|
Christoph Lieber: Marx’ Kritik der politischen Ökonomie – (noch) Schlüssel für die Ideologie- und Bewusstseinstheorie der Linken heute? Kontinuität und Bruch Die globale Finanzkrise hat die kapitalistische Gesellschaftsordnung in den Grundfesten erschüttert. Aber die gegenwärtige Weltwirtschaftskrise erweist sich damit noch keineswegs als „Stunde der Linken“ und radikaler Bewusstseinsveränderungen. Bei aller Skepsis einer Mehrheit der Bevölkerung gegenüber den „Rettungsschirmen“ und „Konjunkturprogrammen“ gelingt es bislang dem bürgerlichen Lager vornehmlich in Deutschland durch „vertrauensbildende Maßnahmen“ größeren Systembrüchen im gesellschaftlichen Alltagsleben vorzubeugen. Ausmaß, Tiefe und Dauer der Krise sind bei vielen Menschen noch nicht angekommen. Noch funktioniert die Macht der „Kontinuität der Produktionsverhältnisse“ zugunsten der wirtschaftlichen Eliten und der politischen Klasse. Schon zu Beginn der Krisenkaskaden in den USA illustrierten Foster/Magdoff diesen Zusammenhang von Bruch und Kontinuität in den kapitalistischen Verhältnissen und verdeutlichen dabei zugleich die politischen Dimensionen einer reaktualisierten Kritik der politischen Ökonomie: „Finanzminister Paulsons Antrag vor dem Kongress im September 2008 auf 700 Milliarden Dollar, um dem Finanzsystem aus der Klemme zu helfen, könnte in der allgemeinen Erkenntnis des und der Empörung über das ökonomische Problem einen Wendepunkt darstellen und so zum ersten Mal seit vielen Jahren das Thema einer politischen Ökonomie zur Sprache bringen. Für die gesamte Bevölkerung wurde sofort offensichtlich, dass die entscheidende Frage in der Finanzkrise und der sich herausbildenden tiefgreifenden wirtschaftlichen Stagnation war: Wer bezahlt das? (...) Aber der Kapitalismus nutzt soziale Trägheit (Herv. C.L.) aus und verwendet seine Macht zur ausgemachten Plünderung, wenn er sich nicht einfach auf ›normale‹ Ausbeutung verlassen kann. Ohne einen Aufstand von unten wird die Bürde schlicht den untersten Schichten auferlegt werden. All dies macht einen sozialen und wirtschaftlichen Massenaufruhr notwendig, so wie in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre (dies bezieht sich hier auf die Situation in den USA im Zuge der Politik des New Deal, während in Italien und Deutschland faschistische Massenbewegungen entstanden, C.L.), einschließlich der Wiederbelebung von Gewerkschaften und sozialen Massenbewegungen aller Art – der die durch die Verfassung zugebilligte Macht zur Veränderung nutzt und sogar so weit geht, das gegenwärtige Duopol des Zweiparteiensystems zu bedrohen.“[1] Auch wenn die gegenwärtige Krise das Potenzial enthält, den „Schein der Selbständigkeit“ (Marx) der Formen kapitalistischen Wirtschaftens einschließlich der bisherigen neoliberalen Marktideologie aufzulösen, gibt sie zugleich Anlass, auch die „soziale Trägheit“ der Bevölkerung in Rechnung zu stellen. Entgegen dem gängigen Vorurteil eines linearen und mechanischen (Kausal)Zusammmenhangs von Krise und Alltagsbewusstein bei Marx findet sich in dessen „Kritik der politischen Ökonomie“ eine viel differenziertere Lesart von „Basis und Überbau“. Die moderne bürgerliche Gesellschaft ist nach Maßgabe der Kritik der politischen Ökonomie keineswegs ein fester Kristall, sondern ein umwandlungsfähiger und beständig im Prozeß der Umwandlung begriffener Organismus, worauf Marx schon im Vorwort zum ersten Band des „Kapital“ von 1867 entgegen simplifizierender und monokausaler Kapitalismusauffassungen Wert legte: „Die Gleichmäßigkeit oder Gleichheit der Reproduktion – die Wiederholung der Produktion unter denselben Bedingungen – findet nicht statt. Die Produktivität ändert sich und ändert die Bedingungen. Die Bedingungen ihrerseits ändern die Produktivität. Aber die Abweichungen zeigen sich teils in oberflächlichen Oszillationen, die sich ausgleichen in kurzer Frist, teils in einer allmählichen Häufung von Abweichungen (divergences), die entweder zu einer Krise führen, zu einer gewaltsamen, scheinbaren Reduktion auf die alten Verhältnisse, oder doch erst allmählich als Änderung der Bedingungen anerkannt werden und sich durchsetzen.“ (MEW, Bd. 26.3: 507) Gerade um die Chancen systemkritischer, transformatorischer Bewusstseinsveränderungen und erhöhter, emanzipatorischer Handlungsfähigkeit einschätzen zu können, ist es im gegenwärtigen Krisenverlauf des Kapitalismus politisch geboten, sich nochmals der Grundstrukturen des „ökonomischen Werkelalltags“ der gesellschaftlichen Individuen zu vergewissern. Ökonomische Alltagsreligion Im Folgenden werden mithin Thesen für das Alltagsleben in den hochentwickelten modernen kapitalistischen Gesellschaften auf der Basis der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie skizziert: Die große Mehrheit der Bevölkerung existiert immer noch durch Lohnarbeit, entweder unmittelbar oder durch entsprechende ökonomische Vermittlungen und soziale Transfers, die auch die anderen Arbeitsverhältnisse regulieren; seien dies Lohnersatzzahlungen (Renten, Arbeitslosengeld, Krankengeld), oder Umverteilungen innerhalb öffentlich-privater Lebensgemeinschaften. Die privaten Haushalte stellen für die Individuen eine zentrale ökonomische und soziale Ressource im Zusammenhang mit Wertschöpfung, Klassenlage und Lebensstilen dar. Zwar hat sich bei aller gesellschaftsgeschichtlichen Diskontinuität das Verhältnis von Lohnarbeitszeit und Zeit für sonstige Tätigkeiten verschoben, aber die Lohnarbeit bleibt das strukturierende Moment – letztlich auch in der Ausbildungsphase oder für die Phase nach Beendigung der Lebensarbeitszeit. Auf Basis der Erwerbstätigkeit bildet sich ein mehr oder weniger reichhaltiges Ensemble sozial-kultureller Tätigkeiten der Individuen aus. Das Alltagsbewusstsein ist – abgesehen von Unterschieden im Lebenszyklus – widersprüchlich, was auf die Entfremdung der Lohnarbeit – ihr Spannungsverhältnis von Autonomie und Subordinierung – wie auch die Ambivalenzen von Individualisierung und kulturindustrieller Entfremdung in den sonstigen Lebensverhältnissen zurückzuführen ist. Dazu finden sich neben dem mehr oder minder ausgeprägten kollektiven oder historischen Gedächtnis auch generationsübergreifende und überindividuelle Gewissheiten in politischen, moralischen oder religiösen Anschauungen. Diese Interpretation beinhaltet nun keinen direkten Zugriff auf die Kategorie der „Alltagsreligion“ in den hochentwickelten kapitalistischen Gesellschaften. Dieser Begriff der Alltagsreligion findet sich in der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie – und zwar auf einer ganz charakteristischen Ebene des Gesamtsystems, bei Betrachtung der entwickelten Oberfläche des kapitalistischen Gesamtreproduktionsprozesses und unmittelbar vor einer nicht mehr ausgeführten Betrachtung über „Die Klassen“. Der Fetischismus von Ware, Geld und Kapital wird hier, auf der Ebene, auf der die Warenbesitzer als Eigentümer von Revenuen auftreten, zusammenfassend als „Religion des Alltagslebens“ (MEW, Bd. 25: 838) charakterisiert, von der Marx behauptet, „dass die wirklichen Produktionsagenten in diesen entfremdeten und irrationellen Formen von Kapital – Zins, Boden – Rente, Arbeit – Arbeitslohn sich völlig zu Hause fühlen, denn es sind eben die Gestaltungen des Scheins, in welchem sie sich bewegen und womit sie täglich zu tun haben“ (ebd.). Die Marxsche Theorie der Mystifikation läuft darauf hinaus, zu verstehen, warum gerade auch im entwickelten Kapitalismus eine Mehrheit der gesellschaftlichen Individuen keinen Anstoß an diesen entfremdeten Verhältnissen nimmt, sondern sie im Gegenteil als Realisation ihrer Individualität begreift.[2] Der Marxschen Darstellung der Versachlichung der Produktionsverhältnisse und ihrer Verselbständigung gegenüber den Produktionsagenten liegt dabei die These zugrunde: „Wie der Mensch in der Religion vom Machwerk seines eigenen Kopfes, so wird er in der kapitalistischen Produktion vom Machwerk seiner eigenen Hand beherrscht.“ (MEW, Bd. 23: 649) Aber die Stufenfolge der Darstellung der entfremdeten ökonomischen Verhältnisse gegenüber den Subjekten erschöpft sich keineswegs in einer einfachen Analogie zur herkömmlichen religiösen Subordination. Die These von der Religion des ökonomischen Werkelalltags trägt dem historisch entwickelteren Niveau bürgerlicher Individualität sowie der Elastizität und Dynamik im Verhältnis von Individuum und Gesellschaft Rechnung. Der Durchgang durch die Mystifikationen von Ware und Geld und die Kapitalmystifikationen endet in einem charakteristischen Umschlag von Resultat in Voraussetzung. Zum einen erweist sich die gesellschaftliche Reproduktion als mächtige Determinante und beständige Voraussetzung des Agierens der Individuen, die darüber keine wirkliche Bewusstheit besitzen. Zum andern ergibt sich gerade auf dieser unbewussten Voraussetzung das Terrain eines freien und konkurrenzhaften Agierens bürgerlicher Eigentümersubjekte. Dies ist der eigentliche Kern der „Trinität der Produktionsfaktoren“: Der Wert, als vorausgesetzte Struktur sozialer Reichtumsproduktion, in der sich auch die ökonomische Position der Einzelnen permanent reproduziert, erscheint als das Resultat des Zusammenwirkens der Revenuetitelbesitzer. „Diese Reproduktion ist aber keine bewusste, und erscheint vielmehr nur in der beständigen Existenz dieser Verhältnisse als Voraussetzungen und den Produktionsprozess beherrschende Bedingungen. Aus den Auflösungen des Warenwerts z.B. werden seine konstituierenden Teile, die sich als selbständige gegenübertreten und daher auch als selbständige Teile gegen ihre Einheit, die vielmehr als ihre Kombination erscheint.“(MEW, Bd. 26.3: 503) Mit dieser charakteristischen Oberflächenstruktur der bürgerlichen Gesellschaft hat Marx den Brückenschlag von Alltagsreligion und Handlungsmotivation ökonomiekritisch eingeholt. Charaktermaske Die Kritik der politischen Ökonomie wäre allerdings als der bloße Nachweis eines gesellschaftlichen Verblendungszusammenhangs missverstanden. Die fetischisierten Formen der Ökonomie, die Religion des ökonomischen Werkelalltags, sind für Marx immer zugleich auch Formen der Entwicklung von Individualität. Nichts bringt dies besser zum Ausdruck als die Wertorientierungen der Zirkulation: „Der in der Zirkulation entwickelte Tauschwertprozess respektiert daher nicht nur die Freiheit und Gleichheit, sondern sie sind sein Produkt; er ist ihre reale Basis. Als reine Ideen sind sie idealisierte Ausdrücke seiner verschiedenen Momente; als entwickelt in juristischen, politischen, und sozialen Beziehungen, sind sie nur reproduziert in andren Potenzen. Dies hat sich auch historisch bestätigt.“ (Marx, Grundrisse 915) Diese Transformation der „modernen Mythologie mit ihren Göttinnen der Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit und fraternité“ (MEW, Bd. 34: 303) in potenzierte Formen der Wertorientierungen in Politik, Recht und Alltagsmoral markiert m.E. das Spezifikum Marxscher Ideologietheorie und -kritik. Abgesehen von diesen entwickelteren ideologischen Formen in Politik und Recht bleibt der Zusammenhang von „Freiheit, Gleichheit, Eigentum und Bentham“ in den Gesetzen des Warenaustauschs wirkmächtig. Es war ein folgenreicher Kurzschluss der „Kritischen Theorie“, von Veränderungen in den Produktionsstrukturen wie Monopolisierung, Kartellbildung etc. auf die Außerkraftsetzung dieser Gesetze der Warenzirkulation und ihrer ideologischen Potenzierung zu schließen. „Da Käufe und Verkäufe nur zwischen einzelnen Individuen abgeschlossen werden, so ist es unzulässig, Beziehungen zwischen ganzen Gesellschaftsklassen darin zu suchen ... Solange bei jedem Austauschakt – einzeln genommen – die Gesetze des Austauschs eingehalten werden, kann die Aneignungsweise eine totale Umwälzung erfahren, ohne das, der Warenproduktion gemäße, Eigentumsrecht irgendwie zu berühren.“ (MEW, Bd. 23: 613) Die ideologie- wie klassentheoretische Pointe in diesem „dialektischen Umschlag des Aneignungsgesetzes“ besteht darin, dass die Individuen in die gesellschaftliche Aneignungsweise immer klassenmäßig eingebunden sind, aber als Waren- und Geldbesitzer mit der Entwicklung des Kapitalismus sogar die Pluralität eines „ökonomischen Individualismus“ (z.B. Lohnabhängiger und Aktionär in einer Person) mit all seinen ideologischen Facetten ausbilden können. Das Gesicht der sozialen Akteure, die proletarischen Klassenmilieus, Rolle des Unternehmers etc. wandeln sich historisch mit der Entwicklung des Kapitalismus. Mit der „Anatomie der Klassen“ hat Marx keine gesellschaftlichen Großsubjekte im Visier, sondern Verschiebungen der Proportionierung produktiver und unproduktiver Arbeit in der gesellschaftlichen Aneignungsweise und damit eine Synthese von werttheoretisch fundiertem Tableau économique, Sozialstruktur der privaten Haushalte und Vermögen.[3] Das Phänomen der „Massen“, das einen längeren Entwicklungsabschnitt der kapitalistischen Gesellschaftsformation charakterisiert hat, drückt das Übergewicht der industriellen Produktion aus; die hier involvierten Lohnabhängigen weisen einen geringen Lebensstandard auf und verfügen über wenig frei verfügbare Zeit, so dass die karge Produktionsbasis eben durch eine einfache Struktur der kulturellen und politischen Überbauten vervollständigt wird. In dem Maße, wie ein gewisser Grad der gesellschaftlichen Umverteilung der frei verfügbaren Zeit durchgesetzt werden konnte, mithin der „labour funds“ (Marx) aus den Zeiten der großen Industrie im 20. Jahrhundert um die vielfältigen Bestandteile des modernen Soziallohns erweitert wurde und sich folglich mit der Differenzierung innerhalb des Massenkonsums sowohl eine Auffächerung der gesellschaftlichen Arbeit als auch eine Verfeinerung der kulturellen Sphäre und Überbauten ergibt, in demselben Maße verschwindet die „rohe Masse“ in den verschiedenen Formen der Massenhaftigkeit von Milieus, Lebensstilgruppen und Individualisierung – so das sozialgeschichtliche Resultat des Fordismus. Der Zusammenhang von Verschiebungen der Klassenlagen und Individualisierung ist vermittelt über diese intermediären Formen gesellschaftlicher Großgruppen. Hegemoniale Konstellationen in der politischen Entwicklung des 20. Jahrhunderts in Europa waren damit immer gebunden an eine Verbindung von Klassenpolitik und erfolgreicher Orchestrierung gesellschaftlicher Mentalitäten verschiedener sozialer Gruppen. Die Entwicklungsdynamik der kapitalistischen Produktion „charakterisiert große mobility in the habits, modes of thinking etc. des people“ (MEW, Bd. 26.3: 437) und enthüllt also, „wie mit dem change in den materiellen powers of production die relations (commercial) und damit der soziale und moralische und politische state der nations change“ (ebd. 422). Die Religion des ökonomischen Werkelalltags ist im Marxschen Selbstverständnis somit eine Struktur, die dem individuellen Handeln und den Motiven der Individuen vorausgesetzt ist. Krisen und Bruchlinien können sich erst bei der individuellen Entwicklung oder näherer Betrachtung gesellschaftlicher Reproduktionszusammenhänge ergeben. Bei Marx setzen auf die Alltagsreligion, wie sie in der ökonomischen Anatomie der bürgerlichen Gesellschaft begründet ist, weitere Stufen ideologischer Reproduktion auf, wie Politik, symbolische Reproduktion, moderne Mythologie etc., was hier nicht weiter ausgeführt werden kann. Abschließend sollen Ambivalenzen und Widersprüche des Wandels in den materiellen Produktivkräften, den ökonomischen Verhältnissen und damit den sozialen, moralischen und politischen Zuständen beleuchtet werden, die der Neoliberalismus erzeugt und darüber die Grundstrukturen des Alltagslebens und -bewusstseins großer Teile der Lohnabhängigen weiterentwickelt hat, und deren (ideologische) Wirkmächtigkeit sich auch mit Rückgriff auf die Kritik der politischen Ökonomie dechiffrieren lassen. Responsibilisierung der Lohnarbeit Die postfordistische Entfesselung des Kapitalismus – erhöhte Flexibilität und die verschiedensten Varianten von Marktöffnungsprozessen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Teilbereichen – etablierte als objektive Struktur eine politische Ökonomie der Unsicherheit, an die Akteure aus Politik und Kapital andocken können. Der prekarisierte „flexible Mensch“ innerhalb dieser neuartigen politischen Ökonomie der Unsicherheit soll gerade deshalb „empowert“ werden, um Unsicherheit überwinden zu können und mit dieser Fähigkeit dann noch passgenauer für die veränderte betriebliche Arbeitsorganisation zu sein. Die Internalisierung des Marktes in Unternehmensstrukturen setzt bezogen auf das lebendige Arbeitsvermögen somit einen zwieschlächtigen Prozess frei. Es sind gerade die zivilisatorischen Seiten kapitalistischer Herrschaftsstrukturen („reelle Subsumtion“), die die Lohnarbeit im Unterschied zu allen anderen bisherigen Formen und Kulturen der Arbeit „zu einer ganz andren historischen Action befähigen“ (MEGA, Bd. II.4.1: 103): „der freie Arbeiter dagegen getrieben von seinen wants. Das Bewusstsein (oder vielmehr die Vorstellung) der freien Selbstbestimmung, der Freiheit, macht den einen zu einem viel bessern Arbeiter als den andren, und das damit verbundne feeling (Bewusstsein) of responsibility; da er, wie jeder Waarenverkäufer, responsibel ist für die Waare, die er liefert und sie in gewisser Qualität liefern muß, soll er nicht von andren Waarenverkäufern derselben Species aus dem Feld geschlagen werden.“ (ebd. 101f.) Diese Ambivalenzen und Paradoxien innerhalb der Charaktere der Lohnarbeit selbst – als gesellschaftlicher Arbeitskörper zugleich durch die vereinzelten Einzelnen die „Instinkte und Gesetze der Warennatur“ zu exekutieren und zu bedienen – werden unter den Bedingungen des neuen Marktregimes nach der Seite der Wertschöpfung und Verwertung hin verschärft. Innerhalb eines Regimes politischer Ökonomie der Unsicherheit entpuppt sich der „Arbeitskraftunternehmer“ – dankbares Objekt von Empowermentstrategien – als ideologischer Überbau dieses „vereinzelten Arbeiters“. Und damit erweisen sich auch die „Gouvernementalität“ und die Strategien der „Gouvernementalisierung“ als potenzierter politisch-ideologischer Ausdruck eines durch die gesellschaftliche Betriebsweise des flexiblen Kapitalismus selbst hervorgetriebenen „neuen Verhältnißes der Ueber- und Unterordnung (das auch politische etc. Ausdrücke seiner selbst producirt).“ (ebd. 98) Im Fordismus fand dieses Über- und Unterordnungsverhältnis eine weitergehende soziale Ausgestaltung, in der betriebliche Leistungskompromisse mit Sicherheit, sozialstaatlicher Dekommodifizierung der Lohnarbeit und damit auch widersprüchlicher Subjektivitätsentwicklung in und außerhalb der Arbeit einhergingen. Diese Strukturen werden im gegenwärtigen entfesselten Kapitalismus durch die Flexibilisierung der gesellschaftlichen Betriebsweise, Prekarisierung von Teilen der Lohnarbeit und außer Kraft Setzung sozialer Sicherheiten der Lohnarbeitsgesellschaft zunehmend zerstört. Zentrale Triebkraft sind die Entgrenzung von Marktprozessen und die Veränderung betrieblicher Organisationsgrenzen durch erhöhten äußeren wie internen Marktdruck. Dies führt zu neuen Formen von betrieblicher Beherrschung und Selbstbeherrschung des Arbeitsvermögens, die auf gewachsene Subjektivitätspotentiale in der Arbeit und Ausweitung der Individualität der Lohnabhängigen aus dem Fordismus aufbauen und diese weitertreiben können. Jetzt löst sich die für die fordistisch-tayloristische Nutzung von Arbeitskraft konstitutive Trennung von Arbeitskraft und subjektivem Träger partiell auf. Mit diesen Veränderungen in Kernbereichen der gesellschaftlichen Betriebsweise im flexiblen Kapitalismus sind neuartige Formen von „Subjektivierung der Arbeit“ vorgeprägt, mit denen auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen, jenseits einigermaßen gesicherter Lohnarbeit, Politik gemacht wird, indem bspw. die „atmende Fabrik“ auf die Regulierung von Arbeitsmärkten übertragen wird. Der Imperativ des Neoliberalismus – alle Macht den Märkten – zeigte auch hier in den prekarisierten Bereichen von Erwerbslosigkeit, Sozialhilfe, Armut, Kriminalität etc. seine zweite Seite: „Führe dich selbst“. Die Probleme von Armut und Erwerbslosigkeit werden in Fragen der Selbstsorge transformiert. Die Individuen werden in Form einer Strategie des Empowerments oder der sozialverpflichteten Responsibilisierung zu mehr Eigenverantwortung, Eigenständigkeit und Eigeninitiative mobilisiert. Responsibilisierung operiert hier über den Modus der Aktivierung der betroffenen Subjekte, ihre durch sozialstaatliche Alimentierung „erlernte Hilflosigkeit“ zu überwinden und in individuelle Handlungsfähigkeit zu transformieren. Die Politik der Responsibilisierung wird erst dominant vor dem Hintergrund der Krise und Zerstörung der fordistischen Lohnarbeitsgesellschaft. Sie kann zwar auf eine gewachsene Subjektivität in der Arbeit aufbauen, gewinnt aber ihre Sinnhaftigkeit und Akzeptanz als erfolgreiche Gegenstrategie nur als Antwort auf soziale Unsicherheit. Damit verbleibt sie in einem fatalen Zirkel. Denn auch hier – wie in anderen gesellschaftliche Bereichen des entfesselten Kapitalismus – wird von der politischen Klasse die entstehende soziale Unsicherheit ausgenutzt und zugleich politisch verschärft. Der Sinn dieser politischen Ökonomie der Unsicherheit, des Managements der Unsicherheit, der Prekarisierungsstrategien und der Politik des Empowerments war die Reproduktion dieser Konstellation, womit die Gesellschaftspolitik des Neoliberalismus keine höhere gesellschaftliche Rationalität erreichte, sondern faktisch eine politische Ökonomie der Unsicherheit perpetuierte. Mit der gegenwärtigen krisenbedingten (Selbst)Delegitimierung neoliberaler Marktideologie besteht die historische Möglichkeit, dass die progressive Seite der Subjektivierung und Responsibilisierung von Lohnarbeit die emanzipatorische Ausbildung eines „enormen Bewusstseins“ (Marx, Grundrisse 366) befördert, mit dem die gesellschaftlichen Träger der lebendigen Arbeit die verselbständigten Verhältnisse und die Resultates des Produktionsprozesses als ihre „eignen“ Produkte „erkennen“ sowie die „Trennung von den Bedingungen (ihrer) Verwirklichung als ... ungehörig (und) zwangsweise (beurteilen)“ (ebd.) und dadurch eine zentrale Verkehrung ihrer entfremdeten Welt, die Kapitalmystifikation, durchbrechen. Damit erweist sich dieses veränderte „enorme Bewusstsein“ als „das Produkt der auf dem Kapital ruhenden Produktionsweise, und so sehr das knell to it‘s doom“ (ebd.). Formationsgeschichtliche Dimensionen der Befestigung und Auflösung von Mystifikationen Die kapitalistische Produktionsweise stellt ein charakteristisches Entwicklungsverhältnis der gesellschaftlichen Produktivkräfte dar. Alle Produktivkräfte lösen sich zunächst in ein gegebenes Verhältnis zur Natur auf. In vorbürgerlichen Produktionsformen wird die Entwicklung der Produktivkräfte lediglich dazu benutzt, „um einen bestimmten Zustand zu reproduzieren und höchstens auszuweiten“ (Marx, Grundrisse 438). Das Spezifikum der kapitalistischen Gesellschaftsentwicklung besteht nun darin, dass menschheitsgeschichtlich zum erstenmal ein Zustand erreicht wird, „wo die freie, ungehemmte, progressive und universelle Entwicklung der Produktivkräfte selbst die Voraussetzung der Gesellschaft und daher ihrer Reproduktion bildet.“ (ebd.) Die gesellschaftlichen Produktivkräfte werden in einen systematischen Entwicklungszusammenhang eingespannt und dadurch werden im kapitalistischen Aneignungs- und Verwertungsprozess alle Facetten und Komponenten der Gesellschaftlichkeit der Reichtumsproduktion freigesetzt: gesellschaftlich-kooperativer Charakter der Arbeit, permanente Umwälzung und Neukomposition aller Elemente des Arbeitsprozesses, Verwissenschaftlichung des Produktionsprozesses, Umwälzung des Bedürfnissystems. Diese beständige Erneuerung der Produktionsmethoden und Umwälzung der Produktivkräfte gesellschaftlicher Arbeit ergibt sich aus dem allgemeinen Produktionsgesetz des Kapitals: Durch die Ausnutzung der gesellschaftlichen Fähigkeiten der organisierten Arbeit und der Verwissenschaftlichung der Produktion wird die zur Herstellung eines Produkts notwendige Arbeitszeit beständig verkürzt. Mit immer weniger Arbeitskräften wird ein zunehmend größerer gesellschaftlicher Reichtum geschaffen. Das Grundgesetz des Kapitals heißt also: Schaffung der größtmöglichen Surplusarbeit, also permanente Entwicklung der Produktivkräfte, ohne Rücksicht auf die vorhandenen Schranken des Marktes oder der zahlungsfähigen Bedürfnisse. Dieses Schaffen von disponibler Zeit, woran auch die Lohnabhängigen unterschiedlich partizipieren und die „ihren Besitzer natürlich in ein andres Subjekt verwandelt, und als dies andre Subjekt tritt er dann auch in den unmittelbaren Produktionsprozeß“ (Marx, Grundrisse 599), sowie die Befriedigung von aus der Gesellschaft selbst hervorgehenden sozial-kulturellen Bedürfnissen verbleiben zwar innerhalb der durch das allgemeine Produktionsgesetz des Kapitals umrissenen sozialen Widersprüche. Aber die Bedingungen, unter denen diese Resultate permanent erzeugt werden, drängen nach allen Seiten hin zur Auflösung kapitalistischer Eigentumsgesetze und der ihr entsprechenden Eigentumsvorstellungen: sowohl die Identität von Arbeit und Eigentum als zeitloser Entwicklungsform gesellschaftlicher Reichtumsproduktion als auch der Nexus von Kapitaleigentum und gesellschaftlicher Produktivkraft wird durch die Resultate des kapitalistischen Produktionsprozesses selbst konterkariert. Darauf hebt Marx selbst explizit ab: „Das positive Resultat hier, daß die Arbeitszeit fällt, deren bedurft wird, um vergrösserte Masse von Lebensmitteln zu produzieren, daß dies Resultat durch die gesellschaftliche Form der Arbeit erreicht wird und daß der Besitz des Einzelnen an den Produktionsbedingungen nicht nur als nicht nöthig, sondern als unvereinbar mit dieser Produktion auf großer Stufenleiter erscheint.“ (MEGA, Bd. II.3.6: 2144) In der spezifischen Ökonomie der Zeit, Reduktion der notwendigen Arbeitszeit bei gleichzeitiger Vergrößerung von disposable time, hat die kapitalistische Produktionsweise zunächst ihre historische Berechtigung. Diese historisch spezifische Entwicklungsform gesellschaftlicher Produktivkräfte führt aber zu einem Produktionsniveau gesellschaftlicher Arbeit, auf welchem ein veränderter Umgang mit den Ressourcen gesellschaftlicher Arbeit praktiziert wird. Die Explosion von Beziehern abgeleiteter Revenue und sozialstaatlicher Transferzahlungen sind ein Indiz dafür. Im Spätkapitalismus hat „die Surplusarbeit der Masse aufgehört Bedingung für die Entwicklung des allgemeinen Reichtums zu sein“ (Marx, Grundrisse 593). Neben das Missverhältnis, dass einem geschrumpften produktiven Arbeitskörper unter den Bedingungen des kapitalistischen Privateigentums Surplusarbeit abgepresst wird, treten die Missverhältnisse in der Verwendung und Verteilung von gesellschaftlicher disposable time und rücken ins Zentrum gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Dennoch soll die sich darin andeutende Entwicklung zu einer rationelleren gesellschaftlichen Ressourcenökonomie in das Korsett von Arbeit und Eigentum, von „privateigentümlich“ bornierter Partizipation am gesellschaftlichen Reichtum gepresst bleiben. Auch hier gilt, dass wenn die gesellschaftlichen Individuen „eben damit beschäftigt scheinen, sich und die Dinge umzuwälzen, noch nicht Dagewesenes zu schaffen, gerade in solchen Epochen revolutionärer Krise beschwören sie ängstlich die Geister der Vergangenheit zu ihrem Dienste herauf, entlehnen ihnen Namen, Schlachtparole, Kostüm, um in dieser altehrwürdigen Verkleidung und mit dieser erborgten Sprache die neue Weltgeschichtsszene aufzuführen“ (MEW, Bd. 8: 115). Das kapitalistische Privateigentum als ein Maßstab für die Gesellschaftlichkeit der Produktionsweise symbolisiert eben eine solche „Poesie der Vergangenheit“. Durch die Resultate des kapitalistischen Produktionsprozesses ist hingegen nachgewiesen, dass das gesellschaftliche Produktivitätsniveau gerade nicht erreicht wird durch Privateigentum an den Produktionsbedingungen, sondern durch gesellschaftliche Arbeit auf großer Stufenleiter. Dies steht quer zum offiziell proklamierten Eigentumsgesetz der einfachen Appropriation. Allerdings stellt sich dieser gesellschaftliche Charakter der Reichtumsproduktion „in der kapitalistischen Produktionsweise so dar, daß der Capitalist Eigentümer dieser gesellschaftlichen Massen von Produktionsmitteln ist -- der Nichtarbeiter. Er vertritt in der Tat den Arbeitern nie ihre Vereinigung, ihre gesellschaftliche Einheit gegenüber. Sobald diese gegensätzliche Form wegfällt, ergibt sich also, daß sie dies Produktionsmittel gesellschaftlich, nicht als Privatindividuen besitzen. Das kapitalistische Eigentum ist nur ein gegensätzlicher Ausdruck dieses ihres gesellschaftlichen i.e. negierten Einzeleigentums an den Produktionsbedingungen.“ (MEGA, Bd. II.3.6: 2144) Auch die kapitalistische Inkorporierung der Produktivkräfte, die Subsumtion der Potenzen gesellschaftlicher Arbeit unter das Kapitaleigentum vermag die Vorstellung vom Privateigentum an den Produktionsmitteln als notwendige Bedingung gesellschaftlicher Produktion nicht plausibler zu machen. Die Gesellschaftlichkeit des Produktionsprozesses liegt ja gerade nicht im Kapitaleigentum begründet, welches lediglich als Personifikation der „Nichtarbeit“ auftritt, sondern im wirklich tätigen, gesellschaftlichen Arbeitskörper selber, in den die Lohnarbeiter als „negierte“ Privateigentümer eingehen. Der Sache nach besitzen die Produzenten die Produktivkräfte nur als gesellschaftliche Individuen. Sowohl nach der Seite des Kapitals wie nach der Seite der Lohnarbeit stellt die kapitalistische Aneignungsweise somit eine Aufhebung des Privateigentums dar. Dabei ist sich Marx der historischen Dimension dieses Prozesses durchaus bewusst. In vorbürgerlichen Formationen ist die subjektive Komponente der Produktivkraftentwicklung gewichtiger, eingebunden allerdings in bornierte Formen des Gemeinwesens. „Wir haben gesehen, daß das Eigentum an den Produktionsbedingungen gesetzt war als identisch mit einer bornierten, bestimmten Form des Gemeinwesens; des Individuums also in solchen Eigenschaften – bornierten Eigenschaften und bornierter Entwicklung seiner Produktivkräfte -, um solches Gemeinwesen zu bilden.“ (Marx, Grundrisse 439) Im Übergang zur bürgerlichen Gesellschaft werden diese bornierten Formen aufgelöst und reduziert auf die ökonomischen Bedingungen des Privateigentums. Dabei kommt es zunächst zu einer Gemengelage und Pluralität von Eigentumsformen, wobei dann das Privateigentum des einfachen Warenproduzenten eine sozialökonomische Basis zur Ausbildung der Eigentumsvorstellung einer Identität von Arbeit und Eigentum abgeben kann, die in den klassischen Rechts- und Eigentumsvorstellungen der bürgerlichen Gesellschaft weiter fort- und ausgebildet werden. Für die Anfänge der kapitalistischen Produktionsweise ist für Marx unbestritten: „Z.B. beim kleinen peasant ist das Stück Grund, das er bebaut, sein. Das Eigentum an ihm als seinem Produktionsinstrument notwendiger Sporn und Bedingung seiner Arbeit. Ditto beim Handwerk.“ (MEGA, Bd. II.3.6: 2144) Die flächendeckende Ausdehnung marktförmiger Vergesellschaftung, in der „das Geldmachen als der letzte Zweck jeder Art von Tätigkeit erscheint“ (MEGA, Bd. II.4.1: 110), bestärkt und befestigt die Vorstellung, dass Eigentum und Besitz Resultat eigner Leistung und Anstrengung sind. Arbeit führt zu Eigentum und die Reproduktion dieses Zusammenhangs vermittelst des Markts prägt die gängige Vorstellung der Identität von Arbeit und Eigentum. Diese Vorstellung eines auf Arbeit beruhenden Privateigentums ist somit nicht einfach als ideologische Vernebelung der wirklichen Tatbestände kapitalistischer Expropriation abzutun, sondern muss in ihrer historischen und gesellschaftlichen Mächtigkeit auch für die moderne bürgerliche Gesellschaft anerkannt werden. Die marktförmige Vergesellschaftung, das beständige Geldmachen, wird selbst zu einer Produktivkraft und zwar sowohl auf gesellschaftlicher wie individueller Ebene. Dennoch wird die Proklamierung dieser Eigentumsvorstellung angesichts der Dynamik kapitalistischer Produktivkraftentwicklung immer schwieriger. Die Resultate des kapitalistischen Aneignungs- und Verwertungsprozesses lassen sich nicht mehr unter eine Identität von Arbeit und Eigentum subsumieren. Denn „in der großen Industrie wie in der großen Agrikultur, sind diese Arbeit und das Eigentum an den Produktionsbedingungen nicht erst zu trennen, sie sind faktisch getrennt, diese Trennung von Eigentum und Arbeit, die Sismondi beweint, notwendiger Durchgang zur Verwandlung des Eigentums an den Produktionsbedingungen in gesellschaftliches Eigentum. Als Einzelner konnte der einzelne Arbeiter nur wieder hergestellt werden in dem Eigentum der Produktionsbedingungen durch Zertrennung der Produktivkraft und der Entwicklung der Arbeit auf großer Stufenleiter. Das fremde Eigentum des Capitalisten an dieser Arbeit nur aufzuheben, indem sich sein Eigentum als das des Nicht-Einzelnen in seiner Selbständigen Einzelheit, also des associierten, gesellschaftlichen Individuums umgestaltet.“ (MEGA, Bd. II.3.6: 2145) Damit ist die historische Dynamik kapitalistischer Aneignungsverhältnisse auf den Punkt gebracht: Sie erweisen sich als historischer Durchgangspunkt zu Formen gesellschaftlicher Reichtumsproduktion, in denen der Gesellschaftlichkeit der Produktivkräfte anders Rechnung getragen wird als durch die Trennung von Arbeit und Eigentum und die beständige Reproduktion kapitalistischen Privateigentums. Der historisch erreichte Entwicklungszusammenhang der Produktivkräfte kann jenseits kapitalistischer Verwertungslogik erhalten und in einer Revolutionierung der Aneignung der Produktivkräfte durch die assoziierten Produzenten im Hegelschen Sinne aufgehoben werden. Dazu muss dem gesellschaftlichen Charakter der Produktivkräfte Rechnung getragen werden. Auf der einen Seite gilt es, die selbständige Einzelheit der produzierenden Individuen zu erhalten, die in der Figur des Privateigentümers zur absoluten Entwicklungsform von Individualität vereinseitigt wurde. Aber der Zugang, die Aneignung und die Weiterentwicklung der Produktivkräfte kann sich nicht mehr nach Maßgabe vorgegebener und fremdbestimmter Eigentumsverhältnisse vollziehen. Jetzt wird vielmehr das geschichtlich akkumulierte Potenzial an Fähigkeiten, Wissen und Kompetenzen der „(Lohn)Arbeit frei, die nach mehr oder weniger Irrsal und Trübsal in anderer Richtung verwandt werden kann. Das Menschenmaterial for a new sphere of production ist so geliefert.“ (MEW, Bd. 26.3: 434) Deshalb kann auf der anderen Seite der Nexus von Privateigentum und Produktivkraftentwicklung in Formen gesellschaftlicher Aneignung und gesellschaftlichen Eigentums – unter Einschluss einer Pluralität von Eigentumsformen von Genossenschaften, öffentlichen Betrieben bis hin zu selbständigen sozialkulturellen Dienstleistungen – umgestaltet werden. „Damit hört natürlich der Fetischismus auf, daß das Produkt Eigentümer des Produzenten ist und alle die innerhalb der kapitalistischen Produktion entwickelten gesellschaftlichen Formen der Arbeit werden von dem Gegensatz erlöst, der sie alle verfälscht und gegensätzlich darstellt.“ (MEGA, Bd. II.3.6: 2145) Bei einem solchen Transformationsprozess gesellschaftlicher Arbeit ist es letztlich „in einem Wort die Entwicklung des gesellschaftlichen Individuums, die als der große Grundpfeiler der Produktion und des Reichtums erscheint“ (Marx, Grundrisse 593). Diese Konsequenz der Zwieschlächtigkeit der Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses des Kapitals – nämlich die Wiederaneignung des sozialen Charakters der Produktivkräfte in gesellschaftlich neuartigen Assoziationsformen der Individuen – stellt sozusagen das aufgelöste Rätsel des Kapitalfetischismus dar. Der Entfremdungsprozess der Lohnarbeit kann durch gesellschaftlich bewusste Handhabe der sozialen Potenzen der Arbeit aufgelöst werden. Damit ist einmal mehr unterstrichen, dass Dreh- und Angelpunkt einer Weiterentwicklung gesellschaftlicher Produktions- und Verkehrsverhältnisse die immanente Widerspruchsstruktur der Kapitalmystifikation darstellt. Die formationsspezifische Betrachtung und Dechiffrierung der Produktivkraftentwicklung in den Formen der Kapitalmystifikation ergibt im Resultat ein Bündel von Widersprüchen, die zugleich ihre Auflösung in sich tragen: den entfremdeten Formen des gegenständlichen Reichtums stehen entwickeltere, aneignungsfähigere Individuen gegenüber, die ihren gesellschaftlichen Charakter in eine revolutionierte, assoziierte Aneignungsweise der Produktivkräfte umsetzen können, und somit den entfremdeten Charakter der Lohnarbeit in eine übergreifende und umfassende Aneignung der Produktivkräfte als ihres organisch verlängerten Leibes zur Gestaltung der Gesellschaft transformieren können. Vom Gang der Marxschen Argumentation her ergibt sich mithin eindeutig eine Priorität der Kapitalmystifikation gegenüber dem Waren- und Geldfetisch. Quer dazu stehen nach wie vor Ansätze der Kapitalismuskritik, wie sie in der Geschichte der Linken bis heutzutage gang und gäbe sind, mit Konsequenzen für die Sozialismusdiskussion.[4] Der Entfremdungsbegriff als Basis der Kritik an den bürgerlichen Produktionsverhältnissen wurde primär in Form der Analyse des Warenfetischismus rezipiert und dann wurde bei der Seite der Verdinglichung sozialer Verhältnisse stehen geblieben. Verweist der Warenfetischismus primär auf die scheinbare Dingeigenschaft sozialer Beziehungen, so kommt mit der Kapitalmystifikation aber ein ganzes prozesshaftes Ensemble sozialer Verhältnisse in den Kernbereichen kapitalistischer Wertschöpfung, dem Zentrum der gesellschaftlichen Reichtumsproduktion, in den Blick und damit „das Entfremdet-, Entäußert-, Veräußertsein, das Nicht-dem-Arbeiter-, sondern dem-Kapital-Zugehören, der ungeheuren gegenständlichen Macht, die die gesellschaftliche Arbeit selbst sich als eines ihrer Momente gegenübergestellt hat“ (Marx, Grundrisse 716). Die Fassung der Entfremdung als einen Prozess lediglich in Kategorien des Warenfetischismus bleibt kulturkritisch verkürzt und bekommt die Vergesellschaftungspotenzen im Produktionsprozess des Kapitals, die ja gerade auch eine Entwicklung von Individualität mit einschließen, nicht in den Blick. Vielmehr werden an diesem Punkt dann die „gegensätzlichen Formen der gesellschaftlichen Arbeit“ (MEGA, Bd. II.3.6: 2144) machttheoretisch in die beiden Pole gesellschaftlicher Arbeit – repräsentiert durch die klassenbewusste Lohnarbeiterschaft – und privater Aneignung – verkörpert durch kapitalistischen Privatbesitz – auseinanderdividiert. Gesellschaftsveränderung kann mithin nur im „Frontalangriff“ auf die kapitalistische Produktivkraftentwicklung gedacht werden, aber nicht mit ihr. Gerade in letzterem besteht aber das Credo der Kritik der politischen Ökonomie. Von Anbeginn ist die Marxsche Analyse darauf angelegt, nachzuweisen, dass sich die „materiellen Produktionsbedingungen“ und die „Produktionsverhältnisse“ als „Verkehrsverhältnisse“ erweisen, „die ebenso viel Minen sind, um die bürgerliche Gesellschaft zu sprengen“ (Marx, Grundrisse 77). Verkehrsverhältnisse sind aber allemal mehr als einfache Klassenkampfkonstellationen. In sie gehen alle Errungenschaften der kapitalistischen Produktivkraftentwicklung mit ein, sowohl auf Seiten des Kapitals wie der Lohnarbeit, die den Nexus von Privateigentum und Produktivkraftentwicklung aufheben und eine entwickeltere Gesellschaftlichkeit des Reproduktionsprozesses ermöglichen. Und genau dies ist der Ertrag der Marxschen Kapitalanalyse: „Zwei Hauptfacts der kapitalistischen Produktion: Erstens Konzentration der Produktionsmittel in wenigen Händen, wodurch sie aufhören, als unmittelbares Eigentum des einzelnen Arbeiter zu erscheinen, sondern als Potenzen der gesellschaftlichen Produktion, wenn auch noch zunächst als Eigentum der nicht arbeitenden Kapitalisten; diese sind ihre trustees (Verwalter) in der bürgerlichen Gesellschaft und genießen alle Früchte dieser Trusteeschaft. Zweitens: Organisation der Arbeit selbst als gesellschaftliche durch Kooperation, Teilung der Arbeit und Verbindung der Arbeit mit den Resultaten der Herrschaft über die Naturkräfte. Nach beiden Seiten hin hebt die kapitalistische Produktion Privateigentum und Privatarbeit auf, wenn auch noch in gegensätzlichen Formen.“ (MEW, Bd. 26.3: 418) [1] John Bellamy Foster/Fred Magdoff, Implosion des Finanzmarkts und Stagnation. Zurück zur Realwirtschaft, Supplement der Zeitschrift Sozialismus 2/2009, S. 31/32. [2] Damit liegt m.E. in der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie ein spezifischer Zugriff auf die „Legitimationsprobleme im (Spät)Kapitalismus“ vor, der dann zur Analyse der politischen Form des Gemeinwesens und des Staates weitergeführt werden muss, was im folgenden aber unterbleiben muss. „Ableitungsversuche“ aus der „einfachen (Waren)Zirkulation“ bleiben verkürzt, da sie eine zentrale ökonomische Voraussetzung wie auch Bezugspunkt von Staat und Politik in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft ausblenden: das gesamtgesellschaftliche Mehrprodukt. Erst die Konkurrenz bezieht die Revenuequellenbesitzer, wenn auch in verkehrten Formen, auf die Mehrwertproduktion. Mithin eröffnet die spezifisch ökonomische Form der unbezahlten Mehrarbeit den analytischen Zugang, „worin wir das innerste Geheimnis, die verborgne Grundlage der ganzen gesellschaftlichen Konstruktion und daher auch der politischen Form des Souveränitäts- und Abhängigkeitsverhältnisses, kurz, der jedesmaligen spezifischen Staatsform finden“ (MEW, Bd. 25: 799). [3] Vgl. dazu Stephan Krüger, Allgemeine Theorie der Kapitalakkumulation, Hamburg 2010, S. 199 u. 682/683. In der Kritik der politischen Ökonomie bilden die ökonomischen Formbestimmungen den „indicator“ (Marx, Grundrisse 153) für die sozialen Verkehrsverhältnisse der Individuen zueinander. [4] Den bislang elaboriertesten Begründungsversuch einer solchen Sichtweise unternimmt Heinrich Harbach: Wirtschaft ohne Markt, Berlin 2011, der sogar von einem „System der Warenproduktion“ ausgeht, das „in verschiedenen Entwicklungsstadien existiert und eigene Gesellschaftsformen ausbildet“ (ebd. 133), und der daher „die Auflösung der Wertformen zur Conditio sine qua non jeder Transformation und jeder alternativen Ökonomie“ (ebd. 143) erhebt. Demgegenüber findet sich die Begründung einer „marktsozialistischen“ Transformationskonzeption in ihren Grundzügen bei Stephan Krüger: Keynes & Marx, Hamburg 2012, im 17. Kapitel über weiterführende sozialistische Alternativen. Auch die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht: Freiheit statt Kapitalismus, Frankfurt/M 2012, begründet ihren „kreativen Sozialismus“ (ebd. 341ff.) in erster Linie über Kooperation auf Shopfloor-Ebene, Belegschaftseigentum und Mitarbeiterbeteiligung; vgl. dazu ihr Streitgespräch „Konkurrenz oder Kooperation?“ mit dem Schriftsteller und Unternehmer Ernst-Wilhelm Händler in: Philosophie Magazin, Heft 2/2013. In seiner Antwort auf die Transformationskonzeption der Sozialistin, bei der „die Belegschaft das Sagen hat, was die strategischen Entscheidungen angeht“ (ebd. 16), reproduziert der Bourgeois in klassischer Weise unbegriffen den „dialektischen Umschlag im Aneignungsgesetz“: „Alles beginnt immer kooperativ. Das gilt für Apple und alle anderen. Am Anfang haben Sie eine kleine Gruppe von völlig gleichberechtigten Leuten, aber am Ende wird immer eine ganz normale Firma daraus, wo einer oben die Richtung vorgibt. Das ist kein Zufall.“ (ebd.) Gegen solch besitzindividualistische „Normalisierung“ dachte Heinz Brakemeier aus dem Impetus eines „Vereins freier Menschen, die mit gemeinschaftlichen Produktionsmitteln arbeiten und ihre vielen individuellen Arbeitskräfte selbstbewusst als eine gesellschaftliche Arbeitskraft verausgaben“ (MEW, Bd. 23: 92), immer an. Vgl. dazu auch Christoph Lieber, Kooperativ-genossenschaftliche Produktion jenseits von Zentralverwaltungswirtschaft und Marktwirtschaft. Heinz Brakemeiers unabgegoltenes Forschungsprogramm, in Jens Becker/Thomas Zöller (Hrsg.), Gesellschaftskritik und emanzipatorische Praxis. Denken im Anschluss an Heinz Brakemeier, Hamburg 2013. Sigel MEW = Marx Engels Werke, Berlin. MEGA = Marx Engels Gesamtausgabe, Berlin. Grundrisse = Marx, Karl: Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie. Berlin, Dietz Verlag 1974. |
|