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Fuat Ercan und Sebnem Oguz[1]:Anti-Neoliberale Strategien neu denken.
Ein Blick auf die Türkei aus der Perspektive der Werttheorie
[2]

Aus dem Englischen von Minimol

(…)

Marco Polo beschreibt eine Brücke, Stein um Stein. „Doch welcher Stein ist es, der die Brücke trägt?“ fragt Kublai Khan. „Die Brücke wird nicht von diesem oder jenem Stein getragen“, antwortet Marco, „sondern von der Linie des Bogens, den diese bilden.“ Kublai Khan verharrt in nachdenklichem Schweigen. Dann setzt er hinzu: „Warum sprichst du von den Steinen? Nur der Bogen ist für mich von Bedeutung.“ Polo erwidert: „Ohne Steine gibt es keinen Bogen.“

Italo Calvino, Die unsichtbaren Städte[3]

In jüngster Zeit wird die Debatte um anti-neoliberale Strategien verstärkt geführt, vor allem seit der letzten Welle von Massenprotesten nach ökonomischen Krisen in einer Reihe von sich entwickelnden kapitalistischen Ländern. Auch das Wiedererstarken der lateinamerikanischen Linken hat zur Intensivierung dieser Debatte beigetragen. Die aktuellen anti-neoliberalen Strategien nehmen jedoch meist eher die Form von linkem Populismus und nationalem Developmentalismus[4] an, anstelle von Alternativen, die auf einer Klassenanalyse beruhen. (…)

In diesem Artikel werden wir im Hinblick auf die Türkei argumentieren, dass Strategien gegen den Neoliberalismus, die auf der nationalstaatlichen Entwicklung beruhen, nicht nur langfristig problematisch sind, sondern auch kurzfristig nicht funktionieren, da sie die neoliberale nationale Wettbewerbslogik reproduzieren, die die Intensität und Schnelligkeit der Kapitalakkumulation vorantreibt. Epistemologisch basieren diese Strategien auf einer Tendenz, die wir „kritischen Empirismus“ nennen. Diese Tendenz nimmt isolierte, einzelne Variablen in den Blick, statt deren strukturelle Einheit und inneren Zusammenhänge zu untersuchen. Die wichtigste politische Implikation dieser Tendenz stellt deren Konzeptualisierung von Arbeit ausschließlich in konkreten Begriffen dar, was zu einem Rückzug von der Idee der Zentralität von Klassendynamiken in anti-kapitalistischen Kämpfen führt. Eine andere Sichtweise kann durch die Werttheorie gefunden werden, in der der Doppelcharakter von Arbeit betont wird. Heute ist dies besonders wichtig, da die jetzige Phase des Kapitalismus durch die weltweite Ausdehnung des Wertgesetzes gekennzeichnet ist, was die Produktion von mehr Mehrwert in Form von abstrakter Arbeit und die vermehrte Dominanz des Kapitals über soziale Beziehungen einschließt. Das bedeutet, dass immer mehr Bereiche der Gesellschaft der Logik des Kapitals auf verschiedene Arten unterworfen sind und Opposition daher vermehrt einen Klasseninhalt annimmt. Anders formuliert, gewinnt mit der wachsenden Dominanz der abstrakten Arbeit ein breiteres Konzept von Klasse in der politischen Strategie zunehmend an Bedeutung. Kritisch-empiristische Analysen jedoch definieren die ArbeiterInnenklasse in engen und konkreten Begriffen, suchen anschließend nach breiteren nationalen Koalitionen und sind damit sowohl anachronistisch als auch politisch irreführend. (…)

Anti-neoliberale Strategien in der Türkei

Der Neoliberalismus in der Türkei nahm in den 1980er Jahren als Antwort auf die Krise der binnenorientierten Kapitalakkumulation in den späten 1970ern seinen Anfang. Die wichtigste treibende Kraft hinter dem Wechsel zu einer neoliberalen Politik waren die großen inländischen Kapitalgruppen, die vor der Notwendigkeit standen, mehr Mehrwert durch die Integration in den Weltmarkt zu schaffen (Ercan, 2000a). Mit Unterstützung des Staates und internationaler Finanzinstitutionen waren diese Kapitalgruppen einflussreich in der Restrukturierung der türkischen Ökonomie entlang neoliberaler Kriterien. Das ökonomische Maßnahmenpaket vom 24. Jänner 1980 und der Militärputsch vom 12. September 1980 waren wichtige Wendepunkte in diesem Prozess. Die frühe neoliberale Phase beruhte auf Exportförderung und auf dem verstärkten Druck auf die Löhne. In den späten 1980er Jahren, als der Export-Boom seine Dynamik verlor und eine neue Welle von ArbeiterInnenprotesten zu einem nicht unwesentlichen Anstieg der Löhne führte, stieß diese Phase an ihre Grenzen. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Liberalisierung der Finanzmärkte vom türkischen Staat und den Kapitalinteressen als einzige Möglichkeit zur Überwindung der Schwierigkeiten begriffen, denen sie im Land gegenüberstanden. Auf den Übergang zur Konvertabilität der türkischen Lira im Jahr 1989 folgten eine Reihe von ökonomischen Krisen, die in den späten 1990er Jahren zum Wiederauftauchen von Strategien gegen neoliberale Politik führten.

Anti-neoliberale Strategien in der Türkei folgen im Wesentlichen drei Linien: Strategien, die auf die nationale Entwicklung fokussieren, linksliberale und klassenorientierte Strategien. Strategien, die auf die nationale Entwicklung fokussieren, setzen auf nationale Wettbewerbsfähigkeit und Protektionismus sowie auf eine Konzeption des Staates als Verbündeter der Arbeit gegen neoliberale Globalisierung und Imperialismus. Sie wenden sich entschieden gegen die Institutionen der neoliberalen Globalisierung wie Weltbank und Internationaler Währungsfonds sowie gegen die USA als größte imperiale Macht. In den meisten Fällen wenden sie sich auch gegen die EU als neoliberales und imperialistisches Projekt. Sie bilden die dominante Linie innerhalb der türkischen ArbeiterInnenbewegung und der sozialistischen Linken heute. (…) So hat auch die TKP[5], einst eine strikte Vertreterin klassenorientierter sozialistischer Strategien gegen national-demokratische Positionen, einen Wechsel hin zu einem Diskurs vollzogen, der von einem sehr breit definierten „Patriotismus“ gegen die USA und die EU dominiert wird.

Linksliberale Strategien hingegen wenden sich gegen Neoliberalismus im engeren ökonomischen Sinn, nicht jedoch gegen Globalisierung in einem weiteren Sinn. Sie machen einen Unterschied zwischen Weltbank und Weltwährungsfonds einerseits, die sie als ökonomische Institutionen des Neoliberalismus begreifen, und Institutionen wie die EU andererseits, die sie als potentielles Alternativprojekt zum Neoliberalismus ansehen – und in den meisten Fällen als fortschrittliches Modell von demokratischer Globalisierung. Diese Strategien betrachten die mögliche Mitgliedschaft der Türkei in der EU als einen positiven Schritt in Richtung Einbeziehung in das neue „soziale Europa“. Sie sehen zivilgesellschaftliche Organisationen als wesentliche AkteurInnen dieser Transformation an. Linksliberale Strategien sind nicht so stark wie jene, die auf nationale Entwicklung setzen, dennoch sind sie einflussreich. Ihr Bogen spannt sich ebenfalls von eher klassenorientierten bis hin zu eher liberalen Positionen. (…)

Zu guter Letzt gibt es vereinzelte Versuche, alternative Strategien aus einer Klassenperspektive heraus zu formulieren. Klassenorientierte Strategien versuchen über Zugänge hinauszugehen, die auf die nationale Entwicklung setzen oder linksliberal sind und so auf die eine oder andere Seite der Dichotomie Staat-Zivilgesellschaft fokussieren, und betonen die Klassenverhältnisse, die beiden Seiten der Dichotomie zugrunde liegen. Sie kritisieren Strategien, die auf nationale Entwicklung setzen, für die politisch falsche Unterscheidung zwischen Finanzkapital und produktivem Kapital oder zwischen nationalen und ausländischen Institutionen. Sie kritisieren auch linksliberale Positionen für deren unrealistische Sicht der USA und der EU als von einander getrennte Entitäten mit unterschiedlichen Globalisierungsprojekten. Sie argumentieren, dass beide Strategien den Fokus weg von den Klassendynamiken verschieben, und schlagen vor, vom Grundwiderspruch zwischen Arbeit und Kapital auszugehen – an Stelle von irreführenden Dichotomien zwischen Finanzkapital und produktivem Kapital, nationalen und ausländischen Institutionen, USA und EU oder zwischen Staat und Zivilgesellschaft. Klassenorientierte Strategien werden von einigen marxistischen Intellektuellen und politischen Gruppen außerhalb der großen sozialistischen Parteien vertreten. Sie sind jedoch eher marginal innerhalb der türkischen ArbeiterInnenbewegung heute. Der nationale Developmentalismus dominiert auch den Diskurs der Labor Platform (Emek platformu), der wir uns nun zuwenden werden.

Labor Platform: die wichtigste Organisation gegen Neoliberalismus in der Türkei

Die Labor Platform ist ein breites Bündnis aller großen Gewerkschaftsverbände, PensionistInnen- und Berufsvereinigungen[6] in der Türkei. Diese Plattform entstand 1999 als Antwort auf die Gesetzesentwürfe zur Reform der Sozialversicherung, zur Privatisierung und zur internationalen Schiedsgerichtsbarkeit. Anfang 1999 schlossen sich drei Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes mit den drei großen Gewerkschaften der ArbeiterInnen für eine gemeinsame Erklärung gegen neoliberale Politik zusammen. Der inhaltliche Schwerpunkt der Erklärung lag auf der nationalen Entwicklung, auf dem Bestreben „die nationalen Interessen gegen den IWF und die Weltbank zu verteidigen“ (Koc, 2001, 3). Nichtsdestotrotz wurde die Verfassung am 13. August 1999 in einigen Punkten verändert, um Privatisierung und internationale Schiedsgerichtsbarkeit zu legitimieren. In der zweiten Protestwelle, die auf die beiden Wirtschaftskrisen von November 2000 und Februar 2001 folgte, bildeten der Kampf gegen Korruption und die Rentierökonomie[7] die Hauptinhalte. Am 13. März 2001 verabschiedete die Labor Platform den Aktionsplan „Nein zu Korruption und Armut“. Als erster Schritt dieses Plans wurde ein Symposium zu Arbeitsmarktpolitik in Ankara abgehalten und ein alternatives Programm beschlossen, das Labor’s Program.

Das Labor’s Program ist ein umfangreiches politisches Forderungspaket, das die Kontrolle kurzfristiger internationaler Kapitalbewegungen, die Konsolidierung des Staatshaushaltes, das Ende der Privatisierungen, Steuerreformen, Pläne zur Industrialisierung und Importbeschränkungen umfasst. Es kommt ihm das Verdienst zu, eine Alternative zu Kemal Derviş’ National Program[8] aufgezeigt zu haben. Die meisten Punkte des Programms sind jedoch eher dazu geeignet, Klassenbewusstsein zu verwischen als zu verstärken. Im Gesamten gesehen, benennt das Programm die Verbindung zwischen türkischem und globalem Kapitalismus nicht deutlich genug, um eine antikapitalistische Politik voranzutreiben. (…)

Die Dominanz der Verfechter der nationalen Entwicklung in der türkischen ArbeiterInnenbewegung kann damit erklärt werden, dass die ArbeiterInnenorganisationen der wachsenden Macht des Kapitals unvorbereitet gegenüberstehen und deshalb pragmatische Lösungen entleihen, die in der vorhergehenden Phase der binnenorientierten Kapitalakkumulation funktioniert haben. Statt sich selbst zu erneuern, greifen sie auf Überlebensstrategien zurück, die auf pragmatischen Erklärungen basieren, die eher auf die Bewahrung existierender als auf die Entwicklung neuer Formen der Solidarität ausgerichtet sind. Im Folgenden wird der epistemologische Zusammenhang dieser Tendenz mit dem „kritischen Empirismus“ dargelegt.

Kritischer Empirismus als Schlüsselkonzept von Überlebensstrategien gegen den Neoliberalismus

Der kritische Empirismus ist die vorherrschende epistemologische Tendenz innerhalb aktueller anti-neoliberaler Strategien. Der Aufstieg des kritischen Empirismus reflektiert das allgemeine Unvermögen der Linken, dem Argument „There Is No Alternative“ (TINA) schlüssig zu antworten. Statt den Gesamtzusammenhang, in dem dieses Argument steht, zu analysieren, besteht die Antwort der Linken meist in folgender Umkehrung: „There Are One Thousand Alternatives“. Dies ist jedoch eine defensive und empirische Antwort, die sich nicht wirklich auf die Frage nach den strukturellen Transformationen, die zum TINA-Mantra geführt haben, einlässt.

Der historische Kontext von TINA kann als „die Dschungelgesetze des Kapitalismus“ benannt werden, die sich durch die stärker globalisierten Wettbewerbsbedingungen auszeichnen, wodurch die Überlebensversuche der einzelnen Kapitale zu bedeutsamen Widersprüchen sowohl innerhalb des Kapitals als auch zwischen Arbeit und Kapital geführt haben. Indem Neoliberalismus als die einzige Realität präsentiert wird, die sowohl verschiedenen Kapitalien als auch der Arbeit gerecht werden kann, dient TINA der Unsichtbarmachung dieser Widersprüche und verdeckt so auch den spontanen Pragmatismus und Empirismus, der den Antworten der einzelnen Kapitale auf die Dschungelgesetze des Kapitalismus innewohnt. Durch das Fehlen einer Analyse der tiefer liegenden Zusammenhänge unter der Oberfläche des Empirismus, reproduziert die Linke eben diesen Empirismus in ihren alternativen Analysen als „kritischen Empirismus“.

Dieses Versagen auf Seiten der Linken kann durch die zeitliche Verzögerung zwischen den organisatorischen Reflexen von Kapital und Arbeit erklärt werden. Während neue, von einzelnen Kapitalisten spontan entwickelte Überlebensmechanismen in relativ kurzer Zeit verallgemeinert werden, kann die Arbeit auf diese Mechanismen erst nach einer längeren Zeitspanne reagieren (Arrighi, 1996). Diese zeitliche Verzögerung zwischen der spontanen Entwicklung von systematischen Strukturen einzelner Kapitalisten und der organisierten Antwort der Arbeit lässt eine sehr enge Beziehung entstehen. Im Versuch, den Strategien der einzelnen Kapitalisten als organisierte Kraft entgegenzutreten, ist die Arbeit hin und hergerissen zwischen der Transformation der eigenen Organisationen entlang der Erfordernisse der veränderten kapitalistischen Strategien und der Aufrechterhaltung einer Sprache, die solidaritätszentriert ist und dem Zusammenhalt der ArbeiterInnen dient. (Hyman, 1999). Während die spontanen Erfahrungen der individuellen Kapitalisten in den 1980er Jahren mittlerweile zu strukturell-systemischen Elementen geworden sind, versucht die ArbeiterInnenklasse immer noch, diesen Entwicklungen Strategien entgegen zu halten, die den gesellschaftlichen Verhältnissen früherer Perioden entsprechen.

Drei Probleme des kritischen Empirismus liegen diesen Überlebensstrategien zugrunde: die Hervorhebung einzelner Variablen anstelle der inneren Zusammenhänge zwischen ihnen, die Hervorhebung der Institutionen anstelle der gesamten strukturellen Dynamiken sowie eine problematische Konzeption der Dualität innen-außen, in der das Außen sowohl gegenüber dem Innen als auch gegenüber dem Gesamten Priorität hat. (…)

Hervorhebung einzelner Variablen anstelle der inneren Zusammenhänge

In kritisch-empiristischen Analysen wird die strukturelle Einheit des Kapitalismus auf einige empirische Variablen reduziert. Jede Variable wird für sich selbst analysiert, ohne in Beziehung zu den breiteren strukturellen Dynamiken des Systems gesetzt zu werden: Hervorhebung der Liberalisierung des Handels ohne Bezug zur Kapitalakkumulation; Fokus auf kurzfristige Kapitalbewegungen, ohne diese in Beziehung zum produktiven Kapital zu setzen; Betonung der Entwicklung ohne Zusammenhang mit der ihr innewohnenden Klassendynamiken – all dies sind Beispiele für diese Tendenz.

Im Hinblick auf die Türkei kann die Analyse der Wirtschaftskrise im Labor’s Program als typisches Beispiel angesehen werden. Statt den Gesamtprozess der Akkumulation zu analysieren, nimmt das Programm deren empirische Manifestationen als isolierte, einzelne Variablen in den Blick. Die drei gebräuchlichsten sind Korruption, Rentierökonomie und kurzfristige Kapitalflüsse.

Korruption wird als aus dem Zusammenhang gerissenes Problem betrachtet, das politisch gelöst werden kann. Aus einer weiteren Perspektive jedoch kann Korruption als Mittel für einzelne Kapitale begriffen werden, ihre Kontrolle über die Zirkulation des geschaffenen Mehrwerts zu vergrößern – als Antwort auf die globalisierten Wettbewerbsbedingungen. Ebenso werden kurzfristige Kapitalflüsse isoliert vom Gesamtkreislauf des Kapitals behandelt und als Hauptursache der Krise identifiziert. Wird jedoch der Gesamtkreislauf des Kapitals in den Blick genommen, wird deutlich, dass kurzfristige Kapitalflüsse das Niveau der Kapitalakkumulation für jene einzelnen Kapitale angehoben haben, die sich im Prozess der Integration in den Kreislauf des gesellschaftlichen Gesamtkapitals befinden (Ercan, 2002a).

Dasselbe gilt für die von der Gesamtheit der Akkumulation getrennt analysierte Rentierökonomie. Aus dieser getrennten Analyse ergibt sich nahezu zwangsläufig die politische Strategie, von den Regierungen die Unterstützung des nationalen produktiven Kapitals zu fordern. Produktion wird als isoliert von kapitalistischen Klassenverhältnissen begriffen und auf die Quantität der produzierten Güter reduziert. Das gesellschaftliche Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit wird ausschließlich in Begriffen des Endresultats, des Produkts, analysiert. Kapitalakkumulation wird nicht als Prozess und Verhältnis verstanden, sondern stattdessen auf materiellen Wohlstand reduziert. Die Definition von Produktion als Ding statt als Prozess verunmöglicht die Einbeziehung von Machtverhältnissen in die Analyse. Eine Folge davon ist, dass die innere Beziehung zwischen produktivem Kapital und Geldkapital übersehen wird. Das produktive Kapital wird nicht als die Quelle von Geldkapital begriffen, sondern getrennt davon betrachtet und zu Lasten des Geldkapitals gepriesen. Dies ist in der Türkei besonders problematisch, da die einheimischen Sektoren des produktiven Kapitals in Form von Aktiengesellschaften organisiert sind, die ebenso Bankprofite aneignen. (Ercan, 2002a)

Hervorhebung der Institutionen anstelle der gesamten strukturellen Dynamiken

Ein zweites Problem des kritischen Empirismus ist, dass er den Schwerpunkt auf Institutionen statt auf gesamtstrukturelle Dynamiken als Ursache von Problemen legt. Institutionen als die am einfachsten erkennbaren einzelnen Variablen werden getrennt von den Gesamtprozessen, innerhalb derer sie operieren. Dadurch werden Institutionen wie der IWF und die Weltbank oder „böse Regierungen“ als Feind identifiziert. Wenn Prozesse erklärt werden sollen, beziehen sich diese Analysen auf rein politische Wahlmöglichkeiten.[9] (…)

Hervorhebung des Außen gegenüber dem Innen und dem Gesamten

Ein drittes Problem des kritischen Empirismus ist die strikte Dualität zwischen inneren und äußeren Variablen. Äußere Variablen werden sowohl von inneren Variablen als auch vom Gesamten, dessen Teil sie sind, abgetrennt. Globalisierung wird als etwas den nationalen Ökonomien Exogenes betrachtet, als Intervention von außen in einen Prozess, der ansonsten reibungslos funktionieren würde. Als wesentliches Mittel dieser Intervention von außen werden der Welthandel und kurzfristige Kapitalbewegungen angesehen. Diese Externalisierung geht Hand in Hand mit der wohl bekannten Formulierung des grundlegenden Klassenwiderspruchs als desjenigen zwischen „dem internationalen Kapital und der mit ihm verbündeten Kompradoren-Bourgeoisie“ auf der einen Seite und den „Massen“ (nationale Bourgeoisie, Kleinunternehmern, Bauern und Arbeiter) auf der anderen Seite.

Die politische Schlussfolgerung besteht darin, dass die Interessen verschiedener Klassen zusammengefasst werden können, um eine „nationale Allianz“ gegen das internationale Kapital zu bilden. Dies ist nicht nur theoretisch problematisch, da eine „nationale Bourgeoisie“, die eine solche Allianz ermöglichen würde, nicht mehr existiert.[10]  Sondern es ist auch politisch irreführend, da durch die Betonung der nationalen Interessen zu Lasten der Klasseninteressen Klassenbewusstsein tendenziell verwischt wird.[11] Der Fokus auf externe Institutionen lenkt die Aufmerksamkeit weg von neuen Mechanismen der Kontrolle über die Arbeit auf nationalstaatlicher Ebene.[12] (…)

Kritik der Strategie der nationalen Entwicklung

Die Strategie der nationalen Entwicklung entstand in einer historischen Phase des Kapitalismus, in der das Verhältnis zwischen Metropolen und Peripherie vorrangig von der Überakkumulationskrise von Kapitalien in den Metropolenregionen geprägt war. Seit den 1970er Jahren jedoch hat die Kapitalakkumulation in der Peripherie ein Niveau erreicht, auf dem das Verhältnis zwischen Metropole und Peripherie nicht mehr länger nur mehr in eine Richtung durch die Dynamik der Akkumulation in den Metropolen bestimmt wird. Stattdessen wird das Verhältnis durch die (wenn auch ungleiche) Interaktion zwischen den überakkumulierenden Kapitalen in den Metropolen und neu gewachsenen Kapitalen in der Peripherie, die einen bestimmten Grad der Akkumulation erreicht haben, bestimmt. In diesem Kontext gesehen, nimmt der Diskurs der nationalen Entwicklung eine neue Bedeutung an: er dient nunmehr der Agenda der sich internationalisierenden Kapitale in der Peripherie, die um mehr Kontrolle über den globalen gesamtgesellschaftlichen Kreislauf des Kapitals kämpfen. Dies bedeutet, dass der Diskurs der nationalen Entwicklung Teil der neoliberalen Agenda selbst wird.

Die soziale Basis der Verfechter der nationalen Entwicklung, die den Schwerpunkt eher auf die nationale Ökonomie und den Nationalstaat als auf Klasse als Analyseeinheit legen, ist jedoch selbst nicht frei von Klasseninteressen. In der Phase der binnenorientierten Kapitalakkumulation und der nationalen Befreiungskämpfe bestand diese aus einer Koalition der nationalen Bourgeoisien und der lokalen Eliten (vor allem der Planungsbürokratie). An diesem Punkt stellt sich uns nun die Frage, wie sich die soziale Basis der Verfechter der nationalen Entwicklung in der jetzigen Periode der weltweiten Internationalisierung und Konsolidierung des Kapitals zusammensetzt.

Die Beantwortung dieser Frage ist besonders wichtig, um Prozesse in der Peripherie zu verstehen. Die Verbindung verschiedener Kapitalkreisläufe in der Kapitalakkumulation im weltweiten Maßstab hat NICHT trotz der „nationalen Bourgeoisien“ einer binnenorientierten Kapitalakkumulation stattgefunden, sondern gerade aufgrund der bewussten Anstrengungen großer einheimischer Kapitale, die eine gewisse Größe in ihren jeweiligen Ländern erreicht haben (siehe dazu Ercan, 2002a). Die alte Sprache der nationalen Entwicklung spiegelt die Interessen dieser Kapitalfraktion nicht mehr wieder. Solange aber der Prozess der Internationalisierung des Kapitals auf einem globalen Niveau sowohl Wettbewerb als auch Protektionismus zur selben Zeit mit sich bringt, verläuft der Prozess uneinheitlich und eine revidierte Version der Sprache der nationalen Entwicklung mit internationalistischen und marktorientierten Beiklängen gewinnt für bestimmte Kapitalfraktionen zunehmend an Bedeutung. Und in dem Maße, in dem Teile der nationalen Elite (im Besonderen der staatlichen Planungsbürokratie), die die Politik während der Phase der binnenorientierten Kapitalakkumulation dominiert haben, nun ihre Macht verlieren, fühlen sie sich dieser Alternative ebenfalls nahe.

Wenn die von kritisch-empirischen Analysen herrührenden Konzepte der Industrialisierung und des Produktivismus äußeren Variablen entgegengesetzt werden, so wird die Protektion hochproduktiver nationaler Industrien auf internationalen Märkten zur Hauptalternative. Die neuen developmentalistischen Argumente tragen also hauptsächlich zu dem bei, was Albo (1997) „progressiven Wettbewerb“ nennt. Sie reproduzieren nicht nur Theorien der nachholenden Entwicklung im Kontext der Globalisierung, sondern – wichtiger noch – sie dienen der Rationalisierung der „nationalen Wettbewerbsagenda, die auf einer Darstellung der Nation basiert, die im Gegensatz zu der nach innen gerichteten keynesianischen Konzeption des nationalen Selbstmanagements“ (Bryan, 2001, 70) implizit international orientiert ist. Problematisch für die ArbeiterInnen an diesem neuen internationalistischen Nationalismus[13], argumentiert Bryan (2001, 58), ist die Tatsache, dass „nationale Wettbewerbspolitik systematisch die Arbeit als Träger des nationalen ökonomischen Erfolgs adressiert, aber dies ohne alle Umverteilungsmechanismen tun muss, die die keynesianische Konstruktion der Nation-als-Ökonomie kennzeichneten.“ Da Alternativstrategien, die auf nationale Entwicklung abheben, selbst-protektionistische Politiken durch „semi-entkoppelnde“ Strategien auf der Ebene des Nationalstaates verfolgen, enden sie in der Realität in der Reproduktion des Systems entlang stärker wettbewerbsorientierter Linien. Diese Strategien dienen ausschließlich der Legitimierung der wachsenden Intensität und Geschwindigkeit der Kapitalakkumulation. (…)

Wenn wir hier den Fokus auf das legen wollen, was Panitch „die Frage der sozialistischen Strategien im 21. Jahrhundert“ nennt, müssen wir zurückgehen zu den charakteristischen Merkmalen der jüngsten Phase des Kapitalismus. Dies bedeutet jedoch, dass wir – „um den gegenwärtigen Moment zu packen“ – „dem gegenwärtigen Moment entwischen und die einstweilige Verfügung, abstrakt über die fundamentalsten Elemente in unserem Verständnis der sozialen Struktur und Evolution nachzudenken, akzeptieren“ und versuchen müssen, die „tiefer liegende Struktur des jetzigen Moments“ zu theoretisieren. Im Folgenden versuchen wir einen Beitrag hierzu zu leisten, indem wir das Argument entfalten, dass wir momentan eine Intensivierung des kapitalistischen Wertgesetzes in internationalem Maßstab durchleben – was die Rekonstituierung der Arbeit in einer abstrakteren Form einschließt.

Zurück zu den Grundlagen der Werttheorie: widersprüchliche innere Beziehungen

Der zu Beginn dieses Artikels zitierte Dialog zwischen Kublai Khan und Marco Polo liefert als Metapher wichtige Hinweise für das Verständnis der strukturellen Merkmale des Kapitalismus. Sind es die Steine oder der Bogen (die Beziehung zwischen den Steinen), die die gesellschaftlichen Verhältnisse bilden, die der kapitalistischen Dynamik zugrunde liegen? Für den kritischen Empirismus ist die Antwort klar: es sind die Steine. Für MarxistInnen jedoch sind es die wechselseitigen Beziehungen zwischen den Steinen und dem Bogen, die die Totalität der gesellschaftlichen Verhältnisse herstellen.

Gleichzeitig legen die dem Kapitalismus innewohnenden widersprüchlichen inneren Zusammenhänge die Bedingungen für die Kapitalakkumulation offen. Die Wertbildung ist der Schlüssel zur Dynamik der Kapitalakkumulation, da sie in einem spezifischen historischen Netzwerk von Beziehungen stattfindet. Die miteinander verbundenen Elemente der Wertbildung sind Arbeit, Ware und Geld. Da sich die Wertbildung selbst in diesen drei Formen darstellt, bestimmt ihre Erscheinungsform wiederum den Charakter der grundlegenden gesellschaftlichen Verhältnisse der Produktion, Distribution und Konsumtion.

Die grundlegende Variable, die den kapitalistischen gesellschaftlichen Verhältnissen ihren strukturellen Charakter gibt, ist die Arbeit. Elson (1979, 124) argumentiert wie folgt: „da die Arbeit Gegenstand seiner Theorie ist, beginnt Marx seine Analyse mit der Warenform als der einfachsten gesellschaftlichen Form, in der sich das Arbeitsprodukt in der gegenwärtigen Gesellschaft ausdrückt“ (siehe Postone, 1996, 16, für eine ähnliche Argumentation). Arbeit ist wesentlich definiert nicht nur als konkrete, sondern auch als abstrakte Arbeit. Wenn wir die Arbeit durch einen bestimmten Arbeiter, der in einer bestimmten Fabrik arbeitet, definieren, dann sprechen wir nur über die Steine. Wenn wir uns nur auf die Steine (konkrete Arbeit) beziehen, erlangen empirische Faktoren wie Zu- oder Abnahme der Anzahl der Steine Bedeutung. In empirisch orientierten antikapitalistischen Alternativen zeigt sich diese Tendenz ziemlich deutlich.

Was jedoch die marxistische Theorie und deren antikapitalistische Sprache davon unterscheidet, ist die Herausarbeitung des Doppelcharakters der Arbeit. In seiner Formanalyse der Arbeit in der kapitalistischen Gesellschaft unterstreicht Marx die Wichtigkeit der Unterscheidung zwischen konkreter und abstrakter Arbeit. In einem Brief an Engels spricht er vom „Doppelcharakter der Arbeit, je nachdem sie sich in Gebrauchswert oder Tauschwert ausdrückt“ als einem der zwei besten Punkte im Kapital (Marx to Engels, August 24, 1867; Marx and Engels, 1975, 180).[14]

Es ist der abstrakte Aspekt der Arbeit, der die Beziehung zwischen dem Bogen und den Steinen einzigartig im Kapitalismus macht.[15] Durch ihre Verbindung zum geschaffenen Wert ist die Arbeit gleichzeitig mit den abstrakteren Aspekten der Wertform verbunden. Der doppelseitige Charakter der Arbeit legt also die Bedeutung der konkreten Arbeit in der Produktion ebenso offen wie ihren abstrakten Aspekt in der Zirkulation.

Die Herrschaft der abstrakten Arbeit bedeutet eine gesellschaftliche Formation, in der der Produktionsprozess den Menschen beherrscht und Geld die grundlegende Form dieser Herrschaft ist (Elson, 1979, 150). Auf diese Weise wird die innere Beziehung zwischen Geld als allgemeinem und gesellschaftlich akzeptiertem Wertmaß und der der abstrakten Arbeit innewohnenden Warenform hergestellt. Aufgrund dieser inneren Beziehung nimmt der Wert die Form einer objektiven gesellschaftlichen Macht an, „die sich jeden Winkel der Gesellschaft unterwirft“ (Smith, 2002, 149).

In diesem Sinne ist die den kapitalistischen gesellschaftlichen Verhältnissen innewohnende strukturelle Herrschaft beides: einerseits Resultat der Akkumulationsdynamik des Kapitalismus und gleichzeitig Symptom von konkreten gesellschaftlichen Verhältnissen in einer bestimmten Periode. Anders gesagt, so wie die dynamische Struktur des Kapitalismus Produkt struktureller Herrschaftsformen ist, die sich im Laufe der Zeit herausgebildet haben, so ist sie auch Ausdruck der aktuellen Beziehungen zwischen Arbeit und Kapital genauso wie von jenen zwischen Arbeit, Ware und Geld als verschiedene Wertformen.

Dieser Zugang hilft uns, den Fallstricken des kritischen Empirismus zu entgehen. Er zeigt uns, dass der Ausgangspunkt jeder antikapitalistischen politischen Alternative nicht die konkrete Arbeit selbst sein kann, sondern die gesamte gesellschaftliche Realität der abstrakten Arbeit im Verhältnis zur konkreten Arbeit. Neary (2002) arbeitet diesen Punkt heraus: „Der Widerspruch in der kapitalistischen Gesellschaft basiert nicht auf dem Verhältnis zwischen Arbeit und irgendeiner anderen äußerlichen gesellschaftlichen Realität, sondern durch die Formen, in denen die menschliche gesellschaftliche Praxis gezwungen ist zu existieren: als konkrete und abstrakte Arbeit. … Arbeit kann also keine einfache Kategorie sein, sondern ist ein Prozess, in dessen verschiedenen Momenten sie immer Kapital ist und in dem die Bewegung der Arbeit vermittelt ist und in ihrem eigenen Resultat verschwindet, ohne eine Spur zu hinterlassen.“

Wenn die doppelte Form der Arbeit als Ausgangspunkt genommen wird, so wird die Arbeit, die in anderen Analysen ignoriert wird, mehr als eine Kategorie, auf die das kapitalistische System einwirkt: sie wird zur strukturellen Komponente des Systems gegen sich selbst.

Politische Implikationen der Werttheorie: die Bedeutung der doppelten Form der Arbeit

Die politischen Implikationen der Werttheorie sind besonders bedeutend in einer Zeit, da der Kapitalismus gekennzeichnet ist durch die Internationalisierung der Kapitalkreisläufe und die intensivierte Ausdehnung der Geltung des Wertgesetzes auf die ganze Welt. Die grundlegenden Folgen davon sind Beschleunigung der Akkumulation, Schaffung von mehr Mehrwert und wachsende Dominanz der abstrakten Arbeit als Substanz des Wertes. Wir durchleben also nichts anderes als die Ausweitung des Kapitalismus selbst und seines grundlegenden Mechanismus, der aus der Schaffung von mehr Mehrwert in der Form der abstrakten Arbeit besteht.

Die wichtigste Variable, die den Einfluss des Kapitalismus heute weltweit vorantreibt, ist die Veränderung der inneren Beziehungen zwischen Arbeit, Geldform und Warenform, die durch die abstrakte Form der Arbeit als Antwort auf die Überakkumulation verursacht wird. Die asymmetrischen Machtverhältnisse, die durch Klassenverhältnisse geformt werden, führen zu einem differenzierten Gebrauch der Arbeit sowie der Waren- und Geldformen des Wertes. Da sich die dynamische Struktur der Kapitalakkumulation verändert, differenzieren sich die konkreten Elemente der Arbeit (wie Frauenarbeit und Kinderarbeit oder formelle und informelle Arbeit) mehr und mehr. Die abstrakte Arbeit gewinnt ihre Bedeutung als gemeinsame Variable, die verschiedene gesellschaftliche Verhältnisse innerhalb des Netzwerks der sich als Antwort auf die Krise ausweitenden Machtverhältnisse durchzieht. Auf diese Weise transformieren die verschiedenen Wertformen und der Gesamtprozess der Wertbildung die gesellschaftliche Sphäre als Ganzes. Abstrakte Arbeit verursacht nicht nur die Verstärkung der Widersprüche zwischen Arbeit und Kapital, sondern auch jene der Widersprüche zwischen Kapital und der Gesamtheit des gesellschaftlichen Lebens.

Daraus folgen vier wesentliche politische Implikationen. Erstens: Arbeit wird neuzusammengesetzt in ihrer abstrakteren und kontingenteren Form[16]. Da die Ausdehnung der Wertbildung dazu führt, dass „alle Aspekte der menschlichen Gesellschaftlichkeit … der Logik der kapitalistischen Arbeit (des Wertes) reell subsumiert werden“ (Neary, 2002), setzt der Prozess der reellen Subsumtion „die Arbeit selbst in einer abstrakteren oder kontingenteren Form neu zusammen“. Dieser Prozess führt dazu, dass „die Abstraktion die konkrete Basis der Identität der organisierten Arbeiterschaft zerstört, um die herum Massenkämpfe entstehen“. Die Institutionalisierung von gesetzlichen Regelungen zur Legitimation der wachsenden Kontingenz der Arbeit durch eine Reihe von Anti-Labor Gesetzen in verschiedenen Ländern wird an diesem Punkt verständlich.[17] Das heißt, dass sich die gegenwärtige Phase des Kapitalismus nicht durch die abnehmende Bedeutung der Arbeit besonders auszeichnet, sondern durch veränderte Formen der Kontrolle über die Arbeit.

Das führt uns zum zweiten Punkt: wir brauchen eine neue Art von Politik, die sich den Herausforderungen stellen kann, die durch diese neuen Formen der Kontrolle über die Arbeit entstehen. Durch die Neuzusammensetzung der Arbeit in ihrer abstrakteren und kontingenteren Form wird die Erfahrung der kapitalistischen Ausbeutung mehr und mehr fragmentarisch, was zur weiteren Verwischung des Zusammenhangs von Geld und Arbeitsprozessen führt. An dieser Stelle ist es hilfreich, sich daran zu erinnern, dass „der Ausbeutungsprozess eigentlich eine Einheit ist und die Geldbeziehungen und Arbeitsprozesse, die als zwei getrennte, von einander geschiedene Verhältnisse wahrgenommen werden, in Wahrheit einseitige Reflektionen besonderer Aspekte dieser Einheit sind“ (Elson, 1979, 172). Die politische Sphäre kann nicht auf die Sphäre der konkreten Arbeit reduziert werden und es ist daher heute besonders wichtig, die „Politik der Zirkulation“ (z.B. Lohnkämpfe) mit der „Politik der Produktion“ (z.B. Kämpfe über die Arbeitszeit) zu verbinden.

Drittens: die wachsende Aktivität des Geldes als abstrakteste Form des Wertes bedeutet keine Unterbrechung der realen Prozesse. Sie impliziert ganz im Gegenteil die vermehrte Kontrolle über die Arbeit, die zur Produktion von mehr Mehrwert führt. (…) Die Gewalt des Geldes dient der Schaffung neuen Wertes oder zur Beschleunigung der Verteilung von bereits geschaffenem Wert. Geld ist also nicht einfach ein Tauschmittel, sondern auch die Repräsentation von Geld-als-Kapital. Als solche ist es Gegenstand der Maßnahmen, die die Expansion des Kapitals regulieren und greift aktiv in das Verhältnis zwischen konkreter Arbeit und Kapital ein. (…) In diesem Sinne können wir den abstrakten Prozess konkretisieren, der von Elson als die Reproduktion von Kapital als Einheit von Produktions- und Zirkulationsprozessen des Kapitals identifiziert wurde, die in einer ungleichmäßigen und kombinierten Weise stattfindet, da dies die Bedingung für die Konkretisierung des Prozesses der Wertbildung darstellt.

Letzter Punkt: die Kritik an den Analysen der Verfechter der nationalen Entwicklung aus der Perspektive der Werttheorie bedeutet nicht, dass nationale Prozesse und Spielarten keine Bedeutung für die Formulierung antikapitalistischer Strategien haben. Ganz im Gegenteil, die Besonderheiten in den ArbeiterInnenbewegungen verschiedener Länder können genau durch die Unterschiede in den historischen Mustern der Wertbildung erklärt werden. Die Konzeption der ungleichmäßigen und kombinierten Entwicklung[18] impliziert, dass der konkrete Prozess der Wertbildung in verschiedenen räumlichen und relationalen Kontexten verschiedene Formen annimmt. (…) Im Besonderen die ungleiche Interaktion zwischen Arbeit, Geld- und Warenformen des Wertes im Akkumulationsprozess verursacht, dass der abstrakte Mechanismus der Wertbildung verschiedene konkrete Formen in verschiedenen nationalen Räumen annimmt.

Aufgrund der jüngsten Entwicklung des Kapitalismus nimmt die Verbindung des Akkumulationsprozesses in der Peripherie mit dem globalen Gesamtkreislauf des Kapitals eine ungleiche Form an. Der Akkumulationsprozess ist der Gesamtkreislauf des Kapitals, was die Kreisläufe des produktiven, des kaufmännischen und des Geldkapitals einschließt. Da die Wertbildung den grundlegenden Mechanismus des Gesamtkreislaufes des Kapitals darstellt und diese wiederum mit der Akkumulation von produktivem Kapital verknüpft ist, tendieren produktive Kapitalisten in der Peripherie dazu, sich mit internationalen Kapitalien zu verbinden. Die Akkumulation verschiebt sich also von den nationalen zu den internationalen Märkten. Das Muster der Kapitalakkumulation bestimmt auch die Art, in der sich einheimische Kapitale mit der globalen Akkumulation verbinden. Abhängig von diesem Muster, können einheimische Kapitale versuchen, sich in den Weltmarkt zu integrieren, überakkumuliertes globales Kapital in Form von Geldkapital anzuziehen oder mit internationalen produktiven und Geldkapitalen zu kooperieren – je nach den lokalen Gegebenheiten. Generell finden alle diese Dynamiken gleichzeitig statt, woraus eine Reihe verschiedener Strategien in verschiedenen nationalen Kontexten resultiert. Wenn nun die Transformation des Kapitalismus in den 1970er Jahren innerhalb des hier aufgestellten Rahmens erörtert wird, so kann das vielfältige Verhältnis zwischen den Verwertungsbedingungen der überakkumulierten Kapitale in den Metropolen und den sich internationalisierenden Kapitalen in der Peripherie freigelegt werden.

Die einheimischen Kapitale der fortgeschrittenen kapitalistischen Länder haben sich seit den 1970er Jahren weitgehend in den globalen Kreislauf des Geldkapitals integriert. Die Verwertungsbedingungen des Geldkapitals haben zwei Formen angenommen: Verwertung als Geldkapital und Verwertung als produktives Kapital. Grob gesprochen, wurde Geldkapital in Ländern wie Südkorea, Taiwan und Malaysia hauptsächlich als produktives Kapital verwertet, d.h. es wurde in die Form der Arbeit übergeführt. In Ländern wie der Türkei und Mexiko hingegen wurde es hauptsächlich als Geldkapital (zinstragendes Kapital) verwertet. So gesehen, ist das Verhältnis von Geldkapital und produktivem Kapital im weltweiten Zusammenhang betrachtet nicht einseitig (d.h. nur von außen nach innen), sondern auf verschiedenen Ebenen miteinander verbunden. Speziell in Ländern der Peripherie dient Geldkapital der Herstellung der Bedingungen für (die Produktion von) Mehrwert als Unterstützung des Wachstums von ungenügend akkumulierten Kapitalen. Während dieser Prozess in Ländern wie Südkorea früh begonnen hat, war in Ländern wie der Türkei mehr Zeit für die Herstellung der Bedingungen der Akkumulation von sich internationalisierenden einheimischen Kapitalen notwendig. An diesem Punkt werden nun die Probleme mit der Tendenz in entwicklungsorientierten antikapitalistischen Alternativen, Globalisierung als externe Variable zu betrachten, klarer sichtbar. Kapitalismus und seine Manifestation in Form der Globalisierung ist nichts Äußerliches, sondern eher ein Prozess, der unter Beteiligung vielfältiger AkteurInnen stattfindet – wenn auch unfreiwillig und ungleichmäßig.

Da sich die dem Kapitalismus innewohnenden Dynamiken auf sehr abstrakte Weise manifestieren, sind gerade diese abstrakten Dynamiken die Ursache dafür, dass die Wertbildung in Begriffen der konkreten Arbeit sehr unterschiedliche Formen annimmt. Diese unterschiedlichen Formen, die sich durch die spezifischen historischen und Klassendynamiken jedes einzelnen Landes herausgebildet haben, bestimmen das allgemeine Zusammenspiel anderer Dynamiken. So haben z.B. die Veränderungen in der Bildung von produktivem Kapital in fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern Auswirkungen auf die Struktur und Zusammensetzung der Arbeit. Die Verschiebung hin zu kapital-intensiveren Strukturen oder hin zum Dienstleistungssektor führt zu einer veränderten Zusammensetzung der ArbeiterInnenklasse. Dies führt auch dazu, dass die Gewerkschaftsbewegung in Ländern, die stark auf das produktive Kapital hin orientiert sind, sehr aktiv sein kann (z.B. in Südkorea), während die sozialen Bewegungen und ArbeiterInnenklassen in Ländern, in denen die globale Wettbewerbsfähigkeit des produktiven Kapitals gering ist und deshalb die Bedingungen für einheimische Kapitalakkumulation weniger gut (z.B. Türkei und Mexiko), andere Orientierungen haben können. Einer der grundlegenden ontologischen Gründe für das Unvermögen der ArbeiterInnenklasse, sich selbst politisch auszudrücken, liegt also vielleicht in der veränderten Form, die die ungleichmäßige und kombinierte Entwicklung heute angenommen hat. (…)

Die Türkei aus der Perspektive der Werttheorie

Der Prozess der Kapitalakkumulation in der Türkei ist dadurch bestimmt, dass Wertbildung in der Türkei erst relativ spät Einzug gehalten hat. Die Türkei war ungleichmäßig mit der globalen Akkumulation des Kapitals verbunden und schuf die eigenen Bedingungen der Akkumulation unter dem Einfluss des ungleichmäßigen Prozesses des Weltkapitalismus und ihrer eigenen historisch gewachsenen Klassenbedingungen. In anderen Worten, die innere Dynamik der Türkei wurde durch den globalen Kreislauf des gesellschaftlichen Gesamtkapitals beeinflusst – dieser Einfluss jedoch bestimmte aus sich selbst heraus weder den Weg zu Entwicklung, noch den zu Unterentwicklung (Ercan, 2001).

Analysen, die auf nationale Entwicklung abheben, sehen die jüngste Entwicklung des türkischen Kapitalismus als Folge des export-orientierten Akkumulationsprozesses, der Ende der 1970er Jahre von internationalen Finanzinstitutionen und multinationalen Konzernen initiiert wurde. Wir können jedoch feststellen, dass die Exportorientierung keine Ursache, sondern eher das Resultat des Erfolges der binnenorientierten Kapitalakkumulation der vorhergehenden Jahrzehnte war. In anderen Worten, die Exportorientierung war nur eines der Ergebnisse des Akkumulationsprozesses. Eine kleine Anzahl auf die Produktion dauerhafter Konsumgüter und teilweise auf Zwischenprodukte spezialisierter großer Kapitalgruppen stand Anfang der 1980er Jahre vor dem Problem, die Fähigkeit zur Produktion von Zwischenprodukten und Produktionsmitteln zu erlangen. Das Hauptziel dieser Kapitalgruppen war (…) die Erhöhung der Produktivität der Arbeitskraft. Dazu wurde ein Wechsel hin zu kapitalintensiveren Sektoren benötigt, was die Etablierung neuer Formen der Kontrolle über die Momente der Arbeit, Ware und Geld voraussetzte. Es war notwendig, die Produktions- und Realisierungsprozesse innerhalb neuer Machtverhältnisse neu zu definieren. Diese Imperative fanden ihren Ausdruck im Militärputsch von 1980, durch den Kriterien der Ordnung und der Entwicklung durchgesetzt wurden, die die Erfüllung der grundlegenden Bedürfnisse des Kapitals ermöglichten. Die erste und wichtigste Auswirkung der repressiven politischen Unterdrückung ab 1980 war eine Reihe von gesetzlichen Maßnahmen zur Förderung der Kapitalverwertung. Ein Aspekt dieser gesetzlichen Maßnahmen war die Unterminierung der damaligen Formen der Organisation von ArbeiterInnen.

Die erste Errungenschaft der politischen Repression in den 1980er Jahren war also die Verschärfung der Kontrolle der Arbeit mit dem Ziel, eine Verschiebung hin zu kapitalintensiven Sektoren zu vollziehen. Die Verbesserung der Bedingungen der Mehrwertproduktion sowie die erhöhte Produktivität der Arbeit waren jedoch nicht das Ende der Anstrengungen zugunsten des Kapitals, denn das Großkapital traf auf zwei Hindernisse, die aufgrund der ungleichmäßigen und kombinierten Entwicklung in der Türkei entstanden waren. Um zur Produktionsmittelproduktion übergehen zu können, war eine hohe Akkumulationsrate innerhalb des Landes nicht genug, auch der Import von kapitalintensiven Gütern war notwendig. Das wiederum erzeugte den Bedarf nach Kapitalakkumulation in Form von Devisen und – wichtiger noch – nach neuen Märkten zur Realisierung des Wertes der dauerhaften Konsumgüter, die einen Boom erlebten.

Der Bedarf der großen Kapitale nach mehr Kapital in Form von Devisen führte zu einem System der Kontrolle über Arbeit und Exportgüter, um Wettbewerbsvorteile für den Export zu schaffen. Die Arbeit wurde also wie andere Exportgüter auch kommodifiziert[19] sowie durch Anti-Labor Gesetze kontrolliert und die Waren (als Verkörperung von Wert) wurden einer Reihe von Kontrollmechanismen zugunsten von Exportvorteilen unterworfen. Die Entwicklung von Mechanismen und gesetzlichen Rahmenbedingungen zur Erhöhung der Arbeitsproduktivität hatte tiefgreifende Auswirkungen auf die Arbeit. Wie in vielen anderen Ländern auch, besteht der in der Türkei entwickelte theoretische Apparat hauptsächlich aus Konzeptualisierungen, die aus den Überlebensstrategien des Kapitals gewonnen werden – Postfordismus, Japanisierung, Toyotismus. Der Kern des Prozesses jedoch war die Entwicklung von Mechanismen, die die Gleichzeitigkeit von historisch verschiedenen Weisen der Produktion des aus der Arbeitskraft extrahierten Mehrwerts (absoluter und relativer Mehrwert) ermöglichen sollte. Diese Transformation, die die vormalige Strukturierung der Arbeit umwälzte, hatte auch verschiedene Formen des Gebrauchs von Arbeit (formell und informell) sowie die Nutzung unterschiedlicher Arbeitskräfte (Frauen- und Kinderarbeit) zur Folge. Die ungleichmäßige und kombinierte Entwicklung rief auch unterschiedliche Arten der Verwertung des Inlandskapitals hervor. Unter diesen Umständen fand in einigen kapitalintensiven Sektoren eine technologie-orientierte Entwicklung statt, während ein Großteil des Arbeitsmarktes von arbeitsintensiven, durch informelle Verhältnisse charakterisierten Sektoren erobert wurde.

Die Unterdrückung und Kontrolle der konkreten Arbeit wurde hauptsächlich durch die Niedrighaltung der Löhne und eine wachsende Reservearmee an Arbeitskräften erreicht. Die wichtigste Folge davon war die Re-Regulierung der Waren- und Geldformen der Arbeit. Der Weg, durch den die Mehrwertproduktion erhöht wurde, machte die Partizipation des einheimischen Kapitals am globalen Kreislauf des gesellschaftlichen Kapitals notwendig. Die erste Phase dieses Prozesses, die als die Internationalisierung einer kleiner Anzahl von lokalen Kapitalen bezeichnet werden kann, nahm notwendigerweise eine Form an, die durch den Gebrauch von Überkapazitäten und die Stärkung des produktiven Kapitals sowie des einfachen Kreislaufes des kaufmännischen Kapitals unterstützt wurde. Mainstream-Analysen beziehen sich auf diese Phase als „Washington Konsens“ bzw. „erste Generation von Strukturreformen“.

Am Ende der 1990er Jahre begann eine neue Phase, die durch eine substantielle strukturelle Transformation des Staates gekennzeichnet ist.[20] Das wesentliche Charakteristikum dieser Phase (auf die in Mainstream-Begriffen als „post-Washington Konsens“ oder „zweite Generation von Strukturreformen“ Bezug genommen wird) war die Etablierung eines gesetzlich-institutionellen Rahmens, der die Kontrollmechanismen des Kapitals über die Arbeit auf der Mikroebene implementieren soll. Neue Anti-Labor Gesetze wurden erlassen, um die Arbeit in eine flexible Ware zu transformieren, Arbeitsbedingungen zu regulieren und die organisierte Macht der ArbeiterInnen zu schwächen (Ercan, 2003a). Die neuen Gesetze hatten zum Ziel, alle Aspekte des (gesellschaftlichen) Lebens mit den globalen Tendenzen des Kapitals in Einklang zu bringen (Ercan, 2003b). Diese Entwicklungen können als Übergang von der formellen zur reellen Subsumtion definiert werden, wie er von Marx beschrieben wurde. Im Bezug auf Länder mit ungleichmäßiger und kombinierter Entwicklung wie der Türkei, können wir jedoch von einer gleichzeitigen Wirkungsweise von formeller und reeller Subsumtion sprechen. Mit Beginn der 1980er Jahre wurde der türkische Kapitalismus von reeller Subsumtion dominiert und von diesem Prozess relativ stark beeinflusst.

Dieser Übergang fand jedoch statt, bevor der Prozess der Proletarisierung vollendet war. Die Arbeitskraft auf dem Land war noch nicht kommodifiziert, was bedeutet, dass der Prozess der formellen Subsumtion trotz der Dominanz der reellen Subsumtion andauert. Die Hervorhebung dieser Tatsache legt einerseits die historischen Phasen und die gesellschaftlichen Eigentümlichkeiten der kapitalistischen Entwicklung in der Türkei frei und verweist andererseits auf die Unzulänglichkeit der konventionellen oppositionellen Analyse. Wir durchleben eine Periode, in der sich die historische Akkumulation der konkreten Arbeit als abstrakte Arbeit entfaltet und eine Vergrößerung der Hegemonie des Kapitals über die gesellschaftlichen Beziehungen mit sich bringt. Die Arbeitskraft in ihrer abstrakten Form wird zur dynamischen widersprüchlichen Substanz der kapitalistischen gesellschaftlichen Beziehungen und der Wert nimmt zunehmend die Form einer objektiven gesellschaftlichen Macht in der Türkei an. Einfach ausgedrückt, werden die strukturell-kumulativen Dynamiken der Kapitalakkumulation zunehmend bestimmend für das „Gesellschaftliche“.

Die Ausweitung und Vertiefung des Kapitalismus hat parallel zur Unterminierung der materiellen Bedingungen der Arbeit eine Unterminierung des „Gesellschaftlichen“ mit sich gebracht. Während der aus der Arbeit gezogene Mehrwert ein enormes Ausmaß erreicht hat, besteht immer noch das Risiko, das dies im Kontext des harten Wettbewerbs auf globaler Ebene nicht ausreicht. Die laufend zitierten aktuellen Zahlen des ökonomischen Wachstums, der Exportsteigerungen sowie die steigende Arbeitslosigkeit in der Türkei sind Ergebnis des Erfolges eines 25-jährigen Kampfes des Kapitals. (…)

Die Intensivierung der Akkumulationsbedingungen hat die widersprüchlichen inneren Dynamiken der Arbeit klarer gemacht. In dieser Hinsicht entfaltet sich der Antagonismus auf unterschiedliche Weise auf gesellschaftlicher Ebene. Die Bedürfnisse des sich internationalisierenden Kapitals wurden durch Maßnahmen wie die Neudefinition der öffentlichen und privaten Sphäre, Einschränkung der öffentlichen Ausgaben, die Erlaubnis, dass Kapitale in ihren Überlebensstrategien auf illegale Mittel zurückgreifen können, den Transfer von Ressourcen hin zum Kapital durch die Umwandlung von öffentlichen Ausgaben in Schulden, die Kommodifizierung von öffentlichen Einrichtungen (Bildung, Gesundheit, Transport) und die Streichung des Transfers von Ressourcen in bestimmte gesellschaftliche Räume befriedigt. All dies stellt eine wesentliche Bedrohung für große Teile der Gesellschaft dar.

Die Kontrolle über die Arbeit entfaltet sich nicht nur in der Hegemonie des Gesamtkreislaufes des Kapitals über die gesellschaftlichen Beziehungen, sondern auch in der Kontrolle, die in Klein- und Mittelunternehmen ausgeübt wird. Da die Tendenz der Zentralisierung und Konzentration den Wettbewerb unter den Kapitalen verstärkt, werden die negativen Auswirkungen der Überlebensstrategien des Kapitals der Arbeit aufgezwungen. Um angesichts der Kontrollbestrebungen des Großkapitals bestehen zu können, greifen mittlere und kleine Kapitale zur Überausbeutung der ArbeiterInnenklasse. Dies erklärt auch, warum die auf die ökonomischen Krise von 2001 folgenden Proteste eher von spontanen Aktionen von KleinunternehmerInnen und deren ArbeiterInnen als von organisierten Aktionen der Gewerkschaften und der Labor Platform geprägt waren.[21]

Daraus können wir zwei Schlussfolgerungen ziehen. Erstens, die gesellschaftliche Zusammensetzung der spontanen Proteste zeigt, dass die Hegemonie des Kapitals über die gesellschaftlichen Beziehungen in der Türkei weit fortgeschritten ist. Zweitens, Unterschiede in den Verwertungsbedingungen führen zu verschiedenen Formen des Protests in verschiedenen nationalen Kontexten. Im Gegensatz zu Ländern wie Südkorea, wo die Verwertung des Geldkapitals in Form von produktivem Kapital zu starken kollektiven organisatorischen Antworten der Gewerkschaften geführt hat, führte in der Türkei die Verwertung von Geldkapital in der Form von Geldkapital zu schwächeren gewerkschaftlichen Antworten. Es ist zu erwarten, dass sich diese Tendenz in der näheren Zukunft mit den neuen Anti-Labor Gesetzen, die die Fähigkeiten der Gewerkschaften zur kollektiven Organisierung weiter unterminieren, fortsetzt.

Conclusio

(…)

Aus der Perspektive der Werttheorie durchleben wir nichts anderes als die Ausweitung und Vertiefung des Kapitalismus und seines grundlegenden Mechanismus selbst, d.h. die Schaffung von mehr Mehrwert in Form von abstrakter Arbeit und eine wachsende Dominanz des Kapitals über gesellschaftliche Beziehungen. Mehr und mehr Sektoren der Gesellschaft werden auf verschiedene Arten der Logik des Kapitals unterworfen und tendieren in der Folge dazu, ihre Unzufriedenheit vermehrt in Klassenbegriffen auszudrücken. So gesehen, wird die Kategorie der Klasse in antikapitalistischen Alternativen heute sogar zentraler.[22] (…)

Zugänge, die auf nationale Entwicklung und ausschließlich auf konkrete Arbeit und Kämpfe in der Zirkulationssphäre fokussieren, sind in diesem Kontext besonders anachronistisch geworden. Die Realität der zunehmend vorherrschend werdenden abstrakten Arbeit macht es wichtiger als je zuvor, die Totalität der Kämpfe in den Sphären der Zirkulation und der Produktion hervorzustreichen. Die politische Implikation ist klar: anti-neoliberale Strategien, die nicht anti-kapitalistisch sind, sind heute unbrauchbar. Linke Strategien müssen ihre politischen Energien weg von nationalen Allianzen gegen als von außen kommend definierte globale Institutionen hin zu klassenbasierten lokalen Kämpfen gegen neue Kontrollregime über die Arbeit, die von den eigenen Kapitalisten und Staaten errichtet werden, verschieben.

Das bedeutet jedoch nicht, dass die Linke keine andere Option hat, als die Sprache der nationalen Entwicklung zu verwenden. Obwohl der konkrete Prozess der Wertbildung verschiedene Formen in verschiedenen nationalen Kontexten annimmt und es daher verschiedene Strategien für jedes Land braucht, findet er dennoch immer noch in einer ungleichmäßigen und kombinierten Weise statt. Das Konzept der ungleichmäßigen und kombinierten Entwicklung kann uns daher helfen, dieses Dilemma zu vermeiden, indem es ermöglicht, einer Bandbreite von sektoralen, Klassen- und anderen Variablen, die begleitend auf anderen Ebenen operieren, Rechnung zu tragen. Tatsächlich muss eine Politik, die innerhalb des nationalstaatlichen Rahmens agiert und weder in die Fallstricke des Nationalismus noch in jene eines abstrakten Internationalismus geraten will, diese Variablen auf anderen Ebenen konstant im Blick behalten.

Fuat Ercan lehrt am Institut für Ökonomie an der Marmara Universität in Istanbul. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf marxistischer politischer Ökonomie. Er hat zahlreiche Bücher und Artikel über Geld und Kapitalismus, Werttheorie, Wirtschaftsgeographie, Krise und kapitalistische Entwicklung in der Türkei verfasst.

mail: ercanfu@marmara.edu.tr

Sebnem Oguz lehrt im Programm für Politikwissenschaften und Internationale Beziehungen der Middle East Technical University am Campus von Nordzypern. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf Staatstheorie, vergleichender Politik und politischer Ökonomie in der Türkei.

mail: osebnem@metu.edu.tr

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[1]    Wir danken Greg Albo, Elvan Gülöksüz sowie drei anonym bleiben wollenden Personen für ihre Kommentare und Vorschläge. Für etwaige Fehler sind jedoch selbstverständlich die AutorInnen selbst verantwortlich.

[2]    Anm. d. Red.: Dieser Artikel ist die gekürzte Version eines Textes, der ursprünglich unter dem Titel „Rethinking Anti-Neoliberal Strategies under the Perspektive of Value Theory: Insights from the Turkish Case“ in Science & Society, Vol. 72, No. 2, April 2007, 173-202, Guilford Publications Inc., New York, erschienen ist. Die Redaktion der Zeitschrift grundrisse dankt dem Verlag sowie den AutorInnen für die Genehmigung zur Übersetzung und Veröffentlichung sowie den AutorInnen zusätzlich für die gute Zusammenarbeit bei der Kürzung des Textes. Die aus dem Original gekürzten Stellen sind mit (…) markiert. Alle Zitate, bei denen nicht ausdrücklich auf eine deutsche Quellenangabe verwiesen wird, sind Eigenübersetzungen der Übersetzerin. Die Anmerkungen stammen, soweit sie nicht als Anm. d. Red. oder d. Übersetzerin gekennzeichnet sind, von den AutorInnen.

 

[3]    Anm. d. Übersetzerin: in der Übersetzung zitiert nach: Italo Calvino, Die unsichtbaren Städte, Carl Hanser Verlag, München Wien, 1977, aus dem Italienischen von Heinz Riedt.

 

[4]    Anm. d. Ü.: Nationaler Developmentalismus bzw. developmentalistische Strategien oder auch Theorie der nachholenden Entwicklung (im Folgenden meist übersetzt mit „Strategie der nationalen Entwicklung“): Ökonomische Theorie, die von Entwicklung als Schlüsselstrategie hin zu ökonomischem Wohlstand ausgeht, d.h. dass es für „Dritte Welt“-Staaten der beste Weg ist, einen starken und vielfältigen inneren Markt zu fördern und hohe Importzölle zu erheben. Geht weiters davon aus, dass es für „Dritte Welt“-Länder möglich ist, ihre Autonomie durch den Gebrauch von äußeren Ressourcen innerhalb eines kapitalistischen Systems zu erreichen und aufrechtzuerhalten. Die Theorie basiert außerdem auf der Annahme, dass es nicht nur die gleichen Stufen der Entwicklung in allen Ländern gibt, sondern auch eine lineare Bewegung, die von Stufe zu Stufe voranschreitet, von einer traditionellen oder primitiven hin zu einer modernen oder industrialisierten Entwicklungsstufe.

[5]    Anm. d. Ü.: Die Türkiye Komünist Partisi (kurz TKP) ist die größte Partei innerhalb der vielfältigen türkischen kommunistischen Parteienlandschaft. Die Wurzeln der Partei liegen in der Gruppe Sosyalist İktidar (Sozialistische Macht), die sich 1978 aus ausgeschlossenen Mitgliedern der Arbeiterpartei der Türkei (TİP) formierte. Nach dem Militärputsch wurde die Gruppe aufgelöst. 1992 wurde die Partei für eine Sozialistische Türkei (Sosyalist Türkiye Partisi, STP) gegründet, die allerdings vom Verfassungsgericht verboten wurde. Nachfolgepartei war die SİP, die sich schließlich den immer noch aktuellen Namen TKP gab. Es gab von staatlicher Seite den Vorstoß zu einem Parteiverbot, der Beschluss wurde jedoch vom Verfassungsgericht auf unbestimmte Zeit vertagt. Seit 2005 tritt die Partei bei Wahlen als "Patriotische Front" (Yurtsever Cephe) an. Das aktuelle Wahlergebnis der Parlamentswahlen von 2007 liegt bei 0,22%. Die TKP genießt begrenzte Unterstützung unter ArbeiterInnen, StudentInnen und linken Intellektuellen, wobei ihre Aktivitäten wie auch die Masse ihrer SympathisantInnen und Mitglieder ganz klar in Istanbul zentriert ist. Schwierigkeiten hat die Partei dagegen, sich in den Dörfern etwa Ostanatoliens zu etablieren. Wie die meisten kommunistischen Parteien setzt auch die TKP stark auf die internationale Kooperation der kommunistischen Bewegungen. Bevorzugter Partner der TKP ist die weitaus einflussreichere griechische KKE. Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/T%C3%BCrkiye_Kom%C3%BCnist_Partisi_(2001)

[6]    Anm. d. Ü.: In kapitalistischen Ländern der Peripherie wie z.B. der Türkei sind Berufsvereinigungen im Allgemeinen kritisch gegenüber dem System (im Unterschied zu ihren Gegenparts in den Metropolen). Es handelt sich hierbei nicht um Kammern, da die Mitgliedschaft in ihnen nicht verpflichtend ist.

[7]    Anm. d. Ü.: Rentiers sind Personen, die Einkünfte aus zinstragendem Kapital beziehen. Rentierökonomie meint, dass Gewinne nicht oder nur in geringem Maße reinvestiert, sondern im Wesentlichen unproduktiv verkonsumiert werden.

[8]    Kemal Derviş, früherer Vizepräsident der Weltbank und dort verantwortlich für Programme zur Armutsminderung, wurde als Wirtschaftsminister der Türkei bestellt, um das neue Konjunkturprogramm nach der Krise von 2001 durchzuführen. Ironischerweise wurde Derviş’ neues Wirtschaftsprogramm „National Program“ genannt. Es versprach die Fusionierung und Privatisierung der größten öffentlichen Banken innerhalb von drei Jahren sowie die Einstellung der staatlichen Subventionen für die Landwirtschaft, die Kürzung der öffentlichen Ausgaben um 9 Prozent, die Einfrierung der Gehälter im öffentlichen Sektor sowie die Privatisierung und Öffnung für globale Märkte von bis dahin staatlichen Sektoren wie Telekommunikation, Fluglinien, Erdöl, Stahl, Tabak und Spirituosen, Zucker sowie Energieversorgungsunternehmen (Gas und Strom) (Oguz, 2001).

[9]    In der Türkei z.B. lauteten die am weitesten verbreiteten Parolen in den sozialen Protesten: „IWF raus! Das ist unser Land!“, „Gegen den Ausverkauf unseres Landes!“, „Nieder mit dem IWF, für eine unabhängige Türkei!“, „Der IWF diktiert, die Regierung führt aus!“.

[10]  Die meisten Kapitalgesellschaften in der Türkei, die als Teil der „nationalen Bourgeoisie“ betrachtet wurden, waren in den letzten beiden Jahrzehnten der Phase der binnenorientierten Akkumulation bereits Allianzen mit internationalem Kapital auf allen Ebenen des produktiven, Geld- und kaufmännischen Kapitals eingegangen (Ercan, 2002a).

[11]     z.B. folgende Passage aus einer frühen Erklärung der Labor Platform: „Privatisierung hat zerstörerische Auswirkungen auf die nationale Sicherheit und Wirtschaft unseres Landes, deshalb muss sie gestoppt werden“ (Koc, 2001, 3).

[12]  Im Falle der Türkei richteten sich die Proteste im Allgemeinen eher gegen äußere Institutionen, die mit der Globalisierung assoziiert werden, als gegen neue Formen der Klassenbeherrschung im eigenen Staat. Während massive Proteste gegen IWF, Weltbank und WTO stattfanden, gab es z.B. auf das neue Anti-Labor Gesetz, das im Mai 2003 vom Parlament verabschiedet wurde, nahezu keine Reaktionen. Dieses Gesetz legitimiert prekäre und flexible Arbeit durch die gesetzliche Anerkennung von Teilzeit, Zeit- und Leiharbeit sowie die Erhöhung der Arbeitszeit und das Recht der Arbeitgeber auf kollektive Entlassungen „in Krisenzeiten“.

[13]  Siehe Bryan (1995, 188) für dessen Verwendung des Begriffes. Im Fall der Türkei kann die „moderat islamische“ AKP (Gerechtigkeits- und Wohlstandspartei), die sich seit November 2002 an der Regierung befindet, als typisches Beispiel für diesen „internationalistischen Nationalismus“ betrachtet werden. Der Diskurs der AKP schwankt zwischen Nationalismus und Internationalismus je nach dem wechselnden Kräfteverhältnis unter den verschiedenen Kapitalfraktionen. Als Antwort auf die Forderungen ihrer vorrangigen Anhängerbasis, der sich internationalisierenden heimischen Kapitalgruppen, nach weiterer staatlichen Unterstützung ihres ehrgeizigen Projektes der Integration in den Weltmarkt, führt die AKP häufig einen internationalistischen Diskurs der weiteren Integration in die EU. Wenn jedoch ein „guter Deal“ für diese heimischen Kapitalgruppen gesichert werden soll, greift die AKP auf den Nationalismus zurück. Das Problem der Linken in diesem Zusammenhang ist ihr Unvermögen, ihre eigene Agenda von der des Kapitals, die mehr und mehr vom internationalistischen Nationalismus bestimmt ist, abzugrenzen. In Kombination mit dem starken Erbe des Nationalismus als Hauptkomponente der herrschenden Ideologie in der Türkei verstärkt diese Tendenz oftmals die allgemeine Verschiebung des populären politischen Diskurses nach rechts.

[14]  Anm. d. Ü.: in der Übersetzung zitiert nach: Karl Marx, Friedrich Engels, „Ausgewählte Briefe“, Berlin 1953, Seite 224

[15]  Marx hebt diesen Aspekt wie folgt hervor: Dagegen wird von ihrer besondern Nützlichkeit, ihrer bestimmten Natur und Art und Weise ganz und gar abstrahiert, soweit sie als Werthbildendes Element berechnet oder die Waare als ihre Vergenständlichung berechnet wird. Als solche ist sie unterschiedlose, gesellschaftlich nothwendig, allgemeine Arbeit, ganz und gar gleichgültig gegen jeden besondren Inhalt, weshalb sie auch an ihrem selbständigen Ausdruck, dem Geld, an der Waare als Preiß, einen allen Waaren gemeinschaftlichen und nur durch Quantität unterscheidbaren Ausdruck erhält. (Marx, 1976) Anm. d. Ü.: in der Übersetzung zitiert nach: Karl Marx, Ökonomische Manuskripte 1863-1867. Resultate des unmittelbares Productionsproceßes, MEGA II, Berlin 1988, S. 67

[16]  Anm. d. Ü.: im Deutschen eher: prekäre Arbeit. Der Begriff der kontingenten Arbeit bzw. Beschäftigung ist im Deutschen eher unüblich. Laut Prof. Dr. Birgit Benkhoff, Lehrstuhl für Personalwirtschaft, Fakultät Wirtschaftswissenschaften, Technische Universität Dresden, dient kontingente Beschäftigung der Kostensenkung und zeichnet sich aus durch relativ geringes Lohnniveau (außer Tarif, niedrigere Tarife), Wegfall von Zusatzleistungen (Urlaubs-, Weihnachtsgeld), Wegfall von Trennungskosten (bes. bei Befristung, Leiharbeit) und Reduzierung von Lohnnebenkosten (bes. bei geringfügiger Beschäftigung). http://mciron.mw.tu-dresden.de/cimtt/fqmd/abschluss_vortraege/kontingente_beschaeftigung.pdf;

[17]     Für eine Analyse der neu eingeführten Anti-Labor Gesetze in Südkorea vgl. Neary, 2002. Vgl. MacDonald, 2004 für Mexiko und Ercan, 2003c für die Türkei.

[18]  Anm. d. Ü.: Der Begriff der „ungleichmäßigen und kombinierten Entwicklung“ wurde von Leo Trotzki geprägt und u.a. von Ernest Mandel weiterentwickelt. Er theoretisiert eine Entwicklungstendenz der kapitalistischen Produktion im imperialistischen und monopolkapitalistischen Zeitalter, die der These Marx’ widerspricht, dass die industriell entwickelteren Länder den weniger entwickelten Ländern gewisserweise ihre Zukunft zeigen. Denn mit dem Wegfallen der freien Konkurrenz im kapitalistischen Weltmarkt begünstige dieser nicht mehr die Industrialisierung kolonialer und halbkolonialer Länder, vielmehr bremse bzw. modifiziere er diese.

[19]  Anm. d. Ü.: Als Kommodifizierung bezeichnet man den Prozess des „zur Ware Werdens“. Der Begriff stammt aus dem englischen Sprachraum und geht auf den Wirtschaftshistoriker Karl Polanyi zurück. Quelle: http://evakreisky.at/2005/fse05/glossar/kommodifizierung.pdf

[20]    Analysen, die auf nationale Entwicklung fokussieren, periodisieren die letzten zwei Jahrzehnte anders. Sie nehmen die Finanzliberalisierung 1989 als Wendepunkt zwischen der ersten (1980– 88) und der drauf folgenden Phase (von 1989 an).

[21]  In einer Studie über die soziale Zusammensetzung der Proteste, die unmittelbar auf die Krise folgten, stellt Gemici (2003) fest, dass die Anzahl der Proteste von KleinunternehmerInnen und deren ArbeiterInnen 65% der gesamten Proteste ausmachte, die Anzahl der Proteste der Labor Platform hingegen nur 28%.

[22]  Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine direkte Linie von der Werttheorie zur politischen Strategie gezogen werden kann. Unser Hauptargument lautet, dass die politische Strategie von der Werttheorie geleitet werden soll, jedoch nicht durch diese ersetzt.

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