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Katharina Poeter: Zum Begriff der immateriellen Arbeit von Michael Hardt und Antonio Negri, eine Kritik aus entwicklungspolitischer Sicht

Der Begriff der immateriellen Arbeit wird von Antonio Negri und Michael Hardt, in ihrem Buch „Empire“ (2000) verwendet, um auf veränderte Arbeitsprozesse aufmerksam zu machen. Diese neue Arbeitsform wird von Robert Foltin (2004) weiterhin wie folgt beschrieben: „Die jetzt dominierende immaterielle Arbeit ist materiell, es werden Körper und Hirne eingesetzt, aber die Produkte sind immateriell wie etwa Wissen und Kommunikation. Die Hegemonie dieses Arbeitstypus ist qualitativ, nicht quantitativ.“
Darunter lässt sich die weitverbreitete Ansicht verstehen, dass sich die gesellschaftlichen Arbeitsformen verschieben; weg von fordistischen Arbeitsprozessen hin zu einer postfordistischen Arbeitsform. Es ist nicht zu leugnen, dass sich der Arbeitsprozess in einem konstanten Wandel befindet und dass vor allem der technische Fortschritt, zu Veränderungen führt und immer geführt hat. Der Begriff des Postfordismus beschreibt, dass sich die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit vermischen, und die Fließbandarbeit durch eine Arbeitsform ersetzt wurde, welche zumindest oberflächlich betrachtet, mehr Freiheit und Individualität beinhaltet.

Im Folgenden möchte ich überprüfen, ob es sich bei der immateriellen Arbeit um einen etwa kurzfristigen Trend handelt, oder ob von einem globalen flächendeckenden Phänomen gesprochen werden kann. Ich werde zeigen, dass die Annahme, dass Menschen heute vermehrt im Dienstleistungssektor arbeiten, und somit weniger in der industriellen Produktion, wie von Hardt und Negri angenommen, wichtige Aspekte der globalen Produktionskette verschleiert.

Immaterielle Arbeit  - der gesellschaftliche Arbeiter

„Since the production of services results in no material and durable good, we might define the labor involved in this production as immaterial labour, that is labor that produces an immaterial good, such as a service, knowledge, or communication.“ (Hardt 1999: S.99) Der Begriff des  gesellschaftlichen Arbeiters beschreibt einen Menschen der höchst kommunikativ, sozial und mobil ist. Doch diese Annahme ist nur oberflächlich, wenn wir den heutigen Dienstleistungssektor analysieren. Neue Technologien, gelockerte Arbeitszeiten und globale Netzwerke, erlauben es dem einen oder anderem am Strand in Hawaii die Buchhaltung eines internationalen Konzerns in London zu machen. Doch dies ist nur ein Einzelfall und nicht zutreffend für die Millionen Menschen, die derzeit, einer von Negri und Hardt beschriebenen immateriellen Arbeit nachgehen. Die kleine Nische, der IT Start Up Branche, in der ich diese Art von Arbeitsform eingliedern würde, macht nur einen minimalen Bestandteil aller Erwerbstätigen aus. Und selbst in der gesamten IT Branche ist es doch vielmehr nur das Image von einem freien selbständigen auf dem Boot mit Laptop sitzenden Fachmanns, welcher dieses realitätsferne Bild, in den Köpfen der Menschen weiterhin existieren lässt. Der Trend des flexiblen Arbeiters der durch das Internet und Netzwerke von überall aus arbeiten kann, muss vorerst auch als Trend analysiert werden. Es kann noch nicht davon ausgegangen werden, dass diese Maxime einer freien Arbeitszeiteinteilung und mobilem Arbeiten von überall, zur Norm wird. So hat vor kurzem die Chefin eines der größten globalen Internetkonzerne Yahoo die Heim-Arbeit, abgeschafft und wieder Anwesenheitspflicht in den Büroräumen gefordert. Das Konzept von flexiblen Arbeitsverhältnissen hat sich nicht bewehrt, und es fehle an Kommunikation und Zusammenhalt, zitiert die Sueddeutsche Zeitung die Yahoo Chefin Marissa Mayer. Doch genau das attestieren Hardt und Negri, wenn sie von dem „gesellschaftlichen Arbeiter“ sprechen, der kommunikativer und sozialer sei. Ein Trugschluss, dass Mobilität und technologischer Fortschritt zu mehr Kommunikation und sozialem Austausch führe. Dirk Hauer (2000) schreibt treffend in der Zeitung für linke Debatte und Praxis: „Der Begriff des ‚gesellschaftlichen Arbeiters’ suggeriert eine ähnliche Homogenität wie der Massenarbeiter der 60er Jahre, eine Homogenität, die heute in Bezug auf Arbeitsverhältnisse, Kompetenzen und Arbeitsorganisation überhaupt nicht existiert.“ Die Freiheit die durch das Internet geschaffen wurde, immer und überall arbeiten zu können, sei es zuhause oder draußen, ist doch vielmehr eine verfälschte Freiheit und eine Versklavung der eigenen Arbeitskraft.

Europa, als Maßstab?

Ein erster grober Blick auf die sektorale Arbeitsverteilung Europas, würde die These der immateriellen Arbeit unterstützen. So sind laut des Instituts für Arbeit und Berufsforschung weniger Menschen im Industriesektor erwerbstätig als in den Jahren zuvor; eine Absenkung von 36,6% im Jahre 1990 auf 24,7% im Jahr 2012. (IAB: 2013) Diese spezifischen Daten für Deutschland lassen sich auch für die gesamte EU konstatieren; so arbeiten 69,1 % aller Erwerbstätigen im Dienstleistungssektor. (Statista: 2013) Jedoch darf hier nicht missachtet werden, dass es erhebliche regionale Unterschiede gibt. Östliche EU Länder verzeichnen eine höhere Erwerbstätigkeitsquote im industriellen Sektor, als ihre nördlichen Nachbarländer. Siehe folgende Grafik der WKO 2012:

Hier wird deutlich, dass eine pauschalisierte Annahme, die immaterielle Arbeit habe sich durchgesetzt, nicht gelten kann. Alleine in der EU gibt es keine homogene Struktur, sodass ein Blick auf die Länder der Welt schon erahnen lässt, dass die Annahme nicht haltbar sein wird.

Global Welt – globale Produktionsverhältnisse

Mit ihrem Buch Empire erheben die Autoren schließlich den Anspruch ein globales Phänomen beschreiben zu wollen. Dies bedeutet jedoch auch, dass eine Analyse der sektoralen Erwerbstätigkeit in nicht europäischen, nicht westlichen Ländern vorgenommen werden muss. Denn es ist mitnichten anzunehmen, dass der industrielle Sektor weltweit verschwunden sei oder die Menschen aufgehört hätten materielle Güter zu konsumieren. Nein, der Wunsch nach immer neuen Produkten gepaart mit der Kurzlebigkeit heutiger Geräte, fördert das Fortbestehen der industriellen Produktion und somit der fordistischen Produktionsweise.
Die Verdrängung der Fließbandarbeit scheint in einigen europäischen Staaten Realität zu sein, jedoch blüht sie dafür in den Entwicklungsländern dieser Welt wieder auf. Nehmen wir Bangladesch, wo ein positiver Trend, hin zur industriellen Produktion zu verzeichnen ist. Die Daten der International Labour Organisation zeigen, dass im Jahr 1996 ca. 9% in dem industriellen Sektor tätig waren, wobei es im Jahr 2005 schon 14,5,% waren.
(ILO: 2013) Produktionen werden zu Hauf ausgelagert in Schwellenländer und dort mit Vorliebe in sogenannten „Maquilas“: freien Produktionszonen, die sich durch entschärfte Arbeitsgesetzte und zollfreien Handel für ausländische Unternehmen attraktiv machen, ansiedeln. Auch El Salvador, ein Land, wo die Maquila Industrie von großer Bedeutung ist, hält ihren industriellen Sektor konstant bei ca. 20%. (ILO: 2013) In den Fabriken werden importierte Produkte zu Konsumgütern zusammengestellt, welche dann wiederum in die westlichen Länder exportiert werden. Die Maquila Industrie ist in ganz Mittelamerika anzufinden und entwickelte sich zuerst an der US-Mexikanischen Grenze. In den Montagebetrieben kann und wird alles hergestellt, sodass die Bezeichnung Weltmarktfabrik nicht verwunderlich ist. Sowohl Elektroartikel, wie Textilien oder Autozubehör werden in den Fabriken zusammengebaut und für den internationalen Handel verkaufsfertig gemacht. Schlechte Arbeitsbedingungen, Repressionen und ein zu geringer Lohn sind nur wenige Eigenschaften die von Nicht Regierung Organisationen und Menschenrechtlern weltweit beklagt werden. Nach der Arbeit in den Fabriken sind die Frauen und Männer gezwungen weiterer Arbeit nachzugehen. Hier muss gesagt werden, dass ein Großteil der Angestellten in den Maquila Industrie weiblich ist; es wird von einem Frauenanteil von 87% ausgegangen. (Mayer 2004: 14) Primär werden Frauen zwischen 18 und 25 Jahren eingestellt, mit geringer Bildung, aber mit schneller Auffassungsgabe. Regelmäßige Schwangerschaftstests seien Pflicht wenn diese positiv ausfallen würden, drohe eine fristlose Entlassung. Darüberhinaus sind oft die gesundheitlichen Folgen, der zumeist schweren körperlichen Arbeit kritisiert worden. Die kaum vorhandenen medizinischen Versorgungsmöglichkeiten, sowie der psychische Druck, der durch fehlende Gesetze ausgeübt werden kann, sind weitere Kritikpunkte. Durch regelmäßige Kontrollen, werden jegliche Zusammenschlüsse von Gewerkschaften unterbunden. (ebd.: 15) Weltweit gesehen ist daher Negris und Hardts Behauptung von der umfassenden immateriellen Arbeit ein fataler Trugschluss und kann, wenn überhaupt, nur für OECD Länder gelten.

Es lässt sich somit konstatieren, dass aus globaler Sicht, unter Berücksichtigung der Entwicklungs -und Schwellenländer, nicht pauschalisierend von einer immateriellen Beschäftigung und somit von einer neuen Arbeitsform ausgegangen werden kann. Der westliche Blick der Autoren, lässt zu viele Aspekte der heutigen globalen Produktionskette unbeachtet. Darüberhinaus bleibt die Frage, wie eine so heterogene Gesellschaft wie wir sie heute haben; die sich sowohl in ihren Tätigkeitsfeldern, als auch in ihrer ökonomischen Entwicklung so stark differenziert, politisch handlungsfähig werden kann. Ich habe da meine Zweifel.
Einzelne oder kollektive kleinst Proteste, sollten nicht über die Trägheit einer gesamten Masse hinwegtäuschen.

Quellen:

Foltin, Robert 2004: Rezension: Michael Hardt, Antonio Negri, “Multitude. War and Democracy in the Age of Empire”, In: Grundrisse Nr.11, Wien, S. 58-61.

Hardt, Michael 1999:  Affective Labor, In: boundary 2, Nr. 26, Durham 89-100

Hardt, Michael, Negri, Antonio 2000: Empire. Cambridge

Hauer, Dirk 2000: Auch große Würfe gehen mal daneben, In: ak - analyse und kritik 442, Hamburg

http://labournet.de/diskussion/arbeit/negri.html (Zugriff 22.10.2013)

Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) 2013: Daten zur kurzfristigen Entwicklung von Wirtschaft und Arbeitsmarkt 04/2013

http://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/soziale-situation-in-deutschland/61694/erwerbstaetige-nach-wirtschaftszweigen  (Zugirff: 22.10.2013)

International Labor Organisation 2013: Bangladesh / El Salvador  http://kilm.ilo.org/kilmnet/  (Zugriff: 19.08.2013)

Mayer, Bianca 2004: Maquilas – Weltmarktfabriken. Ein Ausdruck von Sklaverei im 21. Jahrhundert. In: Fraunesolidarität Nr. 3, Wien, S. 14-15

Statista 2013: Erwerbstätige in den EU Ländern http://de.statista.com/statistik/daten/studie/249104/umfrage/erwerbstaetige-in-den-eu-laendern/  (Zugriff: 22.10.2013)

2013: Plädoyer für die Präsenzpflicht. Yahoo schafft Home-Office ab. Sueddeutsche Zeitung, 26.02.12013, München

http://www.sueddeutsche.de/karriere/yahoo-schafft-home-office-ab-plaedoyer-fuer-die-praesenzpflicht-1.1610553 (Zugriff: 21.10.2013)

WKO 2012: Statistik Beschäftigte im Dienstleistungssektor im EU Vergleich http://wko.at/statistik/eu/europa-beschaeftigungsstruktur.pdf (Zugriff: 21.10.2013)

phpMyVisites : Ein Open Source-Website-Statistikprogramm in PHP/MySQL veröffentlicht unter der GNU/GPL. Statistics

 
ISSN 1814-3164 
Key title: Grundrisse (Wien, Online)

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