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Die Uni brennt? In den vergangenen Jahren wurden an den verschiedenen Universitäten zahlreiche Reformen umgesetzt, die auf eine grundlegende Umgestaltung der Universität zielen. Diese waren zwar von Protesten begleitet, die aber keine länger anhaltende Dynamik entfalteten. Im Herbst 2009 wurde von Studierenden und Lehrenden ausgehend von der Akademie der Bildenden Künste und der Universität Wien eine Protestbewegung angestoßen, die für viele sehr überraschend kam (Geil!). Hier ein Gespräch von und mit in den Protesten involvierten Studierenden. Zu den Hintergründen und der Entwicklung des Protests Claude Spivak: Viele Studierende hatten über Jahre hinweg in Bezug auf bildungspolitische Fragen Vorarbeit geleistet. So kam es etwa anlässlich der Novelle des Universitätsgesetzes, wohl aus taktischen Gründen im Sommer beschlossen, zu Demonstrationen, an denen sich jedoch nur wenige Studierende beteiligten. Ende Oktober 2009 sollten nunmehr die „Leistungsvereinbarungen“ der Akademie vom Ministerium unterzeichnet werden. Dies hat für viel Unruhe gesorgt: Erstens hatten die Studierenden kein Mitspracherecht in der Ausarbeitung der Leistungsvereinbarung und zweitens hätten die sogenannten Bologna-Richtlinien umgesetzt werden sollen. Anlässlich dessen kam es zu einer Pressekonferenz am Dienstag, den 20.10.2009 und zu einer ersten Demonstration sowie im Anschluss daran zur Besetzung der Akademie. Wir hatten sofort sehr viel Kontakt zu Studierenden der Hauptuniversität Wien, insbesondere zu Studierenden der Politikwissenschaft (POWI) und der Internationalen Entwicklung (IE) und kamen gemeinsam zum Schluss, dass es um Bildungspolitik in einem sehr weiten Kontext bzw. auch um gesellschaftspolitische Fragen geht. Am Donnerstag folgte seitens der Akademie zusammen mit der IE und der POWI die temporäre Besetzung des Hörsaals C1 und die Demonstration vor der Votivkirche, von der aus dann das Audimax besetzt wurde. Hans Maria Wolpertinger: Vielleicht kann ich hier auf ein paar Details zum Ablauf eingehen: Bei der Vollversammlung am Tag vor der Besetzung ging es zumeist um die Frage, ob wir die Akademie verlassen, uns also rauswerfen lassen sollten - vielleicht auch verbunden mit dem Gedanken eine eigene Akademie zu gründen - oder ob wir bleiben sollten, wohin die Diskussion uns führte. Die Entscheidung zur Besetzung war ein sehr wichtiger Punkt. Nach der Hauptversammlung folgte eine relativ kleine Kundgebung mit 200-250 Personen vor der Akademie, auf der Unsicherheit, ein „noch nicht genau wissen, was“, noch spürbar war. Die Leute mussten erst aufgefordert werden, sich ihren Raum zu nehmen. Schließlich wurde die Akademie besetzt, wobei bis Donnerstag, der Tag an dem die „Leistungsvereinbarungen“ hätten unterzeichnet werden sollen, offen blieb, ob die Besetzung mit diesem Tag ihr Ende finden würde. Obwohl sich der Protest insbesondere auch gegen das Rektorat richtete, haben wir dem Rektor damit paradoxerweise irgendwie den Rücken gestärkt, da er nun mit der Gewissheit in die Sitzung mit dem Ministerium gehen konnte, dass sich unter den Studierenden der Akademie Unmut über die vorgesehenen Vereinbarungen breit gemacht hat. Bis Donnerstag ging es zunächst nur um die Akademie. Ein Kernmoment dafür, dass es nicht dabei bleiben sollte, war sicherlich, dass wir ins Audimax gingen. Claude Spivak: Mir scheint aber auch wichtig zu betonen, dass sich die BesetzerInnen an der Akademie von Anfang darüber klar waren, dass diese Aktion in einem internationalen Kontext verortet war; deshalb haben wir auch den internationalen Austausch gesucht. Darauf werden wir später noch zurückkommen. Besetzung oder Streik? Claude Spivak: Innerhalb des Protests gab es sehr unterschiedliche Ansichten in Bezug auf die Frage Besetzen oder Streiken. Bei einer Besetzung geht es darum, neue Strukturen zu entwickeln – also einen Raum zu schaffen, an dem alles anders funktioniert, anstatt nur Veränderungen zu fordern. David Schrittesser: Mir scheint die Eröffnung von Raum ein sehr wichtiger Moment in diesem Protest zu sein; plötzlich gibt es einen Raum, in dem etwas anderes passieren kann und in dem zumindest in diesem Protest sehr viel passiert (ist). Das ist wohl einer der wesentlichen Gründe, warum dieser Protest besser abläuft als in den vergangenen Jahren: Es gibt sehr viele inhaltliche Diskussionen. Es haben sich sehr rasch sehr viele Arbeitsgruppen gegründet etc. Bei den meisten wird wohl das den größten Nachdruck hinterlassen: Dass sie ganz anders leben können, wenn sie wirklich wollen – und wenn nur genügend andere an der Ausgestaltung eines anderen Lebens beteiligt sind. Auf der Hauptuniversität hat sich alles sehr rasch nach Innen gekehrt, auch bedingt durch den intensiven Prozess der Auseinandersetzung miteinander, was dazu geführte, dass wir nicht genug an die anderen Studierenden, die nicht im Audimax waren, herangetreten sind. Es wurde nur sehr wenig Material produziert, mit dem die anderen Studierenden zugespammt werden können; alles hat sich zunächst auf Straßentheater, Arbeitsgruppen und Aktionismus konzentriert. Ein Streik wäre die Möglichkeit gewesen, so scheint mir, rauszugehen und die anderen Studierenden zu involvieren. Vermutlich gab es mehr Kontakt mit JournalistInnen als mit anderen Studierenden. Claude Spivak: Bei uns wurde parallel zur Besetzung auch zum Generalstreik aufgerufen, an dem sich fast alle Lehrenden beteiligt haben. Damit waren wir nicht in der Situation, dass wir uns ständig fragen mussten, was passiert, wenn ich zu dieser oder jener Vorlesung nicht gehe, da die meisten Vorlesungen entweder überhaupt nicht stattfanden oder sich einzelne Institute wie etwa das Institut für Kunst- und Kulturwissenschaften mit den Studierenden solidarisiert haben. Wieso haben ausgerechnet die Studierenden an der Akademie der Bildenden Künste diese Protestbewegung losgetreten? Katharina Hajek: Vorab muss man schon erwähnen, dass auch auf der Hauptuniversität sehr viel Vorarbeit geleistet wurde: Etwa die Institutsvollversammlungen auf der Politikwissenschaft im letzten Jahr oder die Gründung des Widerstandcafés durch einige Studierende der Internationalen Entwicklung, die auch bisher aufgrund der sehr prekären Situation ihres nicht vorhandenen „Instituts“ sehr aktiv waren. Und trotzdem war die Besetzung auf der Akademie der Bildenden Künste der Auslöser für den Protest. Claude Spivak: Dafür, dass der Protest dort losging gibt es, wie ich glaube, mehrere Gründe: Sicher hat sich die Tatsache begünstigend ausgewirkt, dass die Akademie eine sehr kleine Uni ist; die Leute kennen sich und stehen in einem klassenübergreifenden Austausch, was an der Hauptuniversität viel schwieriger ist. [Klasse bezieht sich hier auf die Ausbildungsklassen. Anm. Red.] Außerdem gibt’s sehr viele Lehrende und Klassen, wie etwa die Konzeptkunstklasse, die politisch schon sehr lange sehr aktiv sind. Wir haben auch von Anfang an darauf hingewiesen, dass wir nicht gegen eine Lehre sind, weil diese Form des Unterrichts uns ermöglicht hat, ein Bewusstsein zu entwickeln, sie hat uns also die Instrumente gegeben, um uns gegen diese universitären Strukturen zu stellen. Hans Maria Wolpertinger: Außerdem wird auf der institutionellen Ebene an der Akademie nicht so viel Druck ausgeübt. Ich weiß nicht, wie ich reagieren würde, wenn das an der Akademie stärker der Fall wäre – wie etwa an der Hauptuniversität, die ja den Master und die Bachelor- Studien schon hat. Das scheint mir ein entscheidender Punkt. Deutlich wird dies auch am Beispiel des Instituts für Kunst und Architektur, die das Bachelor-/Mastersystem als einzige Abteilung der Akademie bereits umgesetzt hat; die Studierenden sind erst viel später dazugestoßen und haben extreme Probleme, irgendwie mit ihrem Lehrstoff weiterzukommen, auch weil sie von den Lehrenden nicht im selben Maß unterstützt werden. David Schrittesser: Spannend find ich, dass an dem, was ihr gesagt habt deutlich wird, wie depolitisierend sich die Einführung bestimmter Strukturen in einem Studium auswirkt. Zu sagen „Ich streik jetzt ein Semester lang“, wird schwieriger, wenn man es immer mit überfüllten Hörsälen, mit Internet- Learning- Plattformen, wo die Leute zum Lernen zu Hause bleiben, mit einem Punktevergabesystem, um überhaupt in ein Seminar reinzukommen zu tun hat und man für die Absolvierung des Studiums in der Zeit richtig kämpfen muss. Hier zeigt sich deutlich, dass die Bildung an den Wiener Universitäten, mal abgesehen von der Akademie, eher wie in einem Supermarkt oder wie in einer Fabrik vertrieben wird; und das macht es viel schwieriger, politisch tätig zu sein. Es gibt also bildlich gesprochen Inseln, auf denen noch Elitenbildung von früher praktiziert wird, während sich die Politisierung an den Massenuniversitäten, wie sie seit den siebziger Jahren bestehen, und die jetzt nach dem Vorbild eines Supermarkts bzw. einer Fabrik umstrukturiert werden, viel schwieriger vonstatten geht. (De)politisierende Mobilisierung? David Schrittesser: In der großen Bewegung in Wien wurde bisher jede Woche zu einer Riesendemonstration aufgerufen. Das heißt, der Protest hat sich sehr stark an symbolischen Aktionen orientiert. Das wiederum scheint mir ab einem bestimmten Punkt eine depolitisierende Wirkung gezeitigt zu haben, wie man beispielsweise an der dritten Demo erkennen kann: Es wurden sehr viel weniger Menschen mobilisiert; es wurde eigentlich nichts Neues mehr gesagt; alle haben sich verausgabt, zuerst in der Vorbereitung der Demo und dann in dem Gefühl als Masse um den Ring zu stolzieren. Die Leute wurden auf das Ziel eingeschworen „Wir machen jetzt eine Demo, wir präsentieren uns als Masse mit Transparenten, auf denen draufsteht: ‚Liebe Politiker, tut doch was für uns’“ und das war’s dann. Eine Demonstration ist eine gute Sache um mediales Echo auszulösen, aber wichtiger scheint mir, über andere Protestformen nachzudenken, wie etwa einen Streik, über die mehr inhaltliche Arbeit gemacht werden kann und die Leute politisieren werden können. Hans Maria Wolpertinger: Ich hatte das Gefühl, dass die erste Großdemonstration sehr wichtig war um erstmal vom „lokalen Protest gegen Hahn“ wegzukommen. Allerdings wurde nach der ersten Demo, die eine Woche nach der Besetzung des Audimax vonstatten ging, durch die Medien ein unheimlicher Druck aufgebaut, der auch in den Plena spürbar war. Dass diese Anspannung nunmehr nachgelassen hat ist wichtig, weil Diskussionen zu gesellschaftspolitischen Fragen mehr Raum haben. Diese verlangen ein unglaubliches Vorwissen und viel Arbeit; wir brauchen Zeit, um uns in Arbeitsgruppen mit diesen Fragen auseinanderzusetzen und Infotage zu veranstalten. Demos sind nicht gerade der geeignete Ort für intensive Auseinandersetzungen. Freie Bildung für alle – und zwar umsonst? David Schrittesser: Die Forderung nach einem freien Hochschulzugang ist als solche bereits eine klassenkämpferische Position. Von Anfang an war in allen Diskussionen eine Spannung da: Es gab genug Studierende, die gesagt haben: „Ich will eine bessere Uni; wir brauchen eine bessere Ausbildung; die Unis brauchen mehr Geld, aber ich bin nicht gegen Zugangsbeschränkungen.“ Und solche Leute agieren dann auch in Bezug auf die Frage, wie die Bewegung gestaltet werden soll. Mit einem solchen Protest haben Leute, die nicht gerade an der Uni verortet sind, sehr wenig Grund, sich zu solidarisieren. Die Position eines freien Hochschulzugangs dagegen hat die Qualität, die alle teilen können und eine enorme Sprengkraft hat, insofern damit in Frage gestellt wird, dass Bildung einer Verwertungslogik unterliegen muss. Hans Maria Wolpertinger: Zur Frage des freien Hochschulzugangs möchte ich sagen, dass ich eine Aufnahmeprüfung gemacht habe und an einer elitären Hochschule mit knapp über 1000 Studierenden in drei verschiedenen Gebäuden studiere, während pro Semester allein 800 Menschen Medizin zu studieren beginnen. Ich bin mir nicht sicher, wie eine exzellente Massenuniversität gestaltet werden kann und eigentlich weiß ich nicht, ob ich diese Forderung unterstütze. David Schrittesser: Die Ausstattung der Universität Wien ist im internationalen Vergleich, insbesondere in Bezug auf die Anzahl der Studierenden, absurd schlecht. Man muss nur die an der Akademie notwendigen Facilities für knapp 1000 Studierende auf 50000 Studierende hochrechnen, um zu sehen, welche und wie viele Mittel der Universität Wien fehlen, um eine wirklich exzellente Massenuniversität zu sein. Aber trotz dieser schlechten Situation an den großen Universitäten haben diese grundsätzlich eine starke kritische und emanzipatorische Rolle inne, wie ich glaube. Erstens ist es wohl kein Zufall, dass historisch immer wieder an den Universitäten ein Protest losgeht; zweitens wird sehr viel produziert, wovon auch ein politischer Kampf zehren kann. Vieles, was in der Wissenschaft geschieht, hat kritische Relevanz. Wenn der Kampf einen theoretischen Teil hat, dann findet der zu einem gewissen Prozentsatz wohl auch auf den Unis statt. Es braucht Geld und Freiraum, dass Forschungen dieser Art weiter umgesetzt und betrieben werden können. Hans-Maria Wolpertinger: Die Uni ist für mich persönlich ein Raum, wo ich mein Selbst bilden kann, dieser Raum ist für mich örtlich wie auch zeitlich sehr wichtig. Ein Studium braucht Zeit, weil jede/r mit unterschiedlicher Geschwindigkeit lernt. Die Uni bietet mir diesen Raum mir eine Meinung zu bilden, die für mein restliches Leben entscheidend ist. Es geht mir aber hier nicht nur um eine persönliche selbstverliebte Entwicklung und Selbstverwirklichung, sondern quasi um das Ich als Transformator_in und als Informationsträger_in. Ich denke da auch an Ai Weiweis „Fairytale“, eine sozialpolitische Arbeit auf der Documenta 11. David Schrittesser: Das Humboldt’sche Bildungsideal war doch immer ein Privileg der herrschenden Klasse. Dass mittlerweile so viele Menschen daran partizipieren können, hat einen emanzipatorischen Gehalt. Diese Öffnung wurde erkämpft, und dadurch hat sich die Uni – zumindest zeitweilig – in einen emanzipatorischen Raum verwandelt, wovon wir auch heute noch zehren. Ich will allerdings keinesfalls sagen, dass die Universitäten ein herrschaftsfreier Raum sind, in dem irgendeine Utopie gelebt werden kann. An der Universität wird sehr viel Herrschaftsideologie produziert und die Uni spielt eine wichtige Rolle in der Reproduktion kapitalistischer Verhältnisse. Aber es gibt beide Seiten: Wohl ist man an der Uni nicht frei, aber dort zu sein, politisiert anscheinend: Zumindest wird der Audimax bedeutend häufiger besetzt als sonst wo gestreikt wird... Katharina Hajek: Hm, das stimmt. Ohne 1968 könnte man sich die Uni gar nicht vorstellen. Aber wir verhandeln die Uni in einem gewissen Sinne als Freiraum; und es bleibt die Frage, wer daran partizipieren kann, wer in den Genuss kommt, ein Studierendenleben für einige Jahre führen zu können. Das heißt, wir haben es auch mit anderen Zugangsbarrieren zu tun. Was ist die Rolle der Unis in kapitalistischen Gesellschaften? Einerseits produzieren sie „Humankapital“ für spezifische Märkte und Ökonomien; und andererseits kann man sich aus einer herrschaftskritischen Perspektive auch fragen, was für Wissen wird denn da überhaupt produziert - insbesondere weil Wissen ja auch eine Form von Herrschaft ist. Aus kritischer Perspektive muss die Schlussfolgerung wohl sein: „Weg mit den Unis in dieser Form, weil wir wollen keine Herrschaft mehr.“ David Schrittesser: Aber wenn die Unis weg sollen, was bleibt dann über? Ein emanzipativer Bildungsraum? Fragen der Repräsentation, des Inhalts und der Form Claude Spivak: An der Akademie war von Anfang an klar, dass es sich bei diesem Protest um einen Protest der Basis und nicht der Österreichischen HochschülerInnenschaft handelt: Das heißt konkret, basisdemokratische Diskussionen und konsensuale Entscheidungsfindung. Nach außen arbeiten wir mit einem Versuch der Entpersonifizierung: Niemand tritt jemals unter seinem/ihrem wirklichen Namen in Erscheinung; meistens treten mehrere Personen gemeinsam auf, die sich ein geschlechtsneutrales Pseudonym zulegen. Die Medien reagieren teilweise sehr seltsam darauf, vermutlich weil sie ein solches Auftreten überhaupt nicht gewohnt sind. Wir hatten Auseinandersetzungen mit einigen JournalistInnen, die uns erklärten, dass sie über das Gesagte nichts schreiben können, wenn wir unsere „richtigen Namen“ nicht bekannt geben. Grundsätzlich ist aber jede Person legitimiert, in ihrem eigenen Namen zu sprechen. Es ist klar, dass es verschiedene Positionen gibt; und es ist für uns auch überhaupt keine Frage, dass wir im Detail gar nicht mit einer einzigen Position nach außen gehen können. Wer wo spricht, wird an der Akademie meistens im Plenum besprochen; auch um sicherzustellen, dass nicht immer nur dieselben Leute reden. David Schrittesser: Bei uns im Audimax wurde die Frage der Repräsentation ununterbrochen heftigst diskutiert – und es gab immer nur eine Antwort: Wir machen alles basisdemokratisch. Aber im Grunde fiel die Entscheidung darüber, wer spricht, überhaupt nicht basisdemokratisch, sondern sehr konspirativ. Die Presse hat ständig InterviewpartnerInnen gesucht und eine Gruppe von Leuten aus dem Presseteam hat dann über informelle Netzwerke Interessierte akquiriert, die dann für die Bewegung gesprochen haben. Ich hab das Gefühl, dass es im Audimax eine wahnsinnige Angst vor der Diskussion gibt, wer spricht und was diese Personen sagen sollen. Niemand will etwas abgeben, weil das dann heißen könnte, dass eine RepräsentantIn gewählt wird, die dann für immer bleibt und sich irgendwie verselbstständigt ... Dass es auf einer Uni Leute gibt, die viel und solche, die wenig wissen, verlangt quasi natürlicherweise nach einer Hierarchie, während die eigenen Hierarchien ganz böse sind und man folglich lieber gar nicht darüber diskutieren mag. Das läuft auf darauf hinaus, dass man sich selbst entmachtet und die eigenen Belange nicht ernst nimmt. Hier herrscht eine wahnsinnige Naivität vor. Katharina Hajek: An die Pressegruppe kommen extrem viele Interviewanfragen von diversen Medien. Das Presseteam bestand in den ersten drei Tagen und wohl darüber hinaus aus nicht mehr als drei Leuten, die alle Interviews geführt haben und vollkommen überarbeitet waren; die waren heilfroh, wenn irgendwer sich bei ihnen gemeldet hat und gesagt hat, ich helf euch, diese Flut von Interviewanfragen zu bewältigen. Worauf ich damit hinaus will: Es reicht in der Umsetzung nicht, zu sagen „Wir sind für Basisdemokratie; wir wollen keine Delegierten etc.“ und darüber hinaus geschieht nichts und die ganze Arbeit bleibt an zwei oder drei Leuten hängen, die das selbst eigentlich gar nicht wirklich machen wollen! Anna Wundersam: Trotz alledem scheint die Medienstrategie ganz gut zu funktionieren. Es sind immer andere Leute in den Medien, die sich in keinster Weise als VertreterInnen des Audimax bzw. der Studierenden ausgeben, sondern ganz klar machen, dass es sich um zwei Positionen aus dem Plenum der Besetzung handelt. Und sie sind auch nicht gewillt, sich auf eine von den Medien an sie herangetragene Vertretungslogik einzulassen. Die Frage, die ich mir dabei gestellt hab, war: „Woher kommt dieses Wissen?“ David Schrittesser: Okay, die Pressearbeit hat eh gut funktioniert, aber bei der Plenumsvorbereitung ist vieles sehr undemokratisch gelaufen. Das hat sich basisdemokratisch geschimpft, war aber in Wirklichkeit überhaupt nicht demokratisch. Es sind ganz schlimme Fehler passiert, wie etwa, dass der Arbeitsgruppe „Studieren statt Blockieren“, den VertreterInnen der Jungen Liberalen sowie Leuten, die gegen den Antisexismus aufgetreten sind usw. wiederholt überproportional viel Raum eingeräumt wurde. Es war nicht möglich, diese Leute, die die Plena vorbereitet haben, zur Verantwortung zu ziehen, weil sich alle immer auf basisdemokratische Entscheidungsprozesse rausreden konnten, die eigentlich nicht existiert haben. Fragen der Basisdemokratie Katharina Hajek: Ein Manko dieser Bewegung scheint mir zu sein, dass Basisdemokratie – und ich beziehe mich hier nur auf die Hauptuni – immer nur als Selbstzweck bzw. selbst- referentiell diskutiert wird. Das heißt, die Frage, wieso wir ohne SprecherInnen/Delegierte nach außen auftreten, was wir damit transportieren wollen und was das eigentlich bezwecken soll, wurde überhaupt nicht angesprochen. Alle sollen sprechen dürfen, was dazu geführt hab, dass in einer Institutsversammlung der Politikwissenschaften Leute aus der Besetzung gesagt haben, sie möchten, dass die Wissenschaftssprecher der Freiheitlichen Partei Österreichs eingeladen werden im Audimax zu sprechen. Hans Maria Wolpertinger: Das entscheidende Problem mit der Basisdemokratie scheint mir das der Verantwortung. Einerseits muss sich jede/r verantwortlich fühlen, aber andererseits ermöglicht gerade auch die Forderung nach Basisdemokratie, dass sich jede/r der Verantwortung entledigen kann. Das kann dahin führen, dass Basisdemokratie einem repräsentativen System zu gleichen beginnt - nicht weil’s von oben kommt, sondern von unten oder von der Seite. Außerdem macht sich bei vielen, die nicht regelmäßig an den Plena beteiligt sind, oft das Gefühl breit, dass die anderen einen Wissensvorsprung haben, weswegen Erstere sich nicht mehr trauen, sich einzubringen, weil sie meinen, dass Sachen bereits vorbesprochen wurden und viele Insider-Gespräche am Laufen sind. Das kann eine große Hürde sein. Wenn es um basisdemokratische Entscheidungsprozesse geht, scheint ein sehr idealisiertes Bild von lauter gleichen und gelevelten Menschen vorzuherrschen, obschon die Leute ganz unterschiedlich laut und dominant sind bzw. ihre Positionen in den Plena stark vertreten können, was aber noch nichts darüber sagt, ob sie tatsächlich auch Wissen haben. Das macht die ganze Sache sehr viel schwieriger und ist - zumindest an der Akademie - ein häufig wiederkehrender Diskussionspunkt. Katharina Hajek: Abgesehen davon, dass Basisdemokratie reichlich entpolitisiert diskutiert wird, scheint mir auch ein Problem, dass auch heute bei Diskussionen im Audimax immer wieder die gleichen „alten Männer“ ans Mikro kommen und sich äußern. Es gibt noch ziemlich viel zu lernen, wenn es um das Tun von anderen Strukturen geht. Aber die Öffnung sowohl des Raumes wie auch solcher Diskussion ist ein solcher Lernprozess. Feminismen und Anti- Sexismen? David Schrittesser: Zu dieser Frage gibt es unterschiedliche Einschätzungen: Ich hatte bisher bei früheren Bewegungen nie das Gefühl, dass ein dermaßen großer Konsens bezüglich etwa gegenderter RednerInnenlisten vorherrscht etc. In dieser Besetzung wird ununterbrochen darauf aufmerksam gemacht, dass Männer sich in der Länge und Häufigkeit ihrer Redebeiträge einschränken sollen etc. Dennoch gibt’s auf der Homepage sehr viel Protest bspw. gegen die Verwendung des Binnen-I; und gleichzeitig gibt’s Diskussionen darum, ob ein Frauen- Lesben- Transgender- Raum überhaupt notwendig ist und ob das nicht zur Spaltung der Bewegung führt etc. Auch im Audimax selbst gab’s recht viele Wortmeldungen dahingehend, dass der Anti-Sexismus in der Bewegung zu präsent wäre - auch Frauen haben darauf gepocht, das solle nicht so viel Raum einnehmen, das sei kein Studierendenthema. Hans Maria Wolpertinger: Es scheint, dass feministische Forderungen kein Problem darstellen bzw. fast alle damit einverstanden sind, solange sie sich nicht selber damit beschäftigen müssen. Ganz bestimmte Leute erklären sich zuständig und viele sind dann erleichtert, weil sie das Thema abhaken und abnicken können. Katharina Hajek: Als beispielsweise die AG Antisexismus am Podium im Audimax ihre Forderungen vorgelesen haben, wurden diese mit etwa 10 Gegenstimmen angenommen und es gab sehr großen Applaus. Als es dann aber zur Diskussion um die sexistischen Übergriffe im Audimax kam, war die Antwort sofort: Das waren die von außen, die Partyleute, weil linke Männer machen so was nicht. Ganz allgemein gesagt, ich find es schade, dass Antisexismus und Antidiskriminierungsfragen in den Forderungen fast ausschließlich in Bezug auf eine Quote thematisiert werden und nicht darüber hinaus - und das obwohl diesbezüglich schon sehr viel Vorarbeit geleistet wurde. Es wurde wohl nicht genügend darauf hingewiesen, was eine Geschlechterpolitik jenseits von Quotenfragen sein könnte. Vielleicht hat das auch mit einem spezifischen Zugang zum Feminismus zu tun, dass Fragen der Arbeitsteilung, der Ökonomie durch diesen spezifischen Feminismus, der stark auf Identitäten und Heteronormativität fokussiert - was sehr notwendig ist - zusehends aus dem Blick geraten. Rolle der institutionalisierten Studierendenorganisationen Hans Maria Wolpertinger: Die Österreichische HochschülerInnenschaft (ÖH) in ihrer Funktion als Interessensvertretung der Studierenden spielt auf der Akademie in diesem Protest überhaupt keine Rolle. Die ÖH- Leute sind zwar sehr aktiv, deklarieren sich aber nicht als FunktionärInnen, obgleich sie etwa in Senatssitzungen dabei sind, in denen die anderen nicht anwesend sein können, obwohl auch das hinterfragt und aufgebrochen wird. Ich find ganz interessant, was Sprache hier vermag: Das ÖH- Büro an der Akademie heißt etwa seit der Besetzung nicht mehr ÖH- Büro, sondern Dezentrale. Das scheint mir ein sehr wichtiger Punkt zu sein: Wie verändert sich der Raum, der früher das ÖH- Büro war, wenn er Dezentrale genannt wird. David Schrittesser: Auch im Audimax machen die Leute von der ÖH sehr viel Arbeit, was sehr wichtig ist. Institutionell treten sie überhaupt nicht in Erscheinung, es gibt nicht mal eine Dezentrale ... Aber die ÖH hat sehr viele Ressourcen in die Besetzung rein gesteckt und Einzelne haben sehr, sehr viel Arbeit investiert. Was mir ganz allgemein mit diesen institutionalisierten Leuten, wie etwa auch der Sozialistischen Jugend, immer wieder problematisch erscheint, ist, dass sie wie wild zu organisieren beginnen und andere nach Hause schicken, weil sie Angst davor haben, dass zu viele zusammenkommen und Emotionen hochgehen könnten. Ich hab den Eindruck, dass sie nicht mit politischen bzw. radikalen Bewegungen umgehen können, wahnsinnige Panik kriegen und dann oft de- radikalisierend wirken. Katharina Hajek: Gleichzeitig muss man auch sehen, dass von Seiten der Politik (dem Wissenschaftsminister Hahn) die Stellungnahme kam, dass nur mit der ÖH Gespräche geführt werden, weil sie sonst diese „chaotischen Zustände“ legitimieren könnten. Grundsätzlich: Was heißt das, wenn die formell gewählte Vertretung der Studierendenschaft einfach abgesetzt wird. Es gab von Anfang an einen Konsens, dass die ÖH überhaupt keine Vertretungsansprüche stellen darf. David Schrittesser: Zwar werden die gewählten Strukturen abgesetzt; allerdings ändert das nichts daran, dass die Medien, das Rektorat etc. die ÖH trotz alledem als einzig legitime Instanz erkennen und akzeptieren. Und was die sagen hat viel mehr Gewicht als das, was pseudoanonymisierte MediensprecherInnen sagen. Strategien der Rektorate und der offiziellen Stellen David Schrittesser: Die offiziellen Stellen, also das Rektorat und das zuständige Ministerium, haben sich sehr ruhig verhalten. Der Vorteil davon ist, dass die Frage von Verhandlungen und Kompromisslösungen gar nicht erst aufkommen konnte. Katharina Hajek: Es war ja ziemlich bald klar, dass sie keine Räumung durchführen lassen werden, vielleicht auch weil die Uni sonst wirklich gebrannt hätte. Derzeit scheint das Rektorat die Strategie zu verfolgen, diese Proteste auszusitzen - das ist ein meiner Ansicht nach ein viel zu wenig diskutierter Punkt. Gleichzeitig wird immer mit den unterschiedlichsten Kosten argumentiert, die der Protest der Uni verursacht, was in der Folge von reaktionärer Seite immer wieder mal aufgegriffen wird und gegen die Bewegung verwendet wird. Ein solcher Umgang mit dem Protest steht in einer sehr spezifischen Logik. Und gleichzeitig herrscht eine irrsinnige Unklarheit darüber, wer nun eigentlich zuständig ist für die Verfassung der Uni: Einerseits erklärt das Ministerium die Rektorate für zuständig und die Rektorate ihrerseits wiederum das Ministerium. Wieso aber kamen die Rektorate nicht unter Beschuss, wo doch die für die Umsetzung und Implementierung der Reformen zuständig waren. Die Rektorate entscheiden darüber, wie diese umgesetzt werden. Auswirkung des Bologna-Prozesses auf Studium, Forschung und Lehre Claude Spivak: Entdemokratisierung, Normierung und Standardisierung des Studiums, Produktion von Humankapital gegen freie Lehre - das ist in aller Kürze, was ich zu Bologna zu sagen habe. David Schrittesser: Man muss den Bologna-Prozess als Teil einer großen Strategie sehen, wie Bildungspolitik insgesamt verfährt. Seit den 1970-er Jahren gab es den „freien Hochschulzugang“ und sehr viele Leute sind auf die Unis geströmt. Gleichzeitig werden die ArbeiterInnen im Postfordismus sehr oft an der Universität ausgebildet. Es hat sich daher nicht nur die Arbeitsweise, sondern auch das Ausbildungswesen verändert. Im Zuge der letzten Jahre hat sich die Taktik offensichtlich dahingehend entwickelt, dass einerseits die Universitäten teilweise wieder elitärer gemacht werden (u. a. durch die Wiedereinführung von Zugangsbeschränkungen jeglicher Art) und andererseits ihre Effizienz erhöht wird. Während früher nur sehr wenige Menschen in den Genuss einer universitären Elitebildung gekommen sind, haben wir es nunmehr mit einem Kontinuum zu tun, das von vielen Filterungsmechanismen durchzogen ist: Vom Bachelor zum Master zum PhD, etc. Katharina Hajek: Ich find erstaunlich, wie widersprüchlich die Argumentation in Bezug auf Bologna tatsächlich ist. Einerseits wird mit der Lissabon-Strategie die Ausbildung von immer mehr AkademikerInnen angestrebt; es kommen Argumente wie jenes, dass Österreich zu wenige AkademikerInnen und eine der niedrigsten AkademikerInnenquoten überhaupt in der EU hat und dass LohnarbeiterInnen für den Dienstleistungssektor produziert werden müssen. Und gleichzeitig hört man überall, dass die Unis überflutet werden und diesem Ansturm nicht standhalten können. Also was nun: Zu wenig Studierende oder zu viele? David Schrittesser: Die Lösung scheint doch zu sein, dass ganz viele den Bachelor machen können, die allerdings ihr Studium sehr rasch absolvieren müssen; schon sehr viel weniger Menschen werden für den Master zugelassen und auch diese sollen sich noch beeilen; der PhD schließlich dient als Ersatz für das, was früher die Uni insgesamt war: Dort werden die WissenschaftlerInnen oder ManagerInnen herangezogen. Das scheint mir die langfristige Strategie zu sein. Transnationale Proteste und mögliche Synergieeffekte David Schrittesser: Allein die Tatsache, dass es international Proteste gibt, dass Menschen eingeladen werden aus Kroatien oder aus Italien, um über ihre Protestformen zu sprechen, hat einen sehr hohen Stellenwert, weil die Leute hier merken, dass die Probleme, nicht nur sie betreffen, sondern dass es einen Kontext gibt, in dem das alles steht: Damit werden die bildungspolitischen Strategien, die die EU vorgibt, in die Überlegungen zur eigenen Bewegung einbezogen. Claude Spivak: Aus Santa Cruz gibt es den sehr wichtigen Text „Communiqué From an Absent Future“ [Kommuniqué aus einer ausbleibenden Zukunft] und wir werden mit ihnen gemeinsam einen neuen Text verfassen mit dem Titel „Communiqué From a Feminist Future“. Wir haben auf zwei Ebenen sehr viel Kontakt: einerseits gibt es einen Theorieaustausch mit einer ziemlich stabilen Gruppe von zehn Leuten aus Santa Cruz, die bei allen Besetzungen immer aktiv und dabei waren und mit denen wir theoretische Texte und Ansätze diskutieren. Auf der zweiten Ebene gibt’s einen Praxisaustausch: Wir hatten gerade am Samstag, den 14.11. eine Konferenz mit ihnen, weil sie gerade wieder eine neue Besetzung gestartet haben und es wurde der Wunsch geäußert mit ihnen eine Live- Schaltung zu machen, auch um den dort neu dazukommen Leuten die die Dimension der Proteste zu verdeutlichen. Organisatorisch haben sich an der Bildenden verschiedene Personen dazu bereit erklärt, den Kontakt mit anderen Orten zu halten, damit nicht zehn verschiedene Personen mit einer Person über dieselben Dinge sprechen und die einen nicht wissen, was der andere gesagt hat. Ich bin die Ansprechperson für Santa Cruz und Berkeley, es gibt aber auch intensive Kontakte nach London und natürlich gibt’s über die Arbeitsgruppe Vernetzung sehr viel Kontakte innerhalb des deutschsprachigen Raums. Ich glaub allerdings, dass es Unis gibt, die ein bisschen rausgefallen sind, weil ich eigentlich niemanden kenn, der nach Polen oder Albanien Kontakt hätte. Es gibt unterschiedliche Intensitäten in der Auseinandersetzung, bedingt durch den selbst gesetzten Theorieschwerpunkt. Wir haben weniger mediale Öffentlichkeit als etwa die Hauptuni; daher haben wir uns von Anfang an auf einen intensiven theoretischen Austausch mit Santa Cruz konzentriert - obwohl die Situation in den USA eine völlig andere ist - die sind mit Polizeistationen am Campus konfrontiert, die BesetzerInnen müssen sich verbarrikadieren und die Special Forces sind sofort da. Katharina Hajek: Anders als das Ganze zumindest europaweit aufzuziehen, hat, wie mir scheint, sehr wenig Sinn. Den Bologna-Prozess als Teil der Lissabon-Strategie, als Teil eines neoliberalen hegemonialen Projektes in Europa zu fassen, heißt in Konsequenz auch, dass es nur überall bekämpft werden kann. So waren Leute vom SDS aus Deutschland hier, die von ihren Aktionen berichtet haben und einige der Audimax- BesetzerInnen sind auf einer kleinen Aktionstour zu den Besetzungen in Deutschland, wobei viele Fragen zu „technischen“ Details, etwa die Umsetzung und Organisierung von Protesten, ausgetauscht wurden. Strategien der Verstetigung und Ausweitung des Protests Katharina Hajek: Es ist einer der zentralen Knackpunkte dieser Bewegung, den Unmut der Studierenden mit gesellschaftspolitischen Forderungen aus anderen Bereichen zu verbinden. Das geschieht teilweise schon, insbesondere auf der Akademie, wo ein Mindestlohn eingefordert wurde. Dadurch wird sofort klar, dass es hier nicht nur um Studierende geht. Das ist einerseits ein politisches Ziel, um sich nicht ausspielen zu lassen - Kürzung von Sozialleistungen und dagegen mehr Geld für die Universitäten - und um Solidarisierungen zu schaffen, wie etwa die Versuche mit den GewerkschafterInnen, die derzeit grad in Tarifverhandlungen stecken, um den Protest auszuweiten und klar zu machen, dass es um etwas Größeres als nur um einen Protest gegen Bologna geht. Insbesondere weil der Bologna-Prozess seinerseits in einem spezifischen politischen Kontext steht, der von anderen Unternehmungen zur Neoliberalisierung nicht gesondert betrachtet und bekämpft werden kann. Und gleichzeitig ist das für mich einer der wichtigsten Punkte der Verstetigung, wenn man das nicht als unispezifisches Thema diskutiert, sondern als sozialpolitische Angelegenheit. Dann wäre es auch nicht so tragisch, wenn das Audimax in zwei Monaten vielleicht nicht mehr besetzt ist, weil sich die Proteste in andere Bereiche ausgedehnt haben bzw. dort artikuliert werden oder im Falle der Uni auf den Instituten diskutiert wird, was derzeit sehr stark geschieht. Dass an den Instituten zunehmend gemeinsam mit den Lehrenden und teilweise auch den ProfessorInnen überlegt wird, wie der Protest nachhaltig an der Uni verankert werden kann. Hans Maria Wolpertinger: Strategien der Ausweitung des Protests haben für uns viel mit dem Thema Arbeit zu tun - und also mit dem, was wir eigentlich sind: nämlich Arbeitende und Studierende. Schließlich arbeiten in Österreich 80% der Studierenden und gehen zumeist prekärer Lohnarbeit nach um ihr Studium zu finanzieren, sodass die Studierenden innerhalb des universitären Systems niemals nur Studierende sind, sondern unterbezahlte Arbeitende. Daher rührt die ganze Diskussion um den Mindestlohn - ein Thema, das sich durch die ganze Gesellschaft zieht. P.S.: Dieses oder ähnliches, aber jedenfalls mehr findet ihr in einer führenden Theoriezeitschrift Wiens (Danke!), den Perspektiven Nr. 10
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