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Gerhard Hanloser: Bewegung und Kritik Die Occupy-Bewegung ist sicherlich als eine der größten und breitesten sozialen Bewegungen der letzten Jahrzehnte zu bewerten. Sie hatte internationale Resonanz hervorgerufen – bis nach China und nach Nigeria, wo sich auch eine gleichnamige Bewegung konstituierte, und sie wirkt noch jenseits des großen medialen Hypes weiter in Demokratie- und Anti-Repressionsbewegungen und in Kämpfen gegen Hausenteignungen verschuldeter Hausbesitzer. Ihr Bewegungszentrum liegt in den USA, ihren Ausgangspunkt nahm sie mit der Besetzung des New Yorker Zuccotti Parks. Wo sich viele Menschen im bestehenden Falschen auftun, ist anzunehmen, dass dieser Aufbruch noch von falschen Vorstellungen geprägt ist. Kritik ist also notwendig. Eine Kritik dieser sozialen Bewegung und ihrer prominenten SprecherInnen sollte allerdings folgendes leisten: Sie sollte die tatsächlichen Inhalte, Logiken und Grammatiken der Bewegung zum Ausgangspunkt nehmen, sowie die Auffassungen ihrer SprecherInnen adäquat darstellen. Dass dies die Spezialisten in haltloser Polemik aus dem antideutschen Lager nicht leisten wollen, ist ausgemachte Sache. So stellt die Occupy-Bewegung für die Initiative Sozialistisches Forum aus Freiburg, die schon mal bessere Tage gesehen hat, nämlich in den 80er Jahren, lediglich die „allerneueste Etappe des definitiven Niedergangs einer Linken, die ihren Frieden mit der Nation und ihrem Volksstaat längst schon geschlossen hat“, dar.[1] Nachdem noch in leichtem Anklang an Adornos Praxis-Kritik zur Zeit der Studentenbewegung eine „groteske Pseudoaktivität“ bemängelt wird, erhebt man sich larmoyant über den AktivistInnen, die lediglich eine „gigantische Gruppentherapie“ veranstalten würden, um dann beim Kern der beliebten Kritik zu landen: dem Faschismusvorwurf. Die Initiative Sozialistisches Forum hat nämlich die „tatsächliche Bedeutung der größenwahnsinnigen Propaganda von den “99%“ erkannt: „Es geht um die Volksgemeinschaft, die nur 1% liquidieren müsste (nämlich die parasitären Finanzkapitalisten), um endlich glücklich und in Frieden leben zu können. ‚Wir werden es nicht zulassen, dass wie früher nur gewisse kleine Kreise den Profit der Arbeit anderer haben’ – wüsste man nicht zufällig, dass diese Mordparole aus dem Programm der Deutschen Arbeitsfront von 1935 stammt, könnte man sie glatt für die ehrliche Meinung eines “Occupy”-Bewegten halten.“ Nach dieser Diagnose steht am Schluss die wenig zimperliche Aufforderung, die bereits in ihrer sprachlichen Gestaltung die Verrohung und intellektuelle Verlumpung der sich in einer kritisch-theoretischen Tradition Wähnenden anzeigt: „Haltet die Klappe! Fangt an zu lesen! Occupy reason!“ Bei diesem in Worte gefassten Hass auf die Bewegten von Occupy stellt sich die Frage, ob die wenig davor im Text diagnostizierte „Gewaltlüsternheit“, die aus den Texten von Occupy sprechen würde, nicht eine astreine Projektion eigener Seelenzustände darstellt. Der mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung assoziierte und im Konkret-Verlag publizierende ehemalige Grünen-Aktivist, Ökolinx-Publizist und heutige Wertkritiker Peter Bierl würde sich natürlich in großen Gesten von dieser antideutschen Polemik distanzieren, doch seine Kritik an Occupy, die er in seinen Artikeln „Unpersönliche Arithmetik“ (Jungle World Nr.42, 18.10.2012) und „Falschmünzerei statt Wertkritik“ (iz3w 335) vorlegte, geht in die gleiche Richtung und ist argumentativ nicht weniger perfide konstruiert. Der Autor ist dafür bekannt, dass er seine Urteile mit einer kalkulierten Unschärfe und Unwissenschaftlichkeit formuliert.[2] Zu der Occupy-Bewegung selbst und ihrem Aktionsradius (Alltagskämpfe um Wohnraum, Bildung und medizinische Versorgung, für die Rechte von Flüchtlingen und Gewerkschaften) fällt ihm ein altväterlich-überhebliches „Das sind durchaus erfreuliche Aspekte“ ein. Das ist die Sprache des Schulmeisters. Er tadelt mehr, selbst wenn er lobt, denn wenn etwas als „Aspekt“ benannt ist, dann zählt es nicht zum Wesentlichen. Sein eigentliches Anliegen ist nämlich, die Occupy-Bewegung auf Bankenkritik zu verkürzen und den anarchistischen Sprecher und Theoretiker David Graeber als bloßen Zinskritiker in der Tradition von Proudhon und Gesell erscheinen zu lassen. Kritik am Zins sei wesentlicher Inhalt der Bewegung und seiner SprecherInnen, behauptet Bierl. Der Autor geht aber noch weiter: er möchte Occupy und Graeber auch noch vorhalten, dass diese tendenziell eine Unterscheidung von (schlechtem) raffendem und (gutem) schaffendem Kapital vornehmen würden, wie es die Nazis in ihrer pseudo-antikapitalistischen Propaganda bekanntermaßen pflegten. Auch das ist Nonsens und kann von Bierl weder mit Zitaten von Graeber noch mit tatsächlichen Aktionen der US-amerikanischen Occupy-Bewegung belegt werden. Nun könnte man einfach abwinken und Bierls oberflächliche „Kritik“ mit dem Hinweis erklären, dass er als Autor eines aktuellen Buches[3] über den irrelevanten und nur in obskuren Zirkeln noch diskutierten Schwundgeld-Verfechter Silvio Gesell (1862-1930) schlicht ein aktuelles und relevantes Objekt gesucht hat, um seine keinesfalls neuen Erkenntnisse über die in der Tat fehlgehende Kapitalismuskritik von Zinskritikern an den Mann und die Frau zu bringen. Allerdings wohl nur um den Preis des Aufbaus eines Pappkameraden. Denn Graeber ist nicht Gesell, er bewegt sich theoretisch jenseits der Linie von Zinskritik, Freiwirtschaft und Bodenreform, und die Zeltplätze von Occupy sind kein neues Wörgl. In Graebers „Schulden“-Monographie findet sich keinerlei Bezug auf Proudhon oder Gesell. Lediglich ein Zitat von Proudhon ist Graebers „Inside-Occupy“-Erfahrungsbericht vorangestellt. Für Bierl, der immer findet, was er sucht, ist dies Beweis genug, den US-amerikanischen Anthropologen als Proudhonisten abzustempeln. Doch die billige Machart von Bierls „Kritik“ sollte dazu einladen, zu überlegen, wie sich eine notwendige Kritik an einer Bewegung artikulieren kann. Es geht also weniger um den Autoren Bierl, der ja immerhin Redakteure findet, die seine Texte abdrucken, sondern der Autor bringt einen Habitus gegenüber Bewegungen zum Ausdruck, der leider weit verbreitet ist. Und seine Art, Kritik zu üben, folgt einer ebenfalls weitverbreiteten Machart innerhalb der Linken: Diese bedient sich der Mittel der zur Schau gestellten Überheblichkeit gegenüber Bewegungen und der demagogischen Textkonstruktion, um andere Theorien und TheoretikerInnen moralisch in ein Zwielicht zu rücken, und damit inhaltlich zu desavouieren. „Dass die Akkumulation von Kapital der einzige Zweck und Selbstzweck der real existierenden Wirtschaftsform ist... begreifen viele Occupy-AktivistInnen nicht“. Das ist die Sprache des Großsprechers. Aber was soll dieser Satz eigentlich bedeuten? Die Menschen gehen schließlich auf die Straße, protestieren, trauen sich konfrontative Situationen mit der Staatsmacht zu, weil sie erkannt haben, dass sie und ihre Bedürfnisse in der real existierenden Gesellschaft nichts zählen. Auch wenn die AktivistInnen die Sprache des Bierl nicht sprechen, dass sie den Sachverhalt selbst – die absolute Irrelevanz des Einzelnen angesichts eines totalitären Profitsystems – nicht merken, fühlen und begreifen, ist eine Unterstellung. Umgekehrt stellt sich die Frage: Hat denn Bierl begriffen, wie eine Bewegung entsteht, was ihre Dynamiken sind, wie eine radikale Vertiefung von Kritik in einer sozialen Bewegung gelingen kann und wie eine gesellschaftliche Ausweitung von Protestpotential auf andere Sektoren gelingen könnte? Die Wahrheit ist: er will dies gar nicht begreifen, weil ihn diese Fragestellungen überhaupt nicht interessieren. Die Occupy-Bewegung ist ein Beispiel dafür, dass sich, regional recht unterschiedlich ausgeprägt, in der Bewegung selbst einige Ideologien auflösen konnten. So wurde an der Westküste der USA – besonders in Oakland – eingesehen, dass man vom „Fetisch Platzbesetzung“ abrücken muss, dass sich die Machtfrage nicht über vehemente Präsentation in der Öffentlichkeit, sondern nur über die Sabotage des kapitalistischen Alltags und seiner Arbeitsabläufe stellen lässt. „Verlasst die Plätze, besetzt Häuser, Brücken, Häfen!“, war eine oft gehörte Parole in den USA. So hat die Bewegung den Machtbegriff von Marx insofern „begriffen“, dass gesehen wurde, dass man andere Sektoren, besonders relevante Teile der working class in den USA, für sich gewinnen muss. Wer so gerne mit Karl Marx Kritik der politischen Ökonomie autoritär rumfuchtelt wie Bierl, sie aber weder ausführen noch aktualisieren und auf eine Bewegung beziehen kann, dem sollte doch diese Dynamik von Occupy zumindest aufgefallen sein. Doch Bierl will Occupy nur vor den Banken sitzen sehen. „Insgesamt bietet Graeber für einen radikalen linken Ansatz nicht genug“, schreibt Bierl. Das ist die Sprache des Konsumenten. Aber was bietet Bierl? Abgesehen von den Verdrehungen, Unterstellungen und Denunziationen eigentlich nur Phrasen wie „regressiver Antikapitalismus“ - was wäre denn ein fortschrittlicher? Bei Bierl wird man nicht fündig. Der Autor operiert lediglich mit autoritären Setzungen. Der ehemals Grüne hat sich die Kapuze des Anhängers von Marx, Bakunin und Kropotkin übergezogen, das soll radikal wirken. Was jedoch klassischer Anarchismus und klassischer Marxismus heutzutage als „radikal“, also: theoretisch und praktisch an die Wurzeln des Systems gehend ausweisen könnte, beschreibt Bierl nicht. Der Hinweis auf den biographischen Werdegang, die Politsozialisation in der Partei „Die Grünen“ wird deswegen angeführt, weil Bierl hier keine Ausnahme darstellt: denn einige selbsterklärte Kritiker oder Ideologiekritiker der Linken, die sich in Unwissenschaftlichkeit, Freund-Feind-Scheidung und einer das Demagogische nicht ausschließenden Polemik gefallen, haben einen solchen Parteihintergrund vorzuweisen: von Justus Wertmüller (Bahamas) über Rainer Trampert und Thomas Ebermann, die Ökolinx bis zu Peter Bierl. Aus ihrer Phase des Grünenaktivismus scheinen sie allerhand Frustrationen über die Möglichkeiten von Bewegung und Aktivismus angesammelt zu haben, in ihren publizistischen Interventionen kommt nach wie vor eine parteimäßige Logik des Politischen zum Tragen, die auf autoritäre Akklamation setzt und sich jenseits wissenschaftlicher Redlichkeit und dem Willen zur Freundschaft im Medium weltverändernder Gemeinsamkeit vollzieht. Kritik zu üben wird vorgegeben, jedoch de facto zur reinen Polemik herabgewürdigt. Doch daran schließt sich immer die Frage an: „Was wär ich ohne dich, Freund Publikum?“ Eine wirklich aufhebende Kritik in Marxscher Tradition könnte als Ideologiekritik herausstellen, dass Fehlwahrnehmung entweder mit einem bestimmten Interesse oder einer fetischistischen Bewusstseinsstruktur zu tun hat. Diese sind aber nicht für immer und ewig fixiert, sondern können gerade im Medium der Bewegung und durch Erfahrung verändert werden. Und was die Auseinandersetzung mit Theorie anbelangt, so würde eine aufhebende Kritik ihre Kriterien nicht phrasenhaft als die richtigen schlicht behaupten, sondern in der Darstellung der Selbstwidersprüchlichkeit der anderen, als falsch erachteten Theorie die eigene Richtigkeit beweisen und in der Darstellung der Plausibilität der eigenen Kriterien und Kategorien die andere Position als falsch erkennen lassen. Wenn man also – beispielsweise - die populistische Occupy-Parole von den 99% angemessen kritisieren wollte, dann müsste man eine eigene Klassenanalyse vorlegen, die dieses Bild der 99% nachvollziehbar widerlegt. Andernfalls bleibt alles bloßer Glaubenssatz – und Glaubenssätze sind immer autoritär. Wenn man obskurantistische Ausläufer einiger Occupy-Zeltlager, die es sicherlich gab, kritisieren will, dann müsste man erklären, warum sie entstanden, wer ihre TrägerInnen sind, aber auch welche Bedeutung sie eingenommen haben. Und wenn man Graebers nicht-marxistische radikale Gesellschaftskritik kritisieren will, sollte man zumindest plausibel nachweisen, dass er Geschichte und Wirklichkeit mit seinen Kategorien nur fehlerhaft abzubilden in der Lage ist und beispielsweise orthodox-marxistische Geschichtsschreibung wie Theorie besser geeignet sind. Diese Mühe sollte man sich schon machen. Bierl ist aber kein Ideologiekritiker, sondern moralinsaurer Zielfahnder. Am Anfang steht das Verbrechen. Dieses lautet „regressiver Antikapitalismus“. Dann wird die Leiche gesucht, werden Beweisketten konstruiert, Indizien gesammelt, Querverbindungen behauptet. Am Schluss brauchen Occupy und David Graeber ein Alibi. Können sie beweisen, nicht regressiv zu sein? [1] Initiative Sozialistisches Forum, Occupy Reason! http://www.ca-ira.net/isf/jourfixe/jf-2012-1_occupy.html [2] So urteilte er über die Globalisierungsbewegung in der Vergangenheit wie folgt: „Im Verständnis der globalisierungskritischen Bewegung wird Globalisierung als eine negative Entwicklung der Weltwirtschaft aufgefasst, die sich erst in jüngster Zeit ereignet haben soll und angeblich vom Finanzsektor mit Hilfe modernster Kommunikations- und Informationstechnik dominiert wird... Solche irreführenden Vorstellungen über Kapitalismus werden von Attac vertreten, von Prominenten wie Subcomandante Marcos von den Zapatisten, von Naomi Klein oder von Michael Hardt und Antonio Negri, die als Linke gelten. Maßgeblich mit geprägt haben diese Ideen auch Gruppen und Personen aus dem esoterisch-ökofaschistischen Spektrum der Ökologiebewegung. Auf internationaler Ebene handelt es sich um das ”International Forum on Globalization”, einen elitären Club von etwa 60 Personen, Esoterikern und Protektionisten, Rechten und Linksliberalen, der von der ”Foundation for Deep Ecology” initiiert wurde. In Deutschland sind es die Ökofeministinnen um die Kölner Soziologin Maria Mies, Anthroposophen vom Netzwerk Dreigliederung und die Anhänger der Zinsknechtschaftslehre des Silvio Gesell sowie der Tauschringe...“ Das ist die Methode Bierl: Zusammenrühren, was ihm nicht passt. http://userpage.fu-berlin.de/~roehrigw/kritik/bierl_tauschring.pdf [3] Peter Bierl, Schwundgeld, Freiwirtschaft und Rassenwahn. Kapitalismuskritik von rechts – Der Fall Silvio Gesell, Konkret Verlag Hamburg 2013
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