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George Caffentzis: Stoppen wir das Experiment Aus dem Amerikanischen von Franz Naetar George Caffentzis besuchte diesen Sommer (2012) Griechenland und schildert in einem Artikel auf uninomade.org seine Reiseeindrücke und die Diskussionen mit seinen politischen FreundInnen. Im Rahmen dieser Reise hielt George Caffentzis die im Folgenden abgedruckte Rede, die in prägnanter Weise die Chancen und Gefahren der sich ausbreitenden Krise darstellt. Als einen wichtigen Schritt in der Abwehr des – wie er es bezeichnet – großen Experiments schlägt er ein „Kartell der SchuldnerInnen“ vor. SchuldnerIn, wer wird dich von deiner Knechtschaft befreien? Frei nach dem Gedicht von Bert Brecht: „Keiner oder alle“ Im Sommer 2012 passiert etwas in Griechenland, das beispiellos ist. In einem so kleinen Land liegen Millionen von Menschen nachts wach und sorgen sich darüber, wie sie und ihre Familien essen sollen, wie sie sich warm halten können und ob ihnen bei einem Notfall im kommenden Jahr ein Krankenhaus zur Verfügung stehen wird. Grund dafür ist ein Experiment, das von Verantwortlichen der wichtigsten finanziellen und politischen Kreise Europas sowie internationaler Finanzorganisationen wie dem IWF und der Weltbank durchgeführt wird. Sie testen die GriechInnen, um festzustellen,
ohne eine Revolution und/oder einen Bürgerkrieg auszulösen. Unsere TierschützerfreundInnen würden dieses Experiment „grausam und unmenschlich“ nennen. Sie würden es als ihre moralische Pflicht begreifen, das Experiment zu stoppen, beträfe es Katzen und Hunde. Die ArbeiterInnen – vor allem die italienischen und spanischen – müssen sich den GriechInnen bei der Verhinderung dieses europaweiten Experiments anschließen, denn auch sie sind dessen Versuchsobjekte, wie sie wohl wissen. Doch obwohl Merkel, Monti, Samaras und Rajoy einander fast täglich treffen, um die Ergebnisse ihres Experiments zu verfolgen und den nächsten Schritt vorzubereiten, gibt es keine kontinuierlichen gemeinsamen Treffen oder Versammlungen der Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und SchuldnerInnenorganisationen, um Gegenpläne und Gegenstrategien zu erstellen. Dieser Mangel an Koordination und Solidarität macht eine entscheidende Schwäche im Kampf um die Schulden aus. In diesem Vortrag über die Krise werde ich die im Folgenden aufgeführten Fragen beantworten, um klarer über die Notwendigkeit der Koordinierung nachdenken zu können. Denn ich glaube, dass diese Krise nicht einfach aufgrund von Überproduktion oder der Unausgewogenheit zwischen Produktionssektoren entsteht, die das Ergebnis der ganz normalen Funktionsweise der kapitalistischen Maschinerie sind, und sie deshalb wieder vorbeigehen wird, sondern dass diese Krise ein geplantes Experiment ist (dessen Ziel die ursprüngliche Akkumulation eines neuen Typs von Menschen ist). I. Warum wird dieses Experiment durchgeführt? I. Warum wird dieses Experiment durchgeführt? Dieses Experiment wird durchgeführt, weil das vergangene Jahrhundert der sozialen Kämpfe und Klassenkämpfe in Europa die Ausbeutungsrate und die Profitrate für KapitalistInnen im Europa des 21. Jahrhunderts zu sehr abgesenkt hat. Die Einführung des Euro vor zehn Jahren, die auf die Steigerung der Profitabilität des europäischen Kapitals (d.h. des in Europa eingesetzten Kapitals) abzielte, war eine große Enttäuschung für die KapitalistInnen, da dieses Experiment gescheitert ist. Die Währungsmanipulation und die Verringerung der „Transaktionskosten“, die durch die Einführung des Euro ermöglicht wurden, waren nicht in der Lage, die Strukturen in Frage zu stellen, die von den ArbeiterInnen über viele Streiks und Straßendemonstrationen – und nicht zuletzt den Krieg – erkämpft wurden, um ihr Leben zu verlängern sowie sicherer und weniger riskant zu machen (und die Profite ihrer Bosse zu verringern). Damit der europäische Kapitalismus in dieser Periode der Globalisierung überleben kann, müssen die Löhne gesenkt sowie das staatliche Eigentum privatisiert werden – statt in Gemeingut (Commons) überzugehen – und der von den ArbeiterInnen für Notfälle ersparte „Reichtum“ muss weg besteuert werden, um die durch die Verhinderung von Bankpleiten entstandenen Staatsschulden zurückzuzahlen! ArbeiterInnen jeglicher Art – ob in der Industrie oder im Dienstleistungssektor, ob gelernt oder ungelernt, ob mit oder ohne Papiere, ob in materieller oder immaterieller Arbeit tätig – müssen dazu gebracht werden, ihre Forderungen zu reduzieren und das Minimum (mit Dank) zu akzeptieren! Natürlich ist dieses Krisenexperiment ein verzweifelter Schachzug der KapitalistInnen, sein Erfolg hängt jedoch davon ab, dass jedes Land und jede ArbeiterInnenklasse nacheinander abgehandelt und dass sie so getrennt wie möglich gehalten werden. II. Wie wird dieses Experiment durchgeführt? Wenn wir uns die Gipfel der „Troika“ in Brüssel ansehen (wo VertreterInnen des IWF, der Europäische Kommission und der Europäische Zentralbank einander treffen), drängt sich das Gefühl auf, dass diese nach einer vorgefertigten Choreographie ablaufen. Dieses Gefühl trügt nicht, denn es hat beginnend mit den ehemals kolonisierten Staaten seit den frühen 1980er Jahren bereits eine Reihe von Strukturanpassungsprogrammen gegeben. Wenn ich von Strukturanpassungsprogrammen spreche, meine ich jene Programme (oft als „Darlehensauflagen“ bezeichnet), die den Regierungen aufgezwungen werden, um sich für Kredite von diversen internationalen Finanzagenturen zu qualifizieren. In der Regel beinhalten diese Programme Massenentlassungen von Staatsangestellten, die Privatisierung von staatlichem Eigentum und die Verringerung öffentlicher Investitionen (Gesundheit, Bildung, Sozialhilfe), die der Reproduktion der ArbeiterInnenklasse dienen. SozialwissenschafterInnen des IWF und der Weltbank haben eine große Bandbreite von Strukturanpassungsprogrammen untersucht, die Dutzenden von Ländern in den 1980ern und bis weit in die 1990er Jahre hinein aufgezwungen wurden. Ende der 1990er Jahre kamen die Verantwortlichen für diese Experimente dann tatsächlich zu dem Schluss, dass der Begriff „Strukturanpassung“ von Menschen auf der ganzen „angepassten“ Welt so sehr gehasst wurde, dass sie den Namen des Programms in „Strategiepapiere zur Verringerung der Armut“ (Poverty Reduction Strategy Papers – PRSP) änderten. Diese „Papiere“ sollten von RegierungsbeamtInnen derjenigen Länder geschrieben werden, die Kredite des IWF und/oder der Weltbank bekommen sollten. Der Fonds und die Bank sollten diese Papiere kontrollieren und feststellen, ob aus ihnen hervorgeht, wie die Kredite verwendet werden sollen, um „die Armut zu verringern“, d.h. ob sie Institutionen eines verlässlichen kapitalistischen Landes stärken (natürlich einschließlich der Erweiterung militärischer und polizeilicher Ausgaben). Diese Papiere sollten „Eigenverantwortung“ auf Seiten der „Stakeholder“ (darunter RegierungsvertreterInnen, private KapitalistInnen und „Zivilgesellschaft“ = NGOs) für die – nennen wir sie doch weiterhin so – Strukturanpassungsprogramme und ihre neoliberalen Patentrezepte fördern. Wir müssen allerdings sehen, dass, obwohl Dutzende von Regierungen Verträge für Darlehen von der Weltbank und dem IWF unterzeichnet haben, diese Regierungen die Darlehensauflagen nicht unbedingt umgesetzt haben: entweder weil sie – obwohl sie wirklich wollten – angesichts gewaltiger Widerstände nicht konnten (z.B. in Saddams Irak, wo die Veteranen des Irak-Iran-Krieges sich weigerten, die Sparprogramme der späten 1980er Jahre zu akzeptieren, was zum ersten Golfkrieg führte) oder weil der jeweilige Regierungschef nur die Absicht hatte, den Fonds und die Bank zu betrügen (z.B. Samuel K. Doe, der Staatschef Liberias, der VertreterInnen der Weltbank ins Land brachte, um den Staatshaushalt zu kontrollieren, während er ihnen gleichzeitig statistische „Fakten“ auftischte, die durch Does KomplizInnen in den Regierungsbehörden gefälscht wurden, um noch mehr Kredite zu rechtfertigen. Als dann der Betrug schließlich aufgedeckt wurde, beschloss die US-Regierung in den 1980er Jahren, Charles Taylor im liberianischen Bürgerkrieg zu unterstützen). Diese Strukturanpassungsexperimente würden eine eigene detaillierte Darstellung erfordern, da sie zum (direkten oder indirekten) Tod von Millionen von Menschen führten. Diese Programme mit ihrem klinisch klingenden Namen sind in der Tat mörderisch. Die Todesfälle waren direkte Folge der Beendigung der Subventionierung von Grundnahrungsmitteln oder der Einstellung sowohl der heilenden wie auch der vorbeugenden kostenlosen Gesundheitsversorgung (z.B. führten die Strukturanpassungsprogramme zum Ende der Investitionen zur Bekämpfung der Malaria in Afrika südlich der Sahara, was für Millionen von zusätzlichen Toten sorgte). Indirekt waren die Todesfälle Resultat von Bürgerkriegen, die durch die „auf maximalen Abbau von Rohstoffen“ zielende Politik der Weltbank ausgelöst wurden – eine Politik, die ausländische Investitionen in Rohstoff abbauenden Branchen zum bevorzugten Mittel zur Steigerung des BIP machte. Warum das große Experiment hier in Griechenland stattfindet, liegt – vielleicht – daran, dass die europäischen (in diesem Fall griechischen) ArbeiterInnen nicht wirklich glauben können, dass ihnen das passiert. Denn als die Strukturanpassungsprogramme den afrikanischen, südamerikanischen und asiatischen Völkern aufgezwungen wurden, waren europäische und nordamerikanische ArbeiterInnen (mit Ausnahme der weit verbreiteten, aber politisch begrenzten Antiglobalisierungsbewegung) keinesfalls in Sorge – falls sie sich überhaupt die Zeit nahmen, diese Strukturanpassungsprogramme zu bemerken. „Das war für die dunkelhäutige Menschen“, könnten sie in der Annahme, dass eine solche Politik nicht auf sie angewendet werden würde, gedacht haben! Deshalb besteht die gegenwärtige Reaktion auf die Einführung der Strukturanpassungsprogramme in Europa (vor allem in Griechenland) aus Entsetzen. Und tatsächlich ähnelt diese Reaktion meiner Meinung nach dem Entsetzen, das Hitler und die Nazis bei den europäischen ArbeiterInnen auslöste. Aimé Césaire, der große kommunistische Dichter und Politiker aus Martinique, analysierte dieses Entsetzen in den 1950er Jahren mit großer Einsicht (siehe sein Werk Diskurs über den Kolonialismus). Er vertrat die Auffassung, dass dieses Grauen auf der Tatsache beruhte, dass Hitler und die Nazis in Europa Taktiken und Ideologien einsetzten, die europäische KapitalistInnen und KolonialistInnen in der Regel gegen die kolonisierten Völker angewendet hatten. Zum Beispiel führte die Politik von König Leopold von Belgien im späten 19. Jahrhundert zum Tod von vier bis sechs Millionen KongolesInnen. Welche Parallele kann – neben den Unterschieden im Detail – zwischen diesen Lagern, in denen sich die InsassInnen zu Tode arbeiten mussten (ich weigere mich, den Begriff „Genozid“ zu verwenden, als ob das Problem im Kongo Leopolds etwas mit kongolesischen Genen zu tun hätte!) und Auschwitz gezogen werden? Eine ähnliche Bilanz im Vergleich zu den Nazis kann für andere Aspekte der Kolonialherrschaft gezogen werden: zum Beispiel die Inbesitznahme und Einhegung großer Gebiete per Dekret, nach der Vertreibung der indigenen Bevölkerung ins Hinterland und dem Massensterben durch Krankheit und Hunger. Was – neben den Unterschieden im Detail – unterscheidet diese koloniale Bodenpolitik von der nationalsozialistischen Politik des Lebensraums, der „Säuberung“ großer Bereiche der eroberten Gebiete als Vorbereitung für die Ankunft der deutschen NeobäuerInnen in der siegreichen Nachkriegszukunft? Das war das Entsetzliche an Hitler und das ist das Entsetzliche an Merkel: Die Strukturanpassungsprogramme, die eingesetzt wurden, um die Volkswirtschaften und die Menschen in den so genannten unterentwickelten Ländern in den 1980er Jahren, 1990er und 2000er Jahren anzugreifen und zu transformieren, sind schließlich zurückgekehrt – die MitbürgerInnen der StrukturanpasserInnen werden nun selbst strukturangepasst. Deshalb gibt es so viel Empörung und beispiellose Angst, denn das sollte eigentlich nicht passieren ... immerhin traten die GriechInnen der EU bei, um wie Menschen behandelt zu werden, das heißt anders als AfrikanerInnen, LateinamerikanerInnen oder AsiatInnen! Tatsächlich lernen die GriechInnen jetzt, dass der Preis der Komplizenschaft mit dem Rassismus unvermeidlich dazu führt, dass der Rassismus gegen sie selbst gerichtet wird! Das ist ein einfaches Beispiel des berühmten dialektischen Prinzips: „Was du säst, das wirst du ernten.“ III. Was kann getan werden, um das große Experiment zu stoppen? Obwohl sich nationale Versuche, die Strukturanpassungsmaßnahmen zu stoppen, in der Vergangenheit als nicht viel versprechend erwiesen haben, scheint der politische Wille, zu intervenieren und das Experiment zu stoppen, in Europa zurzeit in den Händen der NationalistInnen zu liegen. Es gibt einen Nationalismus von rechts und einen von links. In Griechenland popularisieren die rechten GegnerInnen der Strukturanpassung ihre Bemühungen unter dem Label „nur für die GriechInnen“. In der Praxis organisieren sie rassistische Pogrome (vor allem in Athen), regelmäßig abgestimmt mit der Polizei. Diese rechten NationalistInnen (die den Nazis ähnliche „Morgenröte“ in Griechenland) und einige RegionalistInnen (wie die „Lega Nord“ in Italien) scheinen vielen – vor allem angesichts von Massenarbeitslosigkeit, wachsender Armut und der massiven Tendenz, kleine Unternehmen in den Ruin zu treiben – in der Lage zu sein, auf die unmittelbaren politischen und wirtschaftlichen Probleme zu reagieren. Sicherlich ist es nicht schwer, diese faschistischen Provokationen empirisch zu widerlegen, da nicht ernsthaft behauptet werden kann, dass die MigrantInnen die Ursache der europaweiten staatlichen Defizite, der Verluste der Großbanken oder gar der Arbeitslosigkeit unter griechischen, spanischen oder italienischen StaatsbürgerInnen sind. NationalistInnen auf der Linken (mit keynesianischer Überzeugung) würden nicht gegen Einwanderung argumentieren, sondern den Mangel an Autonomie der griechischen Regierung bezüglich einer makroökonomischen Politik als Ursache der Krise betrachten. Ebenso wie rechte „ExtremistInnen“ treten sie für das Verlassen der Eurozone ein – in ihrem Fall jedoch besteht die Antwort aus einer Steuerpolitik, die mit Arbeitslosigkeit und dem Mangel an effektiver Nachfrage umgehen kann. Aber ein solcher „Keynesianismus in einem Land“-Ansatz ist theoretisch problematisch, da das Griechenland der Gegenwart keine autarke Wirtschaft irgendwo im Weltall ist. Es würde sowohl defensive Verbündete als auch UnterstützerInnen brauchen, um den entschlossenen Bemühungen jener mächtigen Kräfte (wie z.B. der Troika) entgegenzutreten, die nationale Maßnahmen im Falle eines Zahlungsausfalls zu verhindern suchen. Tatsächlich sollten wir, wenn wir die Bemühungen der StrukturanpasserInnen untergraben wollen, auf deren schlimmste Befürchtungen hören – und diese haben ein Kartell der SchuldnerInnen zum Inhalt. Denn die Rückzahlung der Schulden hängt von der Isolierung der SchuldnerInnen ab und davon, dass es gelingt, dass diese sich sowohl moralisch beschämt als auch praktisch verwundbar fühlen. Sobald sich die SchuldnerInnen einig sind, können sie jedoch ihrerseits gegen die GläubigerInnen „den Spieß umdrehen“ und sich befreien. Wir sehen, warum Schuldnersolidarität ein Weg zur Befreiung ist: Denn Verschuldung ist nicht einfach eine Möglichkeit für GläubigerInnen, reich zu werden, sondern in der Welt des gegenwärtigen Kapitalismus ist Verschuldung eine Möglichkeit, das Verhalten von Individuen, Gesellschaften und Regierungen zu kontrollieren. Der Wunsch danach, aus der Verschuldung herauszukommen, hat nicht einfach die Vergrößerung des verfügbaren Einkommens zum Inhalt, sondern ist der Wunsch nach der Befreiung von der Kontrolle der GläubigerInnen! Eine wichtige Erfahrung einer erfolgreichen Reaktion auf Strukturanpassungsreformen konnten wir in Südamerika in den letzten fünfzehn Jahren erleben. Diese hatte ihre Wurzeln in den Anti-Schuldner-Kampagnen der dortigen sozialen Bewegungen, die schließlich in den Administrationen von Chavez, Lula, Morales und Kirchner zur offiziellen Politik wurden, und versetzte diese in der Lage, den Fängen der Forderungen der Strukturanpassungsprogramme des IWF und der Weltbank zu entkommen und eine neue Art eines sozialen Reformkapitalismus zu beginnen (den viele den „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ nennen). Diese Bewegungen und die von ihnen unter Druck gesetzten Regierungen kommunizierten über Grenzen hinweg miteinander und koordinierten sich, oft basierend auf ihrer indigenen Zusammensetzung. Das Problem an diesem Beispiel besteht natürlich in seiner staatlichen Form und in den oft problematischen Lösungen. Dies stellt jedoch keineswegs die unmittelbare Lektion in Frage, dass nur durch eine internationale Zusammenarbeit der ArbeiterInnenbewegungen die Macht erlangt werden kann, um die Isolierung in der eigenen Verschuldung zu verweigern. Deshalb hat es oberste Priorität, dass die GriechInnen nicht isoliert bleiben und sie sich zumindest mit den europäischen – vor allem den italienischen und den spanischen – Organisationen der ArbeiterInnenklasse koordinieren. IV. Was passiert, wenn das große Experiment nicht gestoppt werden kann? Es gibt eine Tradition in der Wissenschaftsphilosophie, die das Experiment nicht als objektives Mittel sieht, Theorien zu überprüfen, sondern – um eine Metapher von Francis Bacons zu gebrauchen – als ein die Natur (und Gesellschaft) „quälendes“ Vorgehen mit dem Ziel, die vom Experimentator gewünschten Ergebnisse zu produzieren. In einer Weiterentwicklung dieser Konzeption bemerkt Giambatista Vico in einem anticartesianischen Moment, dass „wir nur das wissen, was wir machen“. So erleben auch wir ein großes Experiment in der Produktion einer neuen neoliberalen Menschheit mittels der Krise. Wird sich das neoliberale Modell dessen, was ein Mensch sein soll, in den nächsten 50 Jahren definitiv durchsetzen? Eine entscheidende Niederlage der Kämpfe der ArbeiterInnenklasse in diesem Zeitraum wird nicht nur eine Unmenge von persönlichen Leiden nach sich ziehen, sondern den kollektiven Verlust all dessen, was einst als das Resultat der ArbeiterInnenkämpfe der vergangenen eineinhalb Jahrhunderte betrachtet wurde, d.h. das Ende des „Fortschritts“ aus proletarischer Perspektive. Eine Niederlage in Griechenland wird auf die ganze Welt zurückstrahlen und die Kämpfe der ArbeiterInnen überall untergraben. Marx legt dar, dass der Wert der Arbeitskraft ein „moralisches und historisches Element“ beinhaltet, d.h., dass er nicht durch eine physiologische Größe wie die pro Tag verbrauchten Kalorien definiert ist. Eine Niederlage im Kampf um die Erhaltung des Werts der Arbeitskraft in jenen Dimensionen, wie wir sie in Griechenland in den letzten zwei Jahren erleben, wird massiv abwertende Auswirkungen nicht nur auf die Löhne haben, sondern auch auf das, was „Wert“ und „Arbeitskraft“ – und damit Menschsein – auf dem ganzen Planeten bedeuten wird. Sie wird den doppeldeutigen Aspekt des Slogans „Wir sind alle GriechInnen“ ans Tageslicht bringen. Können wir einander aus den Käfigen des Kapitals befreien? |
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