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Pascal Jurt im Gespräch mit Juliane Rebenitsch In ihrem neuesten Buch „Kunst der Freiheit“ zeigt die in Offenbach lehrende Philosophin Juliane Rebentisch, dass sich für das Verständnis der demokratischen Freiheitskultur viel von den ästhetisierungskritischen Motiven von Platons Kritik der demokratischen Kultur bis hin zur Kritik der Inszenierung bei Walter Benjamin in der Geschichte der Philosophie lernen lässt. Sie gehen in Ihrem neuesten Buch dem Begriff der Ästhetisierung nach und zwar aus der Perspektive der politischen Philosophie. Ästhetisierung reicht in Ihren Augen bis „in die Tiefenstruktur unserer ethischen Selbstverständnisse wie unserer politischer Kultur hinein“. Die Inszenierungen des Kanzlers Gerhard Schröder, des Saxophon spielenden Bill Clinton, des Bling-Bling-Präsidenten Sarkozy oder Berlusconi verleiteten Zeitdiagnostiker und Essayisten dazu, von einer Wiederauflage der Spektakelgesellschaft zu sprechen. Nicht nur die Inszenierung, sondern die Ästhetisierung an sich steht unter Verdacht? Woher kommt das? Man geht davon aus, dass die genannten Beispiele alle Symptome einer problematischen Entwicklung sind, die unter den Titel der „Ästhetisierung“ oder auch der „Spektakularisierung“ des Politischen gestellt wird, und man versteht darunter, dass die Politik sich im Zuge dieser Entwicklung zu ihrer eigenen Darstellung depotenziert: Wichtig sollen weniger die jeweiligen politischen Inhalte oder das politische Handeln sein denn die Weisen, wie sich die Politiker inszenieren. Die Klage über die Ästhetisierung des Politischen ist mit anderen Worten eine Klage über dessen Entpolitisierung. Aber es lohnt sich, hier genauer hinzublicken. Schon im Blick auf die von Ihnen genannten Beispiele empfehlen sich politische Differenzierungen. Der Umstand, dass Berlusconi die demokratisch wichtige Differenz zwischen politischer Macht und Medienmacht nivelliert hat, liegt beispielsweise auf einer anderen Ebene als die Versuche von Schröder, Sarkozy oder Clinton, den Machtfaktor Charisma in die jeweilige Amtszeit zu retten. An der Unterschiedlichkeit dieser Versuche bestätigt sich übrigens, was Max Weber über die charismatische Herrschaft sagt: dass sie nie rein auftritt, sondern von Beginn an an die (Mit-)Darstellung spezifischer Inhalte und an den ständigen Beweis zustimmungsfähiger Entscheidungsleistungen gebunden ist – weshalb sie auch allenfalls Übergangsherrschaft auf dem Weg zur rationalen oder legalen Herrschaft sein kann, wo sie dann zwar nicht verschwindet, aber zurücktritt. Insofern war die „Bling-Bling“-Inszenierung von Sarkozy nicht nur für seine Politik symptomatisch; es hat sich auch gezeigt, dass Charisma keine substantielle Eigenschaft von Personen ist, sondern an ein politisches Anerkennungsverhältnis gebunden ist und – bei ausbleibender Anerkennung – ebenso gut wieder verschwinden kann. Jedenfalls: Die fundamentale Kritik an der „Spektakelgesellschaft“ verstellt solche Differenzierungen; sie verhindert die genauere repräsentationskritische Analyse – Kritik hier verstanden im ursprünglichen Sinne der unterscheidenden Tätigkeit. Ihre Absicht ist es nicht, die unter dem pejorativen Begriff "Ästhetisierung" subsumierte Kritik zu reproduzieren, sondern stattdessen die produktive Bedeutung der Ästhetisierung für das Verständnis von Ethik und Politik zu erkunden. Warum eignet sich die Ästhetisierungskritik als Vorlage für das Projekt einer solchen Neubestimmung? Die Ästhetisierungskritik hat tatsächlich nicht nur eine politische, sondern auch eine ethische Seite: So, wie man vermutet, dass die Ästhetisierung die spektakuläre Inszenierung an die Stelle der Politik setzt, so vermutet man, dass durch die entsprechende Entwicklung an die Stelle der Ethik eine individualistische Ästhetik der Existenz tritt. Für mich war zunächst die Beobachtung interessant, dass die ethisch-politische Kritik der Ästhetisierung keineswegs so neu ist, wie es in den jüngeren Diskussionen den Anschein haben mag – die Kritik an dem, was man für eine ästhetische Perversion von Ethik und Politik hält, hat eine lange, de facto auf antike Diskussionen zurückgehende philosophische Tradition, auch wenn natürlich nicht alle Etappen der entsprechenden Geschichte explizit unter dem heute geläufigen Begriff der Ästhetisierung standen. Aber es ist aufschlussreich, dass die Abwehr von bestimmten Figuren des Ästhetischen an ausgesprochen signifikanten Stellen der politischen Philosophie vorkommt. Ich habe mir das genauer angesehen und festgestellt, dass es hier jeweils um das Problem der Freiheit geht, und zwar häufig aus explizit demokratietheoretischer Perspektive. Das war die eine Beobachtung. Die andere war, dass die Abwehr des Ästhetischen hier oftmals unter Bezugnahme auf Argumente erfolgt, die höchst fragwürdig sind. Das war der doppelte Ausgangspunkt meiner Untersuchung: Wenn sich die Kritik an der demokratischen Kultur von Platon bis Carl Schmitt als eine Kritik an der „Ästhetisierung“ artikuliert und diese Kritik selbst mit problematischen Argumenten operiert, dann ist es ratsam, die entsprechenden Einsätze erneut zu prüfen. Was wird jeweils als Ästhetisierung des Freiheitsverständnisses aus ethischen und politischen Gründen verworfen, und ist diese Verwerfung plausibel? Welches Freiheitsverständnis wird dagegen jeweils ethisch und politisch verteidigt, und ist es selbst vor Kritik gefeit? Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass weder die Verwerfung des Ästhetischen in jedem Punkt plausibel ist noch das freiheitstheoretische Gegenmodell unproblematisch. Die Absicht meines Buchs ist es deshalb in der Tat, Skepsis an der einseitig negativen Bestimmung der unter dem Titel Ästhetisierung diskutierten Transformation von Ethik und Politik zu wecken und deren produktive Bedeutung für das Verständnis dieser beiden Sphären und für das einer demokratischen Kultur der Freiheit herauszuheben. Die Ästhetisierungskritik erwies sich dabei aber auch deshalb als reichhaltige Vorlage, weil die Ästhetisierungskritiker gerade in ihrer Skepsis gegenüber der Nähe, welche die demokratische Kultur der Freiheit zum Problem der Ästhetisierung unterhält, ein sehr genaues Gespür für das Risiko, die Spannungen und die Herausforderungen einer solchen Kultur bekunden, das sich aus der Perspektive ihrer Verteidigung fruchtbar machen ließ. Die Auseinandersetzung mit der Tradition der Ästhetisierungskritik hat mich denn auch auf Motive geführt, die aus der Perspektive der üblichen ästhetikblinden Rechtfertigungen demokratischer Freiheit ebenso verdeckt werden wie aus der Perspektive von Positionen, die das Ästhetische (in der Linie, die auf Schiller zurückgeht) in ethischer und politischer Hinsicht als Einheits- und Versöhnungsfigur feiern. Sie wenden sich der Geschichte der Philosophie zu und gehen historisch-systematisch bis auf antike Diskussionen, auf Platons Kritik der demokratischen Kultur, zurück. Warum ist gerade er auch für die (moderne) Ästhetisierungskritik relevant? Die Geschichte der philosophischen Ästhetisierungskritik beginnt tatsächlich mit Platon, und zwar genauer mit Platons Kritik an der demokratischen Kultur, wie er sie in der Politeia (im Staat) formuliert. Platon misstraut nicht nur dem bunten Patchwork von Lebensformen in der Demokratie, sondern auch den schillernden Demokraten, die vom Theater gelernt haben, dass sich im Leben mehr als nur eine Rolle annehmen lässt. Der schöne Schein der Demokratie ist ihm sogar das eigentliche Problem. Denn die Logik des Scheins ist ihm zufolge nichts anderes als das Wesen der Demokratie: die ethische Orientierung am Guten wird durch eine ästhetische Stilisierung der Existenz ersetzt, und an die Stelle der guten (am Guten orientierten) Regierung tritt das regellose Spektakel der Volksverführung – und so sei es ein kleiner, gefährlich unmerklicher Schritt von der Demokratie in die Tyrannei. Damit sind schon bei Platon alle für die Ästhetisierungskritik maßgeblichen Motive zusammen, die vom philosophischen Diskurs der beginnenden Moderne („um 1800“) aufgenommen und bis ins 20. Jahrhundert hinein und darüber hinaus fortgeschrieben werden. Dennoch muss man natürlich fragen, warum ausgerechnet Platon die entscheidende Quelle sein soll, wenn es darum geht, die Probleme der modernen Demokratie respektive die Probleme der mit ihr sich durchsetzenden ästhetisierten Kultur zu benennen. Schließlich kann man nicht einfach das Modell der antiken Demokratie auf die Moderne übertragen. Meine These ist, dass der moderne Rückgriff auf Platon nicht aus kontingenten Gründen geschieht: Denn Platon erfindet einen Typus der Kritik, der in der Moderne so interessant wird, dass man trotz offenkundiger Differenzen einige begriffliche Anstrengungen unternimmt, um an ihn anzuknüpfen. Er verbindet nämlich seine Analyse unterschiedlicher Regierungsformen mit der Untersuchung von, wie man heute sagen würde, Subjektivierungsformen. Es ist der Zusammenhang von Regierung und Selbstregierung, der in der Moderne an Bedeutung gewinnt. Dazu kommt, dass Platon einen Vorschlag macht, wie beides zusammengedacht werden kann. Regierung und Selbstregierung werden nämlich im Blick auf einen für beide zentralen Wert analysiert, und im Falle der Demokratie beziehungsweise der demokratischen Kultur ist das der Wert der Freiheit. Dieser Zusammenhang ist für die moderne Ästhetisierungskritik bestimmend geblieben: Der Schlüssel auch zur modernen Ästhetisierungsdiskussion ist das Problem der Freiheit. In seinem Rahmen bilden die Themen von Subjekt und Staat, von Selbstregierung und Regierung, Ethik und Politik einen engen Zusammenhang. Der hierzulande schwer angesagte Alain Badiou bezieht sich auf Platons Demokratiekritik. Die Beliebigkeit und Unbeständigkeit der Demokratie erschwere eine Selbstregierung des Volkes. Badiou schließt an Platon an, geht aber von einem anderen Diskursstrang aus, von einer Ökonomisierung des Politischen, er spricht gar von einen "Kapital-Parlamentarismus". Dieser neue post-apokalyptische Ton vom Parlament als Quasselbude oder von der Krise des Parlamentarismus erinnert doch sehr stark an anti-parlamentarischen Diskurse der 20er Jahre. Woher rührt dieser "Hass auf die Demokratie"? Der Hass auf die Demokratie, das hat ja auch Jacques Rancière in letzter Zeit immer wieder betont, ist so alt wie die Demokratie selbst. Und man muss diesen Hass von der Kritik an der Demokratie unterscheiden, die zumeist gerade von erklärten Demokraten vorgebracht wird. Für Letztere – die radikale Kritik an jeweiligen institutionellen Gestalten der Demokratie – ist die Unbestimmtheit der Demokratie, wenn auch nicht an sich schon eine Stärke, so doch die Bedingung der Möglichkeit einer Veränderung zum Besseren. Dieses Argument ist zum einen dezidiert postmetaphyisch: Weil Politik nicht von Göttern gemacht wird, sondern von endlichen Wesen, die mit ihren jeweils beschränkten Perspektiven auf sich und die Welt bestimmen müssen, was das Beste ist, muss die Möglichkeit, jeweilige historische Bestimmungen des Guten infrage stellen zu können, selbst in den Begriff des Guten aufgenommen werden. Das ist ein Argument zugleich gegen Platons Metaphysik des Guten wie gegen seine Demokratiekritik. Denn die Demokratie erweist sich gerade als diejenige Regierungsform, die die Möglichkeit der Infragestellung seiner jeweiligen Bestimmungen in ihren Begriff des Guten aufgenommen hat: Sie ist die einzige Regierungsform, in der es erlaubt ist, alles öffentlich zu kritisieren, alles öffentlich infrage zu stellen – einschließlich der jeweiligen konkreten Ausgestaltungen der Demokratie selbst. Eben deshalb wird sie nie bei einer endgültigen Form ankommen, ohne sich selbst abzuschaffen. Die nachmetaphysische Ontologie des Guten und die strukturelle Unbestimmtheit der Demokratie stehen in einem internen Zusammenhang. Mit diesem Argument verbunden ist aber auch noch ein anderes, politisches. Theorien, die die Unbestimmtheit der Demokratie verteidigen, richten sich nämlich auch gegen die präpolitische Setzung des Volkes als Souverän. Das Selbst der kollektiven Selbstregierung ist für sie keine Gegebenheit, sondern immer auch Gegenstand der politischen Auseinandersetzung. Infrage steht ja in politischen Konflikten häufig, wer überhaupt am politischen Diskurs teilnehmen, wer als Mitglied einer politischen Gemeinschaft gelten kann, infrage steht in diesen Fällen also nicht zuletzt die Gestalt des demos selbst. Von Demokratien im weitesten Sinne kann dann gesprochen werden, wenn dem Konflikt um die Gestalt des demos Raum gegeben wird. Die Möglichkeit eines solchen Konflikts markiert sich institutionell etwa in den Differenzen von Regierung und Opposition, Regierung und außerparlamentarischer Opposition (Demonstrationsrecht), Politik und Presse (Meinungsfreiheit), Presse und Bürger (Recht auf Gegendarstellung), Bürger und Mensch (eine Differenz, die am Rande der politischen Gemeinwesen im Diskurs der Menschenrechte virulent wird). Man kann sich die fundamentale Funktion dieser verschiedenen Bühnen des Konflikts für das Leben der Demokratien auch negativ klarmachen: Einparteienstaaten dulden gemeinhin auch keine außerparlamentarische Opposition; wohin die Einebnung der Differenz Politik-Presse beziehungsweise -Medien führen kann, zeigte Berlusconis Italien usw. Wenn man davon überzeugt ist, dass man die Möglichkeit der Auseinandersetzung um die Gestalt des demos gegen präpolitische Setzungen des Kollektivsubjekts verteidigen muss, so folgt daraus unmittelbar auch eine gewisse Skepsis gegenüber der Utopie sozialer Authentizität, die jeder radikal repräsentationskritischen Gesellschaftskritik unterliegt. Problematisch ist diese Utopie, weil sie auch dort, wo sie sich als demokratische versteht, latent oder manifest Züge autoritärer Vergemeinschaftung trägt. Rousseau und Marx sind dafür die wohl einschlägigsten Beispiele. Dieses Problem ist in der Reflexion auf die totalitäre Erfahrung im 20. Jahrhundert ausdrücklich als Problem erkannt worden und steht im Zentrum der Demokratietheorie der Gegenwart; sie bestimmt Claude Leforts Denken der Teilung beziehungsweise des Konflikts ebenso wie Jacques Rancières Denken des Unvernehmens oder Jacques Derridas Denken der différance. Für diese Leute ist das freilich nicht das Ende der Kapitalismuskritik; vielmehr gilt es, eine radikale Kapitalismuskritik mit einer radikalen Totalitarismuskritik zu verbinden. Und diese Verbindung steht unter dem Titel einer radikalen Demokratietheorie. Badiou hingegen bleibt meines Erachtens, jedenfalls dort, wo er sich zu einer entsprechenden Polemik hinreißen lässt, mit seiner umstandslosen Identifikation von Demokratie und Kapitalismus unter dem Niveau dieser anspruchsvollen Aufgabe zurück. – Mit der Kritik an den quasselnden Parlamenten ist natürlich noch das zusätzliche Problem der Souveränität angesprochen. Carl Schmitt, der bekannteste Vertreter dieser Kritik, hat ja zu Recht darauf hingewiesen, dass das diskursabbrechende Moment der Entscheidung auch aus dem demokratischen Diskurs nicht wegzubringen ist. Schmitt meinte allerdings, dem (liberal-)demokratischen Rechtssystem damit eine Widersprüchlichkeit nachweisen zu können, der er wahlweise die Figur des Souveräns oder eine substantialistisch gedachte (und als solche dezidiert faschismuskompatible) Volkssouveränität entgegenstellte. Aber der Umstand, dass gerade die Umstrittenheit des Selbst der demokratischen Selbstregierung (wie sie sich u.a. in den vielstimmig quasselnden Parlamenten ausdrückt) nach Entscheidungen verlangt, ohne die es gar keine Politik gäbe, diskreditiert nicht schon die Demokratie. Was Schmitt nicht hat sehen wollen, ist das Zusammenspiel zwischen rechtlicher und politischer Dezision auf der einen und politischer Öffentlichkeit als derjenigen Sphäre auf der anderen Seite, in der getroffene Entscheidungen geprüft und kritisiert werden können, in der also der Diskurs auch über den Moment der Entscheidung hinaus fortgesetzt werden kann, und zwar so, dass sich hier eine kommunikative Gegenmacht ausbilden kann, die unter Umständen eine Revision von Entscheidungen erzwingen kann. Was es mit anderen Worten zu denken gilt, ist nicht, ob, sondern wie das Prinzip der Souveränität in der Demokratie wirksam ist – nämlich als eine Macht, die an die heterogene Öffentlichkeit, aus der sie selbst hervorgeht, ausgesetzt bleibt, von deren Anerkennung sie abhängig bleibt. Demokratische Souveränität ist, anders als die monarchische, die sich über einen außerweltlichen Pol legitimiert, klar als Macht markiert – im selben Zug aber markiert sich das Problem ihrer Legitimität ebenfalls öffentlich, wodurch sie sich schon transformiert. Sie verliert dann die Attribute der klassischen Souveränität: Immunität und Unteilbarkeit. Demokratische Souveränität ist durch Anerkennung gebundene Souveränität. Dieses Anerkennungsverhältnis setzt ein urteilsfähiges Publikum voraus. Der Politologe Colin Crouch hat die Sorgen um eine Bedrohung der Demokratie auf den Begriff der „Postdemokratie“ gebracht, in der es zwar Wahlen gebe, die Wahlkämpfe aber zu reinem Spektakel verkommen würden. Bei Crouch wird die Mehrheit der BürgerInnen nur als eine passive Masse wahrgenommen. Letztendlich handelt es sich auch um eine Kritik der politischen Inszenierung von „realer“ Politik. Wenn ich Sie richtig verstehe, ist Demokratie ohne (theatralische) Inszenierung nicht zu haben? Diesen Widerspruch muss man also aushalten und produktiv machen? Die Pointe meiner Überlegungen ist, dass kein Widerspruch zwischen Demokratie und Theatralität besteht. Stärker noch: Eine dezidiert anti-theatrale Demokratie käme ihrem Ende gleich. Das folgt aus dem, was ich eben bereits im Zusammenhang mit dem Begriff der Souveränität angedeutet habe: Sofern richtig ist, dass das Selbst der kollektiven Selbstregierung nicht einfach als Einheit vorausgesetzt werden kann, bedeutet dies nämlich nicht nur, dass diese Einheit allererst in der politischen Repräsentation hervorgebracht werden muss, sondern zudem, dass es den demos der Demokratie niemals jenseits der damit zugleich etablierten Trennung zwischen Repräsentanten und Repräsentierten, Produzierenden und Rezipierenden, Regierenden und Regierten gibt. Es gibt ihn (und seinen Willen) folglich niemals jenseits von Macht- und Herrschaftsverhältnissen; es gibt ihn nie als solchen. Tatsächlich gibt es souveräne Macht- und Herrschaftsanmaßung sowie die genannten Trennungen schon in dem Augenblick, in dem einer vortritt und beansprucht, für alle zu sprechen. Das Volk ist dem jedoch nur in dem Maße ausgeliefert, wie es sich durch Maßnahmen blenden lässt, welche die Momente von Souveränität und Rhetorik, die mit diesem Akt einhergehen, verdecken sollen. Das Gegenmittel gegen dieses Moment der Souveränität am Grund auch der demokratischen Gesellschaften, bestünde dann nicht in dessen Leugnung, sondern in dessen öffentlicher Inszenierung: Wenn nämlich derjenige, der beansprucht für alle zu sprechen, dies vor allen tut; wenn er sich und seine Setzung dem Urteil derjenigen aussetzt, die er zu repräsentieren beansprucht, einem Urteil, von dem nie auszuschließen ist, dass es auf einer anderen Vorstellung vom Gemeinwillen beruht, die es womöglich selbst zu öffentlicher Geltung und (Gegen-)Macht bringen wird. Darin besteht die Pointe einer demokratisch verstandenen „Ästhetisierung des Politischen“. Diese Einsicht bedeutet eine Verabschiedung der auf der Linken zum Automatismus gewordenen „Spektakelkritik“, die gemeinhin mit einer pauschalen Medienschelte einhergeht. Man muss dann einfach genauer werden, wenn man Phänomene wie Manipulation, Komplexitätsreduktion, Intransparenz von politischen Entscheidungsprozessen oder die Gefahr des Konformismus beschreiben will. Man muss sich dann beispielsweise die politische Bedeutung der auf den ersten Blick kleinteiligeren Auseinandersetzungen um Sendeformate und -plätze, das Überleben von Zeitungen etc. klarmachen; nicht zuletzt auch im Blick auf die kulturindustrielle Logik, bei der gerade die Annahme eines vermeintlich passiven und dummen Publikums als Legitimation für eine verkürzende Berichterstattung und die Verdrängung von allem herhält, was als zu schwierig gilt. Mit anderen Worten: Ich finde die spektakelkritischeEinführung des Begriffs Postdemokratie bei Crouch eher unglücklich – der sehr viel wichtigere Punkt, den Crouch unter dieser Überschrift ebenfalls macht, ist die Kritik an dem verdeckten Einfluss von Wirtschaftseliten auf die Politik. Wenn man diesem Strang weiter folgt, zeigt sich, dass es weniger die Trennung zwischen Politik/Macht und Gesellschaft ist, die das Problem ist (wie es die Spektakelkritik nahelegt), sondern im Gegenteil deren falsche Aufhebung: Die Politik legitimiert sich postdemokratisch über ihre eigene Ohnmacht, sie nimmt sich auf eine wirtschaftlich gesteuerte Verwaltungspraxis zurück. Im gleichen Zug wird die Verantwortung für den Zustand der Gesellschaft und die Situation der Einzelnen in ihr nicht mehr der Regierung, sondern der Eigenverantwortung der postdemokratisch Regierten zugeschrieben. Postdemokratisch ist diese Situation nach meinem Verständnis gerade darin, dass hier die differentielle Logik der (theatralen) Demokratie negiert wird, und zwar zugunsten einer Gesellschaftsformation, die vorgibt, dass es eines Streits um politische Bestimmungen des gesellschaftlich Guten nicht mehr bedarf, weil ja bereits jedem die Möglichkeit gegeben ist, sich selbst zu verwirklichen und also bereits ein Zustand erreicht ist, in dem, um es mit Platons Formel für Gerechtigkeit zu sagen: „jedem das Seine“ zukommt. Die Ideologie besteht darin, dass die politische Frage nach den materiellen Voraussetzungen der individuellen Selbstverwirklichung abgeblendet wird. Die aber gilt es, mit Nachdruck zu stellen, es gilt, das Postulat einer voraussetzungslosen Freiheit selbst als politische Setzung zu markieren und damit zugleich den Abstand zwischen Macht und Gesellschaft und den mit ihm gegebenen politischen Spielraum wiederzugewinnen. Die reflexhafte Kritik an dem vermeintlichen Verfallssymptom einer „Spektakelgesellschaft“ steht dem eher entgegen. Eine der wichtigsten Forderungen der Piratenpartei ist die Transparenz in der Politik. Finden sich nicht auch hier repräsentationskritische Argumentationsfiguren? Das Konzept der liquid democracy ist nicht zu verwechseln mit einer Ersetzung der repräsentativen Demokratie durch eine direkte. Vielmehr geht es um ein Kontinuum zwischen beiden Formen. Es soll den interessierten Bürgern ermöglicht werden, über die bloß alle vier Jahre stattfindenden Wahlen hinaus auf politische Entscheidungsprozesse einzuwirken – was auch bedeutet, dass diese Prozesse über das parteipolitisch übliche Maß hinaus kommuniziert werden. Das ist an sich zu begrüßen. Dass damit natürlich nicht die Notwendigkeit der jeweils unter Zeitdruck erfolgenden politischen Entscheidung und auch nicht die der Herausbildung eines eigenen parteipolitischen Profils übersprungen werden kann – indem man die Form der Willensbildung an die Stelle der Inhalte setzt – zeigen ja die Diskussionen innerhalb der Piratenpartei. Keine Entscheidung ist einfach aus einem Strom unterschiedlicher Meinungen ableitbar, und das Profil einer Partei ergibt sich auch nicht dadurch, dass man immer der Mehrheit folgt, was der Ersetzung eines parteipolitischen Programms durch das Prinzip der Volksabstimmung gleichkäme. Dass man mit der Vermutung, dass Letzteres per se eine progressive Kraft sei, auf der Linken eher vorsichtig sein sollte, hat sich an den Ergebnissen von Volksabstimmungen in der Schweiz (Minarettstreit etc.) gezeigt. Dass ich der direkten Demokratie eher skeptisch gegenüberstehe, hat natürlich auch den Grund, dass sie in dem Maße, wie sie sich als die eigentliche, die unverstellte und unmittelbare Form der Demokratie gibt, die Selbstdifferenz des demos gerade verdeckt, deren Inszenierung ich geradezu für die Essenz demokratischen Lebens halte. Was aber die digitalen tools der liquid democracy angeht, so würde ich sagen, dass sie im besten Fall den Austausch zwischen politischen Entscheidungsträgern (Repräsentanten) und politischer Öffentlichkeit (Repräsentierten) vereinfachen und verlebendigen. Der Begriff der "Basisdemokratie"steht in letzter Zeit im Gegensatz zur angeblichen bloß formellen oder bürgerlichen Demokratie wieder hoch im Kurs. Im letzten Jahr gab es rund um "Occupy Wall Street" oder die spanischen "Empörten" viele Artikulationen und Positionen, die in diese Richtung gingen. Innerhalb dieser neuen sozialen Bewegungen gab es Elemente der Kritik an Repräsentation, gar der Abschaffung von Repräsentation. Können diese Akteure einfach (demokratische) Widersprüche nicht aushalten? Es stimmt, dass die fundamentalistische Repräsentationskritik immer noch hoch im Kurs steht. Sie informiert eine (stark an Guy Debords notorische „Gesellschaft des Spektakels“ angelehnte) Streitschrift wie „Der kommende Aufstand“ ebenso wie einige Positionen im Umfeld von Occupy. Ich habe ja schon gesagt, warum ich bei den entsprechenden Utopien sozialer Authentizität Bauchschmerzen bekomme. Auch die Emphase auf das Zwischenmenschliche scheint mir derzeit eher Teil des Problems denn Teil der Lösung zu sein: Eine Moralisierung des Politischen, eine Umschreibung von Strukturproblemen auf das Verhältnis zwischen Personen, deren Abwälzung auf die Arbeit am Selbst – dies alles findet doch ohnehin schon überall statt. Wenn ich eine Chance von Occupy sehe, so in dem, was sich in der Form der Demonstration, einem Zusammenschluss von vielen zum Zwecke einer Besetzung des öffentlichen Raums, behauptet. Denn hierin liegt schon ein Einspruch gegen die Desintegration des öffentlichen Raums, der sich in der Postdemokratie vollzieht. Die Postdemokratie ist nämlich in repräsentationspolitischer Hinsicht bestimmt durch eine, wie Jacques Rancière das genannt hat, „Herrschaft des All-Sichtbaren“: Jeder kann sich darstellen, aber in dieser Darstellung formuliert sich kein Anspruch auf eine andere politische Repräsentation des Allgemeinen mehr. Öffentliche Auftritte werden hier vielmehr individualisiert und damit depolitisiert. Dagegen demonstriert die Occupy-Bewegung den sozialen Charakter des öffentlichen Raums. Indem sie in ihm verharrt, beharrt sie auf ihm. Das hat Effekte nach innen und nach außen: nach innen den, dass man versucht, eine gemeinsame Sprache für die individualisierte Erfahrungswelt zu finden (in der es keine soziale Ungleichheit, sondern nur noch individuelles Versagen zu geben scheint), nach außen den, dass die Demonstration hier die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung um die Bestimmung des Allgemeinwohls (des allgemeinen Guten) einklagt. Angesichts einer Situation, in der man vergessen zu haben scheint, dass jede Demokratie, die den Namen verdient, sich im Streit um das konstituiert, was man eine gemeinsame Welt nennt, geht es hier nicht zuletzt um eine Verteidigung des Dass der öffentlichen Auseinandersetzung. Im Blick auf die Postdemokratie ist das bereits ein inhaltlicher Punkt. In dieser Fluchtlinie wäre Occupy nicht das Modell für ein ganz anderes (authentisches) Soziales, sondern der recht buchstäbliche Platzhalter für eine Wiedergewinnung des politischen Raums, in dem Konflikte ausgetragen werden können. Eine solche Wiedergewinnung impliziert indes mehr als die leere Form der Besetzung (die, wie wir bereits bezeugen können, Gefahr läuft, am Ende nichts anderes zu sein als – schlechte – Kunst). Sie impliziert die Artikulation von Interessen. Dieses Wort, das I-Wort, ist erstaunlich abwesend zurzeit. Ich mag es. Es ist kein moralisches, sondern ein politisches Wort. Juliane Rebentisch: Die Kunst der Freiheit. Zur Dialektik demokratischer Existenz. Suhrkamp, Berlin 2012. 396 Seiten. |
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