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Robert Foltin Radical Cheerleading und Pink&Silver : Demonstrationskultur zwischen Anpassung und Konfrontation Mit der globalen Protestbewegung wurden die
traditionellen linken Aktionsformen wie Demonstrationen, Kundgebungen etc durch
direkte Aktionen wie Blockaden, Eroberung des öffentlichen Raums ergänzt.
Dabei gibt es auch Aktionsformen, die karnevaleske Elemente enthalten. Ein
solches Konzept ist Pink & Silber. Dabei ziehen sich Frauen und Männer
rot-rosa-silber an, verstärken sozusagen die weiblichen Attribute und tanzen
(meist zu Sambarhythmen) auf den Demonstrationen gegen die Polizei. Radical
Cheerleading ist das Aufführen von Choreographien in einem Kontext, in dem so
eine Art von Aktion und Performanz nicht erwartet wird. Neben dem Spaß, den das
lustvolle Bewegen macht, geht es auch darum, vorherrschenden Repräsentationen
etwas entgegenzusetzen, das vorerst im Kontext politischer Demonstrationen nicht
erwartet wird: Gegen positive oder negative Ordnung: Politische Gruppierungen sehen sich immer als
VertreterInnen irgendwelcher imaginärer Massen. Ihnen geht es u.a. darum, Teile
von Demonstrationen zu repräsentieren. Tatsächlich ist die Zeit der
organisierten Blöcke vorbei, es gibt keine Organisationsformen, die die
Unterschiedlichkeit der Wünsche und Bedürfnisse der DemonstrantInnen ausdrücken
könnte (wenn es sie je gegeben hat). Diese nicht-repräsentierbare Vielfalt der
TeilnehmerInnen wird durch den herrschenden Diskurs in eine überschaubare
Ordnung gebracht. Da gibt es die AnsprechpartnerInnen der Herrschenden – die
„Vernünftigen“ – aus den traditionellen (linken) Parteien und
Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs), dann die verschiedenen linken und
linksradikalen Kleingruppen, die von einer Repräsentation für die Massen träumen
und zuletzt die Nicht-Ansprechbaren, von Polizei und Medien als „schwarzer
Block“ konstruiert. Karnevaleske Aktionsformen versuchen, sich weder an die
herrschenden Strukturen anzupassen noch sich auf männlich dominierte Straßenkampfrituale
einzulassen. Sie sind (vorerst) nicht integriert und lassen sich auch nicht im
negativen Sinn repräsentieren wie der „schwarze Block“. Unsere Kreativität gegen das kapitalistische System: Die (Arbeits-)verhältnisse im Kapitalismus wie die
Unterdrückung und Ausbeutung im Allgemeinen haben sich in den letzten
Jahrzehnten massiv verändert (das was als Postfordismus und
Kontrollgesellschaft bezeichnet wird). Wurden wir früher normiert und angepasst
durch die Institutionen wie Schule, Arbeit, Familie, funktioniert das System
heute, indem unsere Kreativität und unsere kommunikativen und sozialen Fähigkeiten
ausgenützt werden. Die Trennungen zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen Kunst
und Arbeit, zwischen Werbung und Vergnügen sind dabei, tendenziell zu
verschwinden. Wir sind gezwungen, unsere Kreativität zurückzuschrauben, um
kapitalistisch zu funktionieren oder wir müssen unsere Kreativität verkaufen.
Pink-Silver und andere karnevaleske Formen sind eine Möglichkeit, unsere Wünsche,
unsere Lust, unsere Kreativität und unser Leben zumindest kurzfristig, während
einer Demonstration, gegen das kapitalistische System zu richten. Wiederaneignung unserer Körperlichkeit: Die neuen Kapitalverhältnisse sind auch mit einer
anderen Form der Ausbeutung unserer Körper verbunden, soziale und kommunikative
Fähigkeiten (als weibliche Fähigkeiten) werden immer stärker gefordert.
Unsere Körper (vom Lächeln der Verkäuferin bis zu den sozialen und
kommunikativen Strukturen im Büro) spielen eine immer größere Rolle für die
kapitalistische Ausbeutung. Die geschlechtspezifische Arbeitsteilung in
Produktion und Reproduktion wurde aus der Familie in die Gesellschaft hinein
verlagert. Das Erleben unserer Körper in der oppositionellen Aktion kann somit
auch als zumindest kurzfristige Wiederaneignung unserer Körperlichkeit
verstanden werden. Konstruktion von Geschlecht sichtbar machen: Cheerleader spielen besonders in der amerikanischen
Gesellschaft eine Rolle in der Bestätigung der körperlichen
Geschlechtlichkeit. Der Kontrast zu den Rugby-Spielern, die Betonung der sekundären
Geschlechtsmerkmale sind eine Bestätigung der Geschlechterunterschiede. Sie
sind in diesem Zusammenhang in den Kontext von Sportveranstaltungen eingebunden.
Demonstrationen und direkte Aktionen sind scheinbar geschlechtsneutrale
Kontexte, in der Repräsentation aber so, daß wie in der Sprache das männliche
mit dem Allgemeinen zusammenfällt, Frauen und Weiblichkeit sozusagen nur Ergänzungen
sind: so wie in der Sprache die weibliche Endung (Demonstrant-in) hinzugefügt
wird oder auf der Bühne der männliche Sänger oder Moderator durch weibliche Körper
im Hintergrund ergänzt wird. Pink & Silver und Radical Cheerleading stellt
die weiblichen Attribute in den Vordergrund, stört also den „neutralen“
Demonstrationskontext. Aufstand als Karneval: Das Demonstrationsrecht wurde eingeführt, um den
Widerstand bestimmter Bevölkerungsgruppen in geordnete Bahnen zu lenken. Vorher
hat jede Demonstration sehr schnell Aufstandscharakter bekommen. Es ist darum
gegangen, bestimmte öffentliche Räume gegen die Staatsmacht zu verteidigen.
Diese befreiten Räume, diese kurzfristigen Befreiungen wurden meist übergangslos
in ein Fest verwandelt. Auch aktuelle soziale Bewegungen sind immer mit Militanz
(„Gewalt“) verbunden. Erst die Drohung der Entgrenzung durch
Aufstandselemente schafft einen Bruch, der in einer weiteren bürgerlichen Öffentlichkeit
zu Reaktionen führt und der erste Schritt zu einer Verbreiterung einer Bewegung
ist. Wird die Militanz aber zum Straßenkampfritual, ist sie nicht mehr spontan,
sondern organisiert, ist das schon ein Symptom für den Niedergang einer
Bewegung, ein Erstarren, ein Ende des Fests und damit der Aufstandsbewegung.
Karnevaleske Aktionsformen wie Pink & Silver sind ein Element der
Antizipation des Lebens, das mit Aufständen verbunden ist. Pink & Silver ist eine Möglichkeit außerhalb
traditioneller Repräsentationsformen die vom Kapitalismus verlangte Kreativität
und Körperlichkeit einzusetzen, um durch den Kontext Konstruktion von
Geschlechtlichkeit in Frage zu stellen und Elemente des fröhlichen Aufstands
vorweg zu nehmen. Diese Demonstrationsform ist aber nur EINE Möglichkeit, die
in einem begrenztem Ausmaß eine subversive Wirkung erzielen kann. Etablieren
sich solche Strukturen, sind sie auch Teil einer kontrollierbaren Repräsentation.
Kreativität und Körperlichkeit sind dann eine schmückende Ergänzung, so wie
das Weibliche häufig in der herrschenden Gesellschaft. Auch die Subversion der
Geschlechterrollen würden durch Ritualisierung und Wiederholung bestätigt.
Aber vorerst ist es eine Möglichkeit, das „Normale“ zu durchbrechen, wenn
es nicht mehr subversiv ist, müssen wieder neue Formen des Widerstands gesucht
werden. Zuerst erschienen in: kulturrisse 0302
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