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Robert Foltin: Zur Demokratie sozialer Bewegungen Immer wieder wurde durch emanzipatorische soziale Bewegungen mehr Demokratie gefordert. In den revolutionären Phasen war es die direkte Demokratie der Räte, in den 1970ers tauchte das Schlagwort „Basisdemokratie“ auf. Die sozialen Bewegungen der letzten Jahre von unibrennt bis hin zu den Indignados zeigten sowohl eine Kritik an der Verfasstheit der demokratischen und parlamentarischen Strukturen wie auch „neue“ Formen der Demokratie. So forderten die spanischen Besetzer_innen der Plaza del Sol in Madrid (die „Empörten“,Indignados) „Demokratie jetzt“. Sie experimentierten mit Organisationsformen, die eine Beteiligung der Vielen gewährleisten sollte. Ähnliches gilt für die Strukturen, wie sie 2011 in vielen Städten durch die Occupy-Bewegung entwickelt wurden. In Österreich / Wien entwickelten sich in der unibrennt-Bewegung 2009 ebenfalls Strukturen, die das gewöhnliche Verständnis von Wahlen in Frage stellten. Anfangs konnten die Medien damit kaum umgehen, dass es keine Ansprechpersonen gab und die Pressesprecher_innen dauernd wechselten. Außerdem wurde versucht, zu gewährleisten, dass sich nicht die übliche Männerdominanz durchsetze. „Besonders faszinierend finde ich halt, dass Menschen, die sich noch nie mit basisdemokratischer Entscheidungsfindung auseinandergesetzt haben, hier plötzlich basisdemokratisch handeln und zum Teil hab’ ich auch das Gefühl, dass das auch von einem Impuls ausgeht und nicht unbedingt von einem theoretischen Hintergrund.“ (Asenbaum et.al. 2010, S. 7)[1] Obwohl sich unterschiedliche linke, queere und feministische Gruppen an den aktuellen Bewegungen beteiligten, hatten sie keinen sichtbaren, direkten Einfluss. Die Bewegungen lehnten nicht selten alle „politischen“ Organisationen ab, was sich auch gegen anarchistische, autonome oder feministische Interventionen richtete. Ich will zeigen, dass es trotzdem gerade diese Formen, wie sie in anarchistischen und autonomen Strukturen diskutiert werden, waren und sind, die die Organisierung der Bewegungen beeinflussen. Krise der Demokratie Warum sind es gerade die aktuellen Bewegungen, die Entscheidungsfindung und Demokratie mehr diskutieren und reflektieren als frühere Bewegungen? Die repräsentative Demokratie wird schon länger in Frage gestellt. Guy Debord (1998) kritisierte bereits in seiner 1967 erschienenen „Gesellschaft des Spektakels“, dass die kapitalistische Warengesellschaft ein ebensolches Spektakel sei wie die demokratische Politik. In aktuellen Wahlkämpfen gibt es kaum noch einen Unterschied zu Waschmittelwerbung oder Werbung von Handybetreiber_innen. Konnte in den früheren Jahrzehnten noch die Illusion einer Auswahl entstehen, so wurde das in den letzten Jahren zu Gunsten kapitalistischer Sachzwänge ganz in Frage gestellt[2]. So wurden Referenden und Abstimmungen über den EU-Vertrag so lange wiederholt, bis die Bevölkerung zustimmte. „Linke“, sozialdemokratische Regierungen setzten immer und überall die Maßnahmen zu Gunsten des Kapitals durch. In Italien und Griechenland wurden Expert_innenkabinette installiert. Die Stimmen der Wähler_innen, so scheint es, machen der „Wirtschaft“ heutzutage mehr Sorgen als früher, als für Politik noch Waschmittelwerbung genügte. So konnte sich die reaktionäre Opposition sozial gebärden und Wahlen gewinnen. In Ungarn siegte so die Rechte, von Gaspar Miklos Tamas als „Konterrevolution gegen die Konterrevolution“ (Tamás 2008) bezeichnet. Die „Linke“ hat in den letzten Jahren eine selbstmörderische Anpassung an die herrschenden „Sachzwänge“ mitgemacht. Diskurse, die einen ökonomischen Kurswechsel verlangen, dürfen geäußert werden, sind aber marginalisiert. Was nicht dem Kapital nutzt, gilt als unrealistisch. Politik und Medien sind Teil der herrschenden Oligarchie. Dabei meine ich noch nicht die Korruption, die unter dem Titel „Parteienfinanzierung“ diskutiert wird, sondern dass die Führungsetagen von Unternehmen, Politik und Medien einen privilegierten sozialen Zusammenhang bilden. Nicht umsonst erhalten auch linke (und grüne) Politiker_innen nach ihrem Ausscheiden Managementposten in großen Unternehmen. Und die großen Medien sind von ihren Werbeetats abhängig, die von den Konzernen kommen. In der Vergangenheit hat es, wenngleich vereinzelt, auch Initiativen von unten gegeben, die Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen konnten. Das Atomkraftwerk Zwentendorf und das Donaukraftwerk Hainburg wurden nicht in Betrieb genommen, bzw. gebaut. Das System der Parteien, das schon damals als Spektakel funktionierte, wurde ergänzt durch Bürger_inneninitiativen und sich immer mehr institutionalisierende NGOs, die so genannte Zivilgesellschaft. Solche Strukturen ergänzen jetzt Gewerkschaften, Kirchen und Vereine zur Integration ins herrschende System. Bürgerinitiativen und NGOs wurden zu einem Teil von demokratischer Vermittlung, auch hier gilt, es ist möglich, Kritik zu üben, aber es darf sich nichts Entscheidendes ändern, was die kapitalistische Verwertung betrifft. Heute wird „mehr Demokratie“ oft mit mehr Volksabstimmungen verbunden, es sollte aber klar geworden sein, dass Abstimmungen zwar „demokratischer“ sind als die Wahl der Parteien, aber in der Gesellschaft des Spektakels auch nur das Ergebnis von Werbekampagnen sind (wieder eine Macht-, Geld- und Oligarchiefrage). Demokratie in sozialen Bewegungen Die sozialen Bewegungen von früher zeigten „andere“ Formen der Demokratie als NGOs und linke Parteien. (Spontane) Bewegungen haben immer schon die herrschende Demokratie kritisiert und mit partizipatorischen Strukturen experimentiert. Ein Beispiel ist die „Arena-Bewegung“, die Besetzung des Auslandsschlachthofes als Kultur- und Kommunikationszentrum in Wien im Sommer 1976. Vorbereitet wurde die Besetzung durch Künstler_innen und Architekt_innen („Expert_innen“). Als dann aber die Polizei von den Besetzer_innen verlangte, Verantwortliche zu stellen, antwortete die Menge: „Verantwortlich sind wir alle“. Die Organisation funktionierte über Komitees und Plena, die die Entscheidungen trafen. In den Verhandlungen forderte die Gemeinde allerdings verbindliche Strukturen, also das Zurückdrängen von allen Formen direkter oder partizipatorischer Demokratie (vgl. Foltin 2004, S. 116ff). Auch in der Besetzung der Au in Hainburg, durch die das geplante Wasserkraftwerk verhindert wurde, entwickelten sich demokratische Strukturen, die über die Demokratie im landläufig verstandenen Sinn hinaus wiesen: „Die Organisation hat sich ganz spontan, wie die Besetzung, entwickelt. Da gabs die sog. Zentrale, die dann entmachtet wurde, als die Lager immer mehr autonomer und selbstbewusster handelten. In den Lagern gab es anfangs sporadische Plenas, hauptsächlich bevor Aktionen bzw. Verteidigungsmaßnahmen anstanden, später dann regelmäßige und dann auch Hauptplenas zu dem die Lager einzelne Vertreter entsandten. […] Teilweise genutzt hat das Chaos den Verhandlern vom Konrad-Lorenz-Volksbegehren, die in einem kontrollfreien Raum mit der Regierung verhandeln konnten, ohne Rechenschaft ablegen zu müssen. Das haben wir gottseidank bald abgestellt, da die Stimmung gegen diese Art von Verhandlungen bei den Besetzern sehr stark war und die Besetzer aufgrund ihrer Position einen Druck ausüben konnten. Letztendlich hat sich eine gewisse Organisationsstruktur herausgebildet die der Besetzung adäquat war und auch mit dem Chaos einigermaßen umgehen konnte. Eine Weiterentwicklung hat leider das Ende der Besetzung verhindert.“ (Notkühlung 1/1985). Nicht erst in der unibrennt-Bewegung haben sich spontan-demokratische Organisationsformen gebildet. Ein Unterschied ist, dass im Gegensatz zu heute Selbstorganisation damals fast nur innerhalb der Bewegungen und unter Linken und den Autonomen / Anarchist_innen diskutiert wurde. In den Medien wurde nur über die (Verhandlungs)Realpolitik und die spektakulären Auseinandersetzungen berichtet. Nach 1968 tauchte die „Basisdemokratie“ allerdings in vielen Bereichen auf und wirkte in den Anfangszeiten noch in die entstehenden Grünen hinein, die sich aber mehr oder weniger schnell von allen partizipatorischen Konzepten verabschiedeten. Anarchistische und autonome Konzepte in sozialen Bewegungen An den oben erwähnten sozialen Bewegungen nahmen Anarchist_innen und Autonome teil. Es gibt aber auch eine längere Geschichte der direkten Einwirkungen. Um 1968 haben sich die Aktionsformen geändert: die direkten Aktionen, zuerst der Bürgerrechtsbewegung in den USA, dann der Student_innen gegen den Vietnam-Krieg waren von gewaltfreien anarchistischen Ideen beeinflusst. Später griffen diese Formen auch auf Europa über. Nicht mehr die geordnete, angemeldete Form des Protests wurde gewählt, nicht mehr Gruppierungen (Parteien und Gewerkschaften) mobilisierten ihr Fußvolk, das dann den Redner_innen zuwinkte, sondern jede einzelne Person sollte aktiv werden[3]. Es wird keine Einheit gesucht, sondern der Konsens, zukünftige emanzipatorische Elemente sollen vorweg genommen werden. Und, was jetzt nur am Rande mit dem Thema „Demokratie“ zu tun hat, es werden konfrontative Formen der (gewaltfreien) Auseinandersetzung gesucht. Auf die späteren Besetzungsbewegungen konnten libertäre Organisationsformen direkt Einfluss ausüben. So bei einer Vielzahl von Besetzungen wie etwa gegen ein Kraftwerk in Lambach in Oberösterreich oder gegen den Bau der Ennsnahen Trasse der Pyhrn-Autobahn. Die „Autonomen“ waren nicht nur für die Überschreitung legaler Grenzen mitverantwortlich, sondern förderten auch die Selbstorganisationsstrukturen. Im Niedergang der Bewegungen dominierten dann wieder die Funktionär_innen linker Gruppen und Bürokrat_innen. Charakteristisch dafür die vielen Besetzungen des Audimax[4]. Die „Jugend“- und Hausbesetzungsbewegung Anfang der 1980er forderte von vornherein andere Formen der Beteiligung und es ist nicht zufällig, dass daraus die Organisations- und Plenumsstrukturen der „Autonomen“ entstanden. In Österreich wurden illegale Besetzungen nicht geduldet. Aber die Struktur der „Szene“ war eine Ähnliche, wie in den vielen Besetzungsprojekten in Deutschland. Nicht umsonst hatten die „Autonomen“ den Anspruch, das Leben zu organisieren (was ein Zeichen ist, dass die kapitalistische Struktur nicht die einzig mögliche Organisationsform ist), Plenums- und / oder Delegiert_innenstruktur, den Versuch, das Konsensprinzip durchzusetzen, unterschiedliche Versuche, die Beteiligung von vielen zu entwickeln: Vermeidung von Abstimmung, keine Verpflichtung der Beteiligung, wenn eine bestimmte Aktivität abgelehnt wird, die autonome Organisation bestimmter Strukturen, z.B. der autonomer Frauen. In den 1980ern organisierte sich auch der autonome Teil des Feminismus in solchen Strukturen und konnte durch diese Radikalität auf die institutionellen Strukturen zurück wirken. Gerade unter Feministinnen wurde die Diskussion über die Gefahren einer Institutionalisierung sehr intensiv geführt. Es sind noch einige Worte zu der auch von den Autonomen postulierten „Kollektivität“ zu verlieren. Darunter sind nicht die grauen Fabriken des „realen“ Sozialismus zu verstehen, sondern das Gegenteil. Die kollektive Herangehensweise verhindert vereinheitlichende Repräsentation und stärkt den individuellen Ausdruck. Wenn alle zu Wort kommen können, kommt es im Gegensatz zu formalen Wahlen zu keiner Gleichschaltung. Es ist bezeichnend, dass die „Autonomen“ keine formalen Organisationsformen entwickelten, sondern die Vielfalt eines sozialen Feldes abbildeten, mit unterschiedlichen, auch zerstrittenen Postionen und Beziehungen. Trotzdem wurde innerhalb der Autonomen diskutiert, dass die Abwesenheit formaler Strukturen zu Ungleichgewichten führen kann, wie z.B. zwischen denen, die sehr aktiv sind und anderen, die eher im Hintergrund bleiben. Auch innerhalb der autonomen Szene entwickelten sich manchmal Tendenzen zur Vereinheitlichung, wenn z.B. Aussehen (Punk, schwarz) ein Ausgrenzungskriterium wurde. Das wurde aber immer wieder in Frage gestellt. Auch die Vermummung, die Anonymisierung ist ein „Werkzeug“, um die Hervorhebung von Einzelnen zu verhindern (vgl. z.B. die Anonymität des Subcommandante Marcos von den Zapatist_innen). Wahlen erzeugen im Gegensatz dazu immer Unterlegene, immer Mehrheits- und Minderheitspositionen und damit die Tendenz zur Ausgrenzung. Außerdem bedeuten sie die Heraushebung von Repräsentant_innen und deren Abtrennung von den Repräsentierten. Seattle / Genua Die internationale Protestbewegung zwischen Seattle und Genua entwickelte demokratische Organisationsformen, die über oben beschriebenen lokalen oder kleinräumigen Struktur hinausgingen[5]. Peoples Global Action (PGA) wurde 1997 beim von den Zapatist_innen angestoßenen, zweiten Intergalaktischem Treffen in Spanien gegründet. Der Aufbau eines Netzwerkes wurde beschlossen, das zu den globalen Protesttagen anlässlich der Gipfeltreffen der Herrschenden aufrief, und so den Protesten nach Seattle eine breitere Öffentlichkeit verschaffte. PGA ist nur eine Koordination, stark geprägt von Organisationen des globalen Südens. Organisiert wird sie über das Internet und über regelmäßige lokale und globale Konferenzen. Teilnehmen können Strukturen, die mit den Eckpunkten (Hallmarks) in Einklang stehen.[6] Die PGA stellt ein Koordinationswerkzeug dar, keine Organisation. Sie hat keine Mitglieder und ist nicht juristisch repräsentiert. Keine Organisation oder Person kann die PGA repräsentieren. Die Demonstrationen zu den Aktionstagen wurden dann von breiten Bündnissen getragen, die sich gegenseitig akzeptierten und verschiedene Aktionsformen zuließen. An den Protesten beteiligten sich wesentlich breitere Kreise als solche, die den libertären Konzepten von PGA nahe standen. Das fand seinen Niederschlag in der Entwicklung der Sozialforumsbewegung mit einem antiautoritären (anarchistischen oder autonomen) Flügel, aber auch Gruppierungen und Funktionär_innen von traditionellen Parteien oder von NGOs. Was ist von diesen Organisationsformen geblieben? Die Sozialforen organisierten jährliche Welttreffen mit regionalen Ablegern. Die Strukturen waren immer gemischt aus Funktionär_innen linker Parteien und libertären partizipatorisch-autonomen Strukturen wie sie u.a. PGA repräsentierte. Die Sozialforumsbewegung hat sich, zumindest in Europa, inzwischen auf einen Haufen Funktionär_innen reduziert, die staatsfeindlichen Strukturen haben sich schon länger zurückgezogen. Die PGA ist aus der Öffentlichkeit verschwunden, dort wird gerade ein Manifest diskutiert, das auf die neuen Bewegungen eingeht. Die Organisations- und Koordinationsformen wurden aber von den aktuellen Bewegungen übernommen, wie etwa der Gebrauch der Handzeichen. Dies ermöglicht, dass auch auf Plena, die von einer großen Anzahl Menschen besucht werden, sinnvolle Debatten stattfinden und Entscheidungen getroffen werden, ohne dass das in fruchtlose Diskussionen ausartet[7]. Aktualität der direkten Demokratie Es sind die radikalen und autonomen sozialen Bewegungen, die egal, unter welchem Namen, die Frage der Selbstorganisation oder der Demokratie von unten immer wieder aufwerfen. Nicht nur in der Vielzahl der Besetzungen der letzten Jahre finden sich die hier diskutierten „demokratischen“ Strukturen, sondern auch in einer Reihe von Projekten, die sich als anarchistisch, autonom oder DIY (do it yourself) verstehen. Zusammenfassend lassen sich folgende Kennzeichen feststellen: (1) Kritik des Staates und der Begrenztheit der Demokratie durch Wahlen, aber auch von Formen der Repräsentation in der Öffentlichkeit, oft verbunden mit einer Kritik an den Medien, die mit den herrschenden Oligarchien verbunden sind und sich am (Wahl)Spektakel orientieren. Reflexion und Selbstkritik an hierarchischen Strukturen im Inneren, z.B. durch Menschen, die mehr Aktivität zeigen oder von „Männern“, die sich zu stark in den Vordergrund schieben. (2) Die Suche nach Strukturen, die es möglich machen, dass sich möglichst viele (alle) beteiligen oder beteiligen können: Plenumsstruktur, Vermeidung von Abstimmungen, Gemeinsamkeit ohne die Individualität / Singularität zu unterdrücken. (3) Direkte Aktion, die sich nicht nur gegen etwas ausdrückt. Es wird versucht, emanzipatorische Strukturen schon jetzt zu erzeugen. Das ist die Organisation des Lebens, von Volksküchen bis hin zur Organisation von Schlafplätzen. Viele der aktuellen Bewegungen (unibrennt, Indignados, Occupy) lehnen, wie schon erwähnt, direkte anarchistische oder feministische Einflussnahmen ab. Trotzdem konnten sich die in der libertären Szene ausprobierten und diskutierten Experimente durchsetzen. Es gibt den „Sachzwang“ der Organisation, der es notwendig macht, dass sich viele beteiligen können und es ist auch die „Propaganda der Tat“, die von den Bewegungen organisatorisch umgesetzt wird: Vor unibrennt ereigneten sich in Wien eine Reihe von Besetzungen (Häuser, soziale Zentren, aber auch andere, wie die am Augartenspitz), dort wurde in Arbeitsgruppen, Volksküchen und demokratischen Strukturen experimentiert. Die spanische Bewegung und Occupy übernahmen die Kommunikationsstruktur durch Handzeichen auf Plenas von den internationalen Treffen von PGA. Es ist auch egal, wie diese Erfahrungen benannt werden: in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden solche Konzepte „Räte“ genannt, inzwischen ist die Bezeichnung von institutionellen Strukturen okkupiert. Die Sowjetunion („Räteunion“) hatte nichts mehr mit den Räten, einer Selbstorganisation von unten, zu tun. Ebenso wie heutige „Betriebsräte“ fast nur mehr disziplinierende Funktion zu Gunsten der Unternehmen haben. Aber auch andere Begriffe wurden inzwischen in Institutionen verwandelt: „Basisdemokratie“ als Schreckgespenst aus der Frühzeit der Grünen war zu seiner Zeit auch nicht viel mehr als ein Versuch, die Eliten rotieren zu lassen. Warum die Demokratie der Bewegungen nicht Konstituierende Macht nennen, die Form, in der sich die Multitude der revolutionären Bewegungen in der Organisation des Lebens wieder findet? Als Gegensatz zur Konstituierten Macht, die die neuerliche Bürokratisierung und Integration in das System bedeutet, häufig in staatlichen Strukturen, aber auch in die Institutionen von NGOs. Literatur: Asenbaum, Maria / Hajek, Katharina / Botka, Michael / Piro, Ako (2010): „Die Explosion eines politischen Unbehagens“. In: Perspektiven Nr 10, S. 4-11. Das unsichtbare Komitee (2009): Der kommende Aufstand. Hamburg: Nautilus. Debord, Guy (1996): Die Gesellschaft des Spektakels. Berlin: Edition TIAMAT. Foltin, Robert (2004): Und wir bewegen uns doch. Soziale Bewegungen in Österreich. Wien, edition grundrisse. Foltin, Robert (2010): Und wir bewegen uns noch. Zur jüngeren Geschichte sozialer Bewegungen in Österreich. Wien, Mandelbaum kritik & utopie. Christian Koller (2009): Streikkultur. Performanzen und Diskurse des Arbeitskampfes im schweizerisch-österreichischen Vergleich (1860–1950), Wien / Münster: Lit. Verlag. Negri, Antonio (1999): Insurgencies. Constituent Power and the Modern State. Minneapolis / London: University of Minnesota Press. Tamás, Gáspár Miklós (2007): Konterrevolution gegen eine Konterrevolution. In: grundrisse Nr. 23, S. 45-55.. Zibechi, Raul (2008): Bolivien: Die Zersplitterung der Macht. Hamburg: Edition Nautilus. [1] Viele der Beispiele stammen aus sozialen Bewegungen in Österreich, die das Thema in zwei Büchern von mir sind: Foltin (2004 / 2010). [2] Es ist bezeichnend, dass in zwei besonders autoritären Bereichen nie über Demokratie diskutiert werden durfte: in den Fabriken und in den bewaffneten Strukturen wie Polizei und Armee. Nur in revolutionären Situationen wie z.B. in den Umwälzungen nach der Oktoberrevolution entwickelten sich Arbeiter- und Soldatenräte als direkt demokratische Formen. [3] Auch vor 1968 hat es die Auseinandersetzungen außerhalb der geordneten Strukturen gegeben, wie etwa den Streik 1950 gegen die Lohn-Preis-Pakte, aber dieser spontane Aufbruch wurde einerseits von der sozialdemokratischen Gewerkschaft niedergeknüppelt, aber auch von einer KPÖ-dominierten Betriebsrätekonferenz abgewürgt (vgl. Koller 2011, S. 472ff). Dieser riesige wilde Streik wurde lange als kommunistischer Putschversuch gewertet, später wurde die Spontanität zumindest anerkannt und gesagt, die KPÖ hätte den Streik für ihre Parteipolitik benutzt. Tatsächlich könnte mensch umgekehrt sagen, dass die streikenden und demonstrierenden Arbeiter_innen die KPÖ-Organisation benutzt haben, weil diese die einzigen waren, die den Streik unterstützten. [4] Wegen der Erfahrungen dieser Besetzungen von 1987, 1992, 1996, 2000 und 2006 wäre ich am 24. Oktober 2009 dagegen gewesen, das Audimax zu besetzen, weil ich mich noch an die fruchtlosen Sektenstreitereien erinnerte. Aber die Besetzer_innen von unibrennt waren offensichtlich Menschen, die diese negativen Erfahrungen nicht gemacht hatten. [5] Zu den meisten Gipfeln der Herrschenden wurden weltweite Aktionstage ausgerufen und auch vor Ort demonstriert. Zur Konferenz der WTO in Seattle im November 1999 fanden Demonstrationen statt, an denen sich unterschiedliche Gruppierungen beteiligten, von Gewerkschaften bis hin zu Umweltschützer_innen. Die Auseinandersetzungen rückten die Proteste erstmals medial ins Zentrum der Weltöffentlichkeit. Im Juni 2001 fanden mehrtägige, auch militante Demonstrationen gegen den G8-Gipfel in Genua statt. Dort wurde ein Demonstrant von der Polizei erschossen. [6] Eine Ablehnung von Kapitalismus, Imperialismus und Feudalismus sowie aller Handelsabkommen, Institutionen und Regierungen, die zerstörerische Globalisierung vorantreiben. Eine Ablehnung aller Formen und Systemen von Herrschaft und Diskriminierung, einschließlich (aber nicht ausschließlich) Patriarchat, Rassismus und religiösen Fundamentalismus aller Art. Wir erkennen die vollständige Würde aller Menschen an. Eine konfrontative Haltung, da wir nicht glauben, dass Lobbyarbeit einen nennenswerten Einfluss haben kann auf undemokratische Organisationen, die maßgeblich vom transnationalen Kapital beeinflusst sind; Ein Aufruf zu direkter Aktion und zivilem Ungehorsam Unterstützung für die Kämpfe sozialer Bewegungen, die Respekt für das Leben und die Rechte der unterdrückten Menschen maximieren, wie auch den Aufbau von lokalen Alternativen zum Kapitalismus. Eine Organisationsphilosophie, die auf Dezentralisierung und Autonomie aufgebaut ist. [7] Ein kurzer Einschub noch zu Kämpfen im globalen Süden. Raul Zibechi (2008) beschreibt die Organisationsformen der aufständischen Gemeinden in Bolivien und findet dort Organisationsstrukturen, die über die westliche Demokratie hinausweisen, weil sich der Staat ganz aus den Stadtvierteln zurückgezogen hat. Der danach folgende Wahlsieg von Evo Morales wird schon wieder als Integration in herrschende Strukturen gesehen. Zibechi nimmt an, dass die Bevölkerung, wenn sie von der Regierung enttäuscht wird, nicht die Rechten wählen wird, sondern sich aus den Wahlprozessen zurückzieht. |
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