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Martin Birkner: Do
you remember Wissensfabrik?, 12 Thesen und ein unausgewiesenes Zitat zur Universität in der gesellschaftlichen Arbeitsteilung des postfordistischen Kapitalismus und deren Überwindung*) Im Folgenden soll thesenartig der Stellenwert der gesellschaftlichen Arbeitsteilung für die Aufrechterhaltung aber auch für die Überwindung kapitalistischer Verhältnisse nachgezeichnet werden. Im Zentrum dabei steht dabei einerseits „analytisch“ die gegenwärtige postfordistische Transformation des Kapitalismus und andererseits „politisch“ die Perspektive gesellschaftlicher Befreiung eingedenk dessen, dass es kein Außerhalb kapitalistischer Verhältnisse mehr gibt, zumal in den metropolitanen Regionen der Welt. Ein derartiger Blickwinkel hilft hoffentlich ein Stück weit dabei, die Unmöglichkeit fortschrittlicher bildungspolitischer Bewegungen und Forderungen ohne Berücksichtigung des gesellschaftlichen Kontextes sichtbar zu machen sowie die Suche nach kollektiven Formen eines emanzipativ orientierten Widerstandes gegen die Zumutungen der „Wissensgesellschaft“ voranzutreiben. 1. Wir leben im Zeitalter der reellen Subsumption der gesamten Gesellschaft unter das Kapitalverhältnis. Nicht mehr nur die Arbeit, sondern das ganze Leben wird – zumindest tendenziell – den Reproduktionserfordernissen des Kapitals unter- bzw. eingeordnet. Es gibt kein Außerhalb des Kapitalismus mehr – es sei denn, wir stellen künftig eines her. 2. Dies gilt auch für die Widerstände und emanzipativen Bewegungen gegen den Kapitalismus. Angesichts der Tatsache, dass selbst jene Bewegungen, an die sich historisch am ehesten anknüpfen ließe, letztlich zumindest zur Weiterentwicklung, wenn nicht zur Verfeinerung und Dynamisierung kapitalistischer Herrschaftsverhältnisse beigetragen haben, kann es keinen archimedischen Punkt emanzipativer Kritik mehr geben. Der (National)Staat war dies ohnehin nie, aber auch die Parteiform oder das Sich-Berufen auf revolutionäre Subjekte „an sich“ ist Schnee von gestern. Stattdessen gilt es, den kapitalistischen Betrieb der Universität am Funktionieren zu hindern und gleichzeitig und gleichwertig eigene Formen der Wissensproduktion, -distribution und -aneignung zu entwickeln, eben eine transnationale solidarische Ökonomie des kommunen Wissens. 3. Die materialistische Lehre von der Veränderung der Umstände und der Erziehung vergisst, dass die Umstände von den Menschen verändert und die Erzieherin bzw. der Erzieher selbst erzogen werden muss. Sie muss daher die Gesellschaft in zwei Teile - von denen der eine über ihr erhaben ist - sondieren. Das Zusammenfallen des Änderns der Umstände und der menschlichen Tätigkeit oder Selbstveränderung kann nur als revolutionäre Praxis gefasst und rationell verstanden werden. Da auch der postfordistische Kapitalismus zentral auf der Teilung der gesellschaftlichen Gesamtarbeit beruht, gilt es die Veränderungen dieser Arbeitsteilung zu erkennen. Diese Veränderungen aber sind selbst wieder von (vorangegangenen) Widerstandsbewegungen und sozialen Kämpfen abhängig (siehe These 2). Die Veränderung der klassischen kapitalistischen Arbeitsteilung zwischen „Kopf-“ und „Handarbeit“ wurde nicht zuletzt durch die 1968er-Bewegung und die zweite Frauenbewegung theoretisch und praktisch in Frage gestellt. 4. Das Bildungssystem und insbesondere die Universitäten waren und sind zentrale Institutionen dieser Arbeitsteilung. Ein Universitätsabschluss garantierte in hochfordistischen Zeiten mehr oder weniger die Teilnahme an der „kopfarbeitenden“ Elite. Der Übergang zur Massenuniversität, begleitet von den massiven sozialen Kämpfen der 1960er und 70er Jahre, führte zu einer Veränderung der zuvor relativ klaren und stabilen Trennungslinie zwischen Intelligenz und Proletariat. Damit einhergehend wurde der akademische Titel als allgemeines Äquivalent universitärer Bildung entwertet. Um dieser Entwertung entgegenzutreten, griff und greift der kapitalistische Staat zu administrativen Maßnahmen wie Zugangsbeschränkungen, Studiengebühren, knock-out-Prüfungen etc. Aber nicht nur das: 5. Die Veränderungen im postfordistischen Universitätsbetrieb führten zu einer verfeinerten Abstufung der Bildungsabschlüsse. Die scheinbare Paradoxie: Wir haben es mit Prozessen von Verschulung und neuer Elitenbildung gleichzeitig zu tun! Die Einführung von Fachhochschulen, Privatuniversitäten oder unzähligen Post-Graduate-Studiengängen soll eine eng an die ökonomischen Bedürfnisse angeschmiegte feinunterteilte Ausbildungslandschaft produzieren, ebenso die andauernden Reformen, Reformen der Reformen etc. Dies lässt jedoch auch auf eine gewisse Hilflosigkeit der Herrschenden hinsichtlich der An- und Einpassung des postmodernen „Menschenmaterials“ an die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes erkennen. Etwas besser ist dagegen die ideologische Reform gelungen: Kaum jemand studiert wirklich noch länger als die Mindeststudiendauer, die jetzt auch Regelstudiendauer heißt und der Anrufung der Studierenden als künftige ArbeitskraftunternehmerInnen wir weitgehend Folge geleistet. 6. Wer Elite sein wird, ist durch die Universität gegangen, der Umkehrschluss aber gilt nicht: Ein Universitätsabschluss ist heute eher Garant einer prekären Ich-AG-Zukunft als ein Sprungbrett in die Elite. Auf diese Veränderungen muss die kritische Selbstreflexion der studierenden Subjekte reagieren. Wir werden prekarisiert und proletarisiert. Studentischer Widerstand sollte sich daher auch als Klassenkampf, verstanden als verallgemeinerungswürdiger Kampf gegen das Klassifiziert-Werden, begreifen. 7. Ohne die konstitutive Miteinbeziehung genderkritischer und antirassistischer Analysen kann der komplexen Realität der universitären Landschaft – zumal in kritischer Absicht – nicht adäquat Rechnung getragen werden. Die sexistischen und rassistischen Arbeitsteilungen und Ausschlussmechanismen begrenzen einerseits (institutionell) den Zugang zu den Wissensinstitutionen, andererseits depotenzieren die herrschaftskonformen Varianten des ehemals subalternen Wissens (Stichworte: Diversity Management oder Gender Mainstreaming) die Sprengkraft von Theorie und Praxis eben dieses Wissens. 8. Kritische Wissenschaft darf sich nicht ausschließlich auf Wissensinhalte beschränken sondern muss mit Wissenschaftskritik, d.h. der Infragestellung der Identität als StudentIn bzw. WissenschaftlerIn ebenso einhergehen wie mit der Suche nach neuen, antihierarchischen und partizipativen Formen der Wissensaneigung bzw. -vermittlung. Theoretische und praktische Ideologiekritik ist nicht obsolet, ebenso wenig eine Kritik der wissenschaftlichen Arbeitsteilung in Disziplinen als herrschaftlich verfasste universitäre Funktionsäquivalente der Abteilungen in Fabriken und Ämtern oder der militärischen Waffengattungen. 9. Eine Kritik des postfordistischen Kapitalismus darf die Kritik der Universität ebenso wenig ausklammern wie eine universitäre Protestbewegung das Eingebundensein der Bildungsinstitutionen in den kapitalistischen Reproduktionszyklus. Das humboldtsche Bildungsideal war nie in Einklang mit dem kommunistischen Streben nach Herrschaftslosigkeit zu bringen, sondern basierte auf den humanistischen Vorstellungen bürgerlicher Gesellschaft – also herrschaftlicher verfasster und von Eliten geleiteter sozialer Verhältnisse. 11. Im zunehmend wissensbasierten Kapitalismus wird das Wissen heute selbst zur vergesellschafteten Produktivkraft. Dies bedeutet sowohl die Unterwerfung der Wissensproduktion unter den Akkumulationsimperativ des globalen Kapitalismus, ist jedoch gleichzeitig auch eine Chance, da die assoziierten WissensproduzentInnen des Postfordismus nicht mehr auf eine außerhalb ihrer Assoziation existierende planende oder anleitende Instanz angewiesen sind. Tendenziell kehrt das gesellschaftliche Wissen zu den ProduzentInnen zurück – die starren Trennungen des Fordismus – allen voran jene zwischen Hand- und Kopfarbeit – wurden und werden aufgeweicht. Dazu hat gesellschaftliches Wissen eine Eigenschaft, die es von materiellen Waren unterscheidet: Es verschwindet nicht beim Konsum, im Gegenteil vermehrt es sich dadurch und wird angereichert. Diese bietet der Perspektive der Wiederaneignung gesellschaftlicher Produktion in solidarischer Absicht einen optimalen „kommunen“ Nährboden: Wir brauchen zur Wissensproduktion weder Staat noch Kapital, vielleicht aber ganz rasch ein bedingungsloses Grundeinkommen. 12. Laut aktuellen Studien lebt rund die Hälfte der Studierenden in diesem Land an oder unter der Armutsgrenze, während Privatuniversitäten, Exzellenz-Cluster, Forschung im Dienste der neuen Kriege, industrienahe Lehrstühle und Drittmittelfinanzierung den Kapitalismus immer unvermittelter die ehemaligen Elfenbeintürme in deterritorialisierte Werkshallen der nunmehr gesellschaftlich gewordenen Fabrik verwandeln. Die Universität im Kapitalismus wird direkt zur kapitalistischen Universität: sie produziert als kapitalistisch strukturierte Bildungsinstitution mittels ECTS-Punkten und Noten als allgemeinen Äquivalent warenförmiges Wissen und damit die für den Kapitalismus wertvollste Ware: die Ware Arbeitskraft, einerseits vollständig unter das Kapitalverhältnis subsumiert und gleichzeitig, wie vorhin bereits angesprochen, potenziell autonom von seiner kapitalistischen Form. Da müssen wir durch. 13. Mögen die Räte der Massenintellektualität sich mit den multiplen Widerstandsbewegungen gegen die kapitalistischen Zumutungen vernetzen. Es gibt jedenfalls keine Chance mehr für ein Zurück zu halbstaatlichen Interessensvertretungen, fordistischen Mitsprachemodellen, es gibt keine vom gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang loszulösende „Bildungspolitik“, die nicht Standes- und somit Standortpolitik wäre. Die Perspektive kann also nur lauten: “Bildung für alle und zwar umsonst!“ als antikapitalistische Parole zur Geltung zu bringen1, Räume besetzen, die Kosten in die Höhe treiben, die Zeit zurückerobern, solidarische Bildungsformen entwickeln, die Proteste ausdehnen und mit anderen verknüpfen, also letztlich, angelehnt an einen von Andre Gorz bereits 1970 unterbreiteten Vorschlag: die kapitalistische Universität am Funktionieren hindern. Es lebe die solidarische Ökonomie des globalen kommunen Wissens!
1 so könnte vielleicht auch das Wörtchen „umsonst“ zu einer möglicherweise ungeahnten Bedeutung kommen; „Leistung“ ohne Gegenleistung ... |
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