gebe. Besonders wird heute die „gesellschaftliche Verantwortung“ der Universitäten betont. Die „Autonomie“ bedeute aber, dass die Hochschulen mit den Ministerien der Landesregierungen nur noch „Zielvereinbarungen“ abschließen und damit ihre Finanzierung nur noch teilweise durch den Staat gedeckt wird. An den Universitäten im Bundesland Nordrhein-Westfalen umfasste z.B. der garantierte Globalhaushalt nach der Einführung des „Hochschulfreiheitsgesetzes“ 2007 nicht mal mehr die volle Lohn- und Gehaltssumme der Uniangehörigen (S.25). Mit gesellschaftlicher Verantwortung sei nun gemeint, möglich effizient AbsolventInnen für die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes zu produzieren. Der Autor meint zu Recht, dass der Diskurs von faulen und ineffizienten ProfessorInnen in ihrem „weltfremden Elfenbeinturm“ sich einer populistischen Beliebtheit in breiten Teilen der Bevölkerung erfreue. Daher würde es von vielen begrüßt, dass die Universität nicht mehr selbst Maßstäbe für ihre Leistungen festlegen soll, sondern von „unabhängigen Gutachtern“ von außen bewertet wird.

Im Zuge dessen hat sich ein mächtiges Akkreditierung(un)wesen herausgebildet. „Unabhängige“ Agenturen bewerten z.B. neue Studiengänge. Ihre Urteile sind für die Genehmigung zentral. In Deutschland können JuristInnen bisher nicht sagen, ob die Akkreditierungsagenturen, die 15.000 bis 20.000 Euro pro Studiengang kassieren, unter öffentliches Recht oder Privatrecht fallen (S.109). Die Pflichtakkreditierung aller Studiengänge durch private Agenturen als radikales „Entöffentlichungsprogramm“ ist interessanterweise bisher ein deutscher Alleingang (S.83). Knoblauch weist mehrfach darauf hin, dass die einflussreiche Bertelsmann-Stiftung sowohl viele „Reformen“ vorgedacht hat als auch im Evaluierungswesen stark vertreten ist.  Zum Glück macht der Autor daraus keine Verschwörungstheorie, in der sich Bertelsmann das deutsche Hochschulwesen unterworfen hat.

Verunsicherung als Erziehungsprogramm

Knobloch zeigt auch, dass es bei der Einführung von Studiengebühren in mehreren Bundesländern nicht nur um zusätzliche Gelder für die Universitäten geht. Er sieht Studiengebühren vor allem als Erziehungsprogramm gegenüber den Studierenden sich selbst als unternehmerisches Humankapital und das Studium als eine Investition in die Zukunft zu begreifen. In diesem Zusammengang weist er auf mehrere Widersprüche hin. Einerseits werden die Studierenden von der Universität als KundInnen geschätzt, anderseits aber einem „System von tausend Nasenringen“ in Form von Prüfungen und vorgeschriebenen Modulen unterworfen, weil sie sonst zur Faulheit und Bummelei neigen könnten (S.167). Der Kunde erwartet zwar Qualität für sein Geld, möchte aber anderseits möglich schnell (und leicht) durch sein Studium kommen. Zwar könne die Zahlung von Gebühren das Selbstbewusstsein des Kunden erst ein Mal stärken, aber die minutiöse Bürokratie von Modulen und Kreditpunkten würde ihm die Flügel schon wieder stutzen. Die StudienabbrecherInnen der Zukunft seien kognitiv eher unterfordert, aber bürokratisch überfordert.

Knobloch zeigt, dass viele Maßnahmen gar nicht so funktionieren wie sie von ihren Erfindern erdacht wurden. Etwas gewagt ist jedoch die Behauptung, dass die ständigen Reformen und das Zielwirrwarr der Stresserzeugung bei Hochschulangestellten und Studierenden dienen würde, um Verunsicherung als Machtmittel einzusetzen. Dabei verlören die Unterworfenen ihr Selbstbewusstsein und die Unkosten der Herrschaft könnten auf sie abgewälzt werden (S.118). Auch wenn es sicher richtig ist, dass an den Universitäten Verunsicherung vorhanden ist, stellt sich Knobloch gesellschaftliche Herrschaft hier zu einfach vor. Es scheint, dass irgendwo jemand sitzt, der ständige Regeländerungen ausheckt, um alle zu verunsichern. Die Implementierung der „Reformen“ wird sicherlich auch von einer nicht zu kontrollierenden Dynamik der Interaktion zwischen den verschiedenen Ebenen und AkteurInnen beeinflusst. Außerdem darf man auch ideologische Blindheit nicht unterschätzten. Viele Befürworter von „Bologna“ haben sicher selber geglaubt, dass alles in ihrem Sinne funktionieren wird.      

Das Lob der alten Massenuniversität 

Knoblochs Kritik an der unternehmerischen Hochschule ist weitgehend überzeugend. Er hat sich durch die Dokumente der „Think Tanks“ und Universitätsleitungen durchgearbeitet. Leider unterscheidet er nicht immer zwischen Absichtserklärungen und der Realität an den Universitäten.  Einige Thesen sind sicher polemisch überspitzt und empirisch nicht untermauert. So stellt er z.B. den heutigen Studierenden ein studentisches Milieu der 1980er Jahre als „alternativ-oppositionellen Lebenstill“ gegenüber (S.140). Damals hätte die Propaganda vom unternehmerischen Selbst nicht den Hauch einer Chance gehabt. Gegen Ende neigt das Buch zur Idealisierung der Universität vor den „Bologna-Reformen“.  Zwar grenzt sich Knobloch mehrfach von Konrad Liessmann („Theorie der Unbildung“, 2006) ab, der in der Pose des Bildungsbürgers über den Untergang des europäischen Abendlandes jammert. Diese Haltung und deren Wirkungslosigkeit hätten den „managerialen Putsch“ erst möglich gemacht (S.149). Am Ende hält Knobloch ein Plädoyer für eine selbstbewusste Massenuniversität, die sich nicht den Zwängen des Marktes unterwerfen soll. Vor „Bologna“ hätten die Hochschulangestellten den Ansturm der Studierenden eigentlich ganz gut bewältigt und trotzdem noch weiter geforscht und damit ihre „Effizienz“ bewiesen.  Durch die derzeitigen „Reformen“ seien Motivation von Lehrenden und Studierenden hingegen angeschlagen und die Wissenschaft sei bedroht, wenn sie auf die Verwertbarkeit für die Wirtschaft reduziert werde. So fasst Knobloch zusammen: „Bildung und Wissenschaft für frei bleibende Zwecke. Spätere Verwertung nicht ausgeschlossen. Das wäre ein Leitbild für eine wirklich autonome Universität. Wobei ausdrücklich gilt: Die wirtschaftliche Verwertung ist eine unter vielen (…). Wem nützt Bildung, die durch ökonomischen Druck stromlinienförmig gemacht wurde?“ (S.252). So bleibt der Eindruck, dass Knoblauch sagen möchte, dass auch für den Kapitalismus die alte Massenuniversität die besseren WissenschafterInnen und AbsolventInnen hervorgebracht hat. Denn was nicht direkt für die Verwertung produziert wird, kann besser verwertet werden. Die Frage bleibt dann natürlich, worin das kritische Potential der alten Hochschule überhaupt bestand? Sollte man die „Bologna-Reformen“ als Tendenz des Kapitalismus, sich selbst zu untergraben begreifen? Dagegen würden die disziplinierenden Effekte für Studierende und Hochschulangestellte sprechen, die Knobloch selbst ausführlich beschreibt. Leider geht er nicht darauf ein, inwiefern sich auch der Kapitalismus in den letzten 30 Jahren verändert hat. So erscheinen die Reformen als Produkt von „neo-liberalen“ Diskursen.

Keine Kritik des bürgerlichen Wissenschaftsbegriffs

Eine Kritik gesellschaftlicher oder universitärer Arbeitsteilung (Hand- und Kopfarbeit, Geschlechterrollen, ProfessorInnen und MitarbeiterInnen usw.) oder des bürgerlichen Wissenschaftsbegriffs findet nicht statt. Im Gegenteil beklagt Knobloch: „Die eigentümliche Macht der Universität bestand jedoch darin, den äußeren Mächten ihre eigene Form aufzuzwingen, die Transformationsmacht des wissenschaftlichen Feldes, in dem nur zugelassen wurde, was selbst als wissenschaftliche Frage formuliert werden kann.“ (S.264) Bestürzend sei der Zugriff von MarktakteurInnen auf dieses Feld. Meiner Meinung nach waren die Fragen, die als „wissenschaftlich“ zugelassen wurden, immer begrenzt und konnten selten das bestehende System in Frage stellen. Die Verwissenschaftlichung von Debatten ist auch problematisch, wenn z.B. versucht wird nachzuweisen, dass Marx Theorien (un)wissenschaftlich seien, anstatt mit offenem Visier politisch zu argumentieren. Bis heute greifen rechte Organisationen das politische Engagement von Studierendenvertretungen oder Lehrenden an, weil das ihre Kompetenz überschreiten würde.  

Die Abtrennung eines eigenen Machtbereichs der Wissenschaft von der Gesellschaft wurde auch in linken bzw. kommunistischen Bewegungen im vergangenen Jahrhundert kritisiert. Zum einem muss hinterfragt werden, wenn sich „ExpertInnen“ mit Theorien und Fußnoten gegenüber „LaiInnen“ unangreifbar machen wollen. Der akademische Titel stattet die SprecherIn mit einer Macht aus, bevor sie den Mund überhaupt aufgemacht hat. Eine fortschrittliche Wissenschaft habe sich in den Dienst der Umwälzung der revolutionären Gesellschaft zu stellen und sich als Teil der sozialen Bewegungen zu begreifen, galt damals. Die Frage der Verwertbarkeit von Forschungsergebnissen für die Gesellschaft wurde auch von linker Seite aufgeworfen. Zum Beispiel könnte eine wissenschaftliche Untersuchung der Besitzverhältnisse Teil einer Kampagne zur Bodenreform sein. Anstatt einfache Menschen nur als Gegenstand der Forschung zu betrachten, sahen linke WissenschaftlerInnen sie als ihre eigentlichen Auftraggeber. Die „Beforschten“ sollten ein Mitspracherecht bekommen. Natürlich besteht die Gefahr einer Verflachung und Instrumentalisierung der Wissenschaft auch in diesem Zusammenhang. In den real-sozialistischen Staaten wurde Forschung oft für tagespolitische Zwecke oder Propaganda instrumentalisiert. Das Problem des Verhältnisses von Wissenschaft zur politischen Bewegung muss weiter debattiert werden und kann heute, da diese Bewegung in Deutschland und Österreich fehlt, nicht gelöst werden. 

Dass die „eigentümliche Macht der Universität“ und Wissenschaft nun von den VertreterInnen des „New Public Management“ gebrochen wird, ist natürlich zu bedauern, weil noch vorhandene Freiräume weiter eingeschränkt werden. Knoblochs Buch ist ein guter Einstieg in die unternehmerische Hochschule. Auch für Menschen, die an Universitäten arbeiten und täglich mit den „Bologna-Reformen“ konfrontiert sind, bietet „Wird sind doch nicht blöd“ durchaus einige neue Erkenntnisse.

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ISSN 1814-3164 
Key title: Grundrisse (Wien, Online)

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