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Robert Foltin Nationalismus und Antiimperialismus. In manchen Teilen der Linken gibt es noch immer die
Vorstellung, daß bestimmte Arten des Nationalismus eine fortschrittliche Funktion haben. Es mag zur Blütezeit
der antikolonialen Bewegungen in den 50er und 60er Jahren so ausgesehen haben,
aber selbst in der Zeit haben sich bereits die antiemanzipatorischen Tendenzen
aller Nationalismen abgezeichnet. Jetzt hat sich die Weltsituation noch einmal
verschoben, sodaß nationalistische Bewegungen nicht einmal mehr in der
Verteidigung gegen die Unterdrückung ihre Unterstützung rechtfertigen (was
aber nichtsdestotrotz eine Kritik der UnterdrückerInnen notwendig macht). Der Nationalstaat (egal ob bürgerlich
oder revolutionär-bürokratisch) baut auf einigen grundlegenden Elementen auf.
Das ist eine Staatsbürgerschaft und eine Fixierung auf ein Territorium.[1]
Das bedeutet immer Ausgrenzung von anderen (die nicht zum Staatsvolk gehören)
und das Berufen auf historische Mytologien, die sowohl diese Ausschließung begründen
wie auch den Anspruch auf ein bestimmtes Territorium. Das bedeutet Rassismus und
Unterdrückung von Minderheiten. Nationalstaat ist immer auch eine Art von
schichten- und klassenübergreifender Einheit. KapitalistInnen sind genauso Teil
der Nation wie ArbeiterInnen und BäuerInnen. Wird der Nationalismus
antikapitalistisch, muß diese Einheit vor dem „ausländischem Kapital“ oder
dem „unproduktivem Finanzkapital“ geschützt werden, was strukturell
antisemitisch ist. Dieses „fremde Kapital“ kann sich schnell in „die JüdInnen“
umwandeln. Lenin hat die Forderung nach dem
Selbstbestimmungsrecht der Völker als taktische Parole verstanden –
nichtsdestotrotz hat er seine ParteigenossInnen in den (von Rußland) unterdrückten
Nationen aufgefordert, sich der Revolution anzuschließen. Die Sowjetunion hat
sich durch das Scheitern der Weltrevolution zu einem Sozialismus in einem Land
entwickelt und wurde dann später zu einem Nationalstaat, der eine nachholende
Entwicklung von der feudal-bäuerlichen Produktionsweise zu einem modernen
Industriestaat durchführen konnte, weil er sich in großen Teilen vom Weltmarkt
abkoppelte. Die russische Revolution war eine Bauernrevolution und auch alle anderen siegreichen Bürgerkriege unter kommunistischen Vorzeichen (China, Jugoslawien etc.) nachher waren Umwälzungen in agrarischen Gesellschaften. Das bäuerliche Element, die nationalen Erfolge in der nachholenden Entwicklung und das Bestehen der Sowjetunion und Chinas machten den „Kommunismus“ für antikoloniale Bewegungen interessant. Die Blütezeit
des Antiimperialismus Es ist unzweifelhaft, daß der
Antiimperialismus in den fünfziger und sechziger Jahren einen Höhepunkt
erlebte. Es handelt sich dabei um eine Phase, in der nicht nur „Linke“ vom
Antiimperialismus sprachen, sondern praktisch jede Regierung, jede Bewegung von
rechts- bis linksradikal. Dafür ist eine bestimmte historische Situation
verantwortlich: Die spezifische Situation des
kalten Krieges bildete einer der Grundlagen einer möglichen
antiimperialistischen Entwicklung im Trikont. Durch die Anlehnung an eine der
beiden Supermächte oder der Suche nach einem drittem Weg in der
Blockfreien-Bewegung war es überhaupt möglich, einen unabhängigen Weg zu
beschreiten, einen Weg, der nicht unbedingt von den Strukturen der
kapitalistischen Ausbeutung durch die Metropolenländer abhängig war. Diese relative Unabhängigkeit war aber auch dem „Zeitgeist“ geschuldet. Durch die kommunistische Bedrohung gingen praktisch alle Staaten (oder zumindest die wirtschaftlich erfolgreichen) einen Weg der relativ starken staatlichen Lenkung nationaler Ökonomien: hohe Zölle nach außen, einen großen verstaatlichten Sektor und die Einführung von Sozialleistungen des Wohlfahrtsstaates für die eigenen Staatsbürger. Keynesianismus war die vorherrschende Wirtschaftstheorie. Diese
wohlfahrtsstaatlich-nationalistische Politik im Sinne einer nachholenden
kapitalistischen Entwicklung war auch in Staaten der Peripherie möglich und
zwar genau in denen, die sich am radikalsten gegen die
kapitalistisch-imperialistische Ausbeutung wandten. Den Staaten, denen der
Imperialismus eine solche Entwicklung durch militärisches Eingreifen
verweigerte, konnten am wenigsten eine halbwegs weltmarkttaugliche Ökonomie
entwickeln. Nationale Befreiungsbewegungen
zeigten schon in ihrer Organisation, aber erst recht, wenn sie an die Macht
kamen, problematische Entwicklungen: Durch die Machtübernahme durch
eine kleine meist im Norden ausgebildete Elite und durch militärische
Strukturen sind meistens autoritäre Regime entstanden, die dann jeden (auch nur
intellektuellen) Dissens unterdrückten. Oft ging es dabei um unterschiedliche
„kommunistische“ Linien, die einerseits durch ein Verhältnis zu einem
Mutterland oder auch nur aus taktischen Differenzen entstanden sind. Der Drang nach nationaler Einheit
führte zwangsläufig zur Unterdrückung von „Minderheiten“. Natürlich ist
das teilweise aus der Struktur des Kampfes gegen den Imperialismus entstanden,
der ja „Ethnien“ und „nationale Minderheiten“, die vorher in einer
benachteiligten Position gegenüber einer Mehrheitsbevölkerung waren, zur Spaltung der Bewegungen benutzte. Durch den Drang nach einer
nationalen Einheit, aber auch in der Orientierung auf die entsprechenden
Bruderstaaten sind dann zwischen einigen Staaten nationale Kriege entstanden
(der spektakulärste zwischen Vietnam und China). Durch die nationale Orientierung hat es immer eine offene Zusammenarbeit mit Rechtsradikalen gegeben. Außerdem wurde und wird der im Nationalismus implizite strukturelle Antisemitismus zu einem offenen, wenn es um Israel geht. Antiimperialismus in den Metropolen Durch den Krieg der USA in Vietnam orientierte sich ein großer Teil der radikalen Bewegungen nach 1968 gegen diesen Hauptfeind, der dort militärisch involviert war. In der Oberflächlichkeit dieser Bewegungen sind auch in den Metropolen nationalistische Motive mit linken und revolutionären zusammengeflossen Der Antiamerikanismus hat auch eine kulturelle Dimension bekommen, der sich in eine Volkstümelei gegen eine angeblich amerikanische Weltkultur entwickelte. Auch wenn sie nicht rechtsextrem geworden sind wie z.B. Horst Mahler, eint viele 68er ihr Antiamerikanismus z.B. die Rotgrünen in Deutschland, die in Konkurrenz zur USA auf dem Balkan intervenierten. Antiimperialismus am Ende Ursprünglich haben linke
AntiimperialistInnen (von KommunistInnen ist kaum zu sprechen) immer
argumentiert, daß der jeweils unterstützte Nationalismus nur ein erster
Schritt zu einer revolutionären Entwicklung sei. Erst müsse die nationale
Befreiung kommen, danach sei ein revolutionäre Entwicklung möglich. Nach dem
Niedergang der Sowjetunion ist aber gerade das Gegenteil passiert. Linke
Elemente wurden marginalisiert und der Nationalismus oder andere Identitätspolitiken
wie der islamische Fundamentalismus dominierten. Eher wurden Linke zu reinen
NationalistInnen als umgekehrt. Ein Großteil der revolutionären und
antiimperialistischen Staaten und Bewegungen passte sich dem westlich
dominierten Kapitalismus an und „demokratisierte“ sich. Der andere Teil
verwandelte sich in nationalistische, religiöse oder nur finanziell orientierte
Banden, die keine emanzipatorischen oder linken Elemente mehr enthalten.
Ausnahmen, wie der Staat Kuba (auch der durch die Dollarisierung am Aufbrechen)
und die Guerillabewegungen in Kolumbien, die noch an den Strategien der
vorherigen Jahrzehnte festhalten, bestätigen die Regel. Der Grund des Niedergangs der antiimperialistischen Bewegungen hat mehrere Ursachen, die alle mit der Umstrukturierung des kapitalistischen Systems zu haben. Wobei das Ende der Sowjetunion nur ein letzter Schritt und eine Beschleunigung dieser Veränderung bedeutete. In den letzten dreißig Jahren hat
es eine Entwicklung weg von der bäuerlichen Bevölkerung gegeben. Das erstemal
in der Geschichte der Menschheit wohnt die Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr
auf dem Land. Das betrifft auch und besonders den Trikont. Mit dieser
Verschiebung verändert sich auch der Widerstand gegen die (damals hauptsächlich
feudale, jetzt kapitalistische ) Ausbeutung. Nicht mehr ländliche
Guerillakriege stehen im Zentrum, sondern städtische Revolten von Menschen, die
nicht mehr bäuerlich sind, aber auch noch keinen Platz im kapitalistisch
organisierten Produktionsprozeß gefunden haben (Beispiele sind die
Anti-IWF-riots in vielen Trikontländern seit den 80ern. Vermutlich ist das eine
Ursache, daß sich reaktionärer Antiimperialismus in den letzten Jahrzehnten
eher fundamentalistisch als nationalistisch organisiert (die geradezu sprichwörtlichen
Basaris als Basis der iranischen Revolution). Ein weiterer Punkt ist das
Verschwinden der nationalen ökonomischen Alternativen. Es gibt keine Chance
mehr, eine nachholende Entwicklung durch Abkoppelung vom Weltmarkt durchzuführen.
Im Gegenteil, jede neue „Unabhängigkeit“ führt nur dazu, daß die
Entfernung vom Weltmarkt zu einer totalen Verarmung führt. Seit Mitte der 80er
gibt es eine Welle der Demokratiserungen (von den Philippinen, den südamerikanischen
Staaten bis Afrika). Es ist nur konsequent, daß die Bevölkerungen an der
Peripherie ihre Hoffnungen eher in eine westliche Demokratisierung setzten, weil
es keine positive Alternative dazu gegeben hat. Nachträglich wurden diese
Illusionen in eine westliche Entwicklung natürlich herb enttäuscht. Die kapitalistische Entwicklung
ist dahin gegangen, daß sich Arme und Reiche nicht mehr unbedingt in Nationen
gegenüberstehen, sondern es wäre eher von einem Leopardenfell zu sprechen, natürlich
mit ungleicher Verteilung. Arme Zonen und Regionen sind in den Gettos der
Metropolen entstanden, genauso wie sich Reichtumsinseln im Trikont entwickelt
haben. Wie sollte also ein Kampf zwischen AusbeuterInnen und Ausgebeuteten
„zwischen Nationen“ ausschauen. In der letzten Zeit waren die
konsequentesten antiimperialistischen Kämpfer Diktatoren, die vom Westen gegen
die antiimperialistisch-nationalistische, als kommunistisch bezeichnete
Bedrohung gezüchtet wurden und dann fallen gelassen (von Noriega über Saddam
Hussein bis in begrenztem Ausmaß Milosevic). Wenn sie nicht militärisch bekämpft
würden, wären sie jederzeit bereit, sich wieder dem westlichen System
anzubiedern, wie es aus pragmatischen Gründen Milosevic auch getan hat (z.B. im
Dayton-Abkommen 1995). Das Ende der Chance eines wie immer gearteten Antiimperialismus sollte uns aber nicht pessimistisch machen, im Gegenteil, die siegreichen Elemente waren nie mehr als die Möglichkeit einer nachholenden Entwicklung innerhalb des kapitalistischen Weltsystems. Eine Machtübernahme in einem Bürgerkrieg innerhalb eines Nationalstaates ist anachronistisch geworden. Erst jetzt könnte eine soziale Revolution möglich sein, die weltweit sein müsste und sich nicht durch nationalistische (oder fundamentalistische) Identitätspolitiken einschränken lassen darf. [1] Ich gehe hier nicht auf einen völkisch definierten Nationalismus ein, wie er z.B. in kurdischen und palästinensischen Bewegungen vertreten wird, der in seinem Abstammungsdenken noch einmal eine Steigerung bedeutet. |
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