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Jens Kastner: Delegation und politische Dilemmata
Mit Pierre Bourdieu auf zapatistischem Gebiet

„Wenn es in einem Land Parteien gibt, entsteht früher oder später eine Sachlage, in der es unmöglich ist, wirksam auf die öffentlichen Angelegenheiten Einfluss zu nehmen, ohne in eine Partei einzutreten und das Spiel mitzuspielen. Wer immer sich für die Sache der Allgemeinheit interessiert, möchte sich wirksam interessieren.“
Simone Weil, 1943 (Weil 2009: 25)

„Will man jemanden nicht als politisches Wesen erkennen, beginnt man damit, ihn nicht als Träger von Zeichen politischen Seins [politicité] zu sehen, nicht zu verstehen, was er sagt, nicht zu hören, dass es eine Rede ist, die aus seinem Mund kommt.“
Jacques Rancière, 2000 (Rancière 2008: 34)

„Zu sagen: Man muß etwas tun, gibt einem schon den touch des 18. Jahrhunderts. [...] Ich ziehe es vor, enttäuscht zu sein, als irreführend und betrügerisch.“
Pierre Bourdieu, 1989 (Bourdieu 1991: 31)

In seinem Aufsatz „Delegation und politischer Fetischismus“ – als Vortrag 1983 gehalten und auf Französisch erstmals 1984 veröffentlicht – analysiert Pierre Bourdieu die Durchsetzung einer, wie er es nennt, jakobinischen „Priestersicht der Politik“ (Bourdieu 1992a: 192). Diese Sicht auf das Politische habe sich allgemein verbreitet und sei dermaßen verinnerlicht, so Bourdieu, „daß die letzte politische Revolution, die Revolution gegen die politische Klerikatur und gegen die in jedem Delegationsakt potentiell enthaltene Usurpation, noch immer aussteht.“ (Bourdieu 1992a: 192) Diese „Priestersicht der Politik“ besteht also darin, dass sie die Delegation – auf die Politik angewiesen ist, um legitimer Weise als solche zu gelten – unsichtbar macht. Damit verschleiert die Priestersicht nicht nur den Blick auf die Konstitution eines kollektiven „mystischen Körpers“ (Bourdieus 1992a: 180), nämlich politisch handelnde Gruppen. Sie trägt mit dieser Verschleierung auch dazu bei, dass jene Mystik der Politik sich fortsetzt. Sie ist, in einem Wort, antiaufklärerisch. Die Priestersicht ist von Bourdieu als solche in Anlehnung an die Funktionsweisen religiöser Autorität benannt worden. Sie ist u.a. auch diejenige Sichtweise auf die soziale Welt, der es gelingt, abweichende Blickwinkel moralisch ins Abseits zu stellen – schuldig und auch selbst schuld ist, wer nicht mitmacht – und institutionell zu entlegitimieren. Einerseits mystifizierend, ist die Priestersicht andererseits stets mit einem Interesse an Rationalisierung ausgestattet, aus der sie, zum theologischen Dogma gemacht, ihre Legitimität zieht. Mit der Übertragung auf das Feld der Politik, die Bourdieu (2000) in Folge seiner Analyse der Parallelen und gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen religiöser Autorität und weltlicher Macht (im Anschluss an die Religionssoziologie Max Webers) selbst vorgenommen hatte, wird ein Fokus auf die Denk- und Wahrnehmungsweisen des Politischen gelegt. Ein solch kulturtheoretischer, d.h. auf die symbolischen Grundlagen des Denkens und Handelns gerichteter Blick, geht davon aus, dass soziale Kämpfe immer auch Kämpfe um die Sichtweisen des Sozialen sind (vgl. auch Kastner/Waibel 2009).

Nun hat es seit der Veröffentlichung von Bourdieus Text (und auch vorher schon) nicht wenige Versuche gegeben, die „letzte Revolution“ zu vollziehen oder zumindest doch an ihr zu arbeiten. Die AkteurInnen solcher Versuche, die darin bestanden und bestehen, das Delegationsprinzip auszuhebeln, zu umgehen, zu vermeiden oder zu verwandeln, werden gemeinhin soziale Bewegungen genannt. Sie ließen sich sogar noch genauer eingrenzen: Libertär inspirierte soziale Bewegungen haben es qua Anspruch darauf abgesehen, Prozesse der Delegation zu demokratisieren, Repräsentationsmechanismen – nicht selten in der ganzen inhaltlichen Bandbreite von Repräsentation als Darstellung, Vorstellung und Stellvertretung – nicht nur in den Konstitutionen der eigenen Kollektivität, sondern auch im Feld der Macht insgesamt zu hinterfragen. Aus der allgemeinen Repräsentationskritik werden daher konkrete Delegationsverfahren erdacht und praktiziert. Es ließe sich sogar als Spezifikum libertärer Bewegungen beschreiben, das eine als mobilisatorischen Kern oder gar Voraussetzung für das andere zu begreifen, also die Modifizierungen der Delegationsbeziehungen in den eigenen Reihen als einerseits praktische Vorstufe und andererseits theoretische Notwendigkeit für das Ziel der delegationslosen, schließlich herrschaftsfreien Gesellschaft auszugeben.

Ein Beispiel für eine solche Bewegung ist der Zapatismus in Chiapas/Mexiko. Als Guerilla-Organisation und soziale Bewegung haben die Zapatistas u.a. mit dem Prinzip des „mandar obediciendo“ (gehorchend befehlen) den herkömmlichen Mandatsbeziehungen von Anfang an basisdemokratische Verfahrensweisen entgegengesetzt. Mit dem „caminar preguntando“ (fragend voranschreiten) wird zudem ein anti-avantgardistischer und repräsentationskritischer Modus des Politischen für die eigene Bewegung formuliert. Diese und die davon inspirierten delegationskritischen Organisationsformen sind wiederum der Bewegungsforschung nicht verborgen geblieben und zum Teil mit Begeisterung aufgenommen worden. Die Analysen und Positionen des in Puebla/Mexiko lehrenden Politikwissenschaftlers John Holloway und die des uruguayischen Journalisten und Sozialwissenschaftlers Raúl Zibechi können als zwei der prominentesten Stimmen dieser Bewegungsforschung gelten, deren Beschreibungen selbst schon als Interventionen gegen die Priestersicht zu verstehen sind. Als neue Form der Politik wird dabei, kurz gesagt, genau das geschildert, was für andere aus dem Bereich des Politischen herausfällt.[1]

Allerdings geraten die Versuche, gegen Priestersicht und Delegation aktiv zu intervenieren, selbst in Dilemmata des Politischen. Zum einen tendieren die intellektuellen UnterstützerInnen der Bewegungen erstens dazu, die Priestersicht allein dadurch abschaffen zu wollen, dass bzw. indem sie ihr die Gültigkeit und Legitimität absprechen. Sicherlich muss der Erkenntnis Rechnung getragen werden, dass Diagnosen immer auch performative Aspekte aufweisen, ihren Gegenstand also selbst mit hervorbringen. Eine Bewegung oder eine Position ist insofern auch zu schwächen, indem man nicht bzw. „schlecht“ von ihr redet. Aber mit einem solchen Sprechakt allein ist die Wirksamkeit der symbolischen Macht der auf Delegationsbeziehungen basierten Politik nicht entkräftet. Darüber hinaus legen zweitens die Beschreibungen der Produktions- und Reproduktionsbedingungen dieser Sicht, die zugleich intellektuelle Interventionen gegen sie sein wollen, häufig nahe, dass die Priestersicht schlicht nicht zu teilen bräuchte, wer selbst kein Priester ist. Zum anderen, und das ist letztlich das Entscheidende, sind die Bewegungen aber selbst in dem Dilemma verfangen, das der auf Delegation beruhende politische Fetischismus produziert: Das Dilemma besteht darin, dass im politischen Feld nicht als Politik anerkannt wird, was nicht auch Delegationsbeziehungen produziert. So wie der Delegations- und Mandatsbeziehung immer die Entfremdung der MandantInnen von denen innewohnt, die sie mit einem Mandat ausgestattet haben, so wird umgekehrt der Angriff auf die Mandatsbeziehungen als Entfremdung vom Politischen wahrgenommen und als Verletzung der Spielregeln des politischen Feldes interpretiert.

Soll die Delegationsbeziehung (theoretisch) bekämpft und schließlich (praktisch) abgeschafft werden, gilt es erstens, ihre zentralen Funktionsweisen zu begreifen und zweitens, nicht nur an alternativen Praktiken, sondern auch noch an den Denk- und Wahrnehmungsweisen zu arbeiten, die diesen Praktiken zu Legitimität verhelfen.

Mit der sozialen Bewegung der Zapatistas und den Ansätzen der Bewegungsforschung, die sie beschreiben und zugleich unterstützen, sind zwei Akteurinnen gewählt worden, anhand derer die Fallstricke des Kampfes um die Sichtweisen des Politischen durchgespielt werden. Inhaltlich wird dabei die These vertreten, dass die Anerkennung der Delegationsbeziehung schließlich nicht über die (sozialwissenschaftliche wie aktivistische) Wertschätzung alternativer Organisations- und Lebensmodelle allein zu durchbrechen ist. Denn wie jede Form sozialer Anerkennung beruht sie auf einer „Ökonomie des symbolischen Tausches“ (Bourdieu), also nicht auf einer Unterdrückungs- und Ausschlussbeziehung, sondern einer gegenseitigen Relation (in der beispielsweise die Privilegien der einen mit den Posten der anderen vergolten werden). Eine Alternative zur Priestersicht kann schließlich nur durchgesetzt werden, wenn anerkannt wird, dass die Delegationsbeziehung keine repressionsbasierte, sondern eine konsensuale Form der Politik ist, die durch viele (auch flache) Hierarchiestufen gegenseitiger Begünstigung, Privilegierung, voneinander abhängiger Positionierungen und Profite abgesichert wird und deshalb auch nicht durch die Abschaffung der Priester allein zu beenden ist. Die Angriffe auf die Delegations- und Mandatsbeziehung müssen sich diesen Verflechtungen erstens deshalb stellen, weil schließlich auch sie selbst sowohl ursprünglich als auch in jeder neuen Mobilisierung mit der Frage konfrontiert sind und sein werden, wer wann auf welcher materiellen wie symbolischen Grundlage mit welcher Legitimation für wen spricht. Zweitens müssen die Kämpfe gegen die Delegationsbeziehung deren einbindende und partizipative Mechanismen begreifen, weil nicht zuletzt diese es sind, die auch die Sichtweisen auf die häretischen, alternativen Modelle des Politischen prägen, von denen schließlich die Möglichkeit ihrer Durchsetzung abhängt.

Worte und das Schweigen der Anderen (Delegation nach Bourdieu)

Laut Bourdieu ist die Delegation nicht einfach vertragsrechtlich die Ausstattung eines/einer Einzelnen oder einer kleinen Gruppe mit den Befugnissen einer größeren Gruppe. Vielmehr sieht Bourdieu umgekehrt die Delegation als ein Prinzip, mit Hilfe dessen sich diese größere Gruppe überhaupt erst konstituiert: „Delegation ist also der Akt, durch den sich eine Gruppe formiert, indem sie sich mit all dem ausstattet, was eine Gruppe zu einer solchen erst macht“ (Bourdieu 1992a: 176) Der oder die Delegierte bringe als Signifikat nicht nur die bezeichnete Gruppe zum Ausdruck, er/sie repräsentiert sie nicht bloß, „vielmehr“, so Bourdieu (1992a: 178), „bedeutet er sie zu existieren, verfügt er über die Macht, die von ihm bedeutete Gruppe vermittels Mobilisierung zu sichtbarer Existenz aufzurufen.“ Allein dadurch, dass zwischen der mit dem repräsentativen Mandat ausgestatteten Person und der potenziellen Rede dieser Person keine Einheit besteht, man also für etwas gewählt sein und dennoch gegen die, von denen man gewählt worden ist, handeln kann, sei die Abweichung in der Delegation immer schon enthalten, d.h. dass „die Entfremdung zwischen Mandanten und Mandatsträger der Delegationsbeziehung als Möglichkeit immer schon immanent ist.“ (Bourdieu 1992a: 177) Nicht alle sind allerdings gleichermaßen darauf angewiesen, eine Delegationsbeziehung einzugehen. Den Herrschenden kommen die nicht artikulierten Stimmen isolierter AkteurInnen tendenziell zugute, da diese Stimmen als solche die herrschende Ordnung nicht in Frage zu stellen vermögen. Die Beherrschten hingegen sind auf die Delegation angewiesen, denn nur die Mittel der Repräsentation bringen sie überhaupt zur (legitimen) Existenz. Demnach sind also vor allem ökonomisch und kulturell Arme, d.h. mit wenig Geld und Bildungskapital Ausgestattete nach Bourdieu davon abhängig, Delegationsbeziehungen einzugehen. Isolierte Individuen, ungeübt, ihre Stimme zu erheben und nicht vermögend genug, sich Gehör zu verschaffen, seien auf die Alternative angewiesen „zu schweigen oder andere für sich sprechen zu lassen.“ (Bourdieu 1992a: 178) Diese strukturelle Ausgangssituation der Unterprivilegierten macht Bourdieu selbst noch im Pariser Mai 1968 aus, der von anderen Intellektuellen als ermächtigendes Ereignis interpretiert wurde, in der die bis dahin Sprachlosen – d.h. auch die politisch Unorganisierten – ihre Stimme erhoben hätten. Bourdieu hingegen meint, es sei vergessen worden, dass „der Akt des Wortergreifens, von dem während und nach den Mai-Ereignissen so viel die Rede war, immer ein Ergreifen der Worte der anderen ist oder vielmehr: ihres Schweigens [...].“ (Bourdieu 1998a: 300)[2] Es geht schließlich nicht nur um das Angewiesen-Sein auf Delegation, sondern darüber hinaus auch um die historisch-materiellen Möglichkeiten und die Befähigungen dazu. Bourdieu entwickelt hier bereits eine Figur fundamentaler Differenz in den Ausgangspositionen der artikulierten und gehörten Rede, die später von den Postcolonial Studies vertieft wurde: Gayatri Chakravorty Spivaks (2008 [1988]) berühmt gewordene Infragestellung „Can the subaltern speak?“ wurde u.a. in Auseinandersetzung mit Michel Foucault und Gilles Deleuze entwickelt, die zu den Begeisterten der Ermächtigung von 1968 gehörten.

I. Die Dilemmata der zapatistischen Politik

Die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) hatte in ihrer „6. Erklärung aus dem Lakandonischen Urwald“ im Juni 2005 bekannt gegeben, fortan mit politischen Parteien, denen sie von Anfang ablehnend gegenüber stand, auch nicht mehr in strategischen Allianzen zusammenzuarbeiten.[3] Die Ablehnung der Parteiform hatte die Geschichte der 1983 gegründeten Guerilla-Bewegung geprägt. Seit Beginn ihres Aufstands am 01.01.1994 hatten die Zapatistas in den eigenen Reihen basisdemokratische Organisationsformen etabliert. So wird in den zapatistisch kontrollierten Gemeinden nach dem Prinzip des „mandar obediciendo“, des „gehorchenden Befehlens“ regiert. Delegierte werden mit einem imperativen Mandat ausgestattet und in ihrer Amtsführung zeitlich begrenzt, so dass einerseits Machtanhäufung kaum möglich ist und andererseits eine weit gestreute Beteiligung ermöglicht wird. Die zahlreichen Mobilisierungen, die die Zapatistas über die Verwaltung der regionalen Autonomie hinaus unternahmen, richteten sich von Beginn an explizit nicht an politische Parteien, sondern an die so genannte „Zivilgesellschaft“ (zu der die Parteien explizit nicht gezählt wurden). (Vgl. Kerkeling 2006)

Die in der 6. Erklärung zum Ausdruck gebrachte Haltung wirkte sich vor allem auf die politischen Kämpfe während des mexikanischen Präsidentschaftswahlkampfes 2006 aus. Anstatt sich für den Kandidaten der sozialdemokratischen Partei der Demokratischen Revolution (PRD), Andrés Manuel López Obrador (AMLO), auszusprechen, wie es viele andere linke Gruppierungen taten, gingen EZLN und zapatistische Bewegung in offensive Opposition zum gesamten politischen Establishment und gründeten, in Abgrenzung zu den Wahlkampagnen der politischen Parteien, die „Andere Kampagne“. Dieser Mobilisierung schlossen sich rund 1000 Organisationen und Gruppen aus ganz Mexiko an. Dennoch zogen sich die Zapatistas mit dieser Haltung nicht nur viel Unmut in weiten Teilen der Linken zu, in der AMLO als Hoffnungsträger für ein Ende des Neoliberalismus und einen demokratischen Wechsel in Mexiko gesehen wurde. Dieser Unmut steigerte sich freilich noch, als die regierende Partei der Nationalen Aktion (PAN) mit Felipe Calderón an der Spitze – wenn auch unter höchst zweifelhaften Umständen – die Präsidentschaftswahl knapp gewann. Den Zapatistas wurde nicht nur die Wahlenthaltung angekreidet, sondern von vielen intellektuellen KommentatorInnen das Politisch-Sein überhaupt aberkannt. Bezogen auf die Weigerung der Zapatistas, sich positiv auf die Kampagne des PRD-Kandidaten bezogen zu haben, erklärte der Lateinamerikanist Albert Sterr (2007: 26) die EZLN für „befangen in ihrer Strategie, die Autonomie geographisch abgelegener und militärisch umzingelter Widerstandsgemeinden zu verteidigen.“ Sterr kritisiert hier zwar die konkrete Strategie der Bewegung ab Sommer 2005. Bereits einige Jahre zuvor hatte er allerdings in seinem gemeinsam mit Dieter Boris verfassten Buch geurteilt, mit Ausnahme der Autonomiefrage sei „der Zapatismus als Bewegung weder inhaltlich noch von seinen Organisationskapazitäten her interventionsfähig.“ (Boris/ Sterr 2002: 161) Erst recht gelänge es nicht mehr, ins tagespolitische Geschehen einzugreifen und dauerhaft zu mobilisieren, was Boris und Sterr schon 2002 als „strategische Niederlage“ (Boris/ Sterr 2002: 162) und als Scheitern der „gesamtgesellschaftlichen Konzeption“ (ebd.: 170) der Bewegung bezeichneten. Subcomandante Marcos, der Sprecher der EZLN, und die Andere Kampagne hätten sich in eine Situation „gefährlicher Isolierung“ gebracht, meint auch der mexikanische Politikwissenschaftler Guillermo Almeyra (2009). Zwar hebt Almeyra die „ernsthafte Arbeit“ in den autonomen Gemeinden hervor, beklagt aber ähnlich wie Sterr, die Zapatistas hätten durch die ablehnende Haltung gegenüber der PRD im Jahr 2006 und indem sie ihre ehemaligen Verbündeten in der parlamentarischen Linken als „VerteidigerInnen des Systems“ bezeichnet hätten, „antipolitische Propaganda“ gemacht. (Und das ausgerechnet in einem Moment, so Almeyra, in dem die „Mehrheit der ArbeiterInnen“ eine Veränderung durch die Wahlen erwartet hätte.)

Aber nicht nur die intellektuelle Anerkennung, auf die Bewegungen auch verzichten können, solange es gelingt, erfolgreich zu mobilisieren, sondern auch diese Mobilisierungskraft selbst wurde zum Problem. Auch wenn viele, gerade pro-zapatistische SoziologInnen eine anhaltende Popularität im In- und Ausland diagnostizieren (vgl. z.B. Kerkeling 2009, Leyva Solando 2009), so sind doch zumindest Brüche in der nationalen Mobilisierungsfähigkeit wie auch der internationalen Aufmerksamkeit gegenüber dem zapatistischen Aufstand nicht von der Hand zu weisen. Diese Brüche haben auch mit der Akzeptanz dessen zu tun, was legitimer Weise unter Politik verstanden wird. Die Bedingung der Möglichkeit für die breite Legitimierung eines anderen, nicht-delegationistischen Politikmodells ist, so ließe sich sagen, erneut in die Krise geraten.

Dilemmata libertärer Politik: Eingeschränkte Effektivität, Notwendigkeit permanenter Mobilisierung, Universalismus als Praxiseffekt

Wer die eigenen Anliegen gesellschaftlich durchsetzen will, muss, wie Simone Weil es ausgedrückt hat, „sich wirksam interessieren“. Eine solch wirksame Interessendurchsetzung ist aber mit fundamental delegationskritischen Mitteln nur begrenzt möglich. Denn in puncto Wirksamkeit sind andere Organisationsformen als basisdemokratische oft effektiver, d.h. schneller in der praktischen Umsetzung gefasster Beschlüsse ebenso wie in der praktischen Reduktion von Komplexität vermittelbarer. Auch ohne so verstandene Effektivität – die selbstverständlich umstritten und kein Wert an sich ist – kann es gelingen, die eigenen partikularen Anliegen zeitweise zu allgemeinen zu machen, wenn deren Allgemeinheit von möglichst vielen Menschen als solche akzeptiert wird. Wenn dies gelingt, spricht man gemeinhin von Hegemonie. Auch wenn die Gründe für den zapatistischen Aufstand – die Armut im Süden des Landes, die rassistische Ausgrenzung der indigenen Bevölkerungsgruppen und die neoliberale Politik des Staates – kaum ausgeräumt sind, konnten sich die zapatistischen Vorschläge zu deren Abschaffung nicht auf Dauer als allgemein akzeptiert durchsetzen. Die zapatistische Interventionsfähigkeit ist deshalb nicht unbedingt verloren (wie Sterr meint), sondern sie hat sich eher verschoben: Von den nationalen Debatten hin zu Mikropolitiken von Gruppen und gesellschaftlichen Sektoren, die zapatistische Prinzipien verstärkt in den letzten Jahren zu ihren eigenen machen (Indigene in anderen Bundesstaaten als Chiapas, SexarbeiterInnen, Stadtteilgruppen, Menschenrechtsorganisationen u.a.).

Auch hinsichtlich der internationalen Aufmerksamkeit und der transnationalen Bezugspunkte hat es Brüche gegeben, die an die Frage von politischer Legitimität geknüpft sind. Basisdemokratische Mobilisierung, erst recht transnationale, kann sich nicht auf bestehende Institutionen verlassen, sondern muss dauerhaft mobilisieren (und instituieren). Das ist nur begrenzt möglich. Zwar existieren in den verschiedensten Teilen der Welt nach wie vor pro-zapatistische Gruppen, aber dennoch kann eine verringerte Resonanz verglichen mit den 1990er Jahren oder dem Beginn des Jahrtausends diagnostiziert werden. Dabei ist zum einen die Krise der globalisierungskritischen Bewegungen, die vom Zapatismus mit angestoßen wurden und in denen er lange als Stichwortgeber fungiert hat, als Krise der internationalen Aufmerksamkeit auf den Zapatismus selbst zurückgeschlagen. Wenn auch die UnterstützerInnen ihre Artikulationen kaum mehr in die öffentlichen Debatten einbringen können, steht es um die internationale Vermittlung der Radikalität des Zapatismus selbst erst recht schlecht. Darüber hinaus haben andere Modelle politischer Transformationsversuche, insbesondere die „Bolivarianische Revolution“ in Venezuela und die „Bewegung zum Sozialismus“ (MAS), deren Anführer Evo Morales 2005 zum Präsidenten Boliviens gewählt wurde, innerhalb und außerhalb der lateinamerikanischen Linken als Bezugspunkte an Bedeutung gewonnen. Gerade das Erstarken der staatlich orientierten Linken hat nicht wenig dazu beigetragen, die anti-staatliche Ausrichtung des Zapatismus (wieder) als anti-politische zu identifizieren. Auf den Staat ausgerichtetes Agieren wurde nicht nur als politisch effektiveres interpretiert, sondern als politisch schlechthin, womit die zapatistische „Politik“ als letztlich unpolitische Nischenstrategie abgetan werden konnte.

Ein drittes Dilemma, dem die Zapatistas allerdings nicht mehr ganz so sehr verfangen sind wie andere libertäre Bewegungen, lässt sich als Praxiseffekt beschreiben: Aus der grundsätzlichen und praktischen Ablehnung der Delegationsbeziehungen wird auf deren theoretische Konzeptualisierung verzichtet. Auch wenn der Kampf um eine Politik ohne Delegation praktisch innerhalb der eigenen Strukturen konsequent und überzeugend geführt wird, bleibt die Frage zu klären, wie diese Strukturen sich im und zum sozialen Raum insgesamt verhalten. Wird in dieser Hinsicht nicht konzeptualisiert, wer wann für wen spricht, wird meist stillschweigend ein alle umfassender Delegationsanspruch vertreten. Vor allem in den bewegungstheoretischen Bezugnahmen auf den Zapatismus spiegelt sich das anarchistische Dilemma, in humanistisch-aufklärerischer Tradition im Namen aller („der Menschheit“) sprechen zu wollen, und damit konkrete und sehr differierende Ausgangspositionen zu negieren. Dieses Dilemma kennzeichnet die zapatistische Bewegung allerdings weniger als die von ihr inspirierten theoretischen Entwürfe.[4]

Die dilemmatische Situation, in der sich die fundamentale Delegationskritik befindet, sich selbst gerade wegen dieser Haltung zu Delegation immer wieder aus dem Bereich des Politischen ausgegrenzt zu sehen, obwohl es um die Erneuerung und Radikalisierung des Politischen (als einem nicht-delegationistischen Verhältnis) geht, lässt sich zwar am Zapatismus gut zeigen, ist aber keineswegs allein sein Problem.

Zapatismus als libertäre Bewegung (Exkurs)

Die hier skizzierten Dilemmata sollten trotz ihrer historischen und geografischen Spezifik nicht als Ausnahmefall innerhalb der Geschichte der Linken betrachtet werden. Vielmehr sind sie in deren Tradition zu sehen, in jener brüchigen und vielgestaltigen Linie jener Bewegungen, die, wie es Antonio Negri für die globalisierungskritische Mobilisierung von Genua wie auch für die Zapatistas beschreibt, für eine kollektive Aktion stehen, „die dem Vorgehen der Macht nicht homolog ist; [...].“ (Negri/ Scelsi 2009: 89) Die zapatistische Position, sich von staatlichen Institutionen fernzuhalten und die Arbeit im Parlament und mit parlamentarischen Gruppen abzulehnen, hat ihre Vorläufer bereits in der so genannten Antiautoritären Internationale.[5] Diese hatte sich im September 1872 im schweizerischen Saint Imier gegründet, nachdem sich innerhalb der Internationalen Arbeiterassoziation (IAA), der Ersten Internationale, die Anhänger von Karl Marx durchsetzen konnten und diese sich auf ihrem Kongress in Den Haag 1872 spaltete. Der Antiautoritären Internationale gehörten die Föderationen von Italien, Spanien, Frankreich, Belgien, Holland, England, den USA und dem Schweizer Jura an. Diese lehnten die zentrale Führung als organisatorisches Mittel der Internationalen Arbeiterassoziation ebenso ab wie die Eroberung der Staatsmacht als deren politisches Ziel. Diese beiden Aspekte kennzeichnen libertäre Bewegungen vom 19. bis ins 21. Jahrhundert hinein. Noch im Buchtitel von John Holloways pro-zapatistischem Theorieentwurf „Die Welt erobern, ohne die Macht zu übernehmen“, strahlt dieser anarchistische (bei Holloway allerdings nirgendwo als solcher ausgewiesene) Esprit der Antiautoritären nach. In dieser Bindung von Mittel und Zweck vollzieht sich auch die Verknüpfung der beiden Delegationsebenen, die (möglichst ausgeschaltete) Delegation in den eigenen Organisationen und die grundsätzliche Ablehnung des Delegationsprinzips als politisches Prinzip, d.h. als Prinzip der Politik. Die Kritik an der Delegationsbeziehung ist also weder eine theoretische Erfindung Bourdieus noch eine praktische der Zapatistas, sondern sie findet sich in den radikalen Strömungen der ArbeiterInnenbewegung seit dem 19. Jahrhundert.[6]

Während der Anarchismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch in vielen Ländern Massen mobilisieren konnte und über mitgliederstarke Organisationen verfügte, bedeutete das Scheitern der Spanischen Revolution zu Beginn des Bürgerkrieges 1936 einen tiefen Einschnitt für die anarchistischen Bewegungen. Zwar hatten die – vor allem internationalen – Bedingungen des Krieges dazu geführt, die AnarchistInnen auf verlorenem Posten stehen zu lassen. Allerdings hatten auch anarchistische Theorie wie Praxis kaum Strategien vorzuweisen, wie der eigene gesellschaftliche Einfluss ohne die Mitarbeit in (wie auch immer) regierenden Gremien sichergestellt und dauerhaft etabliert werden sollte. Walther L. Bernecker hatte diese fehlenden Konzepte des Übergangs (zur Revolution) für die AnarchistInnen im Spanischen Bürgerkrieg in „der anarchistischen Verachtung jeder systematischen Theorie“ (Bernecker 1980: 43) ausgemacht, die gerade die Treue zur freiheitlichen Überzeugung zum Ausdruck bringen sollte. Auch andere, dem Anarchismus gegenüber (wie Bernecker) durchaus freundlich gesinnte KommentatorInnen und WissenschaftlerInnen haben genau diese Theoriefeindschaft und die konzeptuelle Offenheit immer, spätestens seit dem Scheitern der Spanischen Revolution, als Schwäche des Anarchismus interpretiert. „Aber der unbedingte moralische Anspruch“, urteilt auch Hans Magnus Enzensberger (1977: 212f.) über die AnarchistInnen im Spanischen Bürgerkrieg, „den sie an sich selbst und an ihre Bewegung stellten, trug zu ihrem Verhängnis bei. Er wandte sich als nagender Zweifel, als skrupulöses Zögern gegen sie, sobald ihnen auch nur der erste taktische Schritt auf dem Weg zur Macht abverlangt wurde“.[7] Im Zapatismus existiert – neben den räte- und basisdemokratischen Strukturen und der Ablehnung staatlicher Macht – zwar ebenso wie im Anarchismus eine (zumindest den Prinzipien nach) theoretische Offenheit und der programmatische Wille, sich nicht festzulegen („preguntando caminamos“). Dennoch war die zapatistische Politik durchaus von taktischen und strategischen Überlegungen geprägt, ablesbar in den verschiedenen und zu sehr überlegten Zeitpunkten angestoßenen zivilgesellschaftlichen Initiativen wie auch an den demokratischen Umstrukturierungen innerhalb der autonomen Gemeinden. Eine dieser Umstrukturierungen fand 2003 statt und mündete in einer neuen, rätedemokratischen Verwaltungsstruktur – den so genannten „Räten der Guten Regierung“ –, in der u.a. die Gemeinden gegenüber der militärischen Organisation mit mehr Macht ausgestattet wurden.[8]

II. Die Dilemmata der pro-zapatistischen Bewegungsforschung

Nun gibt es allerdings auch unter den politischen KommentatorInnen Positionen, die gegensätzliche Einschätzungen zu denen von Sterr, Almeyra etc. vertreten. So hebt beispielsweise Luis Hernández Navarro (2008) gerade angesichts der Anderen Kampagne den „enormen Bruch“, den die Zapatistas „in der Art und Weise, Politik zu machen“, herbeigeführt hätten, hervor und verteidigt ihn. Solche Einschätzungen existieren ebenfalls in der Forschung zu sozialen Bewegungen. (Vgl. z. B. Brand 1998, Mignolo 2002) Diese Ansätze der Bewegungsforschung versuchen nun gerade, die zapatistische Politik als das darzustellen, was sie selbst für sich beansprucht, nämlich Politik zu sein, und dieses Politisch-Sein als solches einzuklagen und zu verteidigen. Sie führen also einen Kampf um Kategorien. Kategorien sind nach Bourdieu (1993: 26) keine neutralen Klassifizierungsmodelle, sondern „Kampfkonzepte“, Akte des Bezeichnens und Benennens, die gegenüber anderen Akten und wie diese mit dem Anspruch auf universelle Gültigkeit auftreten. Damit offenbaren die emphatischen BewegungsforscherInnen aber immer auch ihr doppeltes Interesse an der Sache: Sie schreiben zugleich aus Interesse für die und im Interesse der Sache. Das Interesse ist, so Bourdieu (1992b: 225) „ein Unterschiede setzendes Urteil, das nicht nur durch Erkenntnisinteressen gelenkt wird.“ Ein solches „doppelte Interesse“ läuft immer Gefahr, eine Art von „Erbauungswissenschaft“ (Bourdieu 1992b: 229) hervorzubringen. Diese verknüpft wissenschaftliche Klarsicht mit politischer Treue und dies vor allem zugunsten der eigenen (intellektuellen) Akkumulation symbolischen Kapitals. Glaubt man Bourdieu, äußert sich in einer solchen Erbauungswissenschaft vor allem die Glaubensvorstellungen der Forschenden.

Sozialwissenschaftlicher Kampf um Worte und/oder Erbauungswissenschaft: John Holloway und Raúl Zibechi

Der Politikwissenschaftler John Holloway hat sich in verschiedenen Publikationen dem zapatistischen Aufstand gewidmet (vgl. z. B. Holloway 1997, 2001, 2002, 2006) und gehört international zu den meist diskutierten, pro-zapatistischen Intellektuellen (zur Rezeption vgl. z.B. Birkner/Foltin 2006: 108ff., Kastner 2006). In seinem Buch „Die Welt erobern, ohne die Macht zu übernehmen“ (2002) interpretiert er das „Ya Basta! Es reicht!“, mit dem die Zapatistas ihren Aufstand 1994 begannen, als „Schrei der Verweigerung“ gegen die „Verstümmelung des menschlichen Lebens durch den Kapitalismus“ (Holloway 2002: 10). Dieser Schrei ist aber nicht bloß Negation, sondern „praktische Negation“ (Holloway 2002: 35), d.h. er ist ein Tun, das einen gegebenen Zustand angreift und überwindet. Im Anschluss an die Marx’schen Frühschriften fasst Holloway das Tun als Gegensatz zur (entfremdeten) Arbeit. (Vgl. Holloway 2002: 47) Der Kapitalismus trennt, kurz gesagt, das Tun vom Getanen, um das Getane aneignen und akkumulieren zu können. Produkte der Arbeit nehmen Warenform an und negieren damit die Gesellschaftlichkeit des Tuns. Damit trennt der Kapitalismus durch (entfremdete) Arbeit nicht nur Tun von Getanem, sondern durch die Negation der Gesellschaftlichkeit des Tuns fragmentiert er auch das Soziale. Das Tun hingegen ist „die materielle Konstitution des „Wir’“ (Holloway 2002: 40), das gegen die Trennung von Tun und Getanem aufbegehrt, die der Kapitalismus vollzieht. Dieses schreiende, revoltierende „Wir“ besteht also keinesfalls nur aus einer Gruppe von Menschen im Süden Mexikos und ihren UnterstützerInnen in aller Welt und nicht einmal aus einer anderen, identifizierbaren sozialen Einheit (beispielsweise einer empirischen Arbeiterklasse). Es ist verallgemeinerbar. Das „Ya Basta“ existiere, so Holloway (2006: 50) „in uns allen“, und zwar „ganz einfach weil es ein untrennbarer Teil des Lebens in einer unterdrückerischen Gesellschaft“ (ebd.) sei.

Die repressionstheoretische Zeitdiagnose einer „unterdrückerischen Gesellschaft“, in der das Kapital der Zwang ist, „der sich als fremde Kontrolle über unsere Aktivitäten legt“ (Holloway 2006: 62), ist voraussetzend für die Wertschätzung der Brüche in den Konzeptionen von Politik, die die Zapatistas herbeigeführt haben. Sie ermöglicht die Vorstellung einer „eigenen“, vom Kapital unabhängigen Gestaltung des kollektiven Lebens. Eine solche alternative Organisation kollektiven Lebens deute sich beispielsweise im zapatistischen Prinzip des „gehorchenden Befehlens“ (mandar obedeciendo) an, einem Verfahren zur Entscheidungsfindung, das die Handlungsspielräume der Delegierten an die Entscheidungen der Basisversammlungen knüpft und damit extrem einschränkt. Die langsamen, weil basisdemokratischen Entscheidungsprozesse in den zapatistischen Gemeinden waren zwar nicht der Grund, aber ein Auslöser für das Scheitern der Verhandlungen zwischen den Zapatistas und der mexikanischen Regierung 1996. Der EZLN-Delegierte Comandante Tacho sprach hinsichtlich der „eigenen“ Zeitlichkeit die schönen Worte: „Wir gebrauchen die Zeit, nicht die Uhr.“ (La Jornada, 18.05.1995, zit n. Holloway 2007: 16) Dies ist ein aus der Sicht Holloways paradigmatisches Statement, da jede Rebellion, die auf Selbstbestimmung aus sei, „sich notwendiger Weise der Uhr mit einer ganz anderen Zeit entgegenstellen muss.“ (Holloway 2007: 16) Selbstbestimmung, d.h. Autonomie ist nach Holloway „die andere Seite der Aussage, die Welt zu verändern, ohne die Macht ergreifen zu wollen.“ (Holloway 2006: 61) Die gesellschaftlichen Kämpfe würden demnach auch weniger konfrontativ gegen andere bzw. gegen das Kapital geführt, sondern verstärkt für die eigene Gruppe bzw. die eigene Autonomie bzw. die „Schaffung unserer eigenen Welt“ (Holloway 2006: 62).

Auch Raúl Zibechi, Sozialwissenschaftler und Journalist aus Uruguay, hat vielfach zum Zapatismus publiziert und die Bewegung mit seinen Schriften unterstützt (vgl. z.B. Zibechi 1995, 1999). In seinem aktuellen Buch über „Bolivien – Die Zersplitterung der Macht“ (2009) beschreibt er den Zapatismus als Ausgangspunkt für eine ganze Reihe von sozialen Bewegungen, denen es nicht mehr um die Übernahme der Staatsmacht, sondern um „den Aufbau einer neuen Welt“ (Zibechi 2009: 12) ginge. Die dörfliche, kommunale und regionale Autonomie, insbesondere in Form der „Juntas de Buen Gobierno“– seit 2003 werden die zapatistisch kontrollierten autonomen Landkreise von den so genannten „Räten der Guten Regierung“ verwaltet – habe gezeigt, dass es möglich ist, nicht-bürokratische Machtformen aufzubauen, „die auf der Rotation der Repräsentanten basieren und nichts mit den staatlichen Herrschaftspraktiken gemein haben.“ (ebd.) Zibechi nennt noch weitere, ähnlich organisierte soziale Bewegungen in Lateinamerika (die Piqueteros in Argentinien, die Landlosenbewegung in Brasilien und eben die der Aymara in Bolivien), die mit dem Zapatismus gemein hätten, dass sie im Alltag verankert seien. Diese Bewegungen existierten nicht nur als politische Organisationen, sondern gleichsam als Organisatorinnen des Alltagslebens.[9] Damit schüfen sie neue Formen von sozialen Beziehungen. Diese neuen Beziehungen münden laut Zibechi einerseits in der Schaffung neuer Gemeinschaften[10], sind andererseits aber nicht als abschließende und eingrenzende Gruppenprozesse zu verstehen, sondern als Teil einer Entwicklung, die Marx als das „in Freiheit setzen“ von Elementen einer neuen Gesellschaft in der alten verstanden hat. Der Kommunismus, so Marx im Kommunistischen Manifest, sei potenziell in der kapitalistischen Gesellschaft enthalten. Zibechi greift diese Potenzialität auf und proklamiert sie zum Kennzeichen der von ihm beschriebenen, aktuellen Bewegungen (vgl. Zibechi 2009: 14ff.). Auch Zibechi bezieht sich auf die vom Zapatismus angemahnte Notwendigkeit für diese Bewegungen, „einen Zeitbegriff zu entwickeln, der von den internen Rhythmen abhängt und nicht von den Rhythmen des Systems.“ (Zibechi 2009: 19) Ähnlich wie Holloway – der auch das Vorwort zu Zibechis Buch verfasst hat (vgl. Holloway 2009) – geht Zibechi von einer vielfältigen Handlungskapazität „von unten“ aus, die das gesellschaftlich Instituierte zersetzt. Zudem ist seine Analyse von der Prämisse geprägt, dass die „Mobilisierung der Armen“ einen „aufständischen Charakter“ (Zibechi 2009: 25) habe.

Die Positionen Holloways und Zibechis überschneiden sich in wesentlichen Punkten: Erstens beschreiben sie beide die delegations- und repräsentationskritischen Praktiken gerade nicht als Abkehr von der Politik, sondern als neue Form des Politischen. Diese Form der Politik ist zweitens in beider Beschreibung im doppelten Sinne keine Parteienpolitik, sie richten sich gegen die parlamentarisch-demokratischen Parteien mit ihrer Vertretungslogik in personeller Hinsicht, indem sie Räte bzw. Versammlungen an die Stelle von Parteihierarchien und -funktionärstum setzt, und in zeitlicher Hinsicht, in dem Politik und Alltag so nahe wie möglichst zusammen gebracht und nicht als zwei getrennte Sphären existieren sollen. Und sie sind zwar gemeinschaftlich, aber doch nicht als Gruppen mit partikularen Interessen formiert und beanspruchen insofern mehr als ein Teil (Lat.: pars, partis) zu sein: Wir alle, die Armen. Beider Schriften sind somit geprägt von einem stillen Vertrauen in die schlummernde Revolte der „Volksmassen“ (Zibechi 2009: 161), die nur geweckt werden müsste.[11] Sie verknüpfen damit in libertärer Tradition die beiden Ebenen der Delegation und vollziehen zugleich das, was oben als Praxiseffekt bezeichnet wurde: Da man sie politisch ablehnt, diese Ablehnung in den eigenen Reihen praktiziert – im Falle der BewegungsforscherInnen: praktiziert sieht –, und damit die Delegationskritik auch für das gesamte politische Feld meint praktisch werden zu lassen (bzw. zu sehen), geraten analytisch die mannigfaltigen Gründe, Motivationen und Funktionsweisen der Delegationsbeziehungen aus dem Blick. Deren Funktionieren, das auf symbolischer Gewalt, d.h. unterhinterfragten Denk- und Wahrnehmungsschemata beruht, und dennoch bzw. deshalb konsensual aktualisiert wird, kann auf diese Weise kaum mehr untersucht, geschweige denn verstanden werden. Demgegenüber kann das theoretische Augenmerk Bourdieus auf die radikal verschiedenen Dispositionen und Positionen der AkteurInnen innerhalb des sozialen Raums für die Forschung zu sozialen Bewegungen gewinnbringend in Anschlag gebracht werden. Denn mit der differenztheoretischen Prämisse Bourdieus lässt sich – zwar illusionsloser, aber deshalb nicht notwendiger Weise weniger engagiert – untersuchen, warum und inwiefern gegen die Delegationsbeziehung aufbegehrt wird, aber eben auch, warum nicht.

III. Zusammenführung: (Praxis-)Theorie der sozialen Kämpfe und die habituelle Trägheit der Verhältnisse

Dass die Wertschätzung der Delegationskritik auch die Glaubensvorstellung der Wertschätzer zum Ausdruck bringt, wie Bourdieu meint, dürfte bei Zibechis und Holloways Lesweise des Zapatismus offensichtlich sein. Diese intellektuelle Positionsbestimmung jedoch scheint weniger problematisch als die erbauungswissenschaftlichen Aspekte der mit ihnen einher gehenden, theoretischen Herangehensweise, die wichtige Gründe dafür nicht sehen und benennen kann, warum sich der repräsentations- und delegationskritische Anspruch politisch und als Politik so selten und wenn, dann nur so partiell verwirklicht. Eine Praxistheorie der sozialen Kämpfe darf aber die habituelle Trägheit der Verhältnisse nicht ausblenden.

Zum einen muss mit Bourdieu festgehalten werden, dass eine neue Welt jenseits der ausschließenden Repräsentationen, mystifizierenden Delegationsbeziehungen und Klassen reproduzierenden Sprechakte gegenwärtiger Politik nicht einfach dadurch entsteht, dass bestimmte Praktiken als das Schaffen einer neuen Welt beschrieben werden. Die Welten, die Holloway und Zibechi beschreiben, sind doch faktisch relativ klein und nichts garantiert ihre Ausbreitung – auch und schon gar nicht die Beteuerung der Universalität der Anliegen und der universellen Mobilisierbarkeit der Armen. Der auf diesen beiden Momenten ruhende Fortschrittsoptimismus innerhalb der Linken und der sozialen Bewegungen ist bereits derart oft enttäuscht worden, dass eine sozialwissenschaftliche Perspektive allein als „Lehre aus der Geschichte“ auf die Unterstellung verzichten sollte. Darüber hinaus kann die Vorstellung einer prinzipiell in allen schlummernden Revolte ebenso wie die des aufständischen Charakters der Armen die vielfältigen Verhältnisse des Einverständnisses und der ökonomischen wie kulturellen Rendite nicht fassen. Die Frage, die Bourdieu so sehr beschäftigt hat, warum Menschen gegen entwürdigende Situationen nicht aufbegehren, wird bei Holloway und Zibechi mit den Verweisen auf die Revolte „in uns allen“ und der Widerständigkeit der Armen ausgeklammert.

Zum anderen aber beteuert gerade auch Bourdieu die Bedeutung performativer Sprechakte in der und für die Politik. Er schreibt: „In der Politik ist nichts realistischer als der Streit um Worte. Ein Wort an die Stelle eines anderen setzen heißt, die Sicht der sozialen Welt zu verändern und dadurch zu deren Veränderung beitragen.“ (Bourdieu 2005: 84) Die entscheidende Frage ist schließlich, wann diese Sicht der sozialen Welt auf allgemeine Gültigkeit trifft und welche hegemonialen Schwankungen sie auf dem Weg dorthin durchmacht. Denn – und Bourdieu selbst hat immer wieder darauf hingewiesen – längst nicht alle Sprechakte, die einen solchen Beitrag zur Veränderung der Welt leisten wollen, gelingen auch. Ihr Gelingen ist extrem voraussetzungsreich und hängt von der gesellschaftlichen Verteilung aller Kapitalsorten ab. Klassen und andere gesellschaftliche Ungleichheiten werden zwar u.a. durch Sprechakte, also diskursiv reproduziert, aber die schlichte Nicht-Benennung macht diese Reproduktion nicht rückgängig. Sie ist verknüpft mit materiellen Praktiken, Macht- und Besitzverhältnissen, in diese eingelagert und insofern immer relativ langlebig.

Dass die Delegationsbeziehung überhaupt funktioniert, hat Bourdieu – im Anschluss an Èmile Durkheim und Marcel Mauss – als Form sozialer Magie beschrieben. „Die Logik der Politik ist die der Magie oder, wenn man das vorzieht, die des Fetischismus.“ (Bourdieu 2005: 85) Es erscheint magisch, dass die Delegation, die eine Entrechtung, eine Art Raub der Stimme und damit schließlich eine Entwürdigung ist, auf Einverständnis stößt, das nicht einmal mehr als solches formuliert werden muss, sondern als selbstverständlich gilt. Das ist das zentrale Kennzeichen des Fetischismus: den Prozess (hier des Stimmenraubs/ der Entwürdigung) unsichtbar zu machen, um sein Ergebnis „unverständlich, als Wunder“ (Lefèbvre 1968: 66) erscheinen zu lassen. Bourdieu selbst hat in seiner späten Schaffensphase die Aufgabe der Intellektuellen darin gesehen, diese Art von Magie zu entkräften. Um die Möglichkeit einer solchen Entkräftung zu denken, bedarf es eines Begriffes von sozialer Magie oder Fetischismus, der dynamisch und historisch, d.h. veränderlich ist. Einen solchen verwendet gerade John Holloway in seiner ausführlichen Beschäftigung mit der gesellschaftstheoretischen Bedeutung der Fetischisierung. Er unterscheidet zwei Formen des Fetischismus, eine „starre“ und eine prozesshafte, und plädiert dafür, Fetischismus nicht als unveränderlichen Tatbestand, sondern als einen ständigen Kampf um Fetischisierung aufzufassen (vgl. Holloway 2002: 97). Fetischismus müsse als Fetischisierung und die Formen gesellschaftlicher Verhältnis als deren Formung verstanden werden. Dann sei klar, dass „Kategorien als offene Kategorien verstanden werden müssen.“ (Holloway 2002: 118)[12] Er kommt damit Bourdieu an dieser Stelle erstaunlich nahe: „Sobald die Denkkategorien nicht als Ausdrücke objektivierter gesellschaftlicher Verhältnisse, sondern als Kampf um deren Objektivierung verstanden werden, bläst ein ganz anderer Sturm der Unvorhersagbarkeit durch sie hindurch.“ (Holloway 2002: 118) Auch Bourdieu hat sich diesem Kampf um Objektivierung gewidmet und die Kategorien der Wahrnehmung als Teile und Produkte dieses Kampfes beschrieben. Allerdings hat er im Unterschied zu Holloway auch die Stabilität objektivierter Verhältnisse, deren Ausdruck sie zugleich sind, betont. Deshalb bestünde der Sturm der Unvorhersagbarkeit aus Bourdieu’scher Perspektive immer nur in einer Reihe von leichten Brisen.

Die Position Holloways und Zibechis unterschätzt die symbolische Macht, die die Delegationsbeziehung als originär politische Beziehung und Beziehung des Politischen ausweist und stabil hält. Denn das „Wunder“ (Lefèbvre), das der Fetischismus schafft, ist nicht nur vernebelnd und keinesfalls bloß unterdrückend, sondern – was an der Delegation so deutlich sichtbar wird wie kaum sonst – ermöglicht auch Partizipation und Prestige. (Die Delegationsbeziehung ist dementsprechend auch eher eine Be- als eine als Verzauberung, also keine manipulative Täuschung sondern eine – mehr oder weniger – begeisterte Teilhabe.) Es gilt also, das Problem der Teilhabe zu konzeptualisieren, das euphorische und widerwillige Mitmachen ebenso wie das geduldige Ertragen, die Trägheit des Sozialen zu begreifen. Dies ist aber im repressionshypothetisch fundierten, auf die potenzielle Mobilisierung „aller“ vertrauenden Entwurf Holloways nicht möglich. Dass die Zeit des Kapitals durchaus auch auf Gegenliebe stößt, gerne ausgefüllt wird und nicht nur als „fremder Zwang“ erscheint, ist im Holloway’schen Modell nicht denkbar. Darin gibt es nur Unterdrückung, bis die Magie durchschaut ist.

Soziale Bewegungen wie den Zapatismus als „Gemeinschaften“ zu beschreiben, die jenseits kapitalistischer Form(ier)ung als deren Anderes gedacht werden, wie Holloway und Zibechi es tun, ist einer sozialwissenschaftlich ermöglichten Durchschaubarkeit fetischisierter Beziehungen eher hinderlich. Um ein Verständnis von Fetischismus als Prozess auch in der Bewegungsforschung ernst zu nehmen und in Anschlag zu bringen, müsste erstens den konsensuellen Praktiken Aufmerksamkeit geschenkt werden, mit denen auch BewegungsakteurInnen immer wieder partiell in hegemoniale Projekte eingebunden werden (können), und deshalb dürften zweitens auch nicht bestimmte gesellschaftliche Bereiche, Sektoren oder Milieus als gewissermaßen frei von Fetischismen konzipiert werden. Die „gemeinschaftlichen“ Praktiken können zwar einerseits dazu beitragen, alternativen Modellen des Politischen Plausibilität und letztlich Legitimität zu verleihen. Dass solche Plausibilitäten auch praktisch erzeugt werden müssen, betont auch Bourdieu, wenn er auf die körperliche Dimension von Hinnahme und Beteiligung, die in der Delegationsbeziehung eingelassenen sind, hinweist. Diese beruhen auf einem „praktischen Glauben“, der Gewohnheiten körperlich (und nicht nur im Kopf) verankert und gleichsam adressiert. Daher ist der Delegationsbeziehung schließlich nicht allein durch intellektuelle Anstrengung, durch klassische Aufklärungsarbeit zu begegnen. Es bedarf zu emanzipatorischer Veränderung nach Bourdieu (2001a: 220) einer wahren „Arbeit der Gegendressur, die ähnlich dem athletischen Training wiederholte Übungen einschließt, eine dauerhafte Transformation der Habitus zu erreichen.“ Auch wenn der Zapatismus durchaus politische Praktiken entwickelt hat, die in wiederholten „Übungen“ überkommene Muster politischer Mobilisierung durchbrochen haben, darf solche Praxis andererseits nicht theoretisch verabsolutiert werden. Sie ist weder ein stabiles, absolutes Anderes noch Garant für dessen Möglichkeit.[13]

Die grundsätzliche Frage allerdings bleibt weithin umstritten, woran man die Effektivität der Effekte (auf die symbolische Ordnung) von sozialen Bewegungen überhaupt misst – eine Frage, die unweigerlich in die weiter gehende Diskussion darüber münden muss, wer legitimer Weise über die als legitim anerkannten Messinstrumente und Maßeinheiten verfügt.[14] Wie Bourdieu es für die Diskussionen um Begriffe wie „Volk“, „volkstümlich“ und „populär“ konstatiert, deren legitimer Gebrauch im politischen Feld stets umstritten ist, bleiben die Sichtweisen auf den Zapatismus zwischen Nischenpolitik und Revolution zunächst vor allem „Streitobjekte zwischen Intellektuellen“ (Bourdieu 1992c: 167). Dieser Streit jedoch müsste nicht unbedingt antagonistisch geführt werden. Man könnte es schließlich mit der mexikanischen Ökonomin Ana Esther Ceceña halten, die davon ausgeht, dass einerseits Konkurrenzverhältnisse durch Solidarität nur praktisch ersetzt werden können, indem, wie im Zapatismus, „das Politische als alltägliche Praxis der Vermittlung zurückgewonnen wird“ (Ceceña 2009: 21) – wohl wissend, dass andererseits der Kapitalismus damit keinesfalls abgeschafft ist, denn er „steckt uns in den Knochen.“ (ebd.: 20) In diesem Sinne wäre sozialwissenschaftlich wie politisch für einen aufgeklärten Dilemmatismus zu plädieren, der die politischen Fallstricke der Delegation und Repräsentation nicht leugnet (oder vertuscht), sondern offensiv benennt.

Die Priestersicht der Politik hat schließlich dazu geführt, die (auf Delegation gegründeten politischen) Apparate mit einer Selbstkonsekration auszustatten, die zur Folge hat, dass nicht als politisch gilt (und sich deshalb schuldig fühlt), wer nicht mitmacht. Um die Priestersicht der Politik zu verändern, muss es schließlich darum gehen, nicht nur die Sichtweise anzugreifen, sondern auch die Apparate. Theorien der Praxis und der sozialen Kämpfe – unter dieser Kennzeichnung ließen sich der Holloway’sche Marxismus und der Bourdieu’sche Ansatz gleichermaßen rubrizieren – können einen Beitrag zu solchen Angriffen leisten (indem sie andere Praktiken beschreiben und/ oder als schreibende Praxis selbst intervenieren). Sie decken aber mit den von ihnen produzierten Sichtweisen niemals das ganze Schlachtfeld ab – geschweige denn die Gesamtheit der Kämpfe.

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[1] Die in einigen, vor allem poststrukturalistischen philosophischen Entwürfen gemachte Unterscheidung zwischen „Politik“ und dem „Politischen“ wird hier nicht mit vollzogen, da sie das hier behandelte Problem eher zu verschleiern oder zumindest zu verschieben scheint: Die Politik als institutionalisiertes und rationalisiertes Konglomerat von Verfahrensweisen dem instituierenden und affektiven Politischen entgegenzusetzen, verhindert tendenziell den Blick auf die Prozesse der Legitimierung, Anerkennung und des Konsenses, die in der Delegationsbeziehung zur Debatte stehen, weil sie sie für irrelevant erklärt (und im Zweifel die Legitimität „der Politik“ und die Delegations- und Repräsentationskritik „dem Politischen“ zuschlägt). Die Delegationsbeziehung wäre der Bereich, in dem sich das „Politische“ und die „Politik“ bis zur Ununterscheidbarkeit überkreuzen.

[2] Erstaunen kann, dass Bourdieu selbst in seiner Agitation für soziale Bewegungen in den 1990er Jahren diese Dilemmata nicht thematisiert. Dem Autoritätseffekt beispielsweise, auf den der Neoliberalismus durch die Einsetzung von Expertenkommissionen etc. setzt, sei ein anderer „Autoritätseffekt entgegenzusetzen“ (Bourdieu 1998b: 62), der durch kritische WissenschaftlerInnen etabliert werden könne, die mit den Bewegungen solidarisch verbunden seien. Dass Autoritätseffekte – letztlich auch Ausdruck und Effekt von Delegationsbeziehungen – überhaupt in Frage zu stellen sind, klingt hier gerade noch in der Forderung an, die Gewerkschaften hätten, um sich als anti-neoliberale Kraft zu formieren, einen grundsätzlichen „Sinneswandel“ (Bourdieu 2001b: 19) zu durchlaufen. Die „Wiedereingliederung der Immigranten in die soziale Bewegung“ (Bourdieu 2001b: 22), die Bourdieu als ersten Schritt zu deren Transnationalisierung fordert, legt hingegen nahe, als seien die MigrantInnen bereits integriert gewesen in gewerkschaftliche Kämpfe und als gebe es in diesen Integrationsprozessen kein Delegationsdilemma. Darüber hinaus unterschätzt Bourdieu damit implizit auch die vielen anderen Schritte, die jenseits von gewerkschaftlichen Kämpfen und völlig unabhängig von ihnen zu Transnationalisierungen von sozialen Bewegungen geführt haben.

[3] Wenn im Folgenden von Zapatismus und Delegation die Rede ist, muss nicht in erster Linie von Subcomandante Marcos gesprochen werden. Der charismatische Sprecher der Guerilla-Bewegung ist in den 1990er Jahren zu einem Medienstar avanciert – eine Entwicklung, die für die Außenwirkung des Zapatismus zwar bedeutend war (und ist), aber für die Bewegung selbst nicht überschätzt und daher auch durch die sozialwissenschaftliche Forschung nicht verdoppelt werden sollte. Denn nach Bourdieu funktioniert die Usurpation des Mandatsträgers (oder der Mandatsträgerin) als Person, die glauben macht, dass „hinter ihr“ eine Gruppe steht, in deren Namen sie spricht, insbesondere dadurch, dass einerseits diesem Sprechen niemand widerspricht und andererseits die sprechende Person als SprecherIn angesprochen wird. Marcos ist nicht, d.h. verkörpert weder die EZLN, noch ist er ein typischer Delegierter.

Bourdieu beschreibt, dass und inwiefern in dem Prozess des Glauben-Machens, dass hinter der Person die Gruppe steht, den Medien eine besondere Bedeutung zukommt, die diesen Glauben produzieren, weil sie selbst auf die Produkte, also die autorisierten SprecherInnen, angewiesen sind, die der Glaube produziert. Die Presse, „die nur Wortführer, Sprecher kennt und anerkennt, [verdammt] alle übrigen in die Rubrik ‚freie Meinung’ [...]“ (Bourdieu 1992a: 179), spielte auch in der Rezeption zapatistischer Politik eine große Rolle, als beispielsweise die „Enttarnung“ von Subcomandante Marcos 1996 als Regierungserfolg gefeiert oder die zapatistische Kampagne zur Durchsetzung der Verträge von San Andrés 2001 als eine Art Duell zwischen dem Sprecher der EZLN und dem mexikanischen Präsidenten Vicente Fox inszeniert wurde. Die Zapatistas und Marcos selber haben die Rolle von Marcos zwar einerseits stets geschickt zu nutzen gewusst, aber immer kritisch hinterfragt. Nicht zuletzt in seiner aktuellen (Subcomandante Marcos 2009) Veröffentlichung sagt Marcos auf die Frage danach, was im Rückblick auf 14 Jahre zapatistischen Aufstand hätte anders gemacht werden müssen, dass auf seine Person hätte verzichtet werden müssen. Auch innerhalb der pro-zapatistischen Bewegung ist dem Kult um den Sprecher nicht immer mit Distanz begegnet worden, wenn beispielsweise jedes Schweigen der Kommandantur oder die eingeschränkte schriftstellerische Tätigkeit des EZLN-Sprechers als Krise der Bewegung interpretiert wurde. Eine angemessene Repräsentation stellt in diesem Sinne beispielsweise der Film „Der Aufstand der Würde. Die zapatistische Bewegung in Chiapas/Mexiko“ (Luz Kerkeling/ Dorit Siemers/ Heiko Thiele, 65. Min., D/Mex 2007) dar, in dem Subcomandante Marcos als sprechende Person das erste Mal nach etwa 45 Minuten auftaucht.

 

[4] Die Zapatistas selbst vertreten eine Haltung, die sowohl identitätspolitische Aspekte enthält als auch strategisch-universalistisch vorgeht: So beginnt einerseits die Erste Erklärung aus dem Lakandonischen Urwald 1994 mit den Worten „Wir sind das Ergebnis von 500 Jahren Kampf“ und spielt damit auf eine gemeinsame, Identität stiftende Geschichte an, die immer wieder auch in den konkreten politischen Auseinandersetzungen, beispielsweise um die Durchsetzung der kollektiven Rechte, zur Mobilisierung der Anhängerschaft und zur Plausibilisierung der eigenen Anliegen genutzt wurde. Andererseits lautet eine der paradox wirkenden Parolen der Zapatistas „Hinter unseren Masken sind wir ihr“, die sowohl eine alle umfassende als auch eine konkretere Lesweise zulässt, die sich nicht auf „die Menschheit“, sondern speziell auf die in den Kampagnen immer wieder adressierten anti-neoliberalen Kräfte bezieht. Zum „strategischen Universalismus“ sozialer Bewegungen vgl. Gilroy 2001, in Bezug auf den Zapatismus vgl. Kastner 2007.

[5] Auch Antonio Negri ordnet den Zapatismus jenen Strömungen der Linken zu, „die man die ‚andere’ Arbeiterbewegung nennt, die humanistischen und libertären Bewegungen, die produktiven Utopien, die den Bruch mit jeglicher Vorstellung eines linearen und notwendigen Fortschritts vollziehen.“ (Negri/Scelsi 2009: 71) Zum Zapatismus als libertäre Bewegung vgl. auch Kastner 2006 und Kastner 2009.

[6] Diese gleichermaßen die eigene Organisierung und die Organisationen des sozialen Ganzen betreffende Ausrichtung des Agierens und Agitierens scheint mir ein Spezifikum derjenigen Strömungen zu sein, die unter dem Begriff Anarchismus zusammenzufassen sind, wohl wissend, dass insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg auch innerhalb der kommunistischen Bewegung im Kontext der Diskussion um die Räte auch Modelle alternativer Mandate, Delegationen und Repräsentationen diskutiert wurden.

 

[7] Über die Bekräftigung der Prinzipien der Ersten Internationale – die Emanzipation der Arbeiterklasse könne nur das Werk der Arbeiter selbst sein – auf dem Gründungskongress der CNT von 1910 bemerkt Bernecker (1980: 44): „Charakteristisch für diese – sowie für alle späteren – Beschlüsse der CNT ist das Fehlen jeglicher Analyse der revolutionären Situation. Die Delegierten beschäftigten sich nicht mit den für den Erfolg einer Revolution erforderlichen sozialen und ökonomischen Voraussetzungen, sie diskutierten nicht die von exogenen Dispositionen abhängige Revolutionsstrategie; es ging nicht um eine Untersuchung der gesellschaftlichen Realität als Grundvoraussetzung des weiteren Vorgehens.“

[8] Sowohl die zivilgesellschaftlichen Initiativen als auch die Entwicklungen innerhalb der Autonomen Gemeinden sind dermaßen breit rezipiert und oft kommentiert worden, dass ich mich damit begnügen möchte, hier lediglich auf die allgemeine Literatur zum Zapatismus zu verweisen. Zu den „Räten der Guten Regierung“ besonders interessant erscheint mir die Reflexion von Subcomandante Marcos, die 2004 anlässlich ihre einjährigen Bestehens in der Tageszeitung La Jornada unter dem Titel „Ein Video lesen“ als achtteilige Serie erschienen ist. Dieses wie nahezu alle Dokumente von Subcomandate Marcos und der EZLN finden sich auf Deutsch auf der Homepage www.chiapas98.de

[9] Michael Vester (2007: 29) hat darauf hingewiesen, dass Bourdieu das Feld des Alltagslebens von jenem der Politik durch einen „epistemologischen Bruch“ gekennzeichnet durch verschiedene Logiken geprägt sieht. Die Analyse sozialer Bewegungen im Anschluss an Bourdieu wäre am Beispiel außereuropäischer Bewegungen gefordert, ihre eigenen feldanalytischen Grundlagen zu hinterfragen.

[10] Zibechi betont ausdrücklich – ganz im Gegensatz zum Gros der Analysen der von Indigenen geführten Kämpfe –, dass es sich konkret bei den Bewegungen der Aymara in El Alto/Bolivien nicht um das Aufleben traditioneller Gemeinschaften handelt, sondern dass hier neue Formen von Gemeinschaft entstanden sind, die von den Beteiligten „neu erfunden“ (Zibechi 2009: 35) wurden. Dies lege bereits die Sozialstruktur der Stadt nahe: 90 Prozent der heutigen BewohnerInnen von El Alto leben dort noch nicht viel länger als 30 Jahre.

[11] Im Sinne des einführenden Bourdieu-Zitats müsste es fast schon als irreführend bezeichnet werden, wenn Holloway (2007) als Beispiel für das Aufständische gegen die „abstrakte Arbeit“ die Riots in französischen Vorstädten nennt, ohne zu erwähnen, dass zur gleichen Zeit mit Nicolas Sarkozy ein Präsident mit enormer und vor allem auch Milieu übergreifender Wahlbeteiligung gewählt wurde, der mit dem individualistisch-neoliberalen und gezielt anti-gewerkschaftlichen Slogan „Mehr arbeiten, um mehr zu verdienen“ angetreten war. Bei Zibechi (2009) hingegen muss verwundern, wie aus der detailreichen Schilderung der besonderen Situation der Aymara in Bolivien, die die sehr spezifisch konstituierte gemeinschaftliche Macht gegen die Macht des Staates setzen, eine Konzeption von gemeinschaftlicher Politik entstehen kann, die gerade die spezifische Genese – ländliche Gemeinden ziehen innerhalb weniger Jahre fast geschlossen in dieselbe Stadt und siedeln sich dort nach Berufsgruppen orientiert an – ausblendet und „Gemeinschaft“ zu einem allgemein gültigen, antihegemonialen Modell erklärt.

 

[12] Die gewissermaßen praxistheoretische Herangehensweise an den Fetischismus ist sicherlich nicht das alleinige Verdienst Holloways, sondern Teil der undogmatischen und akteurszentrierten Lesweisen des Marx´schen Werkes. Schon Marx selbst betont in seinen Ausführungen zum Fetischcharakter der Ware die tätige Herstellung des Fetischismus und verweist gerade in diesem Zusammenhang auf religiöse Mechanismen – ein Zusammenhang, den schließlich auch Bourdieu vielmehr betont und präzisiert als entdeckt: „Es ist nur das bestimmte gesellschaftliche Verhältnis der Menschen selbst, welches hier für sie die phantasmagorische Form eines Verhältnisses von Dingen annimmt. Um daher eine Analogie zu finden, müssen wir in die Nebelregionen der religiösen Welt flüchten. Hier scheinen die Produkte des menschlichen Kopfes mit eigenem Leben begabte, untereinander und mit dem Menschen in Verhältnis stehende selbständige Gestalten.“ (Marx 1989: 86)

[13] Auch wenn analytisch zu berücksichtigen (und politisch wertzuschätzen) ist, dass diese teils gelungenen Versuche, alternative Strukturen zu entwickeln, unter Bedingungen extremer Armut und vor allem permanenter militärischer Belagerung, drohender Repression und gelegentlicher paramilitärischer Angriffe im Rahmen eines „Krieges niederer Intensität“ nicht nur stattfanden und stattfinden, sondern sich auch in Form politischen und organisatorischen Anleihen weltweit in diversen globalisierungskritischen Netzwerken und Basisgruppen, anarchosyndikalistischen Gewerkschaften, selbstverwalteten Betrieben und Kooperativen etc. niederschlugen, scheint mir eine dauerhafte Transformation der Habitus – außer in den autonomen Gebieten und den Kreisen der globalisierungskritischen, pro-zapatistischen Gruppen, aber selbst da nur bedingt – eher fraglich.

[14] Der Zapatismus bzw. Neozapatismus kann mit seinen globalen sozialen Netzwerken und seinem über mehr als anderthalb Jahrzehnte langen Bestehen insofern durchaus mithalten mit den in der sozialwissenschaftlichen und politaktivistischen Literatur immer wieder herangezogenen Beispielen selbstermächtigender, sozialrevolutionärer Projekte wie der Paris Commune 1871 oder der Spanischen Revolution 1936, die nach wenigen Monaten gewaltsam beendet wurden. Zu den transnationalen Effekten des Zapatismus vgl. Bewernitz 2002, Kastner 2004, Kerkeling 2006, Leyva Solano 2009.

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