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Liebe Leserinnen und Leser!

Schulden sind in aller Munde. Der Mediendiskurs ist voll von Berichten über die europäische Staatsschuldenkrise. Die Krise, die 2008 ihren (ersten) Höhepunkt erreichte, begann mit verschuldeten Hausbesitzer_innen in den USA. Die Occupy-Bewegung hat als ein wichtiges Thema die Verschuldung der Menschen wie auch viele internationale Bewegungen von Studierenden, die sich für ihr Studium oft für ihr Leben lang verschulden. Daher ist es auch keine Überraschung, dass der 500 Seiten dicke Wälzer „Schulden: Die ersten 5000 Jahre“ des anarchistischen Antropologen David Graeber, der die moralischen Grundlagen der Ökonomie und die Geschichte der Schulden diskutiert, ein großer Erfolg in den USA, aber auch im deutschsprachigen Raum wurde. Robert Foltin stellt die Thesen dieses Buches vor und diskutiert, wie anthropologische Diskussionen zur Frage des Kommunismus führen können. Gerhard Hanloser beschreibt die Kämpfe von verschuldeten Menschen in zwei Epochen der Menschheit: Er vergleicht den „Auszug der Plebejer“ im vorchristlichen Rom mit der Occupy-Bewegung und versucht politische Konsequenzen für die heutige Situation zu ziehen. Bernhard Gitschtaler zeigt, dass die mancherorts hochgejubelten Mikrokredite für Menschen im globalen Süden kein Mittel des „Empowerment“ von Frauen und einfachen Menschen sind, sondern dass diese Kredite viele Menschen erst recht in die Schuldenfalle tappen lassen. Ein Interview mit einem Trainer des österreichischen AMS (Arbeitsmarktservice) zeigt die Probleme, in die Lohnerwerbslose geraten oder geraten sind und die durch Kurse und das AMS noch verschärft anstatt verbessert werden. Neben zusammengesammelten Texten von Karl Marx zum Thema Staatsschulden drucken wir eine Rede von George Caffentzis ab, der die Maßnahmen gegen Griechenland als Herrschaftsexperiment beschreibt, nämlich wie viel an Ausbeutung und Unterdrückung die Menschen in unseren Breiten aushalten können.

Außerhalb des Schwerpunkts befragt Pascal Jurt die Philosophin Juliane Rebentisch über ihr letztes Buch, dessen Hauptthema die Ästhetisierung der Politik ist, in dem allerdings auch repräsentationskritische und basisdemokratische Bewegungen in Frage gestellt werden. Innerhalb der Redaktion zeigten sich viele Widersprüche zu ihren Thesen, trotzdem halten wir dieses Gespräch für einen wertvollen und interessanten Diskussionsansatz. Dem Artikel von Wolfgang Hien ging eine längere Diskussion voraus, der sich auch in einem kommentierenden Brief von unserer Seite und einer Antwort des Autors ausdrückte. Dabei geht es um die krankmachenden Bedingungen der Arbeitswelt und die (Un)Möglichkeit des Widerstands in der aktuellen Phase des Kapitalismus. In einem letzten Beitrag wird nach langem wieder die Diskussion um die Herr-Knecht-Dialektik in der „Phänomenologie des Geistes“ von Hegel aufgeworfen, wobei als Konsequenz daraus mit Stirner für die Freiheit des Einzelnen gegen die Durchsetzung des Allgemeinen bei Hegel plädiert wird. Ergänzt wird das Heft noch durch einige Buchbesprechungen – zur Geschichte der Novemberrevolution in Deutschland nach dem ersten Weltkrieg, über die Rätebewegung und die so genannte Nelkenrevolution 1974 in Portugal bis hin zur Besprechung eines manifestartigen Textes für einen neuen radikalen Feminismus.

In den letzten Monaten sind die rührigen Kärntner Linken Walther Schütz und Franz Nöstlinger gestorben, die leider ihre umfangreichen und wichtigen Aktivitäten nicht mehr weiter führen konnten. Ein Nachruf auf Walther Schütz findet sich im Anschluss an dieses Editorial, die fertiggestellte, aber nicht publizierte Habilitationsschrift von Franz Nöstlinger kann auf unserer Homepage www.grundrisse.net unter der Rubrik „Andere Texte“ heruntergeladen werden. Ebenfalls verstorben ist der international bekannte wertkritische Theoretiker Robert Kurz, der in einem Nachruf von Gerold Wallner gewürdigt wird. Der ebenfalls im Anschluss an das Editorial abgedruckte Call for Papers für unsere Nächste Ausgabe – „Kritik der Religionskritik“ – hat bereits im Vorfeld für Diskussionen gesorgt; wir hoffen auf dementsprechend spannende Einsendungen. Wir wünschen eine anregende Lektüre und möchten noch darauf aufmerksam machen, dass diese Nummer der Grundrisse im Rahmen einer Diskussion über David Graeber im Politdiskubeisl vorgestellt wird und zwar am 18. Oktober ab 21 Uhr in der Medienwerkstatt des Ernst-Kirchweger-Hauses, Wielandgasse 2-4, 1100 Wien.

Einen schuldenarmen Herbst wünscht

Die grundrisse-Redaktion

Robert Kurz 1943 – 2012

Wenn ein Mensch tot ist, bleibt  das, womit  er weiterlebt: seine Werke, sein Ruf, seine Nachkommenschaft.

Nachruf von Gerold Wallner

Robert Kurz ist tot. Seine Werke, sein Ruf, seine Nachkommenschaft, dies alles fällt bei ihm in eins, wird besprochen, tradiert und weitergegeben werden und macht ihn so zu einem kollektiven Wesen, das sich nicht mehr gegen die Vereinnahmung wehren kann. Er lebt in der Erinnerung weiter und in dem, was er hinterlassen hat an Büchern und auch an Menschen, die von ihm gelernt haben und die von ihm angeregt oder abgestoßen wurden. Robert Kurz war wichtig für einen Gedanken, den er in der deutschsprachigen Linken verankert hat; dass nämlich die Kritik der poltischen Ökonomie von Karl Marx allein nicht ausreicht, um die bürgerliche Gesellschaft korrekt und umfassend zu beschreiben. Dieser Gedanke wurde unter dem Drängen und der genauen und beständigen Mitarbeit von Roswitha Scholz, deren Beitrag gar nicht über- schätzt werden kann, zu seiner theoretischen Form gebracht. Abspaltungskritik – also die Beschreibung des der bürgerlichen Epoche eigenen Geschlechterverhältnis – und Aufklärungskritik – also das strikte Verneinen, dass aus bürgerlicher Vernunft noch eine Entwicklung dieser Gesellschaft zu erwarten sei, geschweige denn eine Entwicklung über sie hinaus – traten so neben eine marxistisch fundierte Wertkritik. Dazu wurde versucht, mit der Fetischkritik – also der Beschreibung von Matrizen für das unbewusst-gemeinschaftliche gesellschaftliche Verhalten – die Gesamtschau auf unsere Zeit abzurunden.

Ein zweiter wesentlicher Einwurf von Robert Kurz zur Gesellschaftskritik war die Formulierung einer Krisentheorie, die im Kapitalismus selbst eine immanente Schranke sah und beschrieb, eine Schranke, die positive Weiterentwicklung dieser Produktionsweise aus ihrer eigenen Dynamik heraus verunmöglichte, sie vielmehr zum Abschluss und Zusammenbruch führen würde. Viel gescholten, dass er damit einem Attentismus Vorschub leiste, bedeutete dies aber doch den immer wieder stören- den Verweis, dass es keinen Hausfrieden geben könne, dass es da nichts gab, worin sich wohnlich einzurichten sei, dass wir, ZeugInnen einer finalen Krise des Kapitalismus, uns wegen dieser Zeitgenossenschaft mit Fragen des Zusammenbruchs und des Überschreitens von Systemschranken zu beschäftigen hätten.

Robert Kurz war mit dieser seiner heftigen Radikalität und Konsequenz im deutschen Sprachraum ein Solitär, wenn auch nicht unbedingt ein Einzelgänger. Er formulierte immer in persönlichen Zusammenhängen und produzierte immer im Kreis von Vereinen und Redaktionen, die er zur Unterstützung und Inspiration seines Werks brauchte. Auch außerhalb des deutschen Sprachraums gab und gibt es ähnliche Menschen wie ihn, die ähnliche Ansichten zur Diskussion stellen und vertreten. Robert Kurz hat immer dafür gekämpft, dass seine Sichtweisen und Formulierungen unverfälscht, wie er sie sah, weitergegeben werden, und mit dieser Rigidität auch Verstörung ausgelöst. Manchen erschien der Anspruch, die Speerspitze bei der Weiterentwicklung der Gesellschaftskritik über Marx hinaus zu sein, unbescheiden. Goethe sagt dazu: „Nur die Lumpe sind bescheiden, Brave freuen sich der Tat.“

Gerold Wallner, zeitweilig Mitglied und Autor bei "EXIT!" - Verein und Zeitschrift, die mit und für Robert Kurz gegründet wurden und worin er maßgeblich aktiv war.

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ISSN 1814-3164 
Key title: Grundrisse (Wien, Online)

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