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Das Ende der
Krise
Vorwort des ÜbersetzerInnenkollektivs
Wir veröffentlichen hier das Vorwort zum Buch „Die Krise denken.
Finanzmärkte, soziale Kämpfe und neue politische Szenarien“. Das Buch ist soeben
im Unrast Verlag erschienen.
„Aktien,
Anleihen, Rohstoffe – oder doch die Immobilie? Im Ausklang der schlimmsten
Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten sollten Anleger auch ihr Portfolio aufräumen“,
rät das zur Spiegel-Gruppe gehörende manager magazin seinem
geneigten Publikum Ende Juli 2010. Mit der Einschätzung, die Krise sei zu Ende,
steht das Wirtschaftsblatt indes nicht alleine da. Bürgerliche Medien versuchen
seit Monaten, das Ende der Krise herbeizufabulieren und von den Gipfeln wie aus
den Niederungen lächeln Regierung und die größeren Teile der Opposition
strahlend den kommenden blühenden Landschaften entgegen. Staatspleiten
(einstweilen) abgewendet, Banken gerettet, Ende gut – alles gut. Ganz anders
hingegen sieht die Situation für jene übergroße Mehrheit von Menschen aus, die –
allem Anschein nach – diese blühenden Landschaften eines künstlich am Leben
gehaltenen Neo-Keynesianischen-Neoliberalismus nicht zuletzt mit ihrem
Verzicht auf einst hart erkämpfte soziale Leistungen (Bildung, Gesundheit,
Rente) teuer werden bezahlen müssen …
In den nächsten
Wochen und Monaten wird sich zeigen, ob sich „die Leute“ die Abwälzung der
Krisenfolgen auf ihre Schultern gefallen lassen werden. Das Gegenteil jedenfalls
würden wir uns wünschen. Was aber hat das mit Theorie, mit Krisentheorie zu tun?
Und was hat uns – größtenteils prekär (Nicht-)Arbeitende – dazu getrieben, das
vorliegende Buch ins Deutsche zu übersetzen? Warum haben wir Stunden um Stunden
darauf verwandt, um der schier unüberschaubaren Zahl von Büchern über die Krise
ein weiteres hinzuzugesellen? In aller Kürze: Die Tatsache, dass im
deutschsprachigen Raum bislang kaum der postoperaistischen Strömung zurechenbare
Analysen der gegenwärtigen Krise verfügbar sind. Von Marx-Orthodoxie bis zu (neo)regulationstheoretischen
Ansätzen reicht die Bandbreite der in letzter Zeit erschienenen Bände, von mehr
oder weniger links-keynesianischen Texten ganz zu schweigen.
All diesen
Versuchen gemein ist allerdings eine Problematik, die uns letztlich zur
Übersetzung des vorliegenden Bandes bewogen hat: Sie versuchen, mit Werkzeugen,
die einem theoretischen Arsenal entnommen sind, dessen avanciertesten Punkt die
Analyse des Fordismus markiert, die erste große Krise des Postfordismus in den
Griff zu bekommen. Dies führt nicht nur zu unzureichenden analytischen
Ergebnissen, sondern auch zu Entwürfen politischer (oder auch ökonomischer)
Auswege aus der Krise, die jenen der 1970er, 1980er und 1990er Jahre – und
teilweise sogar weit davor – zum Verwechseln ähneln.
Die
postoperaistischen Zugänge zur Krise – und darunter fallen, im weitesten Sinne,
sämtliche Beiträge in diesem Band, dessen Konzeption auf ein Seminar zur Krise
des Netzwerks UniNomade zurückgeht – setzen sich von den vorgenannten unter
anderem durch folgende Schwerpunktsetzungen ab, die unserer Ansicht nach
unverzichtbare Bestandteile einer zeitgenössischen Kritik der politischen
Ökonomie darstellen:
1) wird nicht
versucht, die Finanzialisierung des globalen Kapitalismus in den traditionellen
(auch von den meisten marxistischen Ansätzen affirmierten) Kategorien zu
begreifen, vielmehr wird die Finanzakkumulation im Zusammenhang
postfordistischer Vergesellschaftungsformen interpretiert. Die aktuelle Krise
ist also die erste im Zeitalter der Hegemonie der immateriellen Arbeit und eine
adäquate Krisentheorie muss diesem Umstand Rechnung tragen. Die Beiträge zum
„Rente-Werden“ des Profits und zur Zentralität der Governance-Formen,
durch die der Krise (vergeblich) beizukommen versucht wird, können zudem als
implizite Kritik an Überakkumulations- bzw. Unterkonsumtionskrisentheorien
gelesen werden; denn
2) ist die Krise
nicht auf eine Eigenlogik einer anonym ablaufenden Kapitalakkumulation zu
reduzieren. In kritischer Beerbung des Operaismus wird der Anteil der mal
offenen, mal untergründigen sozialen Bewegungen und Kämpfe an der Krise wie an
möglichen Überwindungsperspektiven nicht als schieres Supplement, sondern als
Herzstück einer postfordistischen Krisentheorie vorgestellt. Das Verhalten der
Multitude fügt sich eben nicht in die anonymen Prozesse kapitalistischer
Verwertung, sondern bringt diese mitunter ziemlich ins Stocken. Dies verweist
wiederum auf die bereits angesprochene Hegemonie der immateriellen Arbeit, die
tendenziell auf einer Wiedergewinnung eines umfassenden produktiven Vermögens
beruht – in Anlehnung an Marx als „General Intellect“ bezeichnet. Die damit
einhergehende potenzielle Autonomie der ProduzentInnen gegenüber der
kapitalistischen Herrschaft im Produktionsprozess verweist schließlich auf einen
weiteren Aspekt, nämlich auf
3) die
Perspektive des Communen. Die postfordistische Produktion lässt sich
nicht auf eine von Waren und Dienstleistungen reduzieren, sie ist auch eine
direkte Produktion gesellschaftlicher Verhältnisse, eine Produktion von
Subjektivitäten und intersubjektiven Beziehungen selbst geworden. Die erwähnte
tendenzielle wie potenzielle Autonomie der Multitude gegenüber dem
kapitalistischen Kommando verstärkt sich in dieser Entwicklung. Die Produktion
des Gemeinsamen oder Communen eröffnet neue Perspektiven politischen
Handelns, um eben jener Transformation gerecht zu werden. Eine solche politische
Perspektive artikuliert beispielsweise die Forderung nach einem bedingungslosen
garantierten Grundeinkommen für alle, zum einen als Anerkennung der
biopolitischen Produktivität der Multitude und zum anderen als strategischer
Einsatz, der über die warenförmige Vergesellschaftung der Arbeit selbst
hinausweist, indem er das Recht auf Einkommen vom Zur-Verfügung-Stellen des
menschlichen Arbeitsvermögens um (fast) jeden Preis trennt. Doch der Begriff des
Communen zielt auf mehr, nämlich auf das Auffinden jener kommunistischen
Tendenz, die jenseits von Verstaatlichung und Keynesianismus Perspektiven einer
grundsätzlichen Überwindung des Kapitalismus eröffnet. Keineswegs erhebt der
vorliegende Band einen Anspruch auf Vollständigkeit, vielmehr werden erstmals
neue theoretische Zugänge eröffnet, nicht selten wird Neuland betreten. Einige
kritische Anmerkungen sollen dennoch kurz umreißen, welche politisch zentralen
Felder zukünftiger gesellschaftlicher Auseinandersetzungen im Rahmen einer
Weiterentwicklung postoperaistischer kritischer Theorie unbedingt angegangen
werden sollten:
Klimakrise &
gesellschaftliche Naturverhältnisse:
Die gegenwärtige Krise ist auch eine Krise gesellschaftlicher Naturverhältnisse.
Den Zusammenhängen zwischen Erderwärmung und kapitalistischer Vergesellschaftung
wird seit langem nachgegangen. Noch zu leisten wäre eine Verklammerung
krisentheoretischer und politisch-ökologischer Ansätze, die auch eine
Erweiterung der Dimension des Communen ermöglichen würden, wie dies zum
Beispiel in der Debatte um Commons geschieht, um Gemeingüter, soziale
Dienstleistungen und gemeinsame (Energie)Ressourcen, die zentrale Bestandteile
einer post-kapitalistischen Assoziationsweise sein werden.
Autonomie der
Migration: Die Krise ist
natürlich nicht ohne Einfluss auf die globalen Migrationsströme geblieben. Die
Mechanismen „selektiver Inklusion“ sind – nicht zuletzt angesichts steigender
Arbeitslosigkeit – rigider geworden. MigrantInnen, zumal illegalisierte,
bekommen die Auswirkungen der Krise doppelt und dreifach zu spüren. Dennoch ist
die „Autonomie der Migration“ nach wie vor präsent: Netzwerke und das kollektive
Wissen migrantischer Communities lassen es auch in Krisenzeiten nicht zu,
dass MigrantInnen zu Spielbällen politisch-ökonomischer Push- bzw.
Pull-Effekte werden. Obwohl postoperaistische TheoretikerInnen viel zur
Weiterentwicklung der Theorie der „Autonomie der Migration“ beigetragen haben
und noch immer beitragen, ist von einer Verknüpfung von Migrations- und
Krisentheorie bislang noch wenig zu merken.
Internationale Arbeitsteilung:
Die Verlagerung von großen Teilen der Produktion materieller Infrastruktur nach
China und generell nach Asien, und in welchem Verhältnis diese Verlagerung zur
These der Dominanz der immateriellen Arbeit steht, wird in den Beiträgen
lediglich am Rande thematisiert. Es stellt sich die Frage, wie das
„Rente-Werden“ des Profits mit diesen Verlagerungen im Zusammenhang steht und
wie diese mit jenen Produktionsketten zusammenhängen, bei denen die immaterielle
Arbeit des Marketings, der Werbung und der Aufbereitung des Marktes den größten
Teil des Marktpreises des verkauften Produktes ausmacht.
Unser vierter
und beileibe nicht unwichtigster Kritikpunkt betrifft das
Geschlechterverhältnis. Wie bereits unschwer aufgrund der
Geschlechterzusammensetzung der AutorInnen dieses Buches vermutet werden kann,
bleibt auch die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Aspekten geschlechtlicher
Arbeitsteilung und patriarchaler Governance – abgesehen von
Randbemerkungen bei einzelnen AutorInnen – schlicht defizitär: Dies drückt sich
zunächst einmal auf formaler Ebene durch die vorgeblich geschlechtsneutrale
(d.h. männliche) Schreibweise aus, die von uns jedoch in der Übersetzung
insofern „korrigiert“ wurde, als wir mehr oder weniger durchgängig die weibliche
Form (mit großem „I“) verwendet haben. An diese Stelle gehört auch unsere Kritik
daran, „klassische“ Begriffe linker Theorie, die aus dem 19. oder 20.
Jahrhundert stammen und die in anderer Hinsicht sehr wohl reflektiert und weiter
entwickelt werden, in der geschlechtsneutralen (d.h. männlichen) Form zu
tradieren und festzuschreiben, als hätte es nie Frauenbewegungen bzw. Feminismen
oder Theorien zur Feminisierung der Arbeit gegeben. Dies wird bei der
Übersetzungsarbeit, die eine sehr intensive Beschäftigung mit Texten darstellt,
bei bestimmten Begriffen besonders augenfällig. Als Beispiel nennen wir hier die
für die Produktion und Wiederaneignung des Communen zentrale Vorstellung
von den kollektiven Produktionen des Menschen durch den Menschen, eine
Formulierung, die im Italienischen „produzioni dell’uomo per l’uomo“ heißt. Da
im Italienischen, wie auch in anderen Sprachen, der Signifikant Mann identisch
mit dem Signifikanten Mensch ist, ruft dies – im Besonderen bei Übersetzerinnen
– ein starkes Gefühl der Auslöschung von Frauen hervor, zumal mit keiner Silbe
erwähnt wird, dass es sich hierbei um Tätigkeiten handelt (im
Gesundheitsbereich, in der Pflegearbeit, bei der Kinderbetreuung, im
Bildungssektor …), die zu einem nicht unbeträchtlichen Teil von Frauen
verrichtet werden. Ähnlich verhält es sich mit der vorgeblich
geschlechtsneutralen Darstellung des Dienstleistungssektors im Allgemeinen, der
paradigmatisch für die Auflösung der Trennung von Arbeitszeit und Freizeit, d.h.
für die Aneignung von nicht anerkannter Arbeit durch das Kapital ist.
In einem Text,
der jedoch nicht Teil des vorliegenden Buches ist, beschreibt die ebenfalls im
Netzwerk UniNomade aktive Arbeitssoziologin und Journalistin Cristina Morini
sehr prägnant die Feminisierung der Arbeit als Aspekt dieses – allzu häufig
verschleierten oder ausgeblendeten – Zusammenhanges der Geschlechterverhältnisse
und der Veränderungen des Kapitalismus:
„Berufstätigkeit bietet Frauen eine effektive Möglichkeit der Emanzipation
angesichts männlicher Unterdrückung, wenngleich innerhalb der Grenzen
hierarchischer Arbeitsorganisation. In Anbetracht des Niveaus verallgemeinerter
Prekarität, die sich in ein strukturelles Element des gegenwärtigen Kapitalismus
verwandelt hat, ist das ‚Frau-Werden der Arbeit‘ gleichbedeutend mit der
Feststellung, dass die Fragmentierung der Bereitschaft von Frauen, ‚zu Diensten
zu sein‘, und die Komplexität der Abhängigkeiten wie der Vereinnahmungen, die
Frauen zu verschiedenen Zeiten auf dem Arbeitsmarkt erlebt haben, letztendlich
zu einem allgemeinen, von Gender unabhängigen Paradigma geworden ist. In diesem
Sinn ließe sich behaupten, dass die Gestalt der sozialen Prekarität heute ‚Frau‘
ist: Im kognitiven Kapitalismus werden Prekarität, Mobilität und Fragmentierung
konstituierende Elemente der Arbeit aller, unabhängig von ihrem Geschlecht.“[2]
Unbeschadet
einer noch zu leistenden kritischen Erweiterung, wie wir sie an dieser Stelle
nur haben andeuten können, eröffnen die in diesem Band versammelten Beiträge der
linken Debatte neues Terrain. Dass eine breite und vielstimmige Diskussion
notwendig ist, ist offenkundig, dass in ihr die – bisher gerade im
deutschsprachigen Raum kaum zur Kenntnis genommenen –postoperaistischen Beiträge
zur Krisendiskussion Gehör finden, hoffen wir. Glauben freilich sollt Ihr den
Texten nicht, die Kritik bleibt auch weiterhin der Kopf der Leidenschaften, und
wenn die Eindimensionalität traditioneller Krisentheorie-Ansätze etwas
aufgelockert würde, hätte das Buch – fürs Erste, für uns – sein Ziel erreicht.
Ob und wie den Auswirkungen der Angriffe auf die Multitude der Singularitäten im
Rahmen staatlich-kapitalistischer Krisenüberwindung etwas entgegengesetzt werden
kann, wagen wir nicht vorherzusagen, die Besinnung auf die Waffen der Kritik
dürfte allerdings nicht die allerschlechteste Voraussetzung sein … Soviel – um
zur eingangs gestellten Frage zurückzukehren – hat der hoffentlich kommende
Widerstand also (zumindest für uns) mit Theorie zu tun.
Entstanden ist
das Projekt zur Übersetzung der vorliegenden Texte im Rahmen von Diskussionen
der Redaktion der grundrisse.zeitschrift für linke theorie & debatte (Wien) mit
GenossInnen in Frankfurt am Main und Bologna. Ohne diese intensive Kooperation
wäre der Band nicht zustande gekommen.
Thomas Atzert,
Martin Birkner, Bernhard Dorfer, Francois Naetar, Renate Nahar, Stefanie Weiss
Frankfurt a.M.,
Hegymagas und Wien, im Juli 2010
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