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Martin Birkner: Revolutionäre Subjekte & Organisation* KommunistInnen sind eine kleine Minderheit der politisch Aktiven, gesellschaftliche Umwälzungen von unten erfordern jedoch Massenbewegungen. Es ist also notwendig, breite Allianzen zu schmieden, um grundlegende Veränderungen gesellschaftlicher Strukturen durchzusetzen. Das bedeutet nicht, dass soziale Bewegungen per Willensentscheid ins Leben gerufen werden könnten. Bei aller Wichtigkeit vorbereitender Gruppierungen und Strukturen gehorchen Massenbewegungen eigenen Gesetzen und können nicht vorherbestimmt oder gar strategisch geplant werden. Dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – ist es wichtig, die Zusammensetzung sozialer Bewegungen zu analysieren und Bündnispartner für kommunistische Kräfte auszumachen. In den gegenwärtigen Bewegungen können zwei Strömungen ausgemacht werden, die sich quer zu den historisch bekannten Grenzlinien der ArbeiterInnenbewegung (reformistisch / revolutionär) unterscheiden. Drei Begriffspaare sind für eine aktuelle Ent-Scheidung ausschlaggebend: defensiv / offensiv, Wachstum / Postwachstum sowie Staat / kommunistisches Gemeinwesen, wobei sich für gewöhnlich Verkettungen je eines Pols der Gegensatzpaare ergeben. Das Paar defensiv / offensiv bildet meines Erachtens die Hauptlinie von Positionierungen zu gesellschaftlichen Fragestellungen. Falls eine defensistische Position überhaupt zu einer weiterreichenden (Transformations)Strategie weiterentwickelt wird, ist diese für gewöhnlich um die Begriffe Wachstum und Staat gruppiert, meist garniert mit einer Portion Vollbeschäftigung. Diese „Defensivverkettung“ ersetzt die historische Position des Reformismus: mit Kollektivsubjekten, die sich dieser Position verschreiben, werden revolutionäre Kräfte ohne weiteres Bündnisse eingehen, um zum Beispiel Privatisierungen öffentlicher Güter oder Leistungen zu verhindern oder um gemeinsam gegen reaktionäre Mobilisierungen aufzutreten. Allianzen mit diesen Kräften zu schmieden, um gesellschaftliche Verhältnisse umzuwälzen oder auch nur schrittweise zum Besseren zu verändern, ist jedoch Kräfteverschwendung. Dabei ist auch nicht entscheidend, wie radikal ihre Forderungen vorgetragen werden. Ein Beispiel: Ob ein Mehr an staatlicher Regulation des Krisenkapitalismus oder die totale Verstaatlichung der Industrie – eine am Staat ausgerichtete Strategie mag ob ihrer Radikalität früher für die Unterscheidung zwischen reformistisch und revolutionär tauglich gewesen sein (auch dies wage ich allerdings zu bezweifeln), heute jedoch findet sich die Demarkationslinie zwischen den am Staat orientierten Kräften und jenen, die eine gänzlich andere Art von Vergesellschaftung anstreben. Ähnliches lässt sich auch in Bezug auf die Frage „Wachstum oder Nicht-Wachstum“ zeigen. Die kommunistische Verkettung lautet dementsprechend „offensiv – Post-Wachstum – Kommunismus“, und dahingehend sind zukunftsträchtige Allianzen zu schmieden. Dabei ist nicht entscheidend, „wie radikal“ die Positionen der AllianzpartnerInnen sind, sondern ob sich Dynamiken in Richtung der kommunistischen Verkettung entwickeln können. In diesem Sinne sind für eine kommunistische, also offensive Strategie der Befreiung scheinbar handzahme Alternativökonomieprojekte oder linkschristliche Basisbewegungen wichtigere AnsprechpartnerInnen als traditionssozialistische Gewerkschaften oder revolutionäre Altlinke. Entscheidend sind die Offenheit der Beziehung, die Begegnung auf gleicher Augenhöhe und die Möglichkeit zur gegenseitigen positiven Beeinflussung. Solidarische Umgangsweisen zwischen unterschiedlichen Teilen sozialer Bewegungen, wie sie sich in der globalen Protestbewegung, in den Sozialforen oder im arabischen Frühling und bei Occupy pratktiziert wurden, weisen einen Weg für künftige Kämpfe. Als die drei „provisorischen Imperative“, aus denen sich dieser Weg zusammensetzt, seien genannt: Ausgehen von der Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit (stofflicher Reichtum, Gemeingüter, General Intellect) anstatt von der politischen Herrschaft des Kapitals. Commonsdebatten und solidarische Ökonomie als Bewegungen neuer Demokratisierung der Ökonomie Anerkennen der fundamentalen Krise der repräsentativen Demokratie: Die Krise beschränkt sich nicht auf die Ökonomie -> Vielfachkrise, auch ökologische! Der Arabische Frühling und Occupy als Bewegungen neuer Demokratisierung der Gesellschaft Verbindung symbolischer Aktionen mit der Taktik des
„metropolitanen Streiks“ (als Form des Klassenkampfes im Postfordismus) bringt:
1. Mediale Sichtbarkeit der Gegenkräfte und ihrer Ideen, 2. Dynamik in die
notwendigen Prozesse der Neuformierung emanzipatorischer Kräfte Es geht also nicht um ein Ausspielen der politischen gegen die ökonomische Sphäre oder vice versa. Es soll auch nicht die Zuspitzung des Widerspruchs von institutioneller Politik einerseits und Basisbewegungen andererseits betrieben werden. Um jedoch an einer produktiven Dynamik zwischen zumindest potenziell progressiven Institutionen wie z.B. Gewerkschaften und sozialen Bewegungen und Basisinitiativen zu arbeiten, müssen die altbekannten Vormachtstellungsphantasien der großen Institutionen überwunden werden; unter den veränderten Vorzeichen sind sie zur Wirkungslosigkeit verdammt, wenn sie die neuentransnationalen, migrantischen, subjektkritischen und prekären Subjekte und Kollektive nicht als wichtige AkteurInnen sozialer Veränderung anerkennen. Genauso wie die linken Basisbewegungen, sozialen Experimente und mikropolitischen AkteurInnen zur gesellschaftlichen Wirkungslosigkeit verdammt sind, wenn sie nicht ihre Szene-Scheuklappen ablegen und sich in Theorie und Praxis mit gesamtgesellschaftlichen Phänomenen auseinandersetzen. Toni Negri hat geschrieben, KommunistIn zu sein, bedeutet als KommunistIn zu leben. Selbst wenn wir das revolutionäre Pathos aus dieser Aussage abziehen, so spricht sie doch eine tiefere Wahrheit über das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft aus. Revolutionären Subjekten ist die politische Ethik niemals rein äußerliches Mittel zur Veränderung von Machtverhältnissen. Gesellschaftsveränderung und Transformation von Subjekte gehen Hand in Hand, wenn jene mehr als nur eine schrittweise Verbesserung oder die Verhinderung von Verschlechterungen sein soll. Authentische Revolutionen sind überhaupt nur möglich, wenn die an ihr Beteiligten sich dem radikalen Ethos einer zukünftigen Gesellschaftsordnung verschreiben, und zwar nicht nur in Worten, sondern auch in ihren politischen Handlungen – und allen voran im Alltagsleben. Als KommunistIn zu leben, bedeutet mithin, der imperialen Lebensweise ebenso wie den Bequemlichkeiten jener Aspekte hierarchischer Arbeitsteilung zu entsagen, von denen mensch profitieren könnte: etwa der Care-Arbeit von Frauen oder den HandlangerInnentätigkeiten von Neulingen in politischen Organisationen. Als KommunistIn zu leben, bedeutet, weder den Raum des Alltäglichen noch jenen der Politik zu privilegieren, sondern in beiden jene Maßstäbe einer kommunistischen, d.h. befreiten Gesellschaft anzulegen, die der Ethik der politischen Zielsetzung adäquat sind. Das wird vielen nicht leicht fallen, und jenen, die überproportional von existierenden gesellschaftlichen Hierarchien profitieren, am wenigsten. Sich von bürgerlicher Karriere, Kleinfamilie, Eigenheim und Auto zu verabschieden, ist tatsächlich keine geringe Zumutung. Wollen wir aber nicht bloß schöne Reden über den Kommunismus schwingen, sind diese Abschiede unumgänglich. Zum Glück eröffnen sie die mannigfaltigen Möglichkeiten gewonnener Zeit - Zeit der Solidarität, des Kampfes und der Liebe. Und, mal ganz ehrlich: Gibt es etwas Schöneres, als alles anders machen zu können? Der gegenwärtige Stand des gesellschaftlichen Reichtums, die produktive Realität existierender Gemeingüter materieller und immaterieller Natur könnten bereits heute weltweit ein Leben ohne Ausbeutung und Mangel ermöglichen. Selbst und gerade wenn wir die ökologische Dimension der Reichtumsproduktion in die Debatte einbeziehen, stellt sich heraus, dass angesichts der künstlichen Vervielfachung der Produktion vieler Gebrauchsgüter (besucht einmal das Joghurt-Regal bei Tesco oder den nächsten Drogeriemarkt) nur ein Bruchteil jener Arbeit notwendig ist, um dennoch ein gutes Leben für alle zu gewährleisten. Von der unnötigen Produktion von Waffen, SUVs und anderen Blödheiten einmal abgesehen. Ist aber der Begriff der Demokratie überhaupt noch aus den Händen des Kapitalismus zu befreien? Taugt er, angesichts seiner etablierten herrschaftlichen Verfasstheit als liberaler Parlamentarismus überhaupt noch, oder sollen wir ihn einfach rechts liegen lassen? Ist Kommunismus überhaupt demokratisch, ist er gar demokratischer als Demokratie? *Vorabdruck aus: Lob des Kommunismus 2.0, mandelbaum kritik & utopie 2014 |
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