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Bettina Haidinger: Hausfrau für zwei Länder sein. Zur Reproduktion des transnationalen HaushaltsMünster: Westfälisches Dampfboot 2013, 289 Seiten, Euro 29,90 Buchbesprechung von Irene Messinger Den meist unsichtbaren „Putzfrauen“ ein Gesicht zu geben, das versuchen aktuell verschiedene Formate wie der Dokumentarfilm „Mama illegal“ von Ed Moschitz, die Ausstellung der Künstlerin Anna Jermolaewa oder die Undercover-Reportage „Saubere Dienste“ der Journalistin Sibylle Hamann. Zeit, dass sich auch die Wissenschaft diesem wichtigen Thema widmet und eine fundierte Auseinandersetzung mit schwierigen Fragestellungen an den Schnittstellen von (Arbeits-)Migration, Wohlfahrtsstaat, Pflegepolitik und globalen ökonomischen Differenzen aus intersektionaler Perspektive bietet. Die an der Wiener Wirtschaftsuniversität approbierte Dissertation der feministischen Ökonomin und Politikwissenschaftlerin Bettina Haidinger wurde für das im Juni 2013 erschienene Buch gekürzt und überarbeitet. Es behandelt die oben angeführten Themen anhand der Lebenssituation ukrainischer Haushaltsarbeiterinnen in Wien. Im Fokus ihrer Forschung steht dabei ihre Verortung im transnationalen sozialen Raum zwischen der Ukraine und Österreich, und die sich verändernden Strategien und Praktiken der Haushaltsorganisation. Für die empirische Forschung wurden neun Expert_inneninterviews mit Vertreter_innen aus NGOs und Wissenschaft sowie 23 biografische Interviews in Österreich und der Ukraine geführt. Bei den interviewten Frauen standen insbesondere Mütter im Vordergrund, die ihre Kinder nicht nach Österreich bringen konnten und daher im Herkunftsland versorgen lassen mussten („Transnational mothering“). Ein interessanter Fakt ist, dass alle interviewten Frauen zumindest die Reifeprüfung einer höheren ukrainischen Schule und der Großteil sogar ein Studium an einem weiterführenden Kolleg oder der Universität absolviert hatten. Fast alle lebten zum Zeitpunkt der Interviews ohne Aufenthaltsrecht in Österreich. Die sehr reflektierten Erzählungen berichten von ihrem Leben in Österreich und dem Leben ihrer Familien in Abwesenheit der Mutter und werden aus vielfältigen theoretischen Blickwinkeln von der Autorin interpretiert und dadurch in ihrer Aussagekraft vertieft. Haus-halten über Grenzen hinweg… Die von der Autorin beschriebenen Frauen agieren gleich in drei Haushalten: an ihrem Arbeitsort in Wien, wo sie bezahlte Hausarbeit verrichten, in ihrem eigenen privaten Wiener Haushalt und jenem von ihnen finanzierten Haushalt in der Ukraine. Warum der Haushalt als Untersuchungseinheit und relevanter ökonomischer Akteur gewählt wurde, wird schlüssig erklärt: Der Haushalt wird als Ort verstanden, an dem (re)produktive Arbeit stattfindet, soziale sowie Machtbeziehungen gelebt und Konsumentscheidungen getroffen werden. Da „der Haushalt“ nicht an das Konzept der Kleinfamilie gebunden ist und damit innerfamiliäre Dynamiken wie beispielsweise Patchworkfamilien besser erfassen kann, ist er als Analyseeinheit besonders geeignet. Unter „transnationalen Haushalten“ versteht Haidinger soziale und familiäre Netzwerke, die zwar geografisch verstreut und dennoch miteinander verbunden sind. Als Protagonist_innen dieser transnationalen Haushalte werden sechs Prototypen nachgezeichnet: Neben den in Wien tätigen Migrantinnen („The Absent Agent“) sind dies zum einen in der Ukraine die „Väter in Reserve“, die (erweiterte) Familie und die Kinder, zum anderen in Österreich die Arbeitgeber_innen, und jene familienersetzenden Beziehungen und (Wohn-)Gemeinschaften, die zwischen Solidarität und Konkurrenz pendeln. Drei theoretische Kapitel stecken den anspruchsvollen Rahmen ab, in dem sich die Untersuchung bewegt: Aus dem Blickwinkel der Migrationsforschung werden die Praxen der Migration im Kontext neoliberaler ökonomischer Veränderungen sowie der Zusammenhang zwischen Migration und Entwicklung dargestellt und geschlechts- und klassenspezifische Machtverhältnisse anhand des Beispiels transnationaler Mutterschaft und globaler Betreuungsketten verdeutlicht. Warum und wie die Beziehung der Haushaltsorte zueinander ausgestaltet sind, wird mittels des Konzepts der „Gendered Geographies of Power“ erklärt. Dieses von Sarah Maler und Patricia Pessar entwickelte Modell ermöglicht die systematische Analyse der Geschlechterdimension im transnationalen Raum. Für die Analyse von Geschlecht führen sie erstens „geograpical scales“ wie etwa die Nationalstaaten ein, die in der Ausgestaltung ihrer Geschlechternormen und –beziehungen dominant sind, und „social scales“ wie Körper oder Familie. Dabei ist zu beachten, dass Geschlecht gleichzeitig und zwischen transnationalen Räumen sowie zwischen den „scales“ wirksam und veränderbar wird. Der zweite Teil des Konzepts, die „Machtgeometrien“ machen sichtbar, „wie institutionelle geschlechterdifferenzierende Rahmenbedingungen und ihre sozialen Verortungen von Menschen ihren Ressourcenzugang und ihre Mobilität betreffen, welche gleichzeitig Handlungen als Initiator_innen, Interpret_innen und Transformator_innen eben dieser Verortungen setzen“ (S. 70). Als dritter Teil des Konzepts fungiert „Agency“, also Handlungsfähigkeit und –macht im Kontext sozialer Positionierungen. Die Autorin bereichert ihre Analyse dadurch, dass sie Studien zu anderen transnationalen Räumen wie jene der vergleichsweise gut erforschten philippinischer Migrantinnen in Bezug zur untersuchten Gruppe der ukrainischen Frauen in Wien setzt, um die Besonderheiten aber auch Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Die Autorin analysiert die Tatsache, dass weibliche Ukrainerinnen in Privathaushalten arbeiten als „Produkt des Grenzregimes“ (S. 9). Dabei werden die makroökonomische und politisch-legislative Ebene ebenso einbezogen wie die Mikroebene der Lebenserfahrungen und -perspektiven ukrainischer Migrantinnen. Sie zeigt beide Seiten des Grenzregimes: in der Ukraine und in Österreich. Wir lesen über die wirtschaftlichen und politischen Veränderungen in der Ukraine durch die Orange Revolution 2004 und über Maßnahmen zur Grenzsicherung wie die Auswirkungen der Ausländer_innengesetze, jedoch auch über Strategien der Migrantinnen, diese Kontrollapparate - wenn auch unter großem Risiko - zu unterwandern. Diese Grenzregime, die vordergründig Abschottung intendieren, schaffen gleichzeitig illegalisierte Migrant_innen, von denen sie profitieren. Haidingers Analyse verdeutlicht die Mächtigkeit der unsichtbaren Grenzregime, abseits der Grenzen, mitten in der Stadt Wien und insbesondere im Privathaushalt. „Wer nicht riskiert, trinkt keinen Champagner“ Als primären Grund geben die befragten Personen an aus wirtschaftlichen Gründen die Ukraine verlassen zu haben, die Mütter porträtierten sich zudem als selbstlose Personen, die sich für die Zukunft ihrer Kinder aufopfern. Haidinger beschreibt hingegen die Entscheidung zur Migration als „wohldurchdachtes Projekt“ und zeigt auch weitere vielfältigere Motivationen für die zeitweise Arbeitsmigration auf, die nicht nur mit dem „Zwang der Verhältnisse“ erklärt werden können, wie der Wunsch Neues zu entdecken oder das Nutzen einer günstigen Gelegenheit (zum Beispiel durch Arbeitsplatzsicherheit in der Karenzzeit). Die Entscheidung zur Migration ist meistens ein Balanceakt zwischen Notwendigkeit und Strategie, die vorsieht, ein Jahr im Ausland zu bleiben, und dann zurückzukehren. In der Realität dauert der Aufenthalt meist länger. Eine Haushaltsarbeiterin erzählt, dass die 50 Euro Tagesverdienst als Putzfrau ihrem Monatseinkommen als Lehrerin der Ukraine entsprechen. Damit wird nachvollziehbar, warum viele Frauen diese unqualifizierte Arbeit auf sich nehmen, und nicht nur gehen, sondern auch bleiben, auch ohne Aufenthaltsstatus. Der persönliche Kontakt mit der Familie ist außer durch Telefon und Internet schwierig, weil die Frauen ohne Aufenthaltsrecht leben und daher nur auf informellen teuren Wegen aus- und vor allem wieder nach Österreich einreisen können. Die materiellen Rücküberweisungen in Form von Geld oder Konsumwaren sind wichtig, um den ukrainischen Haushalt aufrecht zu erhalten und entsprechend Einfluss zu üben. Der Arbeitsplatz Privathaushalt bietet einerseits einen Ort des Schutzes vor staatlicher Kontrolle, andererseits kann er gerade aufgrund seiner Unsichtbarkeit zum Ort der Ausbeutung, rassistischer Diskriminierung und Gewalt werden. Möglichkeiten der Aufenthaltsverfestigung gibt es aus dem prekären Status heraus kaum, einige entscheiden sich für die Eheschließung mit einem Österreicher, wodurch sie zwar legalisiert werden könnten, doch nicht mehr als eigenständige Hausarbeiterin tätig wären, sondern die gleiche Arbeit fortan unbezahlt als Ehefrau verrichten müssten. Währenddessen in der Ukraine… Während die Frauen in Österreich arbeiten, werden die Familie und der Haushalt im Heimatland meist von anderen Frauen versorgt: Großmütter, Tanten oder Nachbarinnen sorgen (teilweise gegen Bezahlung) für die Kinder, manche Teenager versorgen sich mit dem von der Mutter geschickten Geld selbst. In einigen Fällen waren auch Väter und Großväter unterstützend tätig. Während die Rücküberweisungen am Anfang des Auslandsaufenthalts das Überleben dieser (erweiterten) Familie sicherten, werden später kleinere Luxusgeschenke wie Spielsachen geschickt. Diese Geschenke sind als Kompensation für die Abwesenheit einerseits und als Versicherung der Möglichkeit einer Rückkehr andererseits zu sehen. Die Frauen berichten von der zwiespältigen Situation, sich in der neuen Rolle der Familienernährerin bestätigt und anerkannt zu fühlen, gleichzeitig wird die Trennung von den Kindern und die fehlende Möglichkeit der Einflussnahme als Mutter als belastend erlebt. Die Väter – so noch vorhanden und in dieser Rolle aktiv – sind mit der emotionalen und sozialen Verantwortung oft überfordert. Wenn die Mütter nach einigen Jahren aus dem Ausland zurückkehren, hat sich die Familie oft völlig verändert. Für manche Frauen barg die Migration emanzipatorisches Potential, denn sie wollten und konnten aus festgefahrenen Beziehungsmustern oder tradierten Rollen ausbrechen. Ergebnisse Das Resümee der Studie beschreibt den transnationalen Haushalt als „Raum widersprüchlicher Klassenmobilität und geschlechterdifferenzierender Verortung“ (S. 258). „Widersprüchliche Klassenmobilität“, ein Ausdruck den Rhacel Parreñas in ihrem Buch „Servants of globalizations“ geprägt hat, bedeutet also in diesem Zusammenhang einerseits mehr Einkommen, andererseits Dequalifizierung am Arbeitsmarkt und Verlust des sozialen Status. Die „geschlechterdifferenzierende Verortung“ bezieht sich darauf, dass Geschlechterverhältnisse gleichzeitig in verschiedenen räumlichen und sozialen Dimensionen sowie über die Grenzen der involvierten Nationalstaaten operieren. Der Staat, in diesem Fall also die Ukraine und Österreich, regelt die strukturellen Rahmenbedingungen in Form der Ausgestaltung der Migrations- und der Wohlfahrtsregime. Die Autorin zeigt auf, dass die den Frauen zugeschriebene Zuständigkeit für Pflege und Haushalt trotz ihrer teilweise prekären Erwerbstätigkeit bestehen bleibt. Das Buch beschreibt auf der einen Seite in sehr eindrucksvoller und berührender Weise das Leben ukrainischer Hausarbeiterinnen in Wien, auf der anderen Seite analysiert es auf hohem theoretischen Niveau das komplexe Phänomen transnationaler Haushalte und wie nebenbei viele andere globale soziale Ungleichheiten. Es schafft den Spagat zwischen wirtschafts- und politikwissenschaftlichen Zugängen und setzt auf vielen Ebenen an, um sich der Beantwortung der Fragestellungen in der notwendigen Dichte zu nähern. |
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