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Robert
Foltin
Symbole der
Macht – symbolischer Widerstand
Seit den
Demonstrationen in Seattle 1999 gibt es keine Treffen der Herrschenden ohne auch
medial wahrgenommene Proteste. Durch den Bedeutungsverlust der Nationalstaaten
im Rahmen der so genannten „Globalisierung“ werden neue Formen der
Organisation des Kapitalismus und Repräsentationen der Macht gefunden, die sich
in solchen internationalen Treffen auszudrücken scheinen. Hardt / Negri haben
in ihrem Papier, das sie auf der Documenta 11 in Wien präsentierten (und in
ihrem Buch „Empire“), gezeigt, daß diese Art von Repräsentationen durch
die Verschiebung vom Imperialismus zum Empire eine viel geringere Rolle spielen.
Daß das Akzeptieren von Opposition, Transparenz der Diskussionen und eine repräsentative
Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Organisationen wie Gewerkschaften und NGOs,
wie von einem großen Teil von „Gipfel-Gegnern“ gefordert,
konstitutiv ist. Diese Organisationen werden als Teil der Machtausübung,
der Kontrolle über die widerständigen und kritischen Bewegungen funktionieren.
Im folgenden sollen die aktuellen Herrschaftsformen kurz skizziert, die Rolle
solcher Gipfel (wie das WEF-Forum in Salzburg) diskutiert, aber auch die
Gegenbewegungen kritisch betrachtet werden. Empire Im
Kapitalismus der zweiten Hälfte des 20 Jahrhunderts, im so genannten Fordismus,
steht die Fabrik im Zentrum der Ausbeutung. Die Gesellschaft, die über die
Reproduktion der Arbeitskraft in der Familie, über die Disziplinierung in
Institutionen wie Schule und Gefängnis, aber auch als soziale Organisation in
Vereinen und informellen Zusammenhängen notwendiger
Teil davon ist, steht außerhalb der direkten kapitalistischen Organisation.
Zusammengeführt werden die unterschiedlichen Wünsche und Bedürfnisse der
Menschen durch die Repräsentation als Völker in Nationalstaaten. RepräsentantInnen
dieser Staatsvölker sind üblicherweise PolitikerInnen. Auch die
Systemopposition ist repräsentationell und elitär organisiert. Revolutionäre
und radikale Parteien und Gruppen (genauso wie staatstragende und
reformistische) haben sich immer als Avantgarde und Elite gesehen, die einer
ArbeiterInnenklasse erklärten, wie sie sich verhalten soll. In den
letzten Jahrzehnten gibt es eine Tendenz einerseits zur Ausdehnung der
kapitalistischen Struktur auf die Gesellschaft, andererseits zum Eindringen des
Lebens in den Produktionsprozess. So hat sich die Organisation der Arbeit geändert,
die „Zivilgesellschaft“ wurde aufgewertet und als konstituierendes Element
der Machtausübung anerkannt. Die
Hierarchien in den Firmen sind flacher geworden, „selbstbestimmte“ Team- und
Projektarbeit hat zugenommen. Der fixe Zeitrahmen zwischen Arbeit und Freizeit
wird durch die Flexibilisierung immer mehr aufgehoben. In vielen Jobs, z.B. im
neuen UnternehmerInnentum gibt es überhaupt keine Trennung mehr zwischen Leben
und Arbeit. Entscheidungen, Kommunikation und Organisation werden teilweise von
einer Managementebene zu den ArbeiterInnen verlagert. Auf der
anderen Seite wird die Gratisarbeit in NGOs auch im herrschenden Diskurs positiv
gesehen und die Grenze zwischen „freiwilliger“ Gratisarbeit und bezahlter
Lohnarbeit wird immer unsichtbarer. Die kapitalistische Organisation hat die
ganze Gesellschaft erfaßt. Auf
beiden Seiten zeigt sich, daß Eliten, die die Vermittlung innerhalb der
Hierarchien herstellen, immer unwichtiger werden. In den großen Firmen wird die
Mangementebene verkleinert, MeisterInnen und VorarbeiterInnen verlieren an
Bedeutung. In anderen gesellschaftlichen Bereichen wird die Repräsentation
durch eine (z.B. politische) Elite tendenziell in eine Medienshow verwandelt.
Das Spektakel der politischen Demokratie, das im nationalstaatlichem Rahmen eine
wichtige Rolle zur Herstellung eines gesellschaftlichen Konsenses spielte, wird
immer mehr entwertet, wie die „Politikmüdigkeit“ einerseits und die
Aufwertung von BürgerInneninitiativen andererseits zeigt. Parallel
dazu verschieben sich die Grenzen der Nationalstaaten. Abgegrenzte Territorien
werden immer unwichtiger, Grenzen werden fließend. In den Gettos der ersten
Welt sind die Bedingungen ähnlich wie in vielen Regionen der Erde und
kapitalistische Zentren haben sich auch außerhalb der ersten Welt entwickelt.
Auch die Grenzregimes sind flexibel geworden, die Abschottung gegen unerwünschte
Arme erfolgt nicht mehr an einer starren Grenze, sondern überall durch die
Suche nach Illegalisierten, durch Schleierfahndung. Selbst der Vertrag von
Schengen wird flexibel gehandhabt, wie die Wiedereinführung der Grenzkontrollen
zu Zeiten, wo Demonstrationen stattfinden, zeigt. Auf der
Mikroebene sind die Veränderungen der Machtausübung in einigen Regionen schon
recht weit gediehen, die Ausbeutung und Unterdrückung muß aber auch auf der
Weltebene funktionieren. Aus diesem Grund soll die Bedeutung internationaler
Treffen im Zusammenhang der Entwicklung zum Empire betrachtet werden. Netzwerke der Macht
Die neuen Strukturen der
Machtausübung haben sich am frühesten in der Wissenschaft entwickelt. Für die
vergangene Moderne ist das erfinderische Genie im Zentrum gestanden, heute ist
wissenschaftliche Entwicklung ein hochgradig kollektives Projekt. An
entscheidenden Weiterentwicklungen arbeiten hunderte von Menschen, die jeweils
auf den Untersuchungen von anderen aufbauen. Sie sind über die ganze Welt
verteilt, auch wenn sie sich mehrheitlich in den hochentwickelten Ländern,
insbesonders den USA befinden. Vermittelt wird das über Publikationen, aber
auch durch direkte Kommunikation und Zusammenarbeit. Als Ergänzung werden persönlicher
Kontakt und informelle Beziehungen über internationale Kongresse und sonstige
Veranstaltungen hergestellt.
Die Veränderung
der kapitalistischen Organisation durch die Ausbreitung auf alle Regionen der
Welt und in alle Lebensbereiche bedeutet eine andere Verwaltung der
kapitalistischen Gesellschaft. Dabei gibt es verschiedene Ebenen, über die die
herrschenden Netzwerke funktionieren. Eine erste Ebene sind internationale
Organisationen wie die OSZE, der IWF, die WTO etc., eine weitere Ebene sind die
ManagerInnen der transnationalen Konzerne. Für den Bezug zur Bevölkerung der
Regionen sind teilweise (aber immer weniger) noch immer die Nationalstaaten zuständig.
Eine immer größere Rolle spielen dabei eine große Anzahl internationaler,
nationaler und regionaler NGOs. Diese Organisationsstrukturen werden auch in
Veranstaltungen zur persönlichen Kontaktnahme zusammengeführt, ähnlich wie
durch Kongresse im Bereich der Wissenschaft. IWF und Weltbank sind
Organisationen, die noch zu fordistischen Zeiten gegründet wurden, sie bestehen
stärker aus Eliten, die tatsächlich bestimmte abgegrenzte politische und ökonomische
Maßnahmen bestimmten, Einfluß auf nationalstaatliche Politik ökonomisch schwächerer
Nationen genommen haben. Das World Economic Forum (WEF) hat einen mehr
informellen Charakter. Es organisiert ein persönliches Zusammentreffen nicht
nur irgendwelcher Entscheidungsträger, sondern aller Strukturen, die eine Rolle
für die Machtausübung spielen. Aus diesem Grund ist es den VeranstalterInnen
auch so wichtig, NGOs in diese Konferenzen einzubeziehen. Auch in Salzburg
zeichnet sich das bereits ab: der Veranstalter des WEF Charles McLeod: „.. mit
Globalisierungsgegnern ... hoffe man in friedlichen Dialog zu treten.“ (SN,
7.6.2001) Neben
der sozialen Ebene spielt aber auch die Selbstdarstellung einzelner sich wichtig
fühlender Personen eine gewisse Rolle. Wer Geld und Macht hat, will es auch
darstellen, erst recht, weil er oder sie als Individuum immer unwichtiger werden
und ersetzbar sind. Die Absage des Weltbank-Treffens in Barcelona zeigt aber, daß
diese Ebene keine Rolle mehr spielt, wenn die soziale Ebene durch
Demonstrationen gestört wird. Soziale Zusammenhänge und Beziehungen können
auch in weniger spektakulären Treffen hergestellt werden. Revolten
In den
90er Jahren hat es Revolten gegeben, die verhältnismäßig schnell eine große
Breite gewannen, teilweise eine große Radikalität zeigten, aber sehr schnell
wieder erloschen sind. Hardt / Negri erwähnen u.a. die Unruhen in Los Angeles
1992, die Streiks im öffentlichen Dienst in Frankreich 1995 oder die Streiks um
Anerkennung gewerkschaftlicher Rechte in Südkorea 1996. Diese Aufstände haben
sich nicht aufeinander bezogen und sind nach einem kurzen Aufflackern
(scheinbar?) verschwunden. Ein
(weniger radikales) Beispiel in Östereich war der Studierendenstreik 1996. Im
Gegensatz zu früheren Auseinandersetzungen auf den Universitäten erreichte er
eine größere Breite und einen zahlreichere Beteiligung. Aber nach der
Niederlage ist nichts mehr übrig geblieben. Spätere, meist wesentlich ärgere
Verschärfungen der Studienbedingungen haben noch weniger Widerstand gezeigt
(Ausnahmen waren die großen Demonstrationen bei der Einführung der Studiengebühren).
Die
mangelnde Kontinuität ist durch die Marginalisierung der Relikte der fordistischen radikalen Opposition
(linksradikale Parteien und Gruppierungen) verursacht. Es haben sich keine elitären
und bürokratischen Strukturen entwickelt oder sie wurden sofort in die
herrschende Struktur der Machtausübung integriert (wofür frühere
Oppositionelle immerhin ein paar Jahre brauchten). Inwieweit
aus der Vernetzung des radikalen Widerstands um die Demonstrationen gegen die
Gipfel der Herrschenden eine radikale und nicht elitäre Alternative wird, wird
sich erst zeigen. Salzburg Das
Treffen in Davos ist in den Siebzigern als informelles Treffen der herrschenden
Netzwerke entstanden, anfangs nur mit VertreterInnen von Staaten,
internationaler Organisationen und transnationaler Konzerne, seit neuem auch
unter Einbeziehung von NGOs. Das Treffen in Salzburg findet seit einigen Jahren mit einem Themenschwerpunkt der
Beziehungen zu Osteuropa statt. Durch
die angekündigten Demonstrationen bekommt Salzburg – so wie alle Gipfel seit
Seattle – einen symbolischen Charakter. Die Mächtigen der Welt scheinen sich
zu treffen, um den Kapitalismus zu organisieren. In Wirklichkeit würde es überhaupt
nichts ändern, würde dieser Gipfel zum Platzen gebracht, wie ein Teil der
Flugblätter suggeriert. Es wäre kein wirklicher Sieg, kapitalistische
Ausbeutung und Organisation funktioniert auch ohne die Ergänzung durch solche
spektakulären Treffen. Der informelle Zusammenhang läßt sich auch in einem
kleineren Rahmen herstellen. Trotzdem
ist es sinnvoll, diesen Symbolwert des WEF-Treffens zu benutzen. Ohne die
Medienberichterstattung über die
Auseinandersetzungen von Seattle bis Quebec würden sich viele für
antikapitalistische Themen nicht interessieren. Die Demonstrationen in Salzburg
und die Vorbereitung dafür ist ein wunderbarer Anlaß, über Grenzen hinweg zu
kommunizieren und Teil eines internationalen antikapitalistischen Zusammenhanges
zu werden. Auch wir können soziale Qualitäten ausnützen, wenn wir uns
treffen. Wir können uns organisieren, aber auch Feste feiern. Aber wir
sollten uns auch überlegen, wie wir um unsere Wünsche und Bedürfnisse kämpfen
können, ohne uns an den anachronistischen Machtdemonstrationen des
kapitalistischem Systems zu orientieren. Die Revolten auf der mikropolitischen
Ebene müssen miteineinander verknüpft werden, damit die Verschiedenheit der Kämpfe
der Unterdrückten und Ausgebeuteten zu einer echten Bedrohung des „Empire“,
der aktuellen kapitalistischen Herrschaftsform werden kann. Literatur: Hardt,
Michael und Negri, Antonio (2000): Empire. Harvard
University Press. Hardt, Michael und Negri,
Antonio (2001): Globalization and Democracy. Documenta
11, 20.4.2001. Ursprünglich
veröffentlicht in: TATblatt |
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