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Das unsichtbare Komitee: Der kommende Aufstand In einer kollektiven Übersetzung aus dem Umfeld der Grundrisse Vorbemerkung der Redaktion: Das Buch L´insurrection qui vient [Der kommende Aufstand] wurde im Anschluss an die Krawalle in den Vorstädten vieler französischer Städte 2005 geschrieben im und im März 2007 vom Comité invisible [Das unsichtbare Komitee] veröffentlicht. Größere Aufmerksamkeit erlangte es durch die Festnahme der „Tarnac9“, einer Gruppe von Menschen, die aus der Stadt aufs Land gezogen waren, und zwar nach Tarnac, einer kleinen Stadt in der Region des Zentralmassivs in Frankreich. Im November 2008 wurden sie beschuldigt, einen TGV-Zug mit sogenannten Hakenkrallen lahm gelegt zu haben (eine Technik, die in Deutschland als Widerstandsaktion gegen AKWs sehr beliebt war), außerdem wurde Julien Coupat, Mitherausgeber der Zeitschrift, beschuldigt L´insurrection qui vient geschrieben zu haben, was dieser abstritt, obwohl er zugab, ein Bewunderer des Textes zu sein. Schon vor dem Erscheinen der englischen Ausgabe, veröffentlicht im August 2009 unter dem Titel Coming Insurrection, erregte der Text Aufsehen durch eine unautorisierte Buchpräsentation in einer New Yorker Buchhandlung einschließlich Polizeieinsatz – außerdem malte derbekannte konservative Talkmaster Glenn Beck eine Bedrohung durch eine extreme Linke an die Wand, die zu den Waffen rufe. 'insurrection qui vient ist ein in anarchistisch-autonomen Vokabular verfasster und stark von situationistischen Anleihen geprägter Text, der auf Basis einer Analyse der herrschenden Gesellschaft zum organisierten Widerstand gegen diese aufruft – mit dem Ziel, den kommenden Aufstand vorzubereiten. Erste Ansätze für diesen machen die VerfasserInnen in den Revolten der letzten Jahre aus: etwa jener in den Banlieues oder auch der Anti-CPE-Bewegung in Frankreich, den Unruhen in Griechenland sowie dem „Schwarzen Frühling“ in Algerien. Wir haben uns zur Übersetzung und zum Abdruck des Vorworts aus der englischen Ausgabe von L'insurrection qui vient entschlossen, um den deutschsprachigen LeserInnen einen ersten Einblick in die Sprache und die Vorschläge des Comité Invisble zu geben. Dieses Vorwort entstand kurz nach den Unruhen in Griechenland im Dezember 2008 – und ist somit auch gegenwartsnäher als der Haupttext selbst. Das Vorwort wurde im Jänner 2009 erstmals veröffentlicht. Egal von welchem Blickwinkel aus betrachtet, die Gegenwart lässt keinen Ausweg. Und das ist nicht der geringste ihrer Vorzüge. Denen, die vor allem auf der Suche nach Hoffnung sind, entzieht sie jeden sicheren Boden. Jene, die beanspruchen Lösungen zu haben, werden nahezu sofort in Widersprüche verwickelt. Alle sind sich darin einig, dass alles nur noch schlimmer werden kann. „Die Zukunft hat keine Zukunft“. Das ist die Weisheit eines Zeitalters, das trotz seines Anscheins von perfekter Normalität den Bewusstseinsgrad der ersten Punks erreicht hat. Eine Klarstellung Alle sind sich einig. Die Explosion steht bevor. In den Korridoren der Nationalversammlung wird dies mit ernster und selbstgefälliger Miene ebenso zugestanden, wie es gestern in den Kaffeehäusern weiter verbreitet wurde. Die Berechnung der Risiken bereitet ein gewisses Vergnügen. Wir werden bereits mit einer detaillierten Auflistung der vorbeugenden Maßnahmen zur Sicherung des Territoriums konfrontiert. Die Neujahrsfeierlichkeiten nehmen eine entscheidende Wende – „Nächstes Jahr wird es keine Austern geben, also genießt sie, solange ihr noch könnt!“ Um zu verhindern, dass die traditionelle Unordnung die Feiern zur Gänze verdrängt, entsendet Alliot-Marie (der französische Innenminister) eilends 36.000 Bullen und 16 Hubschrauber – derselbe Clown, der sich während der SchülerInnen-Demonstrationen im Dezember zitternd nach den geringsten Anzeichen für eine griechische Verseuchung umsah, während er vorsorglich den Polizeiapparat in Bereitschaft brachte. Unterhalb des beschwichtigenden Dröhnens können wir den Lärm der Vorbereitungen auf den offenen Krieg täglich deutlicher wahrnehmen. Die kalte und pragmatische Implementierung dieses Krieges, der sich längst nicht mehr damit aufhält, sich als „friedenserhaltende Maßnahme“ darzustellen, können wir unmöglich ignorieren. Die Zeitungen listen die Ursachen für plötzliche Unruhen gewissenhaft auf. Da ist selbstverständlich die Finanzkrise mit ihrer boomenden Arbeitslosigkeit, ihrem Anteil an Hoffnungslosigkeit und Sozialplänen, ihren Skandalen à la Kerviel[1] und Madoff[2]. Da ist der Zusammenbruch des Bildungssystems und seine schwindende Produktion von ArbeiterInnen und BürgerInnen – selbst mit den Kindern der Mittelklasse als Rohmaterial. Da ist die Existenz einer Jugend ohne politische Vertretung, eine Jugend, die zu nichts anderem taugt als zur Zerstörung von Gratisfahrrädern, die ihr die Gesellschaft so gewissenhaft zur Verfügung stellt. Keines dieser lästigen Sujets sollte unüberwindlich scheinen in einer Zeit, deren vorherrschende Regierungsform gerade im Krisenmanagement besteht. Es sei denn, wir berücksichtigen, dass die Macht nicht bloß einer weiteren Krise gegenübersteht noch auch einer Serie von mehr oder weniger chronischen Problemen, von mehr oder weniger erwarteten Unruhen, sondern dass sie mit einer einzigartigen Gefahr konfrontiert ist: dass nämlich eine Form des Konflikts und Positionen entwickelt wurden, die eindeutig nicht kontrollierbar sind. Diejenigen, die diese Gefahr überall ausmachen, müssen sich mehr Fragen stellen als jene unbedeutenden Fragen nach den Gründen von oder Wahrscheinlichkeiten für unvermeidliche Bewegungen und Auseinandersetzungen. Sie müssen sich beispielsweise fragen, wie das griechische Chaos in der französischen Situation einen Nachhall finden kann. Eine Erhebung hier kann nicht die einfache Umsetzung dessen sein, was dort drüben geschah. Der globale Bürgerkrieg hat immer noch seine lokalen Besonderheiten. Eine Situation allgemeinen Aufruhrs würde in Frankreich die Explosion eines anderen Sinns bewirken. Die griechischen AufrührerInnen stehen einem schwachen Staat gegenüber, während sie aus ihrer starken Popularität einen Vorteil ziehen können. Wir dürfen nicht vergessen, dass sich die Demokratie selbst auf der Grundlage einer Praxis politischer Gewalt erst vor dreißig Jahren gegen das Obristenregime wieder eingesetzt hat. Diese Gewalt, deren Erinnerung noch nicht in weite Ferne gerückt ist, scheint für die meisten GriechInnen weiterhin unmittelbar gegeben zu sein. Selbst die AnführerInnen der sozialistischen Partei haben in ihrer Jugend ein oder zwei Molotowcocktails geworfen. Doch ist die klassische Politik mit variants ausgestattet, die sehr genau wissen, wie sie diese Praktiken aufnehmen und ihren ideologischen Mist bis ins Herz des Aufruhrs ausweiten können. Wenn die griechische Schlacht nicht auf der Straße entschieden und niedergeschlagen wurde – die Polizei wurde sichtbar überlistet –, dann deshalb weil ihre Neutralisierung andernorts erreicht wurde. Es gibt nichts, was mehr Leere verbreitet, nichts Fataleres als diese klassischen Politiken mit ihren ausgehöhlten Ritualen, ihrem gedankenlosen Denken, ihrer kleinen geschlossenen Welt. In Frankreich waren unsere hehrsten sozialistischen BürokratInnen niemals etwas anderes als verschrumpelte Schalen, die die Hallen der Nationalversammlung bevölkern. Alle verschwören sich miteinander, um selbst die geringste Form politischer Intensität zu vernichten. Das heißt, es ist immer möglich, die BürgerIn der bzw. dem Deliquenten gegenüberzustellen, und zwar in einem quasi-linguistischen Verfahren, das mit einer quasi-militärischen Operation einhergeht. Der Aufruhr vom November 2005 ebenso wie in einem anderen Kontext die sozialen Bewegungen im Herbst 2007 haben bereits mehrere Präzedenzfälle geschaffen. Das Bild rechter Studierender in Nanterre, die applaudierten, als die Polizei ihre KommilitonInnen von der Uni verwies, gibt einen flüchtigen Eindruck davon, was in Zukunft bevorsteht. Es versteht sich von selbst, dass die Bindung der Franzosen und Französinnen an den Staat – der Garant universeller Werte, das letzte Bollwerk gegen die Katastrophe – pathologisch ist und sich kaum lösen lässt. Diese Bindung ist vor allem eine Fiktion, die nicht mehr weiß, wie sie fortgesetzt werden soll. Unsere Gouverneure selbst betrachten diese Bindung zunehmend als nutzlosen Balast, da sie den Konflikt immerhin für das halten, was er ist, nämlich ein militärischer. Sie haben keine Hemmungen, Elite-Antiterroreinheiten einzusetzen, um Aufruhre zu bändigen, oder um eine von ArbeiterInnen besetzte Wiederaufbereitungsanlage zu befreien. Während der Sozialstaat kollabiert, erleben wir das Auftauchen eines brutalen Konflikts zwischen denjenigen, die sich nach Ordnung sehnen, und denen, die das nicht tun. Alles, was die französische Politik zu deaktivieren vermochte, spielt sich gerade frei. Es wird ihr niemals möglich sein, all das zu verarbeiten, was sie verdrängt hat. Auf einer fortgeschrittenen Stufe sozialen Zerfalls können wir darauf zählen, dass die kommende Bewegung den notwendigen nihilistischen Atem finden wird. Das bedeutet nicht, dass sie nicht an andere Grenzen stoßen wird. Revolutionäre Bewegungen finden nicht über Verseuchung, sondern über Resonanzen ihre Verbreitung. Etwas, das hier konstituiert wird, schwingt mit der Schockwelle mit, die von etwas, das sich anderswo konstituiert hat, ausgesendet wurde. Ein Resonanzkörper schwingt auf eine ihm eigene Weise mit. Ein Aufstand ist nicht vergleichbar mit einer Pest oder einem Waldbrand – ein linearer Prozess, der sich nach einem anfänglichen Zündfunken von einem Ort zum nächsten ausbreitet. Ein Aufstand nimmt eher die Form von Musik an, deren in Raum und Zeit verstreute Brennpunkte, es dennoch schaffen, den Rhythmus ihrer eigenen Vibrationen durchzusetzen, und zusehends an Dichte zu gewinnen. Bis zu dem Punkt, dass eine Rückkehr zum Normalen nicht länger wünschenswert oder vorstellbar ist. Wenn wir vom Empire sprechen, benennen wir die Machtmechanismen, die präventiv und chirurgisch jedes revolutionäre Werden in einer Situation unterdrücken. In diesem Sinn ist das Empire kein Feind, der uns frontal gegenübersteht. Es ist ein Rhythmus, der sich aufzwingt, eine Weise, die Realität zu dispensieren und zu zerstreuen. Es ist weniger eine Weltordnung als deren traurige, wuchtige und militaristische Auslöschung. Mit der Partei der Aufständischen meinen wir den Entwurf einer völlig anderen Zusammensetzung, einer anderen Seite der Wirklichkeit, die von Griechenland bis in die französischen Banlieues ihre Konsistenz sucht. Es ist inzwischen selbstverständlich, dass Krisensituationen viele Gelegenheiten zur Restrukturierung der Herrschaft bieten. Deshalb kann Sarkozy, ohne den Anschein einer allzu großen Lüge zu erwecken, ankündigen, dass die Finanzkrise „das Ende einer Welt“ bedeutet, und dass das Jahr 2009 Frankreich in eine neue Ära eintreten sehen wird. Diese Scharade einer Wirtschaftskrise soll eine Neuigkeit sein: Wir sollen glauben, dass wir am Beginn einer neuen Epoche stehen, in der wir alle zusammen gegen Ungleichheit und globale Erwärmung kämpfen werden. Aber für unsere Generation – die in der Krise geboren wurde und nichts als ökonomische, finanzielle, soziale und ökologische Krisen kennt – ist das kaum akzeptabel. Sie werden uns nicht wieder verarschen mit einem weiteren „Jetzt beginnen wir ganz von Neuem“ und „Wir müssen nur eine Zeitlang unsere Gürtel enger schnallen“. Um die Wahrheit zu sagen, die verheerenden Arbeitslosenzahlen lösen überhaupt kein Gefühl mehr in uns aus. Die Krise ist ein Mittel des Regierens in einer Welt, die scheinbar nur durch das unendliche Management ihres eigenen Kollapses zusammengehalten wird. In diesem Krieg geht es nicht um unterschiedliche Weisen, die Gesellschaft zu managen, sondern um irreduzible und unversöhnbare Ideen von Glück und ihren Welten. Wir wissen das ebenso wie die MachthaberInnen. Die militanten Überreste, die uns beobachten – immer zahlreicher, immer leichter zu identifizieren – raufen sich die Haare und versuchen, uns in ihre kleinen Schubladen in ihren kleinen Köpfen zu stecken. Sie strecken uns ihre Hände entgegen, um uns besser ersticken zu können – mit ihren Fehlschlägen, ihren Lähmungen und ihren dummen Problematiken. Die Militanten werden – von Wahlen zu „Transitionen“ – niemals etwas anderes sein als das, was uns stets ein wenig mehr von der Möglichkeit des Kommunismus abbringt. Glücklicherweise werden wir weder Verrat noch Täuschung länger Platz einräumen. Die Vergangenheit hat uns viel zu viele schlechte Antworten gegeben, als dass wir nicht sähen, dass die Fehler in den Fragen selbst liegen. Es gibt keine Notwendigkeit zwischen dem Fetischismus der Spontanität und der organisatorischen Kontrolle zu wählen; zwischen dem „Entweder keiner oder alle“ der aktivistischen Netzwerke und der Disziplin der Hierarchie; zwischen einer verzweifelten Handlung jetzt und einem verzweifelten Warten auf später; zwischen einem Einklammern dessen, was im Namen eines Paradieses gelebt und erprobt werden soll, eines Paradieses das zusehends als Hölle erscheint, je länger es hinausgezögert wird und dem Herumreiten darauf, dass der Anbau von Karotten ausreicht, um diesen Alptraum zu überwinden. ORGANISATIONEN SIND HINDERNISSE FÜR UNSERE SELBSTORGANISIERUNG In Wahrheit gibt es keine Diskrepanz zwischen dem, was wir sind, was wir tun und was wir werden. Organisationen – seien sie politisch oder gewerkschaftlich, faschistisch oder anarchistisch – beginnen immer damit, dass sie diese Aspekte der Existenz praktisch voneinander trennen. So ist es ihnen ein Leichtes, ihren idiotischen Formalismus als einziges Heilmittel gegen diese Trennung zu präsentieren. Organisieren bedeutet nicht, der Schwäche eine Struktur zu verpassen. Organisieren bedeutet vor allem, Bindungen einzugehen – Bindungen, die mitnichten neutral sind – furchterregende Bindungen. Der Grad der Organisation misst sich an der Intensität des – materiellen und geistigen – Teilens. Materiell das Überleben zu organisieren heißt von nun an, materiell den Angriff zu organisieren. Überall muss eine neue Idee von Kommunismus ausgearbeitet werden. In den Nischen von Bars, in Copy-Shops, in besetzten Häusern, auf Bauernhöfen und in besetzten Gymnasien werden neue KomplizInnenschaften in die Welt gesetzt. Diese wertvollen Einverständniserklärungen dürfen nicht zurückgewiesen werden; sie sind die notwendigen Mittel für die Entwicklung der Kräfte. Hier liegt die wahre revolutionäre Potentialität der Gegenwart. Die zunehmend häufiger auftretenden Auseinandersetzungen haben diese großartige Qualität: Sie bieten immer eine Gelegenheit für KomplizInnenschaften dieses Typs, manchmal vergänglich, aber manchmal auch untrüglich. Wenn einige tausend Jugendliche den Entschluss zum Angriff auf diese Welt fassen, müsste man so dumm sein wie ein Polizist, um eine finanzielle Spur, einen Anführer oder eine VerräterIn zu suchen. Zwei Jahrhunderte Kapitalismus und Marktnihilismus haben uns zur extremsten Entfremdung gebracht – von uns selbst, von den anderen, von der Welt. Die Fiktion des Individuums hat sich ebenso rasch zersetzt, wie sie real wurde. Als Kinder der Metropole lassen wir uns auf diese Wette ein: Im schlimmsten Mangel der Existenz, fortwährend unterdrückt, fortwährend wegbeschworen, liegt die Möglichkeit des Kommunismus verborgen. Wenn alles gesagt und alles getan ist, befinden wir uns mit der gesamten Anthropologie im Krieg; mit der Idee der Menschheit. Kommunismus muss demzufolge als Voraussetzung und als Experiment verstanden werden. Als Teilen eines Empfindungsvermögens und als Erarbeiten eines Teilens. Als Enthüllung dessen, was gemeinsam ist und als Erzeugung einer Kraft. Kommunismus ist die Matrix eines akribischen und verwegenen Anschlags auf Herrschaft; ein Name für alle Welten und eine Aufforderung zum Widerstand gegen die imperialistische Befriedung, ein Name für alle nicht auf das Reich der Waren reduzierbaren Solidaritäten, für alle Freundschaften, die von den Notwendigkeiten des Krieges ausgehen. Kommunismus. Wir wissen, dass Kommunismus ein Begriff ist, mit dem ein vorsichtiger Umgang nötig ist. Nicht, weil er in der großen Weltenparade aus der Mode gekommen wäre, sondern weil unsere schlimmsten Feinde ihn verwendet haben und immer noch verwenden. Wir bestehen darauf: Bestimmte Wörter sind wie Schlachtfelder. Ihre revolutionäre oder reaktionäre Bedeutung ist ein Sieg, der den Klauen des Kampfes entrissen werden muss. Die klassische Politik hinter sich zu lassen bedeutet, sich einem Krieg zu stellen, der auch im Bereich der Sprache ausgetragen wird; beziehungsweise in der Art und Weise, wie die Wörter, die Gesten und das Leben unauflöslich miteinander verknüpft sind. Wenn jemand dermaßen große Anstrengungen unternimmt, um einige junge KommunistInnen als TerroristInnen hinter Gitter zu bringen, weil sie angeblich an der Veröffentlichung von Der kommende Aufstand[3] beteiligt waren, dann geht es nicht um ein „gedankliches Verbrechen“, sondern vielmehr darum, dass sie möglicherweise eine gewisse Übereinstimmung zwischen Taten und Denken verkörpern. Und das ist etwas, was selten mit Nachsicht behandelt wird. Die Schuld dieser Leute besteht nicht darin, ein Buch geschrieben zu haben, und auch nicht in einem physischen Angriff auf die sakrosankten Flüsse, die die Metropolen bewässern. Ihre Schuld besteht darin, dass sie diese Flüsse möglicherweise mit der Dichte eines politischen Denkens und einer politischen Position konfrontiert haben. Dass ein Akt Sinn gemacht haben könnte, und zwar einer anderen Konsistenz der Welt entsprechend denn jener des Empires. Anti-Terrorismus nimmt für sich in Anspruch, die mögliche Zukunft einer „kriminellen Vereinigung“ zu attackieren. Tatsächlich handelt es sich aber um die Zukunft der Situation. Es handelt sich um die Möglichkeit, dass sich hinter jeder KrämerIn einige schlechte Intentionen verbergen und hinter jedem Gedanken die Tat, nach der dieser schreit. Diese Möglichkeit, zum Ausdruck gebracht durch eine – anonyme, aber einladende, verbreitete und damit unkontrollierbare – politische Idee, die nicht in den Stauraum der freien Meinungsäußerung verbannt werden kann. Es besteht kaum mehr ein Zweifel darüber, dass es die Jugend ist, die die Macht als erste rigoros herausfordern wird. Die letzten paar Jahre, von den Unruhen im Frühling 2001 in Algerien bis zu jenen im Dezember 2008 in Griechenland, sind diesbezüglich nichts anderes als eine Reihe von Warnsignalen. Diejenigen, die vor dreißig oder vierzig Jahren gegen ihre Eltern revoltierten, werden nicht zögern, dies auf einen Generationenkonflikt zu reduzieren, wenn nicht sogar auf ein vorhersehbares Symptom der Adoleszenz. Die einzige Zukunft einer „Generation“ ist es, diejenige zu sein, die vorangeht auf einer Strecke, die unvermeidlich am Friedhof endet. Die Tradition würde danach verlangen, dass alles mit einer „sozialen Bewegung“ beginnt. Besonders in einem Moment, in dem die noch immer mit ihrer Selbstauflösung beschäftigte Linke heuchlerisch versucht, ihre Glaubwürdigkeit auf den Straßen zurückzuerlangen. Nur dass sie auf den Straßen längst kein Monopol mehr hat. Seht nur, wie sich mit jeder neuen Mobilisierung von OberschülerInnen – ebenso wie mit allem anderen, was die Linke zu unterstützen wagt – eine stets größer werdende Kluft zwischen ihren jammernden Forderungen und dem Grad der Gewalt und Entschlossenheit der Bewegung auftut. AUS DIESER KLUFT MÜSSEN WIR EINEN SCHÜTZENGRABEN MACHEN Wenn wir die Abfolge der Bewegungen betrachten, von denen eine auf die andere folgt, ohne irgendetwas Sichtbares zu hinterlassen, muss dennoch eingestanden werden, dass irgendetwas bestehen bleibt. Ein staubiger Pfad verbindet, was sich im jeweiligen Ereignis nicht hat einfangen lassen von der absurden Zeitlichkeit eines zurückgenommenen neuen Gesetzes oder irgendeinem anderen Vorwand. Stoßweise und mit einem eigenen Rhythmus können wir beobachten, wie etwas, das einer Kraft gleicht, Gestalt annimmt. Eine Kraft, die nicht ihrer Zeit dient, sondern ihre eigene Zeit auferlegt. Es geht nicht mehr darum, den Zusammenbruch vorherzusagen oder die Möglichkeiten von Freude zu schildern. Es ist nicht entscheidend, ob es früher oder später eintritt, jetzt geht es darum, sich darauf vorzubereiten. Wir müssen kein Modell dafür erarbeiten, was ein Aufstand sein sollte, sondern die Möglichkeit einer Erhebung als das verstehen, was diese immer hätte sein sollen: Ein lebenswichtiger Impuls der Jugend ebenso wie eine populäre Weisheit. Wenn jemand weiß, welche Bewegung vollzogen werden muss, dann ist das Fehlen eines Modells kein Hindernis, sondern eine Gelegenheit. Für die Aufständischen ist dies der einzige Raum, der das Wesentliche zu garantieren vermag, nämlich das Bewahren der Initiative. Was noch hervorgebracht und – wie ein Feuer – gepflegt werden muss, ist eine gewisse Vorhersage, ein gewisses taktisches Fieber, das sich, wenn es erst einmal auftritt, selbst als Determinante enthüllt – als ständige Quelle der Determination. Bestimmte Fragen, die gestern noch grotesk oder veraltet angemutet hätten, wurden neuerlich aufgeworfen: Sie müssen angegangen werden, nicht um endgültige Antwort zu finden, sondern um sie am Leben zu erhalten. Diese Fragen erneut aufgeworfen zu haben, ist nicht das geringste Verdienst der griechischen Erhebung. Wie wird eine Situation verallgemeinerten Aufruhrs zu einer Situation des Aufstands? Was tun, wenn die Straßen erst eingenommen sind und die Polizei dort lautstark bezwungen wurde? Verdienen es die Parlamente noch, angegriffen zu werden? Was ist die praktische Bedeutung der lokalen Absetzung der Macht? Wie entscheiden? Wie existieren? WIE EINANDER FINDEN? Jänner 2009 Es handelt sich bei diesem Text um das Vorwort zum Buch The Coming Insurrection, das für die englische Übersetzung des Buches L’insurrection qui vient angefertigt wurde. Sowohl die französische wie auch die englische Version des Textes sind als PDF-Dateien im Netz zu finden (für die englische Version: http://deletetheborder.org/node/2216 ; für die französische Version: http://www.lafabrique.fr/IMG/pdf_Insurrection.pdf ). [1] Jérôme Kerviel, ehemaliger Mitarbeiter der französischen Großbank Société Générale, wurde beschuldigt, im Jänner 2008 der Bank durch Spekulationsgeschäfte mit dem Aufbau von Handelspositionen im Wert von 50 Mrd. Euro einen Schaden von 4,9 Milliarden Euro zugefügt zu haben. (Diese und alle weiteren FN sind Anmerkungen der ÜbersetzerInnen.) [2] Bernard Lawrence Madoff, ehemaliger Vorsitzender der Technologiebörse NASDAQ (USA) betrieb jahrzehntelang einen Investmentfonds in Form eines Pyramidenspiels, das Ende 2008 platzte und mehrere Milliarden Euro Schaden verursachte. [3] Comité invisible, L’insurrection qui vient, Paris: La Fabrique 2007. |
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