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A.M.: Das Ereignis der Befreiung in Hegels
Phänomenologie des Geistes Die vielleicht bekannteste Auseinandersetzung mit dem Begriff der Herrschaft und der Frage nach dem Ereignis der Befreiung, zumindest in ihrer Auswirkung schwerwiegend für die darauf folgende Philosophiegeschichte, wurde ausgeführt in einem Kapitel der Phänomenologie des Geistes von Georg Wilhelm Friedrich Hegel – die so bezeichnete »Herr-Knecht-Dialektik«. Auch gegenwärtig beziehen sich immer wieder Diskurse, wie etwa geführt von Judith Butler oder Slavoj Žižek[1], auf jene Ausführungen Hegels. Bei aller Bezugnahme diverser Autor*innen fehlt es jedoch nicht selten an einer ausführlichen Auseinandersetzung mit der Hegelschen Gedankenbewegung, die zwar vorausgesetzt, doch nicht eigens bedacht wurde.[2] Im Folgenden möchte demnach der Versuch unternommen werden, dem Anspruch einer verstehenden und zugleich kritischen Auslegung gerecht zu werden – nicht zuletzt deswegen, weil das erwartete Ereignis der Befreiung vom Herrschaftsverhältnis, von der Repression herrschender Umstände bis in unsere Gegenwart ausgeblieben und somit die Philosophie weiterhin vor ihrer schwierigsten Aufgabe stehen geblieben ist, nämlich die Bedingungen der Befreiung vorzubereiten. Die erwähnte Stelle in der Phänomenologie des Geistes ist betitelt in einem Begriffspaar, es heißt: »Herrschaft und Knechtschaft«, des weiteren »Selbständigkeit und Unselbständigkeit des Selbstbewusstseins« (145).[3] In der Art und Weise der Betitelung zeigt sich bereits eklatant die Methode Hegels, mit der er bekanntermaßen arbeitet, namentlich die dialektische Form: zwei sich entgegengesetzte, gegenüberstehende Momente, die sich in einer dynamischen Wechselbeziehung zueinander verhalten und dabei paradoxerweise in ihrem Ausgangspunkt und Ziel unter Einem aufgehoben sind. Die dialektische Prozedur erscheint dabei zunächst als eine formale Denkmethode, welche die Aufhebung der These und Antithese (Inhalt und seine Negation) zur Synthese (Negation der Negation) darstellt. Indessen meint »Aufhebung« bei Hegel ein Mehrfaches, einerseits die Löschung (das Eliminieren des Entgegengesetzten), dann aber auch die Erhöhung (das Hinaufheben beider Standpunkte) und schließlich die Konservierung (das Aufgehoben-sein in Einem)[4]. Hegel selbst möchte das dialektische Verfahren jedoch nicht als eine (rein) formale Logik bzw. Methode zu Verstehen geben, sondern Dialektik sei das Prinzip der geschichtlichen Bewegung, das Prinzip der dynamischen Wirklichkeit, der »Gang der Sache selbst«. In diesem Sinne wird das Prinzip in aller Kürze ausgedrückt als »die dialektische Bewegung, dieser sich selbst erzeugende, fortleitende und in sich zurückgehende Gang« (61). Das Zurückkehren des Hervorgekommenen als die Rückkehr des Entzweiten zum Einen stellt dabei nicht nur das Ziel sondern auch die Voraussetzung der Dialektik dar. Das Allgemeine der Natur, sowie das Einzelne und Besondere entwickelt somit eine ständige, durch die Negation bewegte Entfaltung des Einen zum Mannigfaltigen und wieder zurück. Diese Rückkehr bringt das Geschehen jedoch nicht zum selben Ausgangspunkt, dies wäre schließlich eine Nicht-Bewegung, ein sich im Kreise drehender Stillstand, sondern die Rückkehr bringt die Bewegung zu einem höheren Punkt der Entwicklung, zu einer Selbst-überwindung des Bewegten. Der dialektische Vorgang als Möglichkeit der Überwindung bedeutet somit die Möglichkeit der Transformation des Gegebenen, eine Transformation der Umstände und Verhältnisse. Es gilt diese grundsätzliche Methodik bzw. Ontologie des Hegelschen Denkens stets vor Augen zu halten, wenn es darum gehen soll, die Passage zu Herr-Knecht-Dialekitk in seiner Denkbewegung nachvollziehen zu können. Die Passage beginnt damit, dass Hegel vom Selbstbewusstsein ausgeht – welches sich selbst nur dadurch begreifen kann, nur dadurch »an und für sich ist«, indem sie sich im Gegensatz zu einem Anderen setzt (145). Das Andere ist jedoch nicht wo anders, sondern genuin beim Selbstbewusstsein angesiedelt, es handelt sich also um eine Spaltung seiner selbst; und zwar nicht so, dass es zuerst ein Selbstbewusstsein gibt und dann erfährt man sozusagen in einem zweiten Schritt, dass es noch etwas anderes gebe als man-Selbst sei, sondern der/die bzw. das Andere, die Erfahrung von Alterität ist immer schon mitgegeben, wenn die Rede von einem Selbst(bewusstsein) ist. Die Differenz ist Voraussetzung für das Erscheinen des Einzelnen.[5] Indem sich das Selbstbewusstsein nun als Unterschiedenes versteht und somit notwendigerweise als ein Teil des Ganzen und nicht als das Ganze selbst, befindet es sich zwangsläufig von Anbeginn an in einer Stimmung des Ungleichgewichts, der Disparität. Das Selbstbewusstsein erfährt einen ursprünglichen Mangel an sich selbst, »es hat sich selbst verloren«[6]. Als dieses Mangelhafte begibt es sich nun auf die Suche nach Anerkennung, denn durch das Anerkannt-sein, so die Hoffnung, müsste sich die erfahrene Unvollständigkeit ausgleichen und aufheben lassen. Solch eine Anerkennung kann das Selbstbewusstsein jedoch nicht von einem beliebigen Seienden erfahren, sondern nur von einem anderen Selbstbewusstsein, weil nur ein anderes Selbstbewusstsein fähig ist, seine Existenz bewusst zu bejahen[7]. So stehen sich zwei mit derselben Absicht ausgestattete, vom selben Willen zur Anerkennung getriebene, Selbstbewusstseine gegenüber, die ihrem Wesen nach – nämlich als Selbstbewusstsein – sich zunächst gleichberechtigt begegnen. Das Zusammentreffen von Wille auf Wille bedeutet, so Hegel, unweigerlich ein Kräftespiel, eine Aus-einandersetzung: »Sie müssen in diesen Kampf gehen, denn sie müssen die Gewißheit ihrer selbst, für sich zu sein, zur Wahrheit an dem Andern und an ihnen selbst erheben« (149).[8] In der Umwandlung der Begegnung zu einer Kampfsituation geschieht eine erste Aporie, denn obwohl das eigentliche Ziel darin bestand, beim Gegenüber die Bejahung der eigenen Existenz zu erfahren (und vica versa), erscheint nun paradoxerweise die Verwirklichung dessen nur darin geschehen zu können, indem das Gegenüber negiert wird; das Selbstbewusstsein muss »das andere selbstständige Wesen aufheben, um dadurch seiner als des Wesens gewiß zu werden« (146) – »ein Kampf auf Leben und Tod« (149). Dasjenige, dem das Anerkannt-sein bedeutsamer erscheint als das Sein selbst, bedeutsamer als das einfache Existieren, dieses geht in der Kampfsituation bis zum Äußersten, macht das Äußerste zu seinem Wesen und wird sich dadurch als Herr behaupten; das Andere hingegen verspürt in der Kampfsituation die ganze Tiefe der unendlichen Todesangst – »alles Fixe hat ihm gebebt.« (153) – und entscheidet sich im panischen Schrecken vor dem Nichts für das nackte Leben und wird dadurch zum Knecht.[9] Der blinde Wille zur Anerkennung war also im Kampf bereit, sein ganzes Sein zu opfern, nahm den Tod in Kauf, setzte sein ganzes Dasein aufs Spiel, um die Anerkennung seiner selbst zu erhalten und wurde damit in der Tat Herr über die Situation[10], doch gleichzeitig befindet es sich nun in einer weiteren Paradoxie, denn es war bereit gerade das auszulöschen, um das es ihm im Grunde geht, was es selbst ist, sein eigenes Wesen, was schließlich anerkannt werden soll. Gerade deswegen macht das Herrschende (wie sich noch zeigen wird), solange seine Herrschaft dauert, das Nichts, die (negative) Leere zu seinem Wesen, weil die Bereitschaft zur Selbstaufhebung und Destruktion gerade die Kraft und das Fundament seiner Herrschaft bildet. Obwohl zwar die Herrschaft behauptet werden konnte – und damit stellt sich ein dritte Aporie ein – wurde das eigentliche Ziel des Selbstbewusstseins, nämlich vom Anderen anerkannt zu werden, nicht erreicht; denn auf der anderen Seite haben wir die Angst vor dem Nicht-mehr-sein-können, ein Leben, das gerade durch diese Angst als ängstliches Sein bis zum Tode zu bestimmen ist.[11] Indem der Andere nur aus dieser Todesangst heraus bereit ist jenem nachzugeben, steigert sich das Paradoxe, denn die Anerkennung des Anderen in solch einer Befindlichkeit ist äußerst zweifelhaft. Die Achtung des Gegenübers geschieht nicht in Freiwilligkeit, sondern es ist durch seine Angst dazu gezwungen und als Erzwungenes ist die Anerkennung nicht echt. Man könnte gar noch strenger behaupten, dass das unterlegene Andere nun überhaupt kein Selbstbewusstsein mehr ist, weil es nicht (mehr) selbstbewusst handelt. Das Fehlen der Wahlfreiheit und der Möglichkeit zur freien Bejahung führt in der Situation der Unterwerfung regelrecht zu einer Selbstentfremdung. Das »eine [ist nun] das selbständige, welchem das Fürsichsein, die andere das unselbständige, dem das Leben oder das Sein für ein Anderes, das Wesen ist; jenes ist der Herr, dies der Knecht« (150). Das Herrschende ist nun darin bestimmt, dass es für-sich, selbständig ist, während das Beherrschte sein Wesen für ein Anderes hat, nämlich für das Herrschende.[12] Das Sein des Beherrschten besteht also im Sein für das Herrschende, es hat mit seinem Leben, die Leere des Herrschenden zu füllen. Diese Bewegung der Knechtschaft als ein Dasein für das Herrschende bestimmt sich schließlich im Akt der Arbeit – und so ist alles »was der Knecht tut, eigentlich Tun des Herrn« (152), sein Wille. Die Bestimmung der Arbeit als der unfreiwillige Einsatz der eigenen Kraft für das Sein eines Anderen beschreibt hier nicht nur ein soziologisches Prinzip von Herrschaft, sondern überhaupt jede herrschaftliche Beziehung im Sinne der Kausalität. Die Ursache beherrscht das Verursachte, indem sie dieses in eine bestimmte Richtung bewegt. Diese Bewegung ist die Kraft des Verursachten (seine erzwungene Tätigkeit = Arbeit), welches durch die Ursache bestimmt wurde. Das Wort ἀρχή (archê) meint daher in der altgriechischen Sprache Ursache und zugleich Herrschaft, sowie die ἀναρχία (anarchia) nicht nur die Herrschaftslosigkeit, sondern auch die Ursprungslosigkeit bezeichnet. Damit kommen wir nun zur Frage, wie angesichts der kritischen Situation der Herrschaft, welche, wie besprochen, mehrfache Aporien in sich birgt, das Ereignis der Befreiung geschehen kann. Gerade hierin scheint die Arbeit, bei aller repressiven Bestimmung, für Hegel auch den Ausweg aus dem Dilemma anzuzeigen (– wie später gerade bei Marx und in den unterschiedlichen Strömungen des Marxismus, wie auch des Anarchismus, dieser Ansatz die Grundlage einer emanzipatorischen Gesellschaftskritik bilden wird). Im Moment der Arbeit, sofern das Beherrschte sich dessen bewusst wird, geschieht nämlich ein Umschlag, eine grundsätzliche Umwertung und fundamentale Transformation der Situation. Wie ist dies zu verstehen? Hegel postuliert in diesem Zusammenhang vorerst, dass »der Herr mittelbar durch den Knecht [sich] auf das Ding« bezieht (151), d.h. das Herrschende sich überhaupt auf das Leben über die Tätigkeit des Beherrschten bezieht. Der Knecht ist es also, der das Wesen (aus)trägt, der dem Herren sein Leben besorgt. Und so hat der Herr keine unmittelbare Beziehung zum Sein, sondern das Leben ist ihm immer ein durch die Arbeit des Knechts vermitteltes. Die Existenz des Herrschenden hängt somit völlig vom Beherrschten ab – durch die lebenserhaltende Arbeit, von dem fundamental die Existenz des Herren abhängt, erscheint nun der Knecht in einem völlig anderen Licht, nämlich in Wirk-lichkeit als Herr des Herren. Doch insofern der Knecht sich dieser unmittelbaren Macht nicht bewusst geworden ist, bleibt er in der ständigen Überzeugung verhaftet, dass der Herr das eigentlich Selbständige und Freie darstelle; »im Herrn ist es [das Fürsichsein des Arbeitenden] ihm sein Gegenstand« (153). Selbst in diesem Bild von seinem Herren als den Freien setzt sich für den Knecht emanzipatorisches Potential frei, denn durch dieses Image motiviert möchte er ebenso befreit sein. Doch das Bild trifft keineswegs auf die Situation des Herren zu, denn sein Wesen bleibt wesentlich leer, unfrei und seine Existenz hängt weiterhin von der Arbeit ab, die er selbst nicht verrichtet. Sobald sich das Bild der Freiheit, repräsentiert durch die Vorstellung seines Herren, als ein Trugbild erweist, als eine falsche Freiheit, die im Grunde ebenso Unselbständigkeit bedeutet, steht der Knecht erneut vor der Entscheidung, entweder bleibt er in der Knechtschaft, in der erzwungenen Tätigkeit für seinen Herren, die ihn mit jedem Atemzug dem Tod eine Spur näher bringt oder die Sehnsucht der Befreiung, das Begehren nach echter Überwindung bleibt in ihm aufrecht und er wird sich schließlich seiner Macht über die Situation bewusst. Dabei zeigt sich, dass in der Sackgasse der herrschenden Situation die Möglichkeit einer Überwindung sich immer beim Beherrschten zu entscheiden hat. Beim Beherrschten, in seinem Dasein als Arbeit, entscheidet sich endgültig die Erhaltung oder der Abbruch der Situation/Ordnung. Seine Befreiung und Selbständigkeit bedeutet dabei ebenso die Befreiung und Selbständigkeit des (ehemals) Herrschenden, welches in seiner wesentlichen Untätigkeit auch unfähig war, etwas an der Misere zu ändern. Das (ehemals) Beherrschte befreit im Akt der Emanzipation nicht nur sich selbst, sondern eben die ganze Situation. Die Überwindung des Verhältnisses und der Ordnung, sofern sie tatsächlich Befreiung bedeuten soll, kann daher nicht in einer Umkehrung der Relation stattfinden, indem nun der Knecht die Macht ergreift und zum neuen Herren wird, und der ehemalige Herr nun zum neuen Knecht – dies würde eine Aufrechterhaltung der Struktur und somit der Problematik bedeuten. Eine echte Überwindung muss, jedenfalls für Hegel, die völlige Aufhebung der Situation bedeuten, eben im dreifachen Sinne, wie Hegel die Aufhebung versteht: 1. als Löschung, das Eliminieren des Herrschaftsverhältnisses, 2. die Erhöhung, das Hinaufheben beider Standpunkte in die Selbstständigkeit und schließlich 3. das Aufgehoben-sein beider in Einem. Dieses Eine, die Ein-heit bedeutet schließlich das Aufgehen des Partikulären in das Universale, das Ein-gehen des Selbstbewusstseins in das allgemeine Bewusstsein, des Einzelnen in die Gemeinschaft. Die Überwindung des Verhältnisses im Ankommen beider zu einem allgemeinen Dasein versöhnt somit den anfänglichen Streit, indem es den Willen des Einzelnen zu Gunsten der Universalität aufhebt, welcher »der allgemeine herrschende Wille Aller [ist] und ebenso ihr dienender Gehorsam« (356). »[D]ieser Begriff des aufgehobenen einzelnen Selbst, das absolutes Wesen ist, drückt daher unmittelbar die Konstituierung einer Gemeinde aus« (566). Es ist daher die Gemeinde, das Allgemeine der Gesellschaft, wo das vermeintlich Selbstständige zum tatsächlichen Stand kommt und so der Einzelne zu seinem »absoluten Wesen« findet, welches eben ein Allgemeines ist.[13] Die Gemeinschaft bringt dabei nicht nur die Anerkennung zur Befriedigung und Befreiung, sondern scheint selbst noch gegen jene knechtende Todesangst immun zu machen, die im anfänglichen Streit die Knechtschaft begründet hatte. Indem nämlich das eigene Dasein von der Gemeinschaft her gedacht und erlebt wird, im Bewusstsein der Zugehörigkeit zum Allgemeinen, stellt der Tod für den Einzelnen keine Bedrohung mehr dar, denn von der Geschichte der Gemeinschaft ist es hervor gekommen und in diese wird es eingehen – während sein eigentliches Dasein als Gemeinschaft die Geschichte seiner fortsetzt. Der Tod und die Todesangst haben nur für den Einzelnen, den Vereinzelten gegolten; als Gemeinschaft, in der es nun aufgehoben ist, bedeutet es eine ständige Reinkarnation im Allgemeinen. Der »Tod wird von dem, was er unmittelbar bedeutet, von dem Nichtsein dieses Einzelnen verklärt zur Allgemeinheit des Geistes, der in seiner Gemeinde lebt, in ihr täglich stirbt und aufersteht« (571). Die Befreiung in der Gemeinschaft begründet sich also für Hegel stets in einer transzendentalen Erfahrung, den er eben das allgemeine Bewusstsein oder den Geist nennt. »Dies Bewußtsein ist somit negativ gegen das Verhältnis der Herrschaft und Knechtschaft; sein Tun ist, in der Herrschaft nicht seine Wahrheit an dem Knechte zu haben, noch als Knecht seine Wahrheit an dem Willen des Herrn und an seinem Dienen, sondern wie auf dem Throne so in den Fesseln, in aller Abhängigkeit seines einzelnen Daseins frei zu sein« (157). Wie so oft erscheint bei Hegel die Bewegung seines dialektischen Denkens schlüssig, doch bedeutet dies keineswegs, dass der dialektisch gedachte Schluss mit der Lebenswelt, in der sich schlussendlich das Leben abspielt, übereinstimmen muss. Gerade wenn man dem dialektischen Denken folgen wollte, dürfte man beim zuletzt Gesagten nicht stehen bleiben und müsste den weiteren Fortgang dieser Geschichte beobachten, sich fragen, ob mit dem Auf- und Ein-gehen in die Allgemeinheit der Widerspruch, der Widerstreit, der Antagonismus tatsächlich aufgehoben ist oder ob es nicht vielmehr auf ein Weiteres vertagt wurde, indem wir es nun mit der Herrschaft eines Allgemeinen zu tun haben, das gerade in seiner Allgemeinheit völlig anonym, souverän und unantastbar wird. Scheint hier nicht die Herrschaft eines Allgemeinen gesetzt zu werden, eines »Herren der Welt« (358), dem sich alles Selbstbewusstsein (weiterhin) aus Angst ihrer Nichtigkeit zu unterwerfen hat und aus dieser Angst heraus gewillt ist, sich mit einem Kollektiv zu identifizieren? Es ist dies jedenfalls eine Kritik, die bereits unmittelbar im Anschluss an Hegel, von Max Stirner ausbuchstabiert wurde.[14] Stirner kann in der Durchsetzung des Allgemeinen keine Aufhebung der Herrschaft sehen, weder in einer transzendentalen Universalität, wie dem Geist, noch in einer substanziellen Allgemeinheit, wie etwa dem Staat. Im Gegenteil sei solch eine nivellierende Allgemeinheit gerade die Fortsetzung von Repressionsmechanismen, welche die Einzigartigkeit der Person, sowie ihre einzigartigen Begegnungen von vornherein unterdrücken will.[15] Die Rede ist bei Stirner von einer »Gefängnis-Gesellschaft«, die den unmittelbaren Verkehr der Einzelnen unter Strafe stellt, das Angesicht-zu-Angesicht verbietet. Stattdessen haben wir es immer mit allgemeinen Bildern der Gefängnis-Gesellschaft zu tun, die sich zwischen die Begegnung der Einzelnen schieben; wir betrachten stets diese allgemeinen Vorstellungen, während wir glauben unser Gegenüber zu erblicken, bei dem wir in Wirklichkeit nie ankommen (und vice versa). »Daß Wir gemeinschaftlich eine Arbeit verrichten, eine Maschine ziehen, überhaupt etwas ins Werk setzten, dafür sorgt ein Gefängnis wohl; aber das Ich vergesse, Ich sei ein Gefangener, und mit Dir, der gleichfalls davon absieht, einen Verkehr eingehe, das bringt dem Gefängnis Gefahr« (ebd. 240). Diese Polemik zwischen Max Stirner und dem (Links)Hegelianismus, der bekanntlich von Karl Marx in seiner Schrift »Die deutsche Ideologie« fortgesetzt wird, bildet im Grunde bis heute die andauernde Polemik zwischen dem (Staats)Kommunismus und dem Anarchismus; verkürzt gesagt jene Polemik, die darum streitet, ob die (soziale) Befreiung aus dem Herrschaftsverhältnis sich in der Aufhebung des Einzelnen zu Gunsten der Ermächtigung allgemeiner Strukturen und Zusammenhänge ereignet oder gerade durch die Bemächtigung des Einzelnen gegen eine Verallgemeinerung. Bei Hegel selbst – und damit sei ein vorläufiges Ende in dieser Abhandlung gesetzt – würde des Rätsels Lösung darin bestehen, dass man verstehe, d.h. in Erfahrung bringe, »dass das Ansichsein und das Für-ein-Anderes-Sein [im Grunde] dasselbe ist« (137). [1] Siehe u.a. meinen Artikel in den Grundrissen Ausgabe 31: »Žižek’s Versuch zur Wahrheit der Herrschaft«. [2] Eine bedeutsame Sekundärliteratur bleibt in diesem Zusammenhang: Alexandre Kojève: Hegel. Eine Vergegenwärtigung seines Denkens. Kommentar zur Phänomenologie des Geistes | Frankfurt: Suhrkamp | 1975 | erweiterte Neuausgabe 2005. [3] Alle Seitenzahlen ohne Abkürzung beziehen sich auf die Ausgabe: G. W. Friedrich Hegel: Phänomenologie des Geistes | 2. Auflage | Frankfurt: Suhrkamp | 1975. [4] U.a. heißt es bei Hegel: »Das Aufheben stellt eine wahrhafte gedoppelte Bedeutung dar […] es ist ein Negieren und ein Aufbewahren zugleich« (94). [5] Ob dabei die Einzelnen mit sich identisch sind oder nicht, spielt zunächst keine Rolle. [6] Hegel: »Die Ungleichheit, die im Bewußtsein [...] stattfindet, ist ihr Unterschied, das Negative überhaupt. Es kann als der Mangel [...] angesehen werden, ist aber ihre Seele oder das Bewegende derselben« (39). [7] »Das Selbstbewußtsein erreicht seine Befriedigung nur in einem anderen Selbstbewußtsein« (144). [8] Diese Begegnung meint dabei nicht unbedingt eine historische Begebenheit, zumal es auch dies meinen kann, sondern vielmehr stellt das kämpferische Zusammentreffen dieser beiden Selbstbewusstseine, wie im Folgenden beschrieben sein wird, eine Tiefenstruktur der (Herrschafts)Beziehung dar, aus der sie ständig entspringt und in diese sie ständig gegründet ist. Auch wenn die Betroffenen von diesem Kampf nichts (mehr) wissen, so scheint es Hegel wohl zu meinen, bestimmt diese Auseinandersetzung die innere Ordnung, in der sich die Betroffenen schließlich befinden (werden). [9] Das Szenario entscheidet sich für Hegel in einer äußersten Gewaltandrohung, vor dem das Beherrschte sich beugt, an dem es zerbricht: die Drohung des Mordes, dessen Bedrohung im Tod liegt. Es bleibt aus beidseitiger Sicht »lediglich« bei einer Drohung. Das Herrschende kann in Wirklichkeit nicht töten, weil es damit das vernichten würde, das ihn anerkennen, d.h. sein (angesichts der Fähigkeit zur Selbstsauslöschung) entleertes Wesen mit Sein füllen soll. Dazu später mehr. Anderseits muss es allein deswegen stets bei einer Drohung bleiben, weil das tatsächliche Eintreffen des Todes dermaßen radikal ist, dass es mit sich das Erleben selbst auslöscht. Die Angst des Beherrschten vor dem Tod ist also (wie Epikur meinen würde) gerade deswegen sinnlos, weil ein tatsächliches Eintreffen des Todes mit dem Leben ihm auch diese Angst nehmen würde. Es bleibt also so oder so »nur« bei einer Bedrohung, die hier jedoch entscheidend ist, eine gekonnte Einsetzung der Todesangst. Obwohl laut Hegel darin die Entscheidung liegt, scheint es dennoch nicht der eigentliche Grund zu sein, wieso der Beherrschte zum Beherrschten wird, sondern es scheint hier weiterhin der Willen zur Anerkennung die entscheidende Begründung der Situation zu sein. Das Beherrschte möchte weiterhin (nämlich vom Anfang bis zum Schluss der Begegnung) anerkannt sein, es ist davon getriebenen, d.h. eben auch, es möchte selbst Herr sein, doch zieht es in der Frage der Gewalt bzw. in der Frage des Vermögens der Gewaltandrohung den Kürzeren. Nur weil es immer noch Ja zu diesem Gesamtszenario sagt und weil es befürchtet, jenseits von diesem warte nur noch der Tod, das Nichts auf es, weil es sich nicht einfach wegdreht und die Bedingungen dieser Begegnung ablehnt, sondern in diesem Szenario gebannt bleibt, weiterhin um die Anerkennung des Anderen kämpft, muss es auch das Resultat, die Ordnung, die Herrschaft des Anderen anerkennen. Oder möchte Hegel sagen, dass das Beherrschte sowie das Herrschende (Herr und Knecht) sich nicht aussuchen konnten, ob sie in diesen Kampf gehen oder nicht? (Wenn dem so ist, dann könnte es übrigens auch genau so gut sein, dass das Beherrschte deswegen scheinbar »verloren« hat, weil es in dieser ausweglosen Situation, sich dafür entschieden hat, das Gegenüber nicht zu verletzen; d.h. nicht weil es Angst um seine Existenz hatte, sondern weil es das Gegenüber um keinen Preis verletzen, töten wollte, hat es die Niederlage in Kauf genommen.) Doch wenn dem so ist, dass es bei Hegel unbedingt zu diesem Szenario, zum Kampf kommen muss, dann ist die Herrschaft bereits stillschweigend vorausgesetzt: nämlich die Herrschaft des Kämpfenmüssens. Egal wer gewinnt, es wird diese Herrschaft (des Kampfes) gewinnen. Es handelt sich offenbar um eine Herrschaft der Herrschaft. [10] »[E]r ist diese Macht nur, indem er dem Negativen ins Angesicht schaut, bei ihm verweilt. Dieses Verweilen ist die Zauberkraft, die es in das Sein umkehrt« (36). [11] Es ist daher nicht zufällig, wenn Horkheimer und Adorno die Problematik dieser Angst an den Ursprung der Aufklärung setzen: »Seit je hat Aufklärung im umfassendsten Sinn fortschreitenden Denkens das Ziel verfolgt, von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen.« Auch hier wird die Angstfreiheit geradewegs mit der Fähigkeit gleichgesetzt, Herr zu sein. (Max Horheimer & Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung – Philosophische Fragmente | Frankfurt am Main.: Fischer | 2004 | S. 9.) [12] Mit anderen Worten: »Der Herr der Welt hat das wirkliche Bewußtsein dessen, was er ist, der allgemeinen Macht der Wirklichkeit, in der zerstörenden Gewalt, die er gegen das ihm gegenüberstehende Selbst seiner Untertanen ausübt« (358). [13] »[D]as Einzelne als solches ist wahr nur als allgemeine Vielheit der Einzelheiten; von dieser abgetrennt ist das einsame Selbst in der Tat das unwirkliche kraftlose Selbst.« (358) [14] Max Stirner: Der Einzige und sein Eigentum | Stuttgart: Reclam | 1972 | S. 239 ff. [15] »Als ob ein Verhältnis, welches Wir eingehen, nicht durch die Einzigkeit der Eingehenden selbst einzig wäre!« (ebd. S. 104) |
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