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Benjamin Opratko und Stefan Probst:
Äquivalenzketten und Überraschungseier. Die anhaltende Bedeutungslosigkeit der politischen Linken in Österreich hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass in verschiedenen Teilen derselben über die Notwendigkeit und (Un-)Möglichkeit neuer „Organisierung“ diskutiert wird.[1] Die Initiative zur „Superlinken“ steht in diesem Zusammenhang, will sie doch nicht weniger als einem Projekt mit klar antikapitalistischem Profil, das zur Umwerfung aller Verhältnisse, in denen der Mensch „ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“ (Marx) beitragen will, „gesellschaftliche Bedeutung“ zu verleihen (vgl. Superlinke 2010). Im Folgenden wollen wir einige grundlegende Überlegungen zu Zweck und Form linker Organisierung anstellen, zunächst recht allgemein, später deutlich konkreter und auf die aktuellen Herausforderungen für die (radikale) Linke in Österreich eingehend. Um etwaigen Missverständnissen vorzubeugen: Es handelt sich dabei nicht im engeren Sinne um eine Auseinandersetzung mit dem Projekt „Superlinke“ – einige der Schlussfolgerungen können aber auch als kritisch-solidarische Intervention in diesen spannenden politischen Prozess verstanden werden. Warum überhaupt organisieren? Vielleicht lohnt es, zunächst eine Frage zu stellen, von der man meinen könnte, man brauche sie gar nicht zu stellen, so selbstverständlich sei die Antwort. Sie lautet: Warum überhaupt (links) organisieren? Spontan wird repliziert werden: Weil wir alleine schwach und handlungsunfähig sind, weil wir gemeinsam unsere Fähigkeiten, in die Kämpfe und die Politik einzugreifen, potenzieren können. Das ist so sicherlich richtig, aber es ist nur ein Teil der Antwort, der nicht fürs Ganze genommen werden sollte. Fragen wir also genauer nach: Welchen Zweck hat linke „Organisierung“, welche Funktionen hat eine „Organisation“ (welcher Form auch immer) zu erfüllen? Drei Aspekte scheinen uns hier wichtig; sie lassen sich rund um die Begriffe „Verstetigung“, „Hegemonie“ und „Strategie“ verdeutlichen. 1. Verstetigung Wenn Marx und Engels im Manifest der Kommunistischen Partei schreiben, die bisherige Geschichte wäre eine Geschichte der Klassenkämpfe gewesen, haben sie damit nicht nur, und nicht in erster Linie, die aufeinander auf den Schlachtfeldern der Geschichte zustürmenden Massen gemeint, die sich im vermeintlich letzten Gefecht prügeln. Wenn wir in einer Klassengesellschaft leben, ist vielmehr immer Klassenkampf, weil immer über die Verteilung des erwirtschafteten Mehrprodukts und über die Organisierung des Arbeitsprozesses gestritten (oder verhandelt) werden muss. Mit zunehmender Komplexität gesellschaftlicher Organisation wird dieser Sachverhalt nicht weniger wahr, auch wenn der Klassenkampf oft – auch von den Kämpfenden selbst – nicht als solcher wahrgenommen wird. Was dagegen tatsächlich wahrgenommen wird, auf beiden Seiten der Macht, sind – auf dem alltäglichen Klassenkampf aufsetzende, aber nicht auf diesen reduzierbare – soziale Bewegungen, die sich rund um je spezifische Forderungen Gehör verschaffen, auf die Straße gehen, streiken, besetzen, schießen, BürgerInnenversammlungen gründen oder Petitionen auflegen.[2] Ein Spezifikum sozialer Bewegungen ist ihre besondere, von keiner Organisation oder Partei steuerbare Dynamik, das „Element der Masse“. Diese Dynamik lässt sich an praktisch allen nennenswerten, größeren und kleineren sozialen Bewegungen der älteren und jüngeren Vergangenheit nachzeichnen. Von Petrograd 1905 bis Seattle 1999, von Paris 1968 bis ins Wiener Audimax 2009 waren Bewegungen vom kreativen Chaos und dem überschießenden Moment kollektiver (Selbst-)Aktivierung angetrieben. Sie durchbrechen Routinen, verdichten die Zeit und schaffen dadurch historische Möglichkeitsfenster und politische Brüche, die über den Kapitalismus selbst hinaus weisen (vgl. Bensaid 2002: 87ff). Ein zweites, damit verbundenes Charakteristikum sozialer Bewegungen ist ihr spezifischer „Rhythmus“. Sie verlaufen in verhältnismäßig kurzen Konjunkturen, schwellen an, brechen aus und zerstreuen sich oft so schnell, wie sie entstanden sind. Nur selten haben organisatorische Strukturen, die direkt aus Bewegungen entstehen, länger Bestand. Mit dem Abschwung von Bewegungen ist im schlimmsten Fall die nachhaltige Demoralisierung und/oder politische Degeneration vieler ihrer AktivistInnen verbunden. Auch diese Dynamik ließe sich anhand zahlreicher vergangener Bewegungen illustrieren. Die Zerfallsprodukte der 1968er-Bewegung in Deutschland (von K-Sekten über die RAF bis zu den Grünen) sind ein besonders tragisches Beispiel; der cynical turn vieler Wiener Uni-AktivistInnen nach dem gescheiterten Widerstand gegen Schwarz-Blau und Studiengebühren Anfang der Nuller Jahre – ein wesentlicher Faktor bei der Entstehung der „antideutschen“ KulturkämpferInnen in Österreich – wäre ein jüngeres. Aus diesen Erfahrungen lässt sich eine erste Anforderung an linke Organisierung ableiten. Eine ihrer wichtigsten Funktionen wäre demnach, eine Verstetigung politischer Praxis und Debatte zu schaffen. Über die Bewegungszyklen hinaus sollen Räume (im metaphorischen wie wörtlichen Sinne) geschaffen und Zeit genommen werden, um grundlegende Fragen zu diskutieren, die über die tagesaktuellen Anforderungen der jeweiligen Kämpfe hinaus gehen. AktivistInnen organisieren sich nicht zuletzt, um sich selbst davor zu bewahren, von der manisch-depressiven Dynamik der Bewegungen ausgebrannt zu werden. Das bedeutet nicht, dass eine Organisation abseits der „wirklichen Bewegung“ werken sollte; im Gegenteil entstanden und entstehen viele produktive Organisierungsformen aus den Bewegungen selbst. Eine relative Eigenständigkeit ist jedoch unabdingbar, um diese Funktion der Verstetigung zu erfüllen. Schließlich geht es auch darum, Bewegungs-Erfahrungen zu ver-, sowie Theorie, Analyse, Einschätzung und Kritik politischer Verhältnisse kollektiv zu erarbeiten. Diese Funktion der Verstetigung politischer Aktivität ist logische Voraussetzung der anderen hier vorgestellten Anforderungen an politische Organisierung. 2. Hegemonie Wo immer in Europa in den letzten Jahren der alltägliche Klassenkampf in soziale Bewegungen übersetzt wurde, trat bald ein typisches Muster hervor. Eine Bevölkerungsgruppe wehrt sich mit Demonstrationen oder (in Österreich seltener) Streiks gegen drohendes Ungemach (z.B. Kündigungen oder Anhebung des Pensionsantrittsalters) oder bereits jetzt erbärmliche Zustände (z.B. Arbeitsbedingungen an den Universitäten oder in öffentlichen Krankenhäusern) in ihrem Arbeitsbereich. Im dominanten politischen Diskurs werden diese Kämpfe als Verteidigung von Partikularinteressen dargestellt, oft auch als ein Klammern an „Privilegien“, und diese Deutung wird von großen Teilen der subalternen Klassen übernommen. Weit entfernt davon, dass einzelne Kämpfe als Vorbild und Ermutigung für andere ArbeiterInnen wirken, wie das in Teilen der radikalen Linken stets erwartet/erhofft wird, setzt eine effektive Abgrenzung und Entsolidarisierung ein, die sich nicht nur auf die „Spaltungsmechanismen“ der Herrschenden reduzieren lässt. An den Streiks der LokführerInnen in Deutschland, jenen der Tube Workers in London oder beim Flughafenpersonal in Wien wurde dies zuletzt deutlich. Dass es dabei nicht um die tatsächlich privilegierte Stellung dieser Klassenfraktionen geht, zeigt die Tatsache, dass selbst protestierende Hartz-IV-EmpfängerInnen in Deutschland mit diesem Problem konfrontiert sind. Mit Antonio Gramsci ließe sich formulieren, dass es den Kämpfenden nicht gelingt, den Umkreis ihrer „korporativen“, also im engsten Sinne „ökonomischen“ Interessen zu überschreiten. Gramsci formulierte in den 1930er Jahren auf das Bürgertum bezogen, dass erst in jenem historischen Moment, in dem eine Klasse über ihre ökonomischen Interessen hinaus die konsensuale Einbindung anderer Gruppen und Klassen organisiert, von einer „politischen Phase“ im eigentlichen Sinne gesprochen werden kann (GH: 496). Die Kämpfe des Proletariats schaffen es demgegenüber zumeist nicht, diese politische Qualität zu erreichen, oder anders: hegemonial zu werden. Gramsci gibt aber auch Hinweise darauf, weshalb diese Erkenntnis nicht direkt auf die Frage der Organisierung der Subalternen umgelegt werden kann. Denn ArbeiterInnen sind strukturell nicht in der Lage, ihre Hegemonie in selber Form wie die Bourgeoisie zu organisieren – verstanden als konsensbasierte und kompromissvermittelte Machtausübung unter kapitalistischen Bedingungen. Der erste Grund liegt auf der Hand – da ArbeiterInnen nur über einen Bruchteil des (von ihnen) gesellschaftlich erarbeiteten Reichtums verfügen, sind ihren Möglichkeiten, materielle Zugeständnisse zu machen, enge Grenzen gesetzt. (In Gramscis Worten: „wenn die Hegemonie politisch-ethisch ist, dann kann sie nicht umhin, auch ökonomisch zu sein, kann nicht umhin, ihre materielle Grundlage in der entscheidenden Funktion zu haben, welche die führende Gruppe im entscheidenden Kernbereich der ökonomischen Aktivität ausübt.“, GH: 1567). Es gibt aber noch einen zweiten Gesichtspunkt, der mindestens so entscheidend ist. Hegemonie ist für Gramsci kein Effekt, der direkt aus der kapitalistischen Produktionsweise entspringt – etwa aus der Warenform oder aus dem Kommando des Kapitals im Arbeitsprozess. Der Kampf um den „Alltagsverstand“, um das Selbst- und Weltverständnis der Subalternen, wird von jenen geführt, die er „organische Intellektuelle“ nennt. Damit ist keine soziologische Kategorie gemeint, sondern eine gesellschaftliche Funktion, die von ganz unterschiedlichen AkteurInnen, ja bei genauem Hinsehen von allen AkteurInnen ausgeübt wird: die Funktion des Organisierens. Das Kapital, so Gramsci, „schafft mit sich den Techniker der Industrie, den Wissenschaftler der politischen Ökonomie, den Organisator einer neuen Kultur, eines neuen Rechts usw. usf.“ (GH: 1497). Die organischen Intellektuellen des Bürgertums werden also in wesentlichen Teilen in der Organisierung des Produktionsprozesses selbst hergestellt; Heerscharen von TechnikerInnen, VorarbeiterInnen, AufseherInnen, ManagerInnen, Unternehmens- und SteuerberaterInnen, Motivations-, Präsentations und Rhetorik-Coaches, ArchitektInnen u.v.m. organisieren seine Hegemonie. Im Gegensatz dazu muss die ArbeiterInnenklasse, die ihre eigene Produktionsweise nicht im Schoße der „alten“ Gesellschaftsordnung entwickeln kann, eigene Orte schaffen, um organische Intellektuelle auszubilden und in die hegemonialen Verhältnisse eingreifen zu können. Wiederum ist der oder die „Intellektuelle“ nicht als „Gelehrter“ gemeint, sondern als „Konstrukteur, Organisator, ‚dauerhaft Überzeugender’, weil nicht bloß Redner“ (GH: 1531f.). Dieser Ort war für Gramsci die moderne Massen-, d.h. Mitgliederpartei; ungeachtet der konkreten institutionellen Ausformung der „Organisierung“ bleibt seine zentrale Erkenntnis unseres Erachtens valide: die Ausgebeuteten und Unterdrückten müssen sich jenseits vom Staat und über den jeweiligen Arbeitsplatz hinaus organisieren, um in die hegemonialen Verhältnisse eingreifen zu können und selbst die Funktion organischer Intellektueller zu übernehmen. Dies ist die Voraussetzung dafür, dass die politischen und ideologischen Kräfteverhältnisse so verschoben werden können, dass (Klassen-)Kämpfe und soziale Bewegungen ihre Partikularität und Isoliertheit überwinden können. Ernesto Laclau und Chantal Mouffe (1991: Kap. 3) haben gezeigt, dass Hegemonie maßgeblich über die diskursive Produktion von „Äquivalenzketten“ organisiert wird.[3] Damit meinen sie, dass scheinbar selbstverständliche „Assoziationen“ im Alltagsverstand hergestellt werden, die sich gegen ein radikal anderes „Außen“ richten und unser Handeln anleiten. Um die oben angeführte Beobachtung aufzugreifen: Die „Äquivalenzkette“ Streik – Gruppenegoismus – Verteidigung von Privilegien erweist sich in den gegenwärtigen Auseinandersetzungen oft als hegemonial und verhindert Prozesse der Solidarisierung und der Verallgemeinerung sozialer Unruhe. Den Alltagsverstand als Terrain der politischen Auseinandersetzung zu erkennen und ernst zu nehmen, und zwar nicht im Sinne der Aufklärung tumber Massen, sondern durch das kollektive Streiten um Argumente und Sinnhorizonte, ist aus dieser Perspektive notwendiger Bestandteil jeder linken Organisierung. Sie muss darauf abzielen, alternative, solidarische Äquivalenzketten zu bilden und den politischen Charakter sozialer Bewegungen zu befördern. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Kämpfe ins Leere gehen oder von anderen AkteurInnen – wie aktuell der FPÖ und anderen Rechtsextremen – für deren politischen Projekte artikuliert werden. 3. Strategie Um die Verstetigung politischer Aktivität und die Herausbildung „organischer Intellektueller“ zu schaffen, muss Organisierung mehr sein als ein Forum von AktivistInnen zum Zweck des Ideenaustauschs. Wenn wir in die hegemonialen Verhältnisse eingreifen und diese verschieben, wenn wir gesellschaftliche Kämpfe befördern und unsere Analysen dem Test der Politik unterziehen wollen – kurz, wenn wir verhindern wollen, dass unsere Einsichten „Erbhof kleiner Intellektuellengruppen“ bleiben (GH: 1377) – müssen wir Formen der kollektiven, organisierten politischen Praxis entwickeln. Entscheidend ist also das, was in der Linken gerne als „Interventionsfähigkeit“ beschrieben wird. Und weil politische Intervention immer schon auf bestehende hegemoniale Verhältnisse, auf widersprüchliche Kämpfe und GegnerInnen trifft, geht es hier um strategisches Handeln. Eine organisierte Linke mit gesellschaftlicher Relevanz sollte in der Lage sein, an den sozialen Kämpfen, in denen sie sich engagiert, nicht nur aktivistisch teilzunehmen, sondern auch Deutungsangebote und Vorschläge zum strategischen Vorgehen zu machen. Diese Notwendigkeit ergibt sich schon allein aus der immer vorhandenen Widersprüchlichkeit sozialer Bewegungen. Nehmen wir noch einmal die unibrennt-Bewegung vom letzten Jahr als Beispiel. Sie war u.a. gekennzeichnet von einer relevanten Minderheit von AktivistInnen, die eine Position einnahm, die als „bildungschauvinistisch“ bezeichnet werden kann. Ihre Anliegen beschränkten sich auf die Ausfinanzierung der eigenen Studienplätze, die Demokratisierung der Hochschulen oder gar weiter reichende gesellschaftliche Forderungen wurden abgelehnt – bezeichnenderweise oft mit dem Argument, das würde die Bewegung „zu politisch“ machen. Antirassistische und feministische Interventionen wurden aus dieser Perspektive als unzulässige Verwässerung der eigenen universitätsspezifischen Forderungen kritisiert. Ein anderer Teil der Bewegung stellte den eigenen Kampf in einen größeren gesellschaftlichen Zusammenhang, formulierte dies aber weitgehend in Begriffen des Humboldt’schen Bildungsideals. Antikapitalistische Positionen waren in der unibrennt-Bewegung immer in der Minderheit. Das ist prinzipiell gut so – hätten wir bei der gegenwärtigen Stärke der Linken in Österreich die Mehrheit der Bewegung gestellt, wäre sie eine Randnotiz in der Kronenzeitung über einige hundert Chaoten geblieben. Das Problem war vielmehr, dass der inhaltliche und strategische Beitrag der Linken nur vereinzelt wahrnehmbar war und oft fragmentiert ausfiel. Ein größerer, gesellschaftlich relevanter Organisationszusammenhang der Linken hätte die Möglichkeit – und die Aufgabe – im Rahmen sozialer Bewegungen Deutungsangebote zu machen, die über enge Partikularinteressen hinaus weisen, Zusammenhänge zwischen konkret erlebten Angriffen und der gegenwärtigen Form des kapitalistischen Systems aufzuzeigen und konkrete strategische Vorschläge zum weiteren Vorgehen der Bewegung zu unterbreiten. Das bedeutet, mehr zu sein als ein Diskussionsforum von BewegungsaktivistInnen; es bedeutet aber auch, etwas anderes zu sein als die Repräsentationsform angeblicher Interessen einer Klasse oder Gruppe, nämlich: ein organisatorischer Zusammenschluss auf Basis grundlegend geteilter politischer Ziele und Einschätzungen, in dem nach „innen“ wie nach „außen“ um eben diese Ziele und Einschätzungen permanent gestritten wird. Die Interessen liegen demnach nicht außerhalb der politischen Kämpfe sondern werden im Prozess der Organisierung entwickelt und formiert (vgl. Chodos/Hay 1998: 33). Strategisches Vorgehen bedeutet darüber hinaus, dass die „relative Autonomie“ der Politik von unten, d.h. die „kreative“ Dimension von politischem Handeln anerkannt wird (vgl. Opratko 2008). Form follows function? Diese recht abstrakten Überlegungen zu Zweck und Funktion linker Organisierung lassen sich nicht einfach auf die aktuellen Debatten über mögliche neue Polit-Projekte in Österreich übertragen. Denn aus diesen allgemeinen Anforderungen allein folgt zunächst noch nicht viel, und am allerwenigsten die konkret angemessene Organisationsform. In diesem Fall folgt die Form nämlich nicht der Funktion, und die Verwechslung der beiden Dimensionen hat noch stets zu dogmatischen Fehlschlüssen geführt. Von der jeweils „richtigen“ Interpretation des Demokratischen Zentralismus über Basis- und Anwesenheitsdemokratien bis zum Geheimbund lässt sich eine Linie der Orthodoxie ziehen, die meint, aus den allgemeinen Anforderungen politischer Organisierung die konkrete Organisationsform ableiten zu können und in der die Form zum Fetisch gemacht wird. Dagegen würden wir argumentieren, dass die konkrete Organisierungsform immer eine Frage der (Einschätzung der) aktuellen Kräfteverhältnisse ist. Wie offen und in welcher Form werden Klassenkämpfe ausgetragen? Wie verändert sich die „Klassenzusammensetzung“ im technischen wie im politischen Sinne? Wie werden die „hegemonialen Verhältnisse“ eingeschätzt, d.h. wie stabil ist der Konsens und wie effektiv sind die Kompromisse, durch die die Herrschenden ihre „führende“ Rolle einnehmen? Welche Strategien verfolgen die dominanten Fraktionen des „Blocks an der Macht“? Ist z.B. der Faschismus eine realistische Option relevanter Kräfte (vgl. Poulantzas 1973)? Usw. Bevor wir abschließend einige Überlegungen anstellen wollen, welche Organisierungsform unseres Erachtens beim gegenwärtigen Stand der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse möglich und notwendig wäre, kehren wir noch einmal zu den „Funktionsanforderungen“ zurück. Denn auch wenn sich die Organisationsform nicht aus ihnen ableiten lässt, so schließen sie doch einige Organisationsmodelle aus. Das betrifft erstens und offensichtlich all jene Projekte, die mangels struktureller Beständigkeit die Funktion der Verstetigung über Bewegungszyklen hinaus nicht leisten können. Das betrifft etwa anlassbezogene Aktions- und Arbeitsgruppen, aber auch große Bewegungsplena (wie jene im Audimax 2009). Weiters ist ein Mindestmaß an Verbindlichkeit notwendig, um die Interventions- und Strategiefähigkeit zu gewährleisten; das bedeutet auch, dass Modi der Entscheidungsfindung und der gemeinsamen Durchführung des Beschlossenen gefunden werden müssen. Einen losen Zusammenschluss autonom agierender „Komitees“ o.ä. halten wir nicht für eine politische Organisation im oben beschriebenen Sinne. Drittens – und vielleicht am wichtigsten – muss die Form der Organisierung auch in Rechnung stellen, wie eine politische Kultur geschaffen werden kann, in der die Organisation als „demokratischer Wissensapparat“ funktionieren kann. Das bedeutet, Bedingungen für eine lebendige, streitbare Debattenkultur zu organisieren, die nicht bürokratischer Logik und/oder den ewig wahren Worten der jeweiligen Polit-Heiligen unterworfen, und Dissens zu ermöglichen, der nicht automatisch im Register des Verrats verhandelt wird. Nicht zuletzt heißt das auch, maskulinistische Verhaltensweisen zu problematisieren und ihnen entgegen zu wirken. Hier kann aus einer langen Geschichte des Scheiterns linker Aufbaukonzepte gelernt werden. Wie schaut’s aus im Schneckenhaus? Eine Analyse der Kräfteverhältnisse in Österreich kann an dieser Stelle nicht einmal begonnen werden. Wir beschränken uns deshalb hier auf einige Kennzeichen, die unserer Meinung nach die gegenwärtige politische Situation charakterisieren. 1. In wesentlichen Fragen haben sich die hegemonialen Verhältnisse während der letzten Jahre, vorsichtig formuliert, zu Ungunsten des Sozialismus verschoben. Die Anzeichen dafür sind unübersehbar und werden regelmäßig von (prinzipiell problematischen, aber zumindest grobe Tendenzen anzeigenden) Meinungsumfragen wie von Wahlergebnissen unterstrichen. Hier seien nur einige, wahllos herausgegriffene Beispiele erwähnt: Laut OGM-Umfrage unterstützen 76 Prozent der Befragten die Forderung nach Zwangsarbeit für MindestsicherungsempfängerInnen[4]; BefürworterInnen von Studiengebühren wissen eine satte (und seit 2000 stetig wachsende) Mehrheit der ÖsterreicherInnen hinter sich; rassistische Einstellungen, insbesondere solche, die sich gegen MuslimInnen richten, werden in allen etablierten Medien und von VertreterInnen aller im Parlament vertretenen Parteien artikuliert. Und nicht zuletzt verhindert die massive Entsolidarisierung, die oben angesprochen wurde, eine Verbreiterung und Dynamisierung von sozialen Kämpfen. Grundlage dieser hegemonialen Verhältnisse ist jedoch, so unsere Einschätzung, oft kein „aktiver Konsens“, der die Subalternen an die politischen Projekte der Herrschenden binden würde, sondern in weiten Teilen ein „post-politisches“ Abfinden mit der schlechten Gegenwart und ein damit verbundener Rückzug auf die unmittelbarsten eigenen – oft ständisch artikulierten – Interessen. Der zentrale ideologische Mechanismus der Passivierung ist dabei die technokratische Logik des Sachzwangs. 2. Die SPÖ wurde, im Gleichschritt mit ihren europäischen Schwestern, grundlegend und nachhaltig zu einer neoliberalen Partei transformiert (vgl. Opratko 2007). Damit hat sich die Sozialdemokratie in Österreich, das muss in dieser Deutlichkeit begriffen werden, als politische Kraft abgeschafft; es gibt in Österreich keine sozialdemokratische, im Sinne einer linksreformerischen Partei. Dies hängt mit einer zentralen Strukturdynamik der österreichischen (und europäischen) Klassenverhältnisse der letzten Jahrzehnte zusammen: der Repräsentationskrise der ArbeiterInnenklasse. Einerseits erodiert die traditionelle soziale Basis der mehrheitlich männlichen, weißen Vollzeitbeschäftigten der verarbeitenden Industrie, zugleich entstehen im Zuge der Neuzusammensetzung der ArbeiterInnenklasse überwiegend migrantische, weibliche und prekarisierte Milieus, die dem kulturellen und politischen Zugriff der Sozialdemokratie weitestgehend entzogen sind. Jedoch ist ebenso wichtig, dass der historisch-kulturelle und institutionelle Überhang der ArbeiterInnenbewegung damit nicht ausgelöscht wurde. Die SPÖ ist eine neoliberale Partei besonderen Typs, vor allem weil über Betriebsräte, Gewerkschaften, Jugend- und einige Teilorganisationen weiterhin große Teile des organisierten Proletariats und ihm verbundene organische Intellektuelle an sie gebunden sind. Diese Einschätzung ist auch dann richtig, wenn der Modus dieser Bindung oft jener des Zynismus ist. Daraus folgt auch, dass sie von spezifischen Widersprüchen durchzogen ist. 3. Die einzige politische Kraft, der es aktuell gelingt, Verunsicherung, Prekarisierung und Krisenangst in einem politischen Projekt zu artikulieren, ist die FPÖ. Ihr Projekt der „sozialen Heimatpartei“ dockt offensichtlich erfolgreich am Alltagsverstand wesentlicher Teile der Subalternen an; darüber hinaus ist es ihr gelungen, die hegemonialen Verhältnisse über einen langen Zeitraum zu Gunsten rassistischer und autoritär-populistischer Positionen zu verschieben. Von permanenten Verschärfungen der Asylgesetze über Islamophobie und „Integrationsdebatte“ bis zur Normalisierung post-nazistischer Zustände[5] (vgl. Fuchs/Wiegand 2008, Schlitz/Wiegand 2010). Zwar besteht aktuell keine unmittelbare Gefahr einer faschistischen Machtergreifung, jedoch müssen wir uns auf das Szenario einer Parteienlandschaft mit der FPÖ als rechtsextremer Volkspartei einstellen. 4. Es ist beileibe nicht so, als würde das Proletariat in den Startlöchern scharren und bloß darauf warten, dass die neue revolutionäre ArbeiterInnenpartei sie zum Kommunismus führt. Aber: Unmut über die Unzumutbarkeiten des neoliberalen Kapitalismus ist durchaus vorhanden, auch wenn er post-politisch zugedeckt wird oder sich nur individualisiert – als Wut, Ohnmachtsgefühl, Burnout, Eskapismus – Bahn bricht. Die teilweise überraschend breite Unterstützung für die Bildungsproteste oder auch den „Kindergartenaufstand“ im letzten Jahr waren auch dafür ein Indikator. Öffentlichkeitswirksam artikuliert wird er jedoch – wenn nicht grad eine riesige soziale Bewegung das erledigt – nur von der extremen Rechten. Die Krise – und die Form der Krisenbearbeitung durch die regierenden Parteien – hat das noch verstärkt. Die dominante Wahrnehmung der politischen Klasse als korrupter, selbstgefälliger Haufen, der den Banken Geld in den Arsch schiebt und die „kleinen Leute“ schröpft, hilft aktuell nur der FPÖ. „Neue Linke“ Die Selbstauflösung der Sozialdemokratie hat in verschiedenen Ländern Europas Partei- und Bündnisprojekte der „Neuen Linken“ befördert, die die leere Diskursposition einer anti-neoliberalen, nicht-nationalistischen Perspektive einnimmt. Die meisten dieser Organisationen können programmatisch und personell im Wesentlichen als links-reformistische Projekte charakterisiert werden, die sich von einer einfachen Neuauflage der Sozialdemokratie aber insofern unterscheiden, als sie wesentlich offener für radikalere Positionen sind. In allen Fällen existieren, teilweise starke, revolutionäre und antikapitalistische Strömungen innerhalb der „Neuen Linken“ – so etwa in der deutschen Linkspartei, dem Linksblock in Portugal oder der Sozialistischen Partei in Holland. In anderen Ländern mit stärkeren linksradikalen Traditionen und Strukturen, haben ähnliche Organisationsformen ein weit schärferes politisches Profil. Dies betrifft etwa die NPA in Frankreich oder das Bündnis SYRIZA in Griechenland. Wo erfolgreich, können solche Projekte ein progressives Bündnis organisieren und attraktiv sein für das „neue“, stark flexibilisierte Proletariat (meist in den Bereichen der „Neuen Dienstleistungen“, geprägt von Kopf- und Projektarbeit, bedeutenden „affektiven“ Dimensionen...), Teile des enttäuschten, von der „Repräsentationskrise“ besonders betroffenen (und stark gewerkschaftlich organisierten) Industrieproletariats und der immer stärker disziplinierten (post-)industriellen Reservearmee. Im besten Fall funktionieren diese Organisationen als struktureller Unterbau und Unterstützung für verschiedene soziale Bewegungen. Um es klar auszusprechen: Diese Entwicklungen sind, trotz aller Widersprüche, Probleme und Rückschläge, die mit dem Aufbau von „breiten“ linken Organisationsprojekten notwendig einhergehen, unserer Einschätzung nach nicht hoch genug zu schätzen. Um gesellschaftliche Relevanz zu erringen, sollte dies die mittelfristige Perspektive unserer Anstrengungen auch in Österreich sein. Dies aus zwei Gründen: Erstens verschiebt es die hegemonialen Kräfteverhältnisse nach links. Die „leere Diskursposition“ einer anti-neoliberalen, internationalistischen Linken zu füllen würde bedeuten, dem post-politischen Gerede von ökonomischen „Sachzwängen“, den Litaneien bürgerlicher „ExpertInnen“, dem rassistischen Konsens öffentlichkeitswirksam Argumente entgegen zu halten. Wie notwendig das ist, zeigt das abendliche Zappen zwischen Polit-Talkshows im deutschen und im österreichischen Fernsehen. Der Vergleich macht sicher: Indem linke Positionen zu tagesaktuellen politischen Themen – wenn auch marginalisiert – überhaupt wahrnehmbar gemacht werden, können die Artikulationsketten des Neoliberalismus angegriffen und in die hegemonialen Verhältnisse interveniert werden. Zweitens eröffnet ein gesellschaftlich relevantes reformistisches Projekt auch der radikalen, antikapitalistischen Linken einen neuen Resonanzraum. Sowohl im weiten Sinne, weil das Terrain des Sagbaren verschoben wird und Argumente für den Sozialismus nicht mehr ausschließlich als individuelle Schrulle extremistischer UtopistInnen wahrgenommen werden; aber auch in Form der Organisation selbst, in der um antikapitalistische und revolutionäre Perspektiven gerungen werden kann. Wenn wir diese Überlegungen mit der aktuellen politischen Situation in Österreich konfrontieren, stoßen wir schnell auf ein zentrales Problem. Ein genauerer Blick auf Organisationen der Neuen Linken in Europa und darüber hinaus zeigt, dass zwei notwendige (wenn auch nicht hinreichende) „institutionelle“ Faktoren gegeben sein müssen, damit diese sich etablieren können. Erstens sind solche Projekte auf bereits bestehende politische Strukturen angewiesen, die Ressourcen, AktivistInnen, öffentliche Aufmerksamkeit, politische Erfahrung etc. einbringen. Denn entscheidend scheint zu sein, ob eine kritische Schwelle überschritten und das Projekt von potentiellen SympathisantInnen nicht von vornherein als völlig chancenlos eingeschätzt wird. Dieses Problem wird bei Wahlen am deutlichsten: Die Fünf-Prozent-Hürde lässt Stimmen für eine linke Alternative schnell als „verloren“ aussehen. Diese bestehende Struktur kann eine „alt-Linke“ Partei sein, die sich von innen transformiert, wie die ehemals maoistische SP in Holland oder die trotzkistische LCR in Frankreich, die sich in der Neuen Antikapitalistischen Partei aufgelöst hat; oder eine relevante linke Abspaltung sozialdemokratischer und besonders gewerkschaftlicher Kräfte, wie die WASG in Westdeutschland; oder eine Kombination aus beidem, wie das Beispiel der Linkspartei zeigt, die aus dem Zusammenschluss und der Transformation von PDS und WASG entstand. Zweitens muss diese „alte“ Organisation sich so transformieren, auflösen oder gegebenenfalls spalten, dass mit anderen, kleineren Kräften und Einzelpersonen zusammen ein Projekt gestartet werden kann, das als tatsächlich neue politische Kraft wahrgenommen wird. Das bedeutet einen Bruch mit eingeschliffenen und institutionalisierten Organisationskulturen, die Transformierung von formalen Strukturen und statutarischen Verfahren und, insbesondere, eine inhaltliche Öffnung. Solche Umgruppierungsprozesse auf der Linken können nicht bloß Ergebnis von Anstrengungen seitens der organisierten radikalen Linken selbst sein. Wiederum zeigen die Erfahrungen der letzten Jahre, dass sie stets vom Aufschwung breiter sozialer Bewegungen und Kämpfen angestoßen werden (wie die Proteste gegen Hartz IV in Deutschland oder die Nein-Kampagne der französischen Linken beim EU-Verfassungsreferendum). Das offensichtliche Problem ist nun: In Österreich existiert zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine organisatorische Struktur, die als Fokuspunkt für Neuformierungsprozesse der Linken fungieren könnte. Im Fall der (mehr oder weniger) radikalen Linken scheint uns das überdeutlich zu sein. Die KPÖ sitzt der Schreck über den Sturz der stalinistischen Regime immer noch in den Knochen. Sie befindet sich seit 20 Jahren in einer Art Schockstarre und scheint (aus mehreren Gründen, auf die wir an dieser Stelle nicht weiter eingehen können) substanzielle Desintegrationsprozesse zu durchlaufen.[6] Die trotzkistische Linke – ihre Namen sind Legion – läuft sich mehrheitlich in der ungleichen und kombinierten Entwicklung permanenter Parteiaufbaukonzepte tot. Auf der (post-)autonomen Linken verhindern Szeneorientierung und prinzipielle „Institutionenfeindlichkeit“ entsprechende Entwicklungen (vgl. den Beitrag von Robert Foltin in diesem Heft) – auch wenn festgehalten werden kann, dass (post-)autonome Zusammenhänge einen wichtigen Beitrag zum aktuellen kleinen Aufschwung von migrations- und stadtteilpolitischen Kämpfen leisten. Auf sozialdemokratischer Seite stellt sich die Situation unserer Einschätzung nach so dar: Genuin linksreformistische Kräfte sind in der SPÖ zwar nicht ausge- bzw. verstorben, aber fast. Es existieren in sozialdemokratischen Jugendorganisationen (SJ, VSSTÖ, aks) relevante linke Kräfte, an deren Rändern auch ernsthaft über eine politisch-organisatorische Perspektive jenseits – und links – von der SPÖ diskutiert wird (wie die Gründung der Initiative „marxist.in“ erst kürzlich illustriert hat). Unmut existiert zweifellos in den Gewerkschaften. Auf mittlerer und höherer Funktionärsebene ist eine Orientierung nach links aber nicht wahrzunehmen. Latent klassenkämpferischen sozialdemokratischen GewerkschafterInnen müsste erst eine glaubwürdige politische Alternative angeboten werden, damit sie ein Leben außerhalb der SPÖ in Erwägung ziehen könnten. Hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Zugespitzt formuliert lautet unser Zwischenfazit aus diesen Beobachtungen: Wir sind davon überzeugt, dass eine Neue Linke in Österreich nur gemeinsam mit relevanten Teilen von sich nach links orientierenden sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Kräften organisiert werden kann. Wir sehen keine andere politische Struktur, die die notwendige Basis für diese Neuformierung darstellen könnte. Die antikapitalistische Linke wird ihre gesellschaftliche Irrelevanz nur im Rahmen eines solch breiten, anti-neoliberalen Projekts überwinden können. Zugleich ist ein substanzieller Bruch in der Sozialdemokratie in Österreich in nächster Zukunft nicht zu erwarten. Was also tun? Tanz der Moleküle Der Versuch, unter den gegenwärtigen Kräfteverhältnissen in Österreich aus der marginalisierten und fragmentierten antikapitalistischen Linken heraus ein neues Organisierungsprojekt mit Anspruch auf „gesellschaftliche Relevanz“ zu starten, scheint uns aus den angeführten Gründen wenig Erfolg versprechend. Zugleich sollte aus der Diskussion zum grundlegenden Zweck politischer Organisierung klar geworden sein, dass die aktuell existierenden Gruppen und Initiativen der radikalen Linken diese notwendigen Funktionen nicht erfüllen, und in dieser Form auch nicht erfüllen können.[7] Unsere Analyse soll also nicht dazu verleiten, einer Strategie des business as usual das Wort zu reden. Auch wenn es wohl erst eines bedeutenden Aufschwungs sozialer Kämpfe bedürfen wird, um die verkrusteten Verhältnisse in der österreichischen Linken zum Tanzen zu bringen, können wir darauf Einfluss nehmen, wie kommende Umgruppierungsprozesse gestaltet werden. Drei Punkte hierzu. 1. Alle in diesem Beitrag vorgestellten Überlegungen zu Zweck und Form politischer Organisierung setzen voraus, dass ProtagonistInnen der Linken – in welcher Form auch immer „organisiert“ (oder nicht) – sich als aktiver Teil sozialer Bewegungen und Kämpfe verstehen und verhalten. Wenn wir in der unibrennt-Bewegung, in Anti-Abschiebungs-Kampagnen gegen oder in den Protesten gegen das Sparpaket agieren, sollten wir die Debatten in diesen Zusammenhängen nutzen, um die Frage nach der Möglichkeit und Notwendigkeit weitergehender politische Organisierung aufzuwerfen. Nicht im Sinne eines instrumentalistischen Verhältnisses, um die AktivistInnen aus den Bewegungen zu evakuieren und der „wirklich wichtigen“ Aufgabe des Parteiaufbaus zuzuführen, sondern als offene Frage formuliert: Sind wir uns einig, dass politische Verstetigung und strategische Intervention uns auch in unseren konkreten Anliegen vorwärts bringen würden? Und wenn ja, wie können wir diesem Ziel näher kommen? Auch wenn wir keine neue Linke aus dem Boden stampfen können, können wir doch eine Debatte um die Frage linker Organisierung anstoßen. 2. Unsere Kritik an Versuchen, eine gesellschaftlich relevante Neue Linke allein auf Basis der Zusammenführung bestehender linksradikaler Gruppen zu installieren, ist nicht gleichbedeutend mit einer Geringschätzung von Versuchen, kontinuierlicheren und intensiveren Austausch zwischen verschiedenen Spektren der antikapitalistischen Linken zu organisieren. Im Gegenteil: Wir sollten uns bemühen, den Austausch und die Zusammenarbeit zu verstetigen – nicht als Selbstzweck, sondern um auszutesten, inwieweit gemeinsam Analysen aktueller Ereignisse formuliert, politische Situationen eingeschätzt und strategische Vorschläge ausgearbeitet werden können. Oftmals wird das nicht gelingen, und vorhandene politische Differenzen hinter hohlen Kompromissformeln zu verbergen würde bedeuten, der Sache des Sozialismus einen Bärendienst zu erweisen. Aber im besten Fall kann kontinuierlicher Austausch dazu führen, dass eine gemeinsame Sprache entwickelt werden kann, in der politische Differenzen auf solidarische Weise verhandelt werden können. Das Einüben solcher Diskussionspraxen und eines geteilten politischen Vokabulars kann sich in den kommenden Reorganisierungsprozessen als überaus nützlich erweisen. Dafür ist es jedoch unabdingbar, dass in den gemeinsamen Debatten formale Fragen der Organisierung hinter die Behandlung aktueller politischer Herausforderungen zurück gestellt werden. 3. Im inhaltlichen Austausch innerhalb der antikapitalistischen Linken sollte die Frage behandelt werden, wie Forderungen formuliert werden können, die (a) einen Bezug zu gegenwärtig ausgefochtenen Kämpfen und existierenden sozialen Bewegungen herstellen und (b) auch für jene Kräfte attraktiv sind, die mittelfristig für den Aufbau einer neuen Linken gewonnen werden müssen – sprich linksreformistisch, sozialdemokratisch, gewerkschaftlich oder ökologisch Bewegte ansprechen können. Ein Beispiel wären Themen, die aktuell von der Studierendenbewegung aufgebracht, aber nicht politisch artikuliert werden. Zu fordern, dass gesellschaftliche Bereiche wie das Bildungswesen, aber auch Gesundheitsversorgung, Pensionen, Energie und öffentlicher Transport der Logik der Profitabilität entzogen werden müssen, könnte spannende Debatten zwischen revolutionären, autonomen, reformistischen und gewerkschaftlichen Linken auslösen. In solchen Diskussionen könnte versucht werden, ein anti-neoliberales Gemeinsames zu finden, das den passivierenden, post-politischen Konsens herausfordert, und zugleich Anknüpfungspunkte für genuin antikapitalistische Argumente bieten, die auf den zerstörerischen, irrationalen und zunehmend ineffektiven Charakter einer auf Ausbeutung basierenden Produktionsweise in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens hinweisen. Organisation á venir Die hier vorgestellten Thesen und Vorschläge sollten als Denkanstöße verstanden werden, nicht als programmatisches Manifest. Die Schwierigkeit, mit der wir konfrontiert sind, besteht nicht zuletzt darin, dass wir nicht wissen – und nicht wissen können – wie die Kräfteverhältnisse sich in nächster Zukunft verändern werden. Der Klassenkampf und die auf ihn aufsetzenden sozialen Bewegungen sind schließlich wie Überraschungseier – man weiß selten, was man kriegt, und im Nachhinein ist man oft enttäuscht. Vor dem Hintergrund der andauernden globalen Krise bekommt diese allgemeine Einsicht eine besondere Dringlichkeit. Tatsächlich wird erst jetzt, mit der staatlichen Abwälzung der Krisenkosten auf die Subalternen, der soziale Inhalt der Krise als Klassenkampf von oben deutlich. Das Fehlen einer politischen Organisation der Linken in Österreich, die in die Kämpfe und die hegemonialen Verhältnisse einzugreifen imstande ist, kann mit Recht bedauert werden. Dabei stehen zu bleiben, sollten wir uns nicht leisten. Anzuerkennen, dass wir die Organisation unter den gegebenen Bedingungen nicht aus dem Hut zaubern können, heißt nicht, dass wir uns der Organisierung als Praxis und Prozess entziehen. Organisierung würde demnach bedeuten, uns den genannten Funktionsanforderungen anzunähern, eine Art Organisation à venir, im vollen Bewusstsein, dass es mehr als das brauchen wird, um die Bedeutungslosigkeit der politischen Linken in Österreich zu überwinden. E-Mail: benjamin.opratko@univie.ac.at , stefan.probst@univie.ac.at Literatur: Bensaid, Daniel (2002): Marx for Our Time. Adventures and Misadventures of a Critique, London: Verso. Chodos, Howard, Colin Hay (1998): So the Party’s over? Marxism and Political Strategy After „the Fall“, in: Historical Materialism 3, 29-46. Demirovic, Alex (2007): Hegemonie und die diskursive Konstruktion der Gesellschaft, in: Nonhoff, Martin (Hg.): Diskurs – radikale Demokratie – Hegemonie. Zum politischen Denken von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe, Bielfeld: transcript, 55-85. GH = Gramsci, Antonio (1991ff.): Gefängnishefte. Kritische Gesamtausgabe, Hamburg: Argument. Laclau, Ernesto, Chantal Mouffe (1991): Hegemonie und radikale Demokratie. Zur Dekonstruktion des Marxismus, Wien: Passagen. Rancière, Jacques (2002): Das Unvernehmen. Politik und Philosophie, Frankfurt am Main: Suhrkamp. Poulantzas, Nicos (1973): Faschismus und Diktatur. Die Kommunistische Internationale und der Faschismus, München: Trikont. Superlinke (2010): Für eine Linke mit gesellschaftlicher Dimension, http://superlinke.blog.at/files/2010/09/Aufruf_Orga.pdf Opratko, Benjamin 2008: Zeit für Lenin, in: Perspektiven 5 (2008), 32-39. Opratko, Benjamin 2007: Quo vadis, Sozialdemokratie?, in: Perspektiven 2 (2007), 6-11. [1]Besten Dank an Hanna Lichtenberger und Ramin Taghian für spannende Diskussionen sowie den GenossInnen der Gruppe Perspektiven für wertvolle Anregungen, die in den Artikel eingeflossen sind. [2]Natürlich existieren zwischen den alltäglichen (versteckten) Klassenauseinandersetzungen, vereinzelt ausgefochtenen sozialen Kämpfen und der Bewegungsform des Klassenkampfs weitere wichtige Abstufungen, auf die wir an dieser Stelle nicht weiter eingehen können. [3]Die Bedeutung von „Äquivalenzketten“ anzuerkennen heißt nicht automatisch, der reduktionistischen und letztlich idealistischen Metaphysik von Laclau und Mouffe („Im Anfang war der Diskurs...“) beizupflichten. Für eine Kritik vgl. Demirovic (2007). [5]Diese Normalisierung reicht von deutschnationalen Burschenschaftern in hohen Staatsfunktionen bis zur unwidersprochenen Verwendung des nationalsozialistischen Kampfbegriffs „Überfremdung“ in der ORF-Diskussionssendung „Im Zentrum“ (10.10.2010). [6]Die steirische und insbesondere die Grazer KPÖ sind eine interessante Ausnahme und ein Sonderfall, auf den wir nicht näher eingehen können. Unserer Einschätzung nach ist sie jedoch ebenfalls kein wahrscheinlicher Kristallisationspunkt linker Umgruppierungsprozesse. [7]Im strengen Sinne sind deshalb auch die etablierten „Großparteien“, insofern sie hauptsächlich als permanente Wahlkampfmaschinen und Verwalterinnen des als „Sachzwang“ wahrgenommenen und dargestellten alltäglichen Elends funktionieren, keine politischen Organisationen. Vgl. die Unterscheidung von Politik und Polizei bei Jacques Rancière (2002). |
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