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Robert Zion: Anmerkungen zu Karl Reitters „Kritischen Bemerkungen zum Artikel von Robert Zion ‚Eine spinozianische Grundlegung der Linken’“

Ich widerspreche Karl Reitter keineswegs grundsätzlich in den Fragestellungen, würde jedoch meinerseits anmerken, dass dieser Text in erster Linie einen Versuch darstellt, die Spinoza-Interpretation Hardt/Negris zu umreißen, wie sie in Commonwealth ausgearbeitet ist (die ihrerseits wiederum eine Art Abbildung von Negris Knast-Buch über Spinoza auf die Thematiken von Empire darstellt). Dass diese Interpretation ihrerseits wiederum stark deleuzeianisch geprägt ist, ist richtig und in der Tat zu diskutieren.

Sollte das hier umrissene Feld jedenfalls zu weiteren Debatten führen, dann kann dies nur positiv sein. Höchst unglücklich fände ich es aber, wenn diese Debatte – wieder einmal – zu einer über den „französischen Antihumanismus“ werden würde. So sehr ich Karl Reitters Betonung der zweifellos vorhandenen cartesianischen Momente bei Spinoza (gewissermaßen der schulphilosophische Rationalist) nachvollziehen kann, so sehr würde ich aber auf der – in der Tat – Verflachung (auf eine zweidimensionale Fläche) des ontologischen Raumes beharren wollen (Analog zum „glatten Raum“ des Empire). Nun ist das Begriffspaar Zusammensetzung/ Zersetzung zwar in Tat ein Schematismus, aber keineswegs ein Dualismus, eher ein Dynamismus.[1] Obwohl viele Deleuzeianer diese Tendenz haben, denke ich dennoch, dass wir damit nicht notwendigerweise bei Bergson/Nietzsche landen. Eben was das „geistige Klima“ betrifft, so scheint doch Deleuze immer auf ein „Dazwischen“ zu zielen: der „Philosoph der Vereinigten Provinzen“ (wie übrigens auch Leibniz!) steht für Deleuze und Negri zwischen Theologie und rationaler Metaphysik, zwischen Humanismus und Aufklärung, zwischen Konstitution und Repräsentation, Naturrecht und positivem Recht, Markt und Kapitalismus etc. Und es ist sicherlich einer der wichtigsten Ansätze von Hardt/Negri in Commonwealth, dieses „Dazwischen“ auch historisch auszudeuten, so, wenn die Desaster des zwanzigsten Jahrhunderts eben nicht einfach auf das „geistige Klima“ einer irrationalistischen Metaphysik (Dilthey, Nietzsche, Bergson) zurückgeführt werden, sondern ebenso auf die „Wehrlosigkeit“ der rationalistischen, bürgerlichen Metaphysik (insb. des Neukantianismus).

Die Ablehnung jeglicher Eminenz, die sich im Immanenzgedanken ausdrückt, scheint mir doch notwendigerweise in ein differenzielles, a-dialektisches Denken zu münden, dass aber doch nicht unbedingt antihumanistisch sein muss. Ist es nicht vielmehr so, dass der Humanismus den Menschen als Möglichkeitsform definiert? Und wie kann ich dies – auch heute wieder – tun, wenn ich nicht zugleich sein Noch-Nicht (vielleicht sogar sein Nicht-Mehr?) zumindest als möglich annehme (ebenso den Kommunismus, der mit dieser Frage in einem engen ontologischen Zusammenhang steht)?

Und abschließend: ja, Deleuzes Interpretation lässt an Freud denken. Aber, haben wir Freud – hat er selbst sich – nicht immer als Psychologen missinterpretiert? Was ist die Psychoanalyse? Eigentlich doch nur ein Gedanke: „Die Kette der physiologischen Vorgänge im Nervensystem steht ja wahrscheinlich nicht im Verhältnis der Kausalität zu den psychischen Vorgängen. Die physiologischen Vorgänge hören nicht auf, sobald die psychischen begonnen haben, vielmehr geht die physiologische Kette weiter, nur dass jedem Glied derselben (oder einzelnen Gliedern) von einem gewissen Moment an ein psychisches Phänomen entspricht. Das Psychische ist somit ein Parallelvorgang des Physiologischen.“[2] Also: „Die physiologischen Vorgänge hören nicht auf, sobald die psychischen begonnen haben.“ „Wir“ sind „uns“ in dem, was wir das „Subjekt“ nennen, also immer zugleich hinterher wie auch voraus. Auch der Parallelismus ist also ein Dazwischen (und was haben Foucault, Althusser, Deleuze etc. eigentlich anderes gesagt, wenn wir ihr Denken als nicht-vermittelndes Denken der produktiven Differenzen auffassen?). Wenn denn eine spinozianische Grundlegung der Linken Sinn machen sollte, dann doch nur als Philosophie einer alternativen Produktion von Subjektivität und eben nicht als Denken des Subjekts in der Linie Descartes-Kant-Hegel.


[1] Die Verflachung des ontologischen Raumes auf eine zweidimensionale Fläche bei Deleuze, geschieht ja eben auch in der Absicht, die Illusionen der „Tiefe“ der gesamten bürgerlichen Metaphysik zu überwinden (so etwa, wenn Deleuze Leibniz’ Weltbeschreibung als Faltungen einer Oberfläche deutet). Hinsichtlich Spinoza führt dies in der Darstellung der Triade Substanz – Attribut – Modus zu einer Ausdeutung, die eben nicht lebensphilosophisch-vitalistisch, sondern eher „kinematografisch“ ist. 

[2] Sigmund Freud: Zur Auffassung der Aphasien. Eine kritische Studie, Frankfurt a. M.: Fischer 1992, V, S. 98.

 

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ISSN 1814-3164 
Key title: Grundrisse (Wien, Online)

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