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Slave Cubela: Klasse gemacht! Es gibt Bücher, die kauft man einfach deshalb, weil ihnen ein legendärer Ruf vorauseilt. Zumeist verbringen sie dann eine ganze Zeit lang ungelesen im eigenen Bücherregal, denn – das haben solche Werke häufig an sich – ihre schiere Länge aber auch die hohe Erwartung sorgt dafür, dass man ihre Lektüre immer wieder aufschiebt. Schließlich gibt es meist wichtigeres zu lesen und irgendwo finden sich ja doch kurze Extrakte dieser vermeintlichen Meisterwerke. Allein: wenn man sich dann nach einiger Zeit doch irgendwann an diese Bücher heranmacht, dann kann nur noch zweierlei geschehen: man legt sie nach einer Weile enttäuscht weg, weil sie sich doch als zu schwierig oder überschätzt erweisen. Oder aber man verliebt sich unweigerlich in diese Bücher und versinkt von der ersten Seite so sehr in deren Stoff, dass man sich noch Jahre später an diese Lektüre erinnert. Genau letzteres wiederfuhr mir, als ich vor knapp 10 Jahren das erste Mal Edward P. Thompsons Klassiker „The Making Of The English Working Class“ las. Und damit ist vorweg auch bereits eines der wichtigsten Charakteristika dieses vor 50 Jahren zum ersten Mal erschienenen historischen Klassiker mit umrissen: Es ist ein hervorragend geschriebenes Buch, das den Leser von der ersten Seite an einnimmt, da es Thompson tatsächlich gelingt mit viel Leidenschaft, Sensibilität aber auch reichlich Originalmaterial aus der Zeit seinem Gegenstand Leben einzuhauchen. Und, was noch wichtiger ist: diese stilistische Vitalität verdankt sich keineswegs nur dem glücklichen Umstand, dass Thompson ein Historiker ist, „der schreiben kann“. Nein, sie dient der Sache selbst. Denn, wie der englische Titel es schon andeutet: Thompsons Hauptziel ist es, die Entstehung der englischen Arbeiterklasse den Objektivismen und Determinismen vieler Historiker und Soziologen zu entreißen und stattdessen die Subjekte, die diesen Prozess gelebt und gemacht haben, in den Mittelpunkt seiner Darstellung zu stellen. Wo also sonst lange Zahlenkolonnen zur Industrialisierung sowie vermeintlich exakte soziologische Definitionen die Darstellung dominieren und ausgehend von den fertigen historischen Resultaten argumentiert wird, da findet sich bei Thompson das Denken und Handeln verschiedener Subjekte und Kollektive in den Mittelpunkt gestellt – mit all seinen zeitbedingten Gedankenhorizonten und Begriffen, seinen Widersprüchen und Zweifeln, seinen Hoffnungen, seinen Chancen, Niederlagen und Erfolgen. Die zentrale Voraussetzung bei diesem Vorgehen ist der spezifische Klassenbegriff mit dem Thompson arbeitet: „Unter Klasse verstehe ich ein historisches Phänomen, das eine Reihe von Ereignissen vereint, die in der Erfahrung und im Bewusstsein ungleichartig und scheinbar zusammenhanglos existieren. Ich möchte betonen, dass es sich um ein historisches Phänomen handelt. Ich betrachte Klasse nicht als eine „Struktur“ oder gar als eine „Kategorie“, sondern als etwas, dass sich unter Menschen in ihren Beziehungen abspielt (und das dokumentiert werden kann).“[1] Und an anderer Stelle: „Eine Klasse formiert sich, wenn Menschen aufgrund gemeinsamer Erfahrungen – seien sie von den Vorfahren weiter gegeben oder zusammen erworben – die Identität ihrer Interessen empfinden und artikulieren, und zwar sowohl untereinander als auch gegenüber anderen, deren Interessen von ihren eigenen verschieden (und diesen gewöhnlich entgegengesetzt) sind. Die Klassenerfahrung ist weitgehend durch die Produktionsverhältnisse bestimmt, in die man hineingeboren wird – oder in die man gegen seinen Willen eintritt. Klassenbewusstsein ist die Art und Weise, wie man diese Erfahrungen kulturell interpretiert und vermittelt: verkörpert in Traditionen, Wertsystemen, Ideen und institutionellen Formen. Im Gegensatz zum Klassenbewusstsein ist die Erfahrung allem Anschein nach determiniert. In den Reaktionen vergleichbarer Beschäftigungsgruppen mit ähnlichen Erfahrungen erkennen wir zwar eine Logik, aber ein Gesetz können wir nicht aufstellen. Klassenbewusstsein entsteht zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten auf dieselbe Weise, allerdings niemals auf genau dieselbe Weise.“[2] Mit anderen Worten: soziale Klassen entstehen nach Thompson deshalb, weil sich die weitgehend bestimmten und zunächst zusammenhanglos erscheinenden Klassenerfahrungen der Individuen in den Beziehungen der Menschen untereinander immer auch in einem historisch offenen Prozess der kollektiven Verarbeitung zu einem Klassenbewusstsein verdichten. Diese Neuausrichtung des Klassenbegriffs durch Thompson in „The Making“ beinhaltet drei wichtige Akzentsetzungen. Erstens: an die Stelle des hölzernen Gegensatzes von objektiver Klassenlage hier und subjektivem Klassenbewusstsein dort, tritt bei Thompson die subjektiv-objektive Klassenerfahrung auf der einen Seite und die subjektiv-kollektive Reaktion der Verarbeitung dieser Erfahrungen im Klassenbewusstsein auf der anderen Seite. Somit zentriert er seine Klassenanalyse um die Aktivitäten der jeweiligen Subjekte, ohne jedoch deshalb diese Aktivitäten derart zu verabsolutieren, als dass sie durch keine determinierenden Rahmenbedingungen beeinflußt wären. Zweitens: mit dieser Neuausrichtung sucht Thompson dem Umstand Rechnung zu tragen, dass wir mit Marx zwar wissen, dass die Menschen in ihren Aktivitäten durch die sie umgebenden Verhältnisse bestimmt sind, dass wir aber gleichzeitig historisch nie den genauen Grad dieser Determinierung vorhersagen können. Genau deshalb muss nach Thompson auch die Klassenanalyse bei den jeweiligen Verarbeitungen dieser Umstände durch die Menschen, also dem Klassenbewusstsein, ansetzen, denn nur so kann sie zum einen der immensen kreativen Spannbreite der kollektiven Verarbeitungsformen der Klassenerfahrung gerecht werden und andererseits doch die jeweiligen Muster dieser Verarbeitung und damit die Logiken (und eben nicht Gesetzte!) herausarbeiten, die die jeweilige Klassenformation kennzeichnen. Drittens schließlich: durch diese Neuausrichtung der Klassenanalyse verabschiedet Thompson den Maßstab der objektiven Verhältnisse, an dem insbesondere Sozialdemokratie und Leninismus das subjektive Klassenbewusstsein zu messen pflegt. So entsteht neuer Bewertungsspielraum für die Prozesse historischer Klassenbildung, dem es nicht mehr um die Frage nach dem richtigem oder falschem Klassenbewusstsein geht, sondern um ein Verständnis für die zwar oftmals ex post naiv wirkenden und doch in ihrer Zeit erstaunlich wirksamen und folgenreichen Widerstandsstrategien der Arbeiterklasse.[3] Orientiert man sich nun am Aufbau von „The Making“, so lässt sich Thompsons Argumentation in dem auf Deutsch knapp 1000 Seiten langen Buch mit aller Vorsicht grob in drei Schritte unterteilen. Im ersten Schritt der Darstellung stehen ältere Tradition des Volksradikalismus in England sowie der Einfluss der Französischen Revolution auf diese Widerstandstraditionen im Mittelpunkt. Dabei sieht Thompson 1795, als der englische König auf der Fahrt ins Parlament von der Volksmenge beschimpft sowie attackiert wird und die Regierung Pitt mit den Two Acts u.a. die Koalitions- und Versammlungsfreiheit erheblich einschränkt als entscheidende Zäsur. Denn: „In den Jahrzehnten nach 1795 kam es zu einer tiefen Entfremdung zwischen den sozialen Klassen in England; die arbeitende Bevölkerung geriet in einen Zustand der Apartheid, dessen Nachwirkungen – in den diskriminierenden Feinheiten im gesellschaftlichen Leben und Erziehungswesen – noch heute spürbar sind. England unterschied sich von anderen europäischen Ländern insbesondere dadurch, dass der Höhepunkt der konterrevolutionären Einstellungen und Disziplinierungen mit dem Höhepunkt der Industriellen Revolution zusammenfiel; in dem Maße, wie sich neue Techniken und neue Formen industrieller Organisation durchsetzten, wurden die politischen und sozialen Rechte zurückgedrängt. Die „natürliche“ Allianz zwischen einer unruhigen und radikal gesinnten industriellen Bourgeoise und einem sich entwickelnden Proletariat wurden im Augenblick ihrer Entstehung bereits wieder zunichte gemacht.“[4] (S.191) So waren „aufgrund ihrer Isolation von den anderen Klassen … die radikalen Handwerker und Arbeiter gehalten, eigene Traditionen zu pflegen und eigenständige Organisationsformen auszubilden. Die Jahre 1791 bis 1795 lieferten die demokratischen Impulse, doch es waren die Jahre der Repression, in denen ein eindeutiges „Arbeiterklassenbewusstsein“ heranreifte.“[5] Im zweiten Teil von „The Making“ spürt Thompson den Folgen dieser doppelten Repression der englischen Unterschichten durch Industrialisierung und Klassenpolitik der Oberschichten nach. Dabei rücken zwar zunächst mit Handwerkern, Landarbeitern und Webern Bevölkerungsgruppen in den Mittelpunkt, für die die Industrialisierung Großteils den schlussendlichen Niedergang ihrer Arbeits- und Lebensweisen bedeutete. Allein deshalb fällt das Ergebnis dieser Betrachtungen bei Thompson keineswegs einseitig negativ aus. Einerseits sieht er zwar insbesondere im Methodismus ein Beleg für die Ohnmacht und partielle „Kapitulation“[6] der Unterschichten gegenüber dieser doppelten Repression, wenn er schreibt: „Es ist möglich, dass der Methodismus die Revolution verhindert hat; mit Sicherheit lässt sich sagen, dass sein rasches Anwachsen während des Krieges zum psychischen Prozess der Konterrevolution gehörte. In gewisser Weise ist jede Religion, die großes Gewicht auf das Leben nach dem Tode legt, ein Chiliasmus der Besiegten und Hoffnungslosen.“[7] Andererseits jedoch führte diese doppelte Unterdrückung der englischen Volksschichten eben auch zur politischen Radikalisierung derselben sowie zur Intensivierung des Gemeinschaftslebens dieser Unterschichten, so dass Thompson für diese Zeit hervorhebt, „dass kollektivistische Wertvorstellungen in vielen industriellen Gemeinden dominieren; es gibt einen genauen moralischen Kodex mit Sanktionen gegen Streikbrecher; „Handlanger“ der Unternehmer oder unfreundliche Nachbarn wie auch Unduldsamkeit gegenüber dem Exzentriker oder Individualisten.“ Und weiter: „Kollektivistische Wertvorstellungen werden bewusst vertreten und in der politischen Theorie, im Zeremoniell der Gewerkschaften und in der moralischen Rhetorik propagiert. Eben dieses kollektive Selbstbewusstsein mit seiner entsprechenden Theorie, seinen Institutionen, seiner Disziplin und seinen Gemeinschaftswerten unterscheidet die Arbeiterklasse des 19.Jahrhunderts vom Mob des 18.Jahrhunderts.“[8] Schließlich im letzten Abschnitt von „The Making“ wirft Thompson einen genaueren Blick auf das, was er die „Die Präsenz der Arbeiterklasse“ nennt. Dabei spricht er nicht nur dem Luddismus eine neue, positive Bedeutung für die Entstehung der englischen Arbeiterklasse zu.[9] Auch die Aktivitäten der zwanziger Jahre des 19.Jahrhunderts in England und die durch sie ab 1830 sich vollends etablierende Arbeiterklasse stellt er in ein neues Licht. Denn: wenn die zwanziger Jahre „wie eine lieblich blühende Alm des sozialen Friedens“[10] erscheinen, so vollziehen sich laut Thompson in diesem Jahrzehnt entscheidende Weichenstellungen: „In diesen ruhigen Jahren kämpfte Richard Carlile für die Pressefreiheit, wuchs die Kraft der Gewerkschaftsbewegung, wurden die Koalitionsgesetze widerrufen, entwickelten sich die Freidenkerei, die Genossenschaftsexperimente und die owenitische Theorie. Individuen und Gruppen versuchten, die zwei von uns beschriebenen und miteinander verbundenen Erfahrungen in eine Theorie zu übertragen: die Erfahrung der Industriellen Revolution mit der Erfahrung des aufständischen und besiegten Volksradikalismus. Am Ende dieses Jahrzehnts, als der Kampf zwischen Old Corruption und der Reformbewegung seinen Höhepunkt erreichte, können wir in einem neuen Sinn vom Bewusstsein der arbeitenden Menschen, von ihren Klasseninteressen und ihrer Klassenlage sprechen.“[11] Welche Bedeutung aber hat Thompsons Meisterwerk 50 Jahre nach seiner Erstausgabe heute noch? Handelt es sich bei „The Making“ inzwischen nicht um einen historiographischen Klassiker, dessen Bedeutung sich in der Aufarbeitung eines zwar wichtigen, aber inzwischen in den Hintergrund gerückten Kapitels der englischen Sozialgeschichte erschöpft? Warum könnte sich seine Lektüre auch für die gegenwärtige politische Linke lohnen und nicht nur für interessierte Geschichtsstudenten? Nun, diese und ähnliche Fragen, münden letztlich in das Problem, ob man Klassen im Allgemeinen und Klassenbildungsprozessen im Besonderen heutzutage noch eine politische Funktion zuspricht. Die vorschnelle Zurückweisung einer klassentheoretischen Perspektive kann dabei ein Hinweis Thompsons verzögern helfen, wenn er am Anfang von „The Making“ bemerkt: „Im Übrigen hat es der größere Teil der Welt heute mit Problemen der Industrialisierung und der Schaffung demokratischer Institutionen zu tun, die in vielerlei Hinsicht den englischen Erfahrungen während der Industriellen Revolution entsprechen. Kämpfe, die in England verloren wurden, lassen sich in Asien oder Afrika vielleicht noch gewinnen.“ [12] Doch welche Probleme sind das genau, die einen vergleichenden Brückenschlag vom England des frühen 19.Jahrhunderts in die Welt des 21. Jahrhunderts ermöglichen? Und welche Schlachten könnten hier noch gewonnen werden? Eine erste Annäherung an mögliche Antworten auf diese Fragen erhalten wir, wenn wir uns den Charakter auch gegenwärtiger Industrialisierungsprozesse anschauen. In den meisten Regionen der Welt wie Asien, Südamerika oder Arabien bedeutet Industrialisierung und Weltmarktorientierung eben auch wie im England des frühen 19.Jahrunderts politische Repression von oben statt eines demokratischen Bündnisses zwischen Bürgertum und werdender Arbeiterklasse. Und: auch dort durchleben gegenwärtig breite Volksschichten parallel zu dieser politischen Repression jenen schwerwiegenden psychosozialen Schock der kapitalistischen Modernisierung, der sie ähnlich wie die englischen Volksschichten des frühen 19.Jahrunderts dazu zwingt innerhalb kürzester Zeit dem Untergang ihrer althergebrachten Arbeits-, Lebens- und Denkweisen beizuwohnen um gleichzeitig am Rand großer Städte unter erbärmlichen Bedingungen als billige Arbeitskraft dem kapitalistischen Weltmarkt zur Verfügung zu stehen. Mike Davis hat in seinem Buch „Planet der Slums“ eine erste Bestandsaufnahme dieses sich immer mehr beschleunigenden Prozesses aus stadtsoziologischer Perspektive geliefert. Aber es täte Not hier noch genauer hinzusehen. Sind es etwa diese psychosozialen Erschütterungen, die wie im englischen Methodismus der frühen 19.Jahrhunderts heute im Islamismus und Evangelikalismus neue „Chiliasmen der Verzweiflung“ produzieren? Inwieweit lassen sich hier auch Klassenbildungsprozesse beobachten, etwa durch die Intensivierung des Gemeinschaftslebens oder die Ausbildung kollektivistischer Wertvorstellungen, die auch Hoffnung machen könnten? Oder aber ist den Volksschichten des 21. Jahrhunderts im Verlauf ihrer Anpassung an die kapitalistische Industrie eine neuartige „klassenlose“ soziale Randexistenz beschieden? Letzteres wäre ein bedenkliches Signal auch für die Linke in den etablierten Industriegesellschaften. Denn auch dies hat Thompson mit „The Making“ gezeigt: Demokratisierungsbemühungen innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft verdanken sich zentral gelingenden Klassenbildungsprozessen von unten. Sollten diese Prozesse ins Stocken geraten oder gar ausbleiben, dann fehlen global wie lokal jene vielgestaltigen, lebendigen Parallel-und Widerstands-Kulturen, die Thompson für die englische Entwicklung so anschaulich beschrieben hat und die hier mit dafür gesorgt haben, dass die englische Arbeiterklasse dem Diktat ihrer herrschenden Klassen ab 1830 etwas entgegenzusetzen hatte. Die politische Linke wäre gut beraten heutzutage ein erneutes Gespür für diese historischen Prozesse zu suchen und gerade auch die letzten Jahrzehnte des sog. Neoliberalismus verstärkt aus dieser Perspektive zu diskutieren. Denn der massive Sozialstaatsabbau sowie die viel diskutierte Krise der Gewerkschaften und ehemaligen Arbeiterparteien könnte bei genauerer Betrachtung ihre tiefere Ursache in der abnehmenden Fähigkeit der Arbeiter- und Unterschichten haben, „Klasse zu machen“. Und dann würde die Schlacht der Zukunft eben weniger in und um die großen politischen Parteien, Institutionen und Parolen herum geschlagen - als vielmehr in den häufig versteckten, widersprüchlichen und scheinbar beiläufig-alltäglichen Prozessen der sozialen Klassenbildung. Welche dies genau heute sind, wäre wie schon gesagt zu diskutieren – dank Edward P. Thompson haben wir aber zumindest das gedankliche und historisch-exemplarische Rüstzeug um damit zu beginnen. [1] Edward P. Thompson, Die Entstehung der englischen Arbeiterklasse, Frankfurt am Main 1987, 2. Bde., S.7. [2] Ebd., S.8. [3] „Ich versuche den armen Strumpfwirker, den ludditischen Tuchscherer, den „obsoleten“ Handweber, den „utopistischen“ Handwerker, sogar den verblendeten Anhänger von Joanna Southcott vor der ungeheuren Arroganz der Nachwelt zu retten. Ihre Berufe und Traditionen waren möglicherweise im Absterben, ihre Feindschaft gegen den neuen Industrialismus war vielleicht rückwärtsgerichtet, ihre kommunistischen Ideale waren unter Umständen Phantasiegebilde und ihre rebellischen Verschwörungen tollkühn. Aber sie waren es, die diese Zeit akuter sozialer Unruhen erlebten, und nicht wir. Ihre Bestrebungen waren im Rahmen eigener Erfahrungen berechtigt. (Ebd., S.11) [4] Ebd., S.191. [5] Ebd., S.195. vgl. auch Ebd., S.213. [6] Ebd., S.379. [7] Ebd., S.411. [8] Ebd., S.453. vgl. auch die Bemerkungen im Nachwort aus dem Jahr 1968, in dem Thompson sich mit der Kritik an „The Making“ auseinandersetzt. Auf diese Kritik gehe ich hier deshalb nicht ein, da das eine wesentlich gründlichere Auseinandersetzung mit Thompsons Buch aber auch der Zeit, in der es geschrieben wurde, verlangen würde. Aber: neben historiographischen Aspekten wie seiner Bewertung des Methodismus sorgte insbesondere der von Thompson benutzte Klassenbegriff dafür, dass er sowohl von der bürgerlichen Soziologie und Geschichtswissenschaft aber auch von der marxistischen Orthodoxie teilweise heftig angegangen wurde. Zugleich aber inspirierte er auch eine Vielzahl von Forschungsarbeiten, die häufig genug mit dem Titel „The Making…“ Klassenbildungsprozesse und Klassenkämpfe in vielen anderen Ländern und Regionen aus der Perspektive der agierenden Subjekte und Gruppen zu analysieren begannen. [9] „Hinter der Maschinenstürmerei müssen wir nach den Motiven der Männer suchen, die die großen Hämmer schwangen. Der Luddismus als „Bewegung des Volkes selbst“ verblüfft nicht so sehr durch seine Rückwärtsgewandtheit als durch seine wachsende Reife. Er war alles andere als „primitiv“ und demonstrierte in Nottingham wie auch in Yorkshire einen hohen Grad an Disziplin und Selbstbeherrschung. Im Luddismus kann man die Manifestation einer Kultur der Arbeiterklasse sehen, die unabhängiger und komplexer war als je zuvor im 18. Jahrhundert. (…) Er war eine transitorische Phase, in der durch die Koalitionsgesetze aufgestauten Fluten einer selbstbewussten Gewerkschaftsbewegung nach Durchbruch strebten, nach einer sichtbaren und offenen Präsenz.“ Ebd., S.692 f. [10] Ebd., S.807. [11] Ebd. Diese Entwicklung führte ab 1830 auch zu einer Zurückdrängung des Chiliasmus der Verzweiflung innerhalb der englischen Arbeiterschaft: „Um 1830 stieß nicht nur die Staatskirche, sondern auch die methodistische Erweckungsbewegung in den meisten Arbeiterzentren auf den starken Widerstand von Freidenkern, Oweniten und nicht-konfessionellen Christen. (…) Die Methodisten hatte ihre Stellung konsolidiert, aber sie tendierten immer mehr dazu, Kaufleute und privilegierte Arbeitergruppen zu repräsentieren und sich moralisch vom Gemeinschaftsleben der Arbeiterklasse zu isolieren.“ Ebd., S.457 [12] Ebd., S.12 |
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