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Ann-Kristin Kowarsch: Frauenräte als Alternative zu Krieg, Vereinzelung und Männerherrschaft Der Frauenrat „Ischtar“ im Flüchtlingscamp Maxmur Mit dem Aufbau von Frauenräten versucht die kurdische Frauenbewegung an vielen Orten, Frauen aus allen Teilen der Gesellschaft basisdemokratisch zu organisieren. Ziel dieses Organisierungsansatzes, der sich auf die Prinzipien des Demokratischen Konföderalismus beruft, ist es, die Selbstbestimmung und den politischen Willen von Frauen zu stärken und den Aufbau einer demokratisch-ökologischen, geschlechterbefreiten Gesellschaft voranzutreiben. Auch im Flüchtlingscamp „Maxmur“ in Südkurdistan organisieren sich kurdische Frauen unter dem Dach eines Frauenrates autonom, um ein Leben in Frieden, Freiheit und Würde zu erreichen. Seit 18 Jahren sind sie Flüchtlinge im eigenen Land. Unter den Bedingungen von Krieg und wiederholter Vertreibung bauten sie sich Selbstverwaltungsstrukturen auf, mittels derer sie nun ihr Leben organisieren, ihren politischen Willen vertreten und patriarchale Herrschaft effektiv bekämpfen können. Der Frauenrat „Ischtar“, der nach der mesopotamischen Schutzgöttin Ischtar benannt wurde, stellt das verbindende Dach und gemeinsame Beschlussgremium aller Frauen und Fraueneinrichtungen im Flüchtlingscamp dar. Hierzu gehören u.a. die Frauenakademie, das Frauenzentrum, von Frauen organisierte Einrichtungen wie Kindergärten, das sozio-kulturelle Zentrum, die Frauenpresse, eine Schneiderei, ein Friseurladen oder die Gruppe der Friedensmütter. Aber auch die Frauenarbeit innerhalb der gemischten Strukturen wie beispielsweise im Volksrat, an den Schulen und im LehrerInnenverband, in der infrastrukturellen Campverwaltung, im Komitee für Angehörige von Gefallenen, in der Außenarbeit, im Volksgericht, in der Campsicherheit oder im Kultur- und Pressebereich fließt im Ischtar-Frauenrat zusammen und wird hier koordiniert. Das Hauptstandbein des Frauenrates sind jedoch die Frauenkomitees in den vier Stadtteilen des Camps. Sie organisieren täglich Hausbesuche und Solidarität unter den Frauen in der Nachbarschaft. Die Stadtteilkomitees geben Informationen weiter und unterstützen Frauen im Alltag sowie bei ökonomischen und psychologischen Problemen. Zumeist sind sie auch die ersten Ansprechpartnerinnen bei Fällen von Gewalt in der Familie, anstehenden Zwangsverheiratungen und anderen Formen patriarchaler Unterdrückung. In den Straßenzügen organisieren sie regelmäßige Frauenversammlungen und Bildungsarbeit an der Basis. Hier finden auch Diskussionen über lange Zeit tabuisierte Themen wie Sexualität, Frauenanatomie oder Empfängnisverhütung statt. Weiterhin wählt die Vereinigung der jungen Frauen auf ihren eigenen Versammlungen und Konferenzen wie zuletzt im Oktober 2010 ihre Vertreterinnen für den Frauenrat. Die jungen Frauen sind zugleich auch im Jugendrat von Maxmur vertreten. So können sie ihre spezifischen Bedürfnisse und Interessen formulieren und vertreten, denen häufig weder ihre Familien und die Gesellschaft noch die männlichen Jugendlichen Aufmerksamkeit schenken. In einem Gespräch berichteten drei Mitarbeiterinnen des Frauenrates, Şehnaz, Reyhan und Şevin, von ihrer Arbeit und den dabei erzielten Erfolgen. Şehnaz beschreibt die Struktur und Arbeitsweise des Frauenrates mit folgenden Worten: „Der Ischtar-Rat tagt alle 15 Tage. Alle Probleme von Frauen kommen hier auf die Tagesordnung. Wir diskutieren über Lösungen und fassen unsere Beschlüsse. Alle zwei Monate finden erweiterte Versammlungen statt. Daran beteiligen sich Frauen aus allen Stadtteilen und von allen Einrichtungen. Hier versuchen wir eine gemeinsame Frauenpolitik sowohl für die Belange von Frauen als auch für das gesamte Flüchtlingscamp zu gestalten. Alle 2 Jahre gıbt es eine generelle Frauenkonferenz. Davor wählen die Frauen innerhalb ihrer Straßenzüge ihre Delegiertinnen. Frauen können sich selbst oder andere Frauen aus ihrer Straße als Kandidatinnen vorschlagen. Auf der Konferenz werden dann die Arbeiten der vergangenen zwei Jahre bewertet. Es werden Kritiken und Selbstkritiken vorgebracht, Beschlüsse gefasst, Regeln für das Zusammenleben im Camp aufgestellt und die neuen Vertreterinnen des Ischtar-Rates gewählt. Innerhalb des Frauenrates wird dann eine Koordination gewählt, die die tägliche Arbeit und die Umsetzung der Konferenz- und Ratsbeschlüsse verfolgt.“ Zu der Rolle, die das Modell des Frauenrats für die Frauenorganiserung und die Einheit untereinander spielt, meint Şevin, die als Sprecherin des Frauenzentrums Maxmur in den Frauenrat gewählt wurde: „Der Frauenrat ist so etwas wie ein Dach, ein verbindendes Organ aller Fraueninstitutionen, aller Frauen im Flüchtlingscamp. Er sichert die Solidarität, die Ergänzung und gleichberechtigte Zusammenarbeit untereinander. Wenn Frauen vereinzelt und zersplittert sind, dann können sie nichts verändern. Dann vertraut auch die Bevölkerung der Frauenorganisierung nicht und nimmt sie nicht ernst. Durch unsere Einheit sind Vertrauen, Selbstvertrauen und Stärke unter Frauen gewachsen, so dass wir unsere Beschlüsse innerhalb des Camps durch- und umsetzen können.“ Darauf beschreibt Reyhan die Beziehungen zwischen dem Frauenrat und den gemischten Strukturen der Selbstverwaltung: „Unser Flüchtlingscamp ist insgesamt auf der Grundlage des Demokratischen Konföderalismus anhand von Volksräten organisiert. Der Ischtar-Frauenrat ist eine autonome Frauenorganisierung. Wir wählen unsere Vertreterinnen für den Volksrat selbst unter den Frauen. Im Volksrat gibt es eine Geschlechterquote von 40%, d.h. Frauen und Männer müssen in gemischten Strukturen zumindest jeweils zu 40% vertreten sein. Gäbe es diese Quote nicht, dann hätten Frauen zu Anfang kaum eine Chance gehabt. Denn die Gesellschaften des Mittleren Ostens sind immer noch patriarchale und sexistische Gesellschaften. Früher standen häufig nur Männernamen auf den Stimmzetteln. Doch heute zeigt sich auch im Wahlverhalten, dass sich Denken und Bewusstsein verändert haben. Dieses Jahr ist das erste Mal eine Frau zur Sprecherin des Volksrates gewählt worden. Frauen sind die treibende Kraft der Selbstverwaltungsstrukturen.“ Dem fügt Şevin hinzu: „Nicht organisiert zu sein, bedeutet, sich seinem Schicksal auszuliefern und in den Tag hinein zu leben. Dann werden Menschen beeinflussbar, verantwortungslos und gleichgültig. Wir arbeiten daran, Menschen zur kollektiven Verantwortungsübernahme zu bewegen. Dadurch gestalten wir unsere Beziehungen neu, entwickeln Solidarität und gegenseitigen Respekt. Wenn jemand einen Unfall gehabt hat oder jemand gestorben ist, dann ist die ganze Campbevölkerung auf den Beinen und besucht die betreffenden Familien. Freude und Schmerzen werden miteinander geteilt. Durch unser System wird Gewalt, Ungerechtigkeit und Ungleichheit vorgebeugt. Somit ist das System des Demokratischen Konföderalismus insbesondere zum Vorteil der Frauen, denn es lässt keinen Platz für Gewalt gegen Frauen. Die Fraueneinrichtungen sichern Solidarität unter Frauen, d.h. Frauen haben Strukturen, die ihnen dabei helfen, Gewalterfahrungen offen zu legen, ihren Alltag zu organisieren und ihren Schutz zu gewährleisten. Sie stehen in so einer Situation nicht alleine da. Viele Frauen sagen heute: 'Früher in unseren Dörfern wurden wir häufig geschlagen und wagten es zum Teil noch nicht einmal unseren eigenen Söhnen gegenüber den Mund auf zu machen. Aber jetzt ist es ganz anders.' Frauen bemerken selber ganz konkret, was sich in ihrem Leben verändert hat.“ Organisierte Kraft gegen patriarchale Gewalt Der Ischtar-Rat hat Regeln für das Zusammenleben aufgestellt. Es gibt einige Themen, die ganz klare Strafen mit sich bringen: Dazu gehören Gewalt gegen Frauen, Zwangsverheiratungen in jungem Alter oder Brautgeld. Die Strafen, die verhängt werden, sehen die Mitarbeiterinnen des Frauenrates als ein Mittel, um sexistische Praktiken gesellschaftlich zu ächten. Darüber werden gesellschaftliche Auseinandersetzungen und Veränderungsprozesse angeregt. Beschlüsse, die im Frauenrat gefasst werden, haben Gültigkeit. „Wenn jedoch unsere Beschlüsse auch Männer oder ganze Familien betreffen, dann versuchen wir, unsere Beschlüsse auch nochmal durch den Volksrat zu bringen. Denn wenn es ein genereller Beschluss ist, dann müssen sich auch alle Männer für dessen Umsetzung einsetzen. Das macht es dann einfacher, für diesen Beschluss Anerkennung in der Gesellschaft zu schaffen“, erklärt Şehnaz. Ergänzend erklärt Şevin die Strukturen, Sanktionen und Verfahrensweisen, die sie zur Bekämpfung patriarchaler Gewalt in der Familie aufgebaut haben: „Gefängnisse gibt es bei uns nicht. Es ist schon eine Strafe, wegen eines Vorfalles zur Campsicherheit gerufen zu werden. Das ist jedem unangenehm. Denn das bedeutet, dass der Vorfall öffentlich gemacht und er zur Rede gestellt wird. In schweren Fällen von Gewalt gegen Frauen sorgen wir dafür, dass ein gewalttätiger Mann zunächst für 15 Tage aus seiner Familie genommen und isoliert wird. Ihm wird der Grund für diesen Beschluss durch FreundInnen von der Campsicherheit erklärt, und er bekommt die Gelegenheit nachzudenken und ein paar Bücher zu lesen. Dann wird innerhalb von 15 Tagen das Gerichtsverfahren vorbereitet und der Bevölkerung Bescheid gegeben. Beim Verfahren muss sich der Mann mit den Kritiken der versammelten Bevölkerung auseinandersetzen. Er wird sich dadurch bewusst, dass er gegen die Ethik des Zusammenlebens verstoßen hat, dass sein Verhalten durch die Gesellschaft nicht akzeptiert wird. Er kann dann zu den Kritiken Position beziehen und abschließend werden Vorschläge zum weiteren Umgang mit ihm gemacht. Der Vorschlag, der Stimmmehrheit hat, ist als Gerichtsbeschluss gültig. Nach Ablauf einer bestimmten Zeit kann schuldigen Männern auch nochmal eine neue Chance geben werden. Wenn sie sich entschuldigen und dem Frauenrat gegenüber ihre Selbstkritik abgeben, entscheidet der Frauenrat gemeinsam mit der betroffenen Frau über den Antrag. Die letzte und höchste Strafe, die verhängt werden kann, ist der Ausschluss aus dem Camp. Bislang hat es 2-3 Vorfälle gegeben, bei denen Männer mit Beschluss des Volksgerichts aus dem Camp geworfen worden. Die von Gewalt betroffenen Frauen und Kinder leben hingegen weiterhin hier.“ Bewusstsein schafft organisierten Widerstand Trotz der schwereren Umstände und begrenzten Möglichkeiten, die ein Ergebnis des langjährigen andauernden Krieges, von Flucht und Vertreibung sind, ist vor allem im Bildungsbereich große Aufbauarbeit geleistet worden. Durch die Aneignung von Wissen ist insbesondere in der jungen Generation ein starkes politisches Bewusstsein und Selbstbewusstsein entstanden. Insbesondere ArbeiterInnen und StudentInnen hinterfragen den Widerspruch, mit dem sie zwischen den Angriffen des kapitalistischen System außerhalb und dem solidarischen Ansatz des Demokratischen Konföderalismus innerhalb des Camps konfrontiert sind. Daraus schlussfolgern sie die Notwendigkeit, sich zu organisieren. Deshalb haben sich Frauen, die außerhalb des Campes arbeiten, eigenständig im Komitee der Werktätigen organisiert. Der Ischtar-Rat unterstützt sie dabei, ihre Rechte und Sicherheit am Arbeitsplatz durchzusetzen. Wenn ihr Lohn nicht ausgezahlt wird, wenn die Arbeitszeiten nicht eingehalten werden oder sich andere an ihrer Arbeit bereichern, dann setzen sie sich dagegen organisiert zur Wehr – das hat Erfolg gezeigt. Beispielsweise wird bei den ArbeiterInnen aus Maxmur jetzt der 8 Stunden-Tag eingehalten, obwohl ansonsten im Irak bis zu 12 Arbeitsstunden pro Tag die Regel sind. Meiner Ansicht nach bietet das Modell der Frauenräte – auch über Kurdistan und den Irak hinaus - eine erfolgversprechende, lebendige Perspektive zum Aufbau kollektiver, feministischer Alternativen. November 2010 (Anmerkung: Eine gekürzte Fassung des Artikels ist als Erstveröffentlichung am 07.01.2011 in der Jungen Welt auf der Feminismus Seite erschienen. Die ungekürzte Fassung wird voraussichtlich auch in der aktuellen Ausgabe der Krampfader erscheinen.) |
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