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Bernhard Schmid: Die arabische Revolution? Soziale Elemente und Jugendprotest in den nordafrikanischen Revolten 2011, Münster: edition assemblage, 120 Seiten, 12,80 € Buchbesprechung von Martin Birkner Bernhard Schmid, in Paris ansässiger Journalist und politischer Aktivist ist ein exzellenter Kenner des arabischen Raums. In dem bei der neu gegründeten edition assemblage erschienenen schmalen Bändchen liefert Schmid sowohl eine dichte Beschreibung der Ereignisse des sogenannten „Arabischen Frühlings“ als auch die Verstrickung der westlichen bzw. vielmehr nördlichen Staaten in die Machtverhältnisse und deren zum Teil radikale Transformation durch die Volksbewegungen von 2011. Quer durch mehr (Ägypten, Tunesien) und weniger bekannte (Quatar, Marokko) Beispiele des beispiellosen Umwälzungsprozesses macht Schmid die Vieldimensionalität des „Arabischen Frühlings“ deutlich. Er unterzieht die Rolle islamistischer Bewegungen einer materialistischen Analyse, weit abseits neokonservativer und linksliberaler Panikmache, er zeichnet den Einfluss von Facebook und anderen sozialen Medien als Werkzeuge der Organisation von Protesten nach, um gleichzeitig den medialen Hype und den Reduktionismus der bürgerlichen Presse („Facebookrevolution“) in die Schranken zu weisen, und er nähert sich der sozialen Zusammensetzung der Revoltierenden in den verschiedenen Ländern, dem regional äußerst unterschiedlichen Einfluss der Gewerkschafts- und ArbeiterInnenbewegung. Akribisch werden sowohl die Daten der revolutionären Ereignisse miteinander in Beziehung gesetzt als auch die – meist gescheiterten – Versuche der jeweiligen Regierungen nachgezeichnet, sich den sozialen Frieden durch Geld bzw. (neue) Sozialleistungen quasi zu erkaufen. Ein wichtiger Abschnitt ist der Rolle des Westens bzw. „Nordens“ gewidmet. Die LeserIn erfährt so die Details der von Sarkozy ins Leben gerufenen „Mittelmeerunion“ (Ex-Co-Präsident: Hosni Mubarak), die damit verbundenen geostrategischen Interessen und ökonomischen Verflechtungen – selbstverständlich stets zu Lasten der breiten Bevölkerungsmehrheit. Auch Israel & Palästina ist ein Kapitel gewidmet, der sozialen Protestbewegung in Israel, aber auch der politischen Nähe vieler autokratischer Herrscher zum israelischen Regime – und last not least der Sonderrolle des reaktionären „neuen“ „Philosophen“ Bernard-Henri Levi, der plötzlich als Mittelsmann zwischen der französischen Regierung und den lybischen RebellInnen auftritt und – bar jeder Realität – ein pro-israelisches und selbstredend kapitalistisches Regime in Lybien herbeiverhandeln wollte. Gegen Ende des Buches weist Schmid auf den Einfluss der revolutionären Umwälzungen auf die Migrationsbewegungen aus den betroffenen Ländern hin und damit verbunden auf die erbärmliche Rolle der europäischen Staaten, denen wohl ein willfähriger Diktator wie Qadhafi (so gehört der nämlich geschrieben!), der mit EU-Geldern Flüchtlingslager gegen afrikanische MigrantInnen bauen lässt, lieber ist als eine instabile oder gar eine „unkontrollierbare“ Lage, die nicht zuletzt durch die Ströme der Migration die reichen Staaten des Nordens auf die postkolonialen Ungleichheiten ökonomischer und sozialer Natur beständig erinnert. Last not least in aller Kürze ein paar Wermutströpfchen: Über die (Veränderung der) Rolle der Frauen in den Revolten hätte ich gerne mehr erfahren, ebenso über die soziale und politische Zusammensetzung der lybischen RebellInnen (was Schmid allerdings nur schwer vorzuwerfen ist, gibt es doch meines Wissens nach kaum brauchbare Analysen dazu). Auch steht eine intensive Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen politischer und sozialer Revolution noch aus – besonders wichtig angesichts der Gefahr, dass sich die durch die Bewegungen veränderten Regierungen dem neoliberalen Projekt noch zugänglicher zeigen könnten als die verblichenen Potentaten der Vergangenheit. Im knapp gehaltenen Schlusskapitel beklagt Schmid die mangelnde Ausstrahlung bzw. vielmehr Aufnahme der arabischen Revolten in Europa – was meines Erachtens sowohl angesichts der „Occupy“-Bewegungen als auch der massiven Widerstände gegen die Zerstörung von Sozialsystemen in einigen europäischen Staaten nicht ganz gerechtfertigt ist. Immerhin stürzen auch europäische Regierungen mittlerweile im Wochentakt. Von der Massivität der Proteste, der Neuzusammensetzung kollektiver politischer Subjekte und der Mobilisierungsfähigkeit unter oft widerlichsten Bedingungen her haben wir jedenfalls vom Süden viel zu lernen. Dem Text ist die unmittelbare Nähe zu den Ereignissen anzumerken. Schmid betont die Prozesshaftigkeit der arabischen Revolutionen, die Darstellung endet mit der Abgabe des Manuskripts Ende August 2011. Allein deshalb kann der Band nicht als endgültige Analyse gelten. Und obwohl „Die arabische Revolution?“ somit eine relativ kurze Halbwertszeit beschert sein wird, ist es nachdrücklich zu empfehlen: als Darstellung der historischen Fakten wie auch einer materialistischen Einschätzung der Bewegung in ihrer sozialen und (geo)politischen Verschränktheit – des hoffentlich ersten Schritts einer wirklichen revolutionären sozialen und politischen Umwälzung des arabischen Raumes. Und nicht nur dieses. Martin Birkner |
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