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Britta Grell: Workfare in den USA. Das Elend der US-amerikanischen Sozialhilfepolitik Bielefeld: transcript 2008, 470 Seiten Als Bill Clintons „New Democrats“ 1996 ihr Wahlkampfversprechen „To end welfare as we know it“ einlösten, war auch in Europa der Aufruhr groß: WissenschafterInnen und JournalistInnen analysierten den radikalen Wandel des Politikfelds; Partei-, Verwaltungs- und VerbandsvertreterInnen begaben sich auf Studienreise in die USA, um die Umsetzung der Sozialhilfereform vor Ort zu begutachten; und bald schon machte die „Erfolgsbilanz“ der Reform – i. d. R. festgemacht an Indikatoren wie reduzierten Fallzahlen und Sozialausgaben – die Runde. Binnen kurzem schaffte es das Modell so an die Spitze von Benchmarkings in Sachen Sozialhilfe und zum viel bemühten Best Practice-Beispiel in internationalen Vergleichsstudien. „Die Welfare Reform als Vorbild?“ lautete die rhetorische Frage der Stunde, wobei man sich auch in Europa v. a. von den besonders restriktiven Work First-Modellen angetan zeigte, wie sie etwa in Wisconsin oder Riverside (Kalifornien) realisiert wurden, schienen hier schließlich nicht bloß die Grundlagen für eine Lösung des „Sozialhilfeproblems“, sondern auch wesentliche Voraussetzungen für das „Jobwunder USA“ in den 1990er Jahren geschaffen worden zu sein. Insbesondere der mediale Hype flachte in der Folge zwar rasch wieder ab, der Mythos jedoch hielt sich hartnäckig – und fand qua „fast policy transfer“ Niederschlag in anderen „Reform“-Projekten der späten 1990er und frühen 2000er, wie etwa in „New Labor`s“ New Deal oder in den Hartz Reformen der „Neuen Mitte“. Ein aktuelles Buch der Berliner Politikwissenschafterin Britta Grell nimmt dies zum Anlass, um die unter dem Stichwort „Workfare“ gefassten Fürsorgerealitäten in den USA etwas mehr als zehn Jahre nach der Welfare Reform erneut unter die Lupe zu nehmen. Die vermeintliche Erfolgsstory dient ihr dabei als Negativfolie für eine detaillierte Rekonstruktion des – wie es im Untertitel heißt – „Elends der US-amerikanischen Sozialhilfepolitik“ der Gegenwart. Dafür werden vorab unterschiedliche Erklärungsansätze der kritischen Sozialwissenschaft vorgestellt, um im Anschluss einen weiten historischen Bogen von der Vorgeschichte bis zu den Politikwirkungen der Reform zu schlagen. Grell identifiziert dabei vier Hauptstränge, entlang derer die Sozialhilfepraxis in den USA mit der Welfare Reform – welche im Kern in einer Ersetzung der Familiensozialhilfe Aid to Families with Dependent Children (AFDC) durch ein neues Leistungsprogramm namens Temporary Assistance for Needy Families (TANF) bestand, die aber auch die meisten anderen Programme des komplexen Fürsorgesystems in den USA betraf – neu ausgerichtet wurde: (1) nämlich familienpolitische Zielsetzungen (Restabilisierung des bürgerlichen Familienmodells u. a. durch Sanktionierung „unehelicher Geburten“); (2) arbeitsmarktpolitische (Reintegration in den Arbeitsmarkt u. a. durch Erhöhung des Zwangs zur Aufnahme einer Lohnarbeit oder Beschäftigungsmaßnahme); (3) migrationspolitische (Redefinition sozialer BürgerInnenschaft u. a. durch Ausgrenzung von MigrantInnen aus dem Leistungsbezug); sowie (4) ordnungspolitische (Reprivatisierung sozialer Dienste u. a. durch Public-Private-Partnerships im Bereich der Sozialverwaltung). Ein systematischer Überblick wird dabei auch über die Implementierung der bundesstaatlichen Vorgaben in den Einzelstaaten gegeben – und so das bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Welfare Reform befürchtete „Race to the Bottom“ über weite Strecken bestätigt. Den Hintergrund dafür bilden die Spezifika des föderalistischen Systems der USA und seiner jüngsten Transformation: Während es in der Great Society-Ära der 1960er Jahre nämlich auch hier eine Tendenz zur Zentralisierung der Sozialhilfepolitik gab, wurde diese infolge des neoliberalen Kurswechsels von einer gegenläufigen Tendenz ihrer Reföderalisierung abgelöst. Diese Entwicklung mündete in einem von der Welfare Reform beförderten „doppelten Devolutionsprozess“, in dessen Rahmen die Verantwortung für die Sozialhilfepolitik vom Bund an die Einzelstaaten und von diesen wiederum an die untersten Verwaltungseinheiten (Landkreise, Kommunen) delegiert wird, während die oberen Instanzen sich darauf beschränken, pauschalierte Finanzmittel („block grants“) und Rahmenrichtlinien für deren Einsatz vorzugeben sowie diesen mittels eines Systems von „(Dis-)Incentives“ zu sanktionieren. An die Stelle eines relativ einheitlichen „Welfare state“ ist auf diesem Weg eine fragmentierte Landschaft lokaler Workfare Regime getreten, die vielfach eben um die wechselseitige Unterbietung sozialer Standards konkurrieren. Hinsichtlich der Frage des politischen Widerstands hat das etwa Jamie Peck in seinem Klassiker „Workfare States“ zu der pessimistischen Einschätzung geführt, dass diese dadurch neuen Restriktionen unterworfen wird, denn „[d]ownloading welfare/workfare functions often seems to mean downloading oppositional politics as well“. Ausgehend von diesen Voraussetzungen bilden zwei Fallstudien zu den urbanen Workfare Regimen in New York City und Los Angeles den Kern von Britta Grells Buchs, anhand derer die Bedeutung sozioökonomischer, institutioneller und akteursbezogener Faktoren empirisch untersucht wird. Im Zentrum steht dabei die Frage nach den Handlungsmöglichkeiten und -restriktionen der „sozialpolitischen Oppositionsbewegung“ bei der konkreten Umsetzung der bundes- und einzelstaatlichen Vorgaben vor Ort – und mithin auch ein Stück weit eine kritisch-empirische Überprüfung der angesprochenen These Jamie Pecks. Während Grell in diesem Zusammenhang das angesprochene „Rescaling“ (sozial-)staatlicher Funktionen durch Entsorgungs- und Entkoppelungsmechanismen gekennzeichnet sieht, mittels derer die sich verschärfenden sozialen Widersprüche diskursiv desartikuliert und zunehmend punitiv bearbeitet werden, fällt ihr Resümee bezüglich der Frage des Widerstands einerseits ernüchternd aus: War es in den Strategiedebatten des US-amerikanischen Poor People`s Movements der 1960er und 1970er Jahre noch um die Frage gegangen, wie sich das bestehende Sozialhilfesystem bspw. zugunsten eines nationalen Mindest- bzw. Grundeinkommens grundsätzlich verändern ließe, so bewegen sich die aktuellen Labour-Community-Koalitionen weitgehend innerhalb des von der Welfare Reform abgesteckten Rahmens und konzentrieren sich vorwiegend darauf, einzelne ihrer Auswüchse abzumildern. Andererseits können sie dabei trotz falsch verstandenem Pragmatismus und vielfältiger Kooption auf durchaus beeindruckende Erfolge verweisen, die für die Betroffenen, wie Britta Grell zu Recht betont, vielfach einen „Unterschied ums Ganze“ machen. Dies betrifft etwa die Kompensation der Ausgrenzung von MigrantInnen aus dem Leistungsbezug durch Programme auf einzelstaatlicher Ebene in Kalifornien oder den Boykott erzwungener Arbeitsdienste durch NGOs und kirchliche Einrichtungen in New York City. Obschon im Ergebnis wenig erfolgreich so muss aus europäischer Perspektive darüber hinaus wohl auch die bloße Existenz von Kampagnen zur Organisierung von „Workfare Workers“ als Erfolg gewertet werden, die vielfach von Gewerkschaften, Polit- und Community-Organisationen gemeinsam getragen wurden. Am angesprochenen „Elend der US-amerikanischen Sozialhilfepolitik“ konnten Erfolge dieser Art, wie Britta Grell zeigen kann, freilich wenig ändern. Nicht bloß im Hinblick darauf hat die Autorin eine theoretisch solide unterfütterte und gerade hinsichtlich ihrer empirischen Umsetzung überzeugende Studie vorgelegt. V. a. jedoch hat sie ein politisch gewichtiges Buch geschrieben, das sich nicht zuletzt aufgrund seines beeindruckenden Umfangs bestens dazu eignet, dem Personal des gewendeten Staates und seinen ideologischen StichwortgeberInnen an den Universitäten und Forschungsinstituten vor den (sprichwörtlichen, versteht sich;) Latz geknallt zu werden. Aber auch aus der Perspektive sozialer Kämpfe lässt sich aus den in der Studie aufgearbeiteten US-Erfahrungen einiges lernen. Und das betrifft nicht bloß das Scheitern. Markus Griesser |
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