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Anja Flach im Gespräch mit Minimol[1] Anja Flach ist Mitarbeiterin der Informationsstelle Kurdistan (ISKU). Sie war von 1995 bis 1997 als Internationalistin in den Bergen Kurdistans und teilte dort das Leben von Guerilla-Einheiten der kurdischen Befreiungsbewegung. Auf Basis ihrer Tagebuchaufzeichnungen aus dieser Zeit entstand das 2003 erschienene Buch „Jiyanekê din – ein anderes Leben. Zwei Jahre bei der kurdischen Frauenarmee“. 2007 veröffentlichte sie „Frauen in der kurdischen Guerilla. Motivation, Identität und Geschlechterverhältnis in der Frauenarmee der PKK“. Für dieses Buch, das eine leicht überarbeitete Fassung ihrer Magisterarbeit im Fachbereich Ethnologie der Universität Hamburg darstellt, interviewte die Autorin kurdische Frauen, die in verschiedenen Phasen am Guerilla-Kampf der PKK teilgenommen haben. Das vorliegende Gespräch wurde anlässlich zweier Veranstaltungen zu den Geschlechterverhältnissen in Kurdistan und in der Guerilla im April 2009 in Wien geführt. Grundrisse: Kannst du kurz sagen, was dich dazu motiviert hat, nach Kurdistan zu gehen und dort die Guerilla zu begleiten? Anja Flach: Anfang der 1990er Jahre war ein deutscher Freund von mir zur Guerilla in Kurdistan gegangen und so kamen wir in Kontakt mit der kurdischen Bewegung. Wir lernten relativ schnell auch aktive Frauen kennen, die teilweise schon in der Guerilla gekämpft hatten, u.a. eine Syrerin, die verletzt war. Wir haben dann mit deutschen und kurdischen Frauen ein Frauenkomitee in Hamburg aufgebaut und uns mit der Arbeit der kurdischen Frauenorganisation befasst. Der Aufbau der Frauenarmee, der 1995 beschlossen wurde, war damals gerade aktuell. 1994 bin ich das erste Mal selbst mit einer Delegation nach Kurdistan gefahren. Es war unheimlich beeindruckend, dass dort so große Teile der Bevölkerung sichtbar hinter dem Kampf standen, und dass das eine Bewegung war, die alle Generationen umfasste. Vor allem haben mich die Frauen beeindruckt, die unter solchen Bedingungen so entschlossen kämpfen. Es wurde uns dann der Vorschlag gemacht, dass wir für einige Monate dorthin fahren und an einer Frauenkonferenz in Kurdistan teilnehmen können. Da sagte ich, ja das mache ich. Während der Vorbereitung sagte man uns, eigentlich ist es besser, ihr geht für ein ganzes Jahr … und das konnte ich mir dann auch vorstellen, und aus einem Jahr wurden dann später fast drei Jahre. Grundrisse: Anfang der 1990er Jahre fanden in zahlreichen Dörfern und Städten Volksaufstände (serhildan) statt. Frauen waren in diesen Volksaufständen maßgeblich beteiligt. In der Folge schlossen sich viele Frauen der Guerilla an. Kannst du kurz erklären, was das an Dynamik in den Geschlechterverhältnissen einerseits innerhalb der Guerilla und andererseits in der kurdischen Gesellschaft auslöste? In deinen Büchern stellst du sehr konkret und plastisch dar, welche Probleme im Geschlechterverhältnis in einer gemischten Guerilla-Armee auftauchen, z.B. dass auch Frauen nicht bereit sind, Befehle von Frauen entgegenzunehmen oder dass sich die geschlechtliche Arbeitsteilung quasi naturwüchsig auch in der Guerilla durchsetzt. Was führte denn dazu, dass zunächst eigene Fraueneinheiten gegründet wurden und dann in weiterer Folge eine eigenständige Frauenarmee, die auch eine eigene von den allgemeinen Kräften getrennte Führungsstruktur hat? Das war ja ein sehr langwieriger Prozess war. Kannst du diesen Prozess erläutern? Anja Flach: Die Bewegung ist in den 1970er Jahren entstanden, aus einer Studentenbewegung, die es ja überall auf der Welt gab, gegen den Vietnamkrieg, Im Zusammenhang mit den weltweiten Befreiungsbewegungen ist auch die PKK entstanden, also aus einem studentischen Umfeld heraus. Und schon damals war die Geschlechterfrage in Kurdistan Thema, die Unterdrückung der Frau. Es gab noch keine eigene Frauenorganisierung zu der Zeit, aber es war eigentlich schon angelegt. Es gab Diskussionen über die Rolle der Frau und darüber, dass es keine Befreiung geben kann, ohne die Rolle der Frau zu verändern. Das war von Anfang an eine ganz starke Tendenz in der PKK. In der Praxis in der Guerilla hat sich dann gezeigt, dass die Frauen sich nicht entwickeln oder ihre Forderungen nicht durchsetzen können, wenn sie sich nicht eigene Strukturen schaffen und das wurde dann auch relativ schnell angegangen. In der Zeit, in der ich da war, also Mitte der 1990er Jahre, war die Hochphase, wo das so richtig losging, dass mit Begeisterung begonnen wurde, die Ergebnisse aus den Diskussionen, die ganz lang geführt wurden, auch umzusetzen. In den 1980er Jahren waren nur einige wenige Frauen bei der Guerilla und die hatten natürlich sehr viele Probleme, weil da Leute von den Dörfern kamen – ohne Bildung. Die feudalen und patriarchalen Strukturen wurden in der Guerilla reproduziert. Dann wurde begonnen, Frauen in Gruppen zu organisieren und dadurch ging die Diskussion los. In den 1990ern wurden Fraueneinheiten aufgebaut, die den ganzen Alltag und alles selbst organisierten und so ist das langsam entstanden. Grundrisse: Eine Sache, die der PKK immer wieder vorgeworfen wird, ist das Beziehungsverbot unter PKK-Kadern. Du behandelst das in deinen beiden Büchern relativ ausführlich. Einerseits schreibst du darüber, dass dieses Beziehungsverbot zur Entwicklung der kollektiven Handlungsfähigkeit der Frauen innerhalb der Guerilla beigetragen hat. Andererseits auch darüber, dass dieses Beziehungsverbot in den letzten Jahren gelockert wurde und nun offener und ehrlicher über Bedürfnisse nach Liebesbeziehungen gesprochen wird. Kannst du uns dazu etwas erzählen? Anja Flach: Wie gesagt, ich habe das in meinem zweiten Buch recht ausführlich behandelt. Man kann das nicht in wenigen Worten erklären. Dazu muss man die kurdische Gesellschaft und die Rolle der Ehe darin verstehen. Alles hat seine Zeit. Eine Gesellschaft, in der eine Frau ermordet wird, weil sie angeblich am Brunnen mit einem Mann gesprochen hat, ändert sich nicht in wenigen Jahren, das ist ein langer Prozess. Die Frauen hätten unter der Propaganda des türkischen Staates, bei der PKK würden Frauen nur geduldet, da sie den Männern sexuell zu Diensten ständen, keine sexuellen Beziehungen führen können. Der Krieg ist auch kein Ort dafür. Es mussten überhaupt erst einmal freie genossenschaftliche Beziehungen entstehen, zwischen Männern und Frauen. In der Guerilla habe auch ich selbst die freiesten Beziehungen zwischen Männern und Frauen erlebt, die es geben kann. Wirkliche genossenschaftliche Liebe. Aber das ist wirklich ein Thema, dass nicht in wenigen Sätzen abgehandelt werden kann. Grundrisse: Kannst du etwas zum traditionellen Begriff der „Ehre“ und zur Umdeutung des Begriffes durch die Frauen der PKK sagen? Anja Flach: Das Konzept „Ehre“ in den traditionellen mittelöstlichen Gesellschaften beschreibt einen ganzen Komplex von Traditionen. Es ist den Frauen einer Familie verboten, Beziehungen mit einem anderen Mann als ihrem Ehemann einzugehen. Es reicht allein schon die Behauptung, eine Frau habe solche Kontakte, um die Ehre einer Familie zu „beschmutzen“. Beispielsweise, die Behauptung eine Frau sei irgendwo gesehen worden, wie sie mit einem Mann geredet habe. Frauen müssen jungfräulich in die Ehe gehen. Verstößt eine Frau gegen diese Regeln, verletzt sie damit die Ehre – namûs – ihrer Familie und diese gilt als lekedar – befleckt. Dabei hat es keinerlei Bedeutung, ob die Frau mit dem (sexuellen) Kontakt einverstanden ist. Frauen und Mädchen erscheinen so in der kollektiven Wahrnehmung als großes Risiko. Sie selbst können sich schützen, indem sie Handlungen vermeiden, die als Schande (eib) gelten, und wiederum durch entsprechende Handlungen vermögen sie es, ihr eigenes Prestige und die Ehre des Hauses zu mehren. Diese Situation kann soweit führen, dass männliche Familienmitglieder, um die Ehre wieder herzustellen und den eigenen sozialen Tod zu verhindern, die Frau töten. So kommt es zu Morden im Namen der Ehre. Nun hat die kurdische Frauenbewegung am 25. November[2] letzten Jahres mit einer Kampagne „Wir sind niemandes Ehre, unsere Freiheit ist unsere Ehre“ begonnen. Seit vielen Jahren ist es in der kurdischen Bewegung Thema, dass die Würde des Menschen nicht mit der Kontrolle der Sexualität der Frau, sondern mit der politischen Selbstbestimmung und Freiheit zu erreichen ist. So ist das Motto der Kampagne zu begreifen. Es ist ehrlos, eine Frau anzugreifen, es ist ehrenwert, für die Befreiung Kurdistans, für Sozialismus und die Befreiung der Frauen zu kämpfen. Die Zeit war jetzt reif für diese Kampagne. Überall finden Veranstaltungen statt, in Kurdistan, überall in der Diaspora, im kurdischen Fernsehen, in allen Publikationen der kurdischen Bewegung. Schulungen für Frauen und Männer finden zu diesem Thema statt. Frauenschutzhäuser werden eröffnet, Frauen werden durch Prozesse begleitet etc. Unser diesjähriges Zîlan[3] Frauenfest in Gelsenkirchen am 6. Juni wird unter diesem Motto stehen. Grundrisse: Nach 1999 entstanden ja zahlreiche Frauenorganisationen im türkischen Teil Kurdistans. Welche Organisationen sind das und was sind deren Zielsetzungen abgesehen von der Kampagne, die du gerade beschrieben hast? Wie sieht denn das Basisorganisationsmodell, dessen Ziel es ist, durch gesellschaftliche Selbstorganisierung herkömmliche Hierarchien überflüssig zu machen und aufzulösen, konkret aus? Und kannst du auch etwas zur Frauenquote in gemischten kurdischen Organisationen und zur Doppelspitze der DTP[4] sagen? Anja Flach: Was machen die Frauen in der Zivilgesellschaft? Für diese Frage bin ich leider nicht ganz die richtige. Ich war ja selbst nur einmal und auch nur kurz außerhalb der Guerillagebiete in der Türkei. Das war 1994. Diese zivilen Organisationen sind ja immer wieder verboten worden, also DEP, dann HADEP und immer wurde sofort eine Folgepartei aufgebaut, die hatten ja immer schon eine neue Partei in petto. 1994 waren in diesen Organisationen fast nur Männer, in den ganzen zwei Wochen, die ich dort war, hab ich nur mit einer Frau geredet, die hat bei Özgür Politika gearbeitet, also bei der Zeitung, und hat aber, glaub ich, hauptsächlich Kaffee gekocht. Von den Männern hatten viele studiert, das waren natürlich die Söhne von Aghas, also Großgrundbesitzern. Solche Leute waren damals in den zivilen Organisationen, und die anderen sind in die Berge gegangen. Das hat sich sehr stark verändert, es gibt dort eine ganz andere Struktur jetzt. Und die Frauen haben dort überall die Avantgarde-Funktion in den Organisationen, so wie ich das höre und auch sehe im kurdischen Fernsehen hier. Frauen wie Sebahat Tuncel[5], die wurde von den KurdInnen in Istanbul ins Parlament gewählt und ist dann aus dem Knast rausgekommen. Wenn ich solche Frauen im Fernsehen sehe, geht mir wirklich das Herz auf. Das hat es vor 20 Jahren nicht gegeben, da ist wirklich etwas geschaffen worden durch diese zivilgesellschaftliche Organisierung. Vor allem nach 1999, da wurden in fast jedem Dorf, in fast jeder Stadt Frauenräte gegründet. Und die demokratische freie Frauenbewegung ist quasi eine Organisation, die wie in der Guerilla funktioniert. Die in der Guerilla entwickelten Organisationsmodelle sind in die Zivilgesellschaft übernommen worden, eben auch mit der Frauenquote von 40 Prozent und immer eine Doppelspitze, also dass in jeder Organisation ein Mann und eine Frau an der Spitze sein müssen. Und die Frauenräte und die Volksräte versuchen eben auch Funktionen zu übernehmen, um den Staat überflüssig zu machen. Wenn es jetzt z.B. zwischen zwei Familien Streit gibt wegen irgendwas, dann würde man sich hier ans Gericht wenden und dort wendet man sich eben an die Justizkommission des Volksrates und die entscheiden dann da drüber … Grundrisse: Das erinnert mich stark an Fatsa[6]. Kennst du Fatsa? Das ist eine Stadt am Schwarzen Meer in der Türkei, die damals ca. 20.000 EinwohnerInnen hatt. Diese Stadt, in der die Dev Yol[7] sehr stark war, war 1979/80 einige Monate selbstverwaltet, es gab auch Volkskomitees und da war das auch so was ganz Entscheidendes, dass die Gerichte überflüssig wurden … Anja Flach: Ja, und so werden ganze Bereiche des Staates überflüssig gemacht, dadurch dass die Menschen sich selbst organisieren, also auch Bildung usw., weil vom Staat kommt ohnehin nicht viel Nützliches … Grundrisse: Kannst du uns etwas zur wirtschaftlichen Situation im türkischen Teil Kurdistans erzählen? Und zu deren Auswirkungen einerseits auf die Binnenmigration und andererseits auf das Geschlechterverhältnis? In den Guerillagebieten und auch darüber hinaus sind ja ca. 4000 Dörfer von der türkischen Armee zerstört worden. Wie ist das Stadt-Land-Verhältnis in der PKK, wo doch durch die Vertreibung aus den Dörfern und die Entvölkerung ganzer Landstriche sehr viele GenossInnen in die Städte gezwungen wurden. Wie sieht die städtische Arbeit der PKK aus? Anja Flach: Es gibt dort eigentlich keinerlei Industrie, die Leute leben zum größten Teil von der Landwirtschaft. Und die Flüchtlinge in den Städten sind von der Landwirtschaft abgeschnitten. Für die Frauen heißt das erst einmal eine extreme Verschlechterung, weil sie am Dorf zumindest ihre eigenen Arbeitsbereiche haben und sich mehr oder weniger frei bewegen können. Die Bewegung versucht Alternativen zu schaffen, versucht kleine Nähwerkstätten, Bäckereien usw. in Frauenhand aufzubauen. Aber es sind halt kleine Projekte, da kannst du auch nicht so viel damit erreichen für Millionen von Flüchtlingen. Die ökonomische Situation der Flüchtlinge ist extrem schlecht. Städte wie Diyarbakir oder Batman sind stark angeschwollen. In der Westtürkei gibt es auch viele Kurdinnen und Kurden und hier in Europa lebt noch einmal ungefähr eine Million von kurdischen Flüchtlingen. Und dazu kommen jetzt noch diese Staudammprojekte, wo riesige Landmengen unter Wasser gesetzt werden sollen. Da wird es zusätzlich viele Flüchtlinge geben. Am Ilisu-Staudamm-Projekt[8] sind auch Österreich, Deutschland und die Schweiz beteiligt. Auch wenn dieses Projekt jetzt gerade an der Kippe steht, weil die Finanzierung nicht mehr gesichert ist, bleibt es dennoch ein strategisches Projekt der Türkei. Denn es geht darum, die Landmassen und eben auch die Bevölkerung weiter zu teilen durch diesen riesigen Stausee und den Menschen ihre letzten ökonomischen Möglichkeiten zu nehmen. Es ist also wirklich ein Vernichtungsprojekt. Grundrisse: Gibt es konkrete Strategien zur Wiederbesiedelung der von der Armee zerstörten und entvölkerten Dörfer? Anja Flach: Die Leute versuchen immer wieder, in ihre Dörfer zurückzukommen. In Diyarbakir z.B. gibt es eine sehr hohe Arbeitslosigkeit, und natürlich versuchen die Leute zurückzukommen in ihre Dörfer. Daran werden sie aber vom Militär gehindert. Außerdem sind die Dörfer total zerstört, die sind so richtig niedergebrannt, nur noch Berge von Steinen. Die Menschen haben auch nicht die Mittel, das wieder aufzubauen. Es gibt eine Organisation namens GÖÇ-DER, ein Verein zur Unterstützung der Flüchtlinge, die versucht, durchzusetzen, dass die Flüchtlinge eine Wiedergutmachung bekommen. Der türkische Staat ist ja etliche Male vom Europäischen Gerichtshof wegen dieser Dorfzerstörungen und Vertreibungen verurteilt worden. Es wird auf verschiedene Arten versucht durchzusetzen, dass die Leute in ihre Dörfer zurückgehen können und es dann auch Mittel gibt, die Dörfer wiederaufzubauen. Grundrisse: Du schreibst, dass die kurdischen Aghas (Stammesfürsten), die von den feudalen Strukturen profitierten, mit der türkischen Regierung verbündet waren und die PKK die einzige gesellschaftliche Kraft war, die dem ein Gegenkonzept entgegengestellt hat. Der türkische Staat hat das System der Dorfschützer (korocu) installiert. In diesem Zusammenhang wird auch der Begriff der Retribalisierung gebraucht? Kannst du uns erklären, wie dieses Dorfschützersystem funktioniert? Anja Flach: Das Dorfschützersystem stellt eigentlich eine paramilitärische Organisation dar. Das sind meistens Stammesorganisationen, die vom Staat Geld bekommen, um gegen die PKK zu kämpfen. Das sind Kurden. Das Prinzip „Teile und Herrsche“, also die Kurden gegeneinander kämpfen lassen, das hat der türkische Staat schon von Anfang an angewandt, also die Bewaffnung von kurdischen Stämmen, dass sie gegen die PKK kämpfen. Meines Wissens nach gibt es 60.000 bewaffnete Dorfschützer, die gegen die PKK kämpfen. Die Abschaffung dieses Dorfschützersystems ist eine der dringendsten Forderungen der kurdischen Bewegung. Es gibt Stämme, die freiwillig die Waffen genommen haben, was auch wieder eine Geschichte hat in Kurdistan, warum das so ist. Es gibt aber auch Stämme oder Gruppen oder Einzelne, die gezwungen wurden, gegen die PKK zu kämpfen, weil sie sonst umgebracht worden wären. Ich selbst bin auch auf solche Dorfschützer gestoßen in Kurdistan, die offiziell gemeinsam mit der türkischen Armee gegen die PKK gekämpft haben und mit der Armee zu Militäroperationen raus fahren mussten. Sie wurden vorne auf die Wagen draufgesetzt, sozusagen als Kanonenfutter. In Wirklichkeit haben sie aber heimlich die PKK unterstützt und sind nachts in die Berge gekommen, um Lebensmittel zu bringen oder so. Es gibt Familien, die dadurch gespalten sind, in solche, die bei der Guerilla sind, und andere aus der gleichen Familie sind Dorfschützer, stehen also auf der anderen Seite. Dieses Dorfschützersystem ist ein unheimlich perfides System, das auch innergesellschaftlich sehr viel kaputt macht. Grundrisse: Dass das funktioniert, hat doch wahrscheinlich auch ökonomische Gründe, denn in den Dörfern in den umkämpften Gebieten gibt es wohl nicht mehr so viele Lebensgrundlagen für die Bevölkerung? Anja Flach: Nein, natürlich nicht. Die Dörfer sind zerstört. Die Almwirtschaft ist verboten gewesen, ist zum Teil, glaub ich, immer noch verboten, das weiß ich nicht ganz genau. Die Leute dürfen ihr Vieh nicht auf die Alm bringen, weil sie dort mit der Guerilla in Kontakt kommen, was aber ihre traditionelle Lebensgrundlage darstellt. Dadurch haben sie natürlich auch keine Existenzgrundlage und sind so gezwungen, dieses Geld vom Staat zu nehmen und die Waffen, um gegen die PKK zu kämpfen. Oder sie müssen sonst irgendwie klarkommen, aber es ist schwierig, denn die Ökonomie ist total am Boden. Grundrisse: Du hast erwähnt, dass das eine Geschichte habe, dass es auch kurdische Stämme gibt, die freiwillig die Waffen genommen haben und gegen die Guerilla kämpfen. Welche Geschichte ist denn das? Hat das vielleicht damit zu tun, dass es in den 1980er Jahren zu Grausamkeiten der kurdischen Guerilla gegen ZivilistInnen kam und auch „Säuberungen“ innerhalb der PKK stattfanden (Hinrichtungen von u.a. Intellektuellen)? Kannst du erklären, wie es dazu kam bzw. was dagegen unternommen wurde? Anja Flach: Mitte der 1980er Jahre gab es nur wenige Guerillagruppen in den Bergen von Botan[9]. In der Gründungsgruppe der Guerilla nach dem Militärputsch 1980 waren ideologisch gefestigte KämpferInnen, aber in den Bergen schlossen sich schnell viele DorfbewohnerInnen an, die teilweise keine Bildung hatten und einzelne Guerillagruppen unter ihre Kontrolle brachten. Die Gruppen waren wenige und sie hatten manchmal monatelang keinen Kontakt zueinander, es gab z.B. auch noch keinen Funk. Ein Beispiel ist Hogir. Hogir war ein Kommandant, der Ende der 1980er Jahre als Banditenkönig von der türkischen Presse protegiert wurde und diese Rolle dann auch spielte, er raubte Dörfer aus und ließ Intellektuelle hinrichten, auch wurden Frauen vergewaltigt. Diese als „Hogir-Praxis“ bekannte Phase und ihre Verurteilung wurde in den 1990er Jahren intensiv in der PKK diskutiert. Gut ist, dass alles sehr gründlich aufgearbeitet und veröffentlicht wurde, nichts wurde unter den Teppich gekehrt. Es gab Einzelfälle von Grausamkeiten und es dauerte einige Zeit, bis die Parteiführung wieder die Kontrolle über alle Gruppen erreicht hatte. Diese Banden haben der PKK sehr geschadet. Auch wenn das jetzt schon mehr als 20 Jahre her ist und die PKK diese Phase und die Personen, die darin verwickelt waren, verurteilt hat, gibt es Dörfer und Stämme, die die PKK bis heute ablehnen und teilweise als Dorfschützer gegen die PKK kämpfen. Grundrisse: Wie viel türkisches Militär ist denn präsent? Wie muss frau sich das vorstellen? In den Städten gibt es Kasernen, aber in den Bergen … das Gebiet ist ja sehr weitläufig und auch unzugänglich. Anja Flach: Ich habe es ja selbst nur von den Bergen aus gesehen. In den Städten sind Militärkasernen, die sind total eingeigelt und sitzen auf einem Berg drauf, wo alles drum herum gesichert ist. Das Militär kann sich da nicht wirklich wegbewegen, weil die Berge Guerilla-Gebiet sind. Die türkische Armee kann sich nicht überall frei bewegen, eigentlich nur mit großen Militäroperationen oder mit Hubschraubern. Letztendlich sind sie auf ihre Kasernen beschränkt und können nur die Städte kontrollieren. Die Berge kontrolliert die Guerilla. Grundrisse: Und das ist immer noch so? Anja Flach: Ja, das ist immer noch so. Es gab 1999 einen Rückzug der Guerilla hinter die Grenze in den irakischen Teil Kurdistans, in ein Gebiet entlang der irakisch-iranischen Grenze, das von der Guerilla Meder[10]-Verteidigungsgebiet genannt wird. Dieses Gebiet beansprucht die Guerilla, da wird kein türkisches Militär reingelassen, keine irakischen Peschmerga[11] und keine US-Armee. Das ist ein riesiges Gebiet im Nordirak, das unter der Kontrolle der Guerilla steht. Aber auch in die Türkei ist die Guerilla nach und nach wieder reingegangen und ist jetzt eigentlich überall wieder präsent, wie vorher auch. Der Rückzug 1999 in dieses Meder-Verteidigungsgebiet erfolgte, um die Möglichkeit für eine politische Lösung neu zu öffnen. Denn seit Anfang/Mitte der 1990er Jahre besteht ein strategisches Gleichgewicht, wo sich wirklich nicht mehr sehr viel verändert. Das türkische Militär hat immer wieder mal neue Waffensysteme, dann haben sie ein paar kleine Erfolge. Bis die Guerilla wieder eine neue Taktik gefunden hat, um diese neuen Waffensysteme auszuhebeln, dann ist wieder alles im Gleichgewicht. Im Grunde genommen bewegt sich seit Mitte der 1990er Jahre überhaupt nichts. Und um da dran was zu ändern, muss man eine politische Lösung finden, weil es kein mit Waffengewalt befreites Kurdistan geben wird. Grundrisse: Wenn die PKK keinen eigenen Staat Kurdistan mehr will, sondern eine Lösung innerhalb einer demokratisierten Türkei, was heißt das in Hinblick auf die anderen Teile Kurdistans? Ist der Versuch einer gemeinsamen Lösung für ganz Kurdistan jetzt aufgegeben? Anja Flach: Nein, im Gegenteil. Der syrische und der iranische Teil waren damals in den 1990er Jahren eigentlich immer Rückzugsgebiete, wo die PKK keine eigenen bewaffneten Aktionen gemacht hat. Im Iran hatte die PKK z.B. Krankenhäuser, in Syrien war bis 1999 die zentrale Parteischule der PKK. Es gab keine Organisation, die darauf abzielte, auch dort etwas zu verändern. Die Arbeit war hauptsächlich auf die Türkei bezogen – und auf den irakischen Teil Kurdistans –, aber am meisten auf die Türkei, denn da kam die Bewegung ja her. Inzwischen hat sich das verändert. 1999 wurde die PKK gezwungen, die Parteiführung aus Syrien weg zu verlegen, denn der türkische Staat drohte im Falle der Nichtausweisung Abdullah Öcalans damit, Syrien zu bombardieren. Dadurch hat sich die Situation sehr stark verändert. Im Iran wurden auch eigene Organisationen aufgebaut, die in der KONGRA-GEL[12] organisiert sind, also in der Dachorganisation. Im Iran gibt es inzwischen auch eine starke kämpfende Guerilla, die gegen die Unterdrückung im iranischen Teil Kurdistans kämpft. Davon hört man hier leider nur sehr wenig. Es sind dort auch etliche PKK-Kämpferinnen und Kämpfer inhaftiert, die im letzten Jahr auch einen großen wochenlangen Hungerstreik gemacht haben. Etliche PKK-KämpferInnen sind auch schon hingerichtet worden. PJAK heißt dort die Organisation, also Partei für ein freies Leben. Aktuell ist gerade eine Vertreterin der iranischen Organisation von der Hinrichtung bedroht, Zeynep Celaliyan, da gibt es eine Kampagne dagegen. Es finden ständig Hinrichtungen und auch extrem heftige Militäroperationen in Kurdistan/Iran statt. Andererseits gibt es einen unglaublichen Zulauf zur Guerilla von der Jugend, aber davon kriegt man hier gar nichts mit. Auch wir kriegen da nicht soviel mit, wie notwendig wäre. Wir können Delegationen in die Türkei schicken, die sich die Situation dort angucken, da ist ja im Moment die zivile Organisierung ganz stark. Die DTP hat gerade in 99 Gemeinden die Kommunalwahlen gewonnen und stellt in der Hauptstadt des türkischen Teils Kurdistans, in Diyarbakir, den Bürgermeister. Das ist quasi, wie wenn die PKK dort den Bürgermeister stellt, von so einer großen Millionenstadt. Das alles können wir von hier aus mitverfolgen, aber was im Iran passiert, das ist total schwer. Man kann keine Delegationen hinschicken, die sich mal umhören und Interviews machen. Das war jahrelang in der Türkei auch nicht möglich, oder fast nicht möglich. Wenn du dort mit einer Delegation hingefahren bist, hast du vom ersten Tag an den Geheimdienst auf den Fersen gehabt und du konntest keinen Schritt machen, ohne die Leute vor Ort zu gefährden. Das hat sich schon ganz gewaltig verändert, obwohl die Repression immer noch extrem ist. Im Grunde müssten wir heute diese Delegationen in den Iran schicken, weil dort die Bedingungen noch um ein Vielfaches härter als im türkischen Teil von Kurdistan sind. Es gibt auch seit kurzem einen kurdischen PKK-nahen Fernsehsender, Newroz-TV, der für Iranisch Kurdistan sendet. Es gibt die Befürchtung, dass der kurdische Sender Roj-TV[13], der mit einer Lizenz, die über Dänemark läuft, betrieben wird, geschlossen wird. Dass diese Schließung Teil des Deals ist, der der Türkei angeboten wurde, damit Rasmussen[14] NATO-Chef werden kann. In Deutschland ist Roj-TV bereits verboten. Obama hat da quasi auf Erdoğan eingeredet. Es kann also gut sein, dass dieser Satellitenzugang bald weg ist. Obama war gerade eine Woche im Amt, da hat er schon die Kurden verraten. Wir haben nichts anderes erwartet, aber es ist dennoch bitter. Grundrisse: Kannst du etwas dazu sagen, wie denn die politische Lösung aussehen soll, die die PKK anstrebt? Anja Flach: Die PKK strebt langfristig eine demokratische Föderation des Mittleren Ostens an. Der Weg zur Befreiung von fremder Herrschaft muss notwendig über die Auflösung überkommener und antidemokratischer Strukturen in Staat, Gesellschaft und Mentalität der mittelöstlichen Völker gehen. Die PKK hat konkrete Vorschläge für eine Lösung der kurdischen Frage in jedem der Länder, in denen Kurden leben – Türkei, Iran, Irak und Syrien –, im Rahmen einer Demokratisierung der gesamten Region entwickelt. Sie verbindet den Kampf gegen religiöse Rückständigkeit und lokale Nationalismen mit der Zurückweisung positivistischer eurozentristischer Konzepte der Modernisierung und westlicher politischer Dominanz. Das Hauptinstrument des Kampfes sind zivilgesellschaftliche Organisationen auf der Graswurzelebene. Die Mittel sind der Serhildan, der Volksaufstand, und die Organisierung auf allen Ebenen. Das System, das die PKK anstrebt, nennt sie „Demokratischer Konföderalismus“. Seit 2005 gibt es Bemühungen, das System des demokratischen Konföderalismus praktisch umzusetzen. Grundrisse: Was waren die politischen Gründe für die Abspaltung der Fraktion rund um Osman Öcalan, den Bruder von Abdullah Öcalan, im Jahr 2003? Werden da verschiedene politische Strategien verfolgt? Welche Teile der PKK kämpfen noch bewaffnet? Anja Flach: Dazu kann ich auf jeden Fall etwas sagen, weil mich das total wütend macht. Hast du mal den Film „Bêrîtan“ von Halil Uysal[15] gesehen, da wird die ganze Geschichte um Osman Öcalan aufgerollt. Dadurch dass er der Bruder von Abdullah Öcalan ist, bringt man ihm natürlich einen gewissen Respekt entgegen. Er war schon lang in der Guerilla, und einer von denen, die immer wieder versucht haben, in der PKK eine nationalistische Linie durchzusetzen. Es gab immer dieses Angebot von den Amerikanern, wenn ihr mit uns zusammenarbeitet, dann wird es auch ein freies Kurdistan geben, aber eben nach den Bedingungen der USA. Das versuchen die ja auch gerade in Irakisch Kurdistan durchzusetzen, also ein Kurdistan nach amerikanischer Facon. Und Osman Öcalan wollte eigentlich schon immer auf so eine Linie einschwenken. Zum Bruch kam es dann 2003. Das sind die unterschiedlichen politischen Strategien, von denen in deiner Frage die Rede ist. Es gibt einerseits die PKK-Linie, die es schon immer gibt, die auf einen Sozialismus und auf die Frauenbefreiung hinwirkt. Aber es gab immer eine nationalistische Strömung, der es „nur“ um ein freies Kurdistan ging, unter welchen Vorzeichen auch immer, und das ist diese Osman Öcalan Linie. Grundrisse: Und dass es gerade 2003 zum Bruch kam, das hat aber schon mit dem Irakkrieg zu tun … Anja Flach: Ja, natürlich hatte das mit dem Irakkrieg zu tun, denn da kamen noch einmal die konkreten Angebote für dieses freie Kurdistan, dass man also eine Lösung für das gesamte Kurdistan finden würde, aber eben unter amerikanischen Vorzeichen. Die PKK hat das abgelehnt und Osman Öcalan hat ja gesagt. Es war vielleicht nicht so eine offene Diskussion, aber im Grunde ging es darum, und es ging auch darum, nach der Festnahme Abdullah Öcalans Prinzipien der PKK auszuhebeln. Da wurde gleich versucht, z.B. die Frauenorganisation aufzulösen. Es wurde eine Einheitslinie heraufbeschworen und gesagt, jetzt stellen wir die Frauenfrage mal hintenan. Das waren die Flügelkämpfe, die stattfanden. Grundrisse: Im Führungsgremium der PKK saßen ca. 10 Leute oder? Wie viele sind da bei der Spaltung mitgegangen? War das Osman Öcalan allein? Wie sollen wir uns da die Kräfteverhältnisse vorstellen? Anja Flach: Nein, das waren schon mehrere. Im Grunde waren das alles Leute, die aufgegeben haben. So muss man das letztlich sehen. Die haben quasi das Angebot angenommen, ein ziviles Leben in Irakisch Kurdistan zu führen. Und so eine Möglichkeit, ein ziviles Leben zu führen, gab es vorher nicht. Wenn du bei der Guerilla warst, dann warst du das auf Lebenszeit, denn es gab ja keine Möglichkeit auszusteigen. Osman Öcalan hat ein 18jähriges Mädchen aus einer iranisch-kurdischen Familie mitgenommen und später geheiratet. Er war zu diesem Zeitpunkt um die 50 Jahre alt, das widerspricht nun wirklich jeder PKK-Ideologie … Grundrisse: Also, das heißt, die Fraktion um Osman Öcalan kämpft jetzt nicht mehr? Es gibt gar keine abgespaltene Organisation? Das war einfach ein Ausstiegsszenario? Anja Flach: Nein, die haben sich zur Ruhe gesetzt. Osman Öcalan hat eine Bäckerei aufgemacht oder so etwas in der Art. Die melden sich schon immer wieder mal per Internet zu Wort, aber das nimmt ja keiner ernst. Die USA haben natürlich auch schnell bemerkt, dass diese Strategie nicht aufgeht, weil sich niemand denen angeschlossen hat. Und die, die sich angeschlossen haben, haben sich im Anschluss sofort zur Ruhe gesetzt. Es gibt natürlich schon welche, die diese nationalistische Linie propagieren, aber niemand hat eine Gegenorganisation aufgebaut, so wie das hier verkauft wurde. Grundrisse: Die Leute rund um Osman Öcalan bilden nicht eine Fraktion der PKK, die immer noch organisiert ist und kämpft? Anja Flach: Nein, im Gegenteil, die gibt’s eigentlich gar nicht mehr, die haben sich aufgelöst in ihre Bestandteile. Grundrisse: Was heißt denn das, dass es zuvor nicht möglich war, aus der Guerilla auszusteigen? Geht es da um die Illegalisierung und Verfolgung durch den türkischen Staat? Oder gab es auch Repressalien von Seiten der PKK gegen Leute, die aussteigen wollten? Wenn ja, warum und welcher Art? Anja Flach: Es gab kein Land, wohin jemand, der nicht mehr kämpfen konnte, hingehen konnte, keinen Platz auf der Welt. Ausstieg hieß immer überlaufen und Verrat begehen. Jetzt gibt es die föderale Region Kurdistan im Nordirak. Aber für die Frauen ist das auch keine Alternative, die Frauen finden dort keine Arbeit, um sich zu ernähren, das ist für Frauen nicht vorgesehen. Sie müssen sich zwangsläufig in Abhängigkeit von einem Mann begeben, oder sich prostituieren. Wer die PKK verlassen will, sollte das nicht heimlich tun, sondern offen und ehrlich. Es kann sein, dass Leute müde werden, nicht mehr kämpfen können, das ist normal. Sie können das sagen und dann gehen, niemand wird etwas dagegen haben. Grundrisse: Wie ist das Verhältnis / die Position der PKK zum „autonomen kurdischen Gebiet“ im Irak? Anja Flach: Dieses Meder-Verteidigungs-Gebiet ist ein relativ großes Gebiet innerhalb der kurdischen Föderation unter der Kontrolle der PKK. Es gibt natürlich Bestrebungen, dieses Gebiet mit aller Gewalt wegzubekommen. Und das wird über Talabani und Barzani versucht, also über die PUK und KDP[16]. Da gibt es immer wieder neue Ideen und eine davon war, dass KDP und PUK auch wieder militärisch gegen die PKK kämpfen. Aber KDP und PUK wollen das nicht, das trauen sie sich jetzt auch nicht mehr, weil die Bevölkerung in der kurdischen autonomen Region das einfach nicht mittragen würde. Die Bevölkerung hat die Schnauze voll vom Krieg Kurden gegen Kurden, Deswegen gehen sie nicht so weit, aber sie unterstützen Militäroperationen der Türkei in dieser Region, sie unterstützen, dass die USA dort alle möglichen Waffensysteme aufbaut und Drohnen in diesem Gebiet fliegen lässt, auch um den Iran zu kontrollieren. Und sie versuchen, die PKK politisch wirkungslos zu machen, sie verbieten die Organisationen, die dort aufgebaut wurden. Es ist ein sehr schwieriges Verhältnis. Grundrisse: Welche Position vertritt die PKK denn zur Frage des EU-Beitritts der Türkei? Anja Flach: Es ist schon so, dass die PKK sich von einem EU-Beitritt der Türkei eine Demokratisierung erhofft. Die DTP hat ja vor kurzem die Kommunalwahlen in vielen Städten und Gemeinden in Kurdistan gewonnen. Und dann sind innerhalb der letzten zehn Tage 250 Mitglieder der DTP festgenommen worden und auch von der Demokratischen Freien Frauenbewegung sind etliche Frauen in den letzten Tagen verhaftet worden. Und es gibt schon die Hoffnung, dass es durch einen Beitritt zur EU nicht mehr so ohne Weiteres möglich ist, Parteien zu verbieten und Leute so einfach einzukassieren. Es gibt von der kurdischen Bewegung den Wunsch, dass die Türkei näher an die EU rangeht, in der Hoffnung auf Demokratisierung und dadurch mehr Möglichkeiten zu haben, sich zu bewegen. Inwieweit das realistisch ist, ich weiß es nicht, aber ich glaube schon, dass es vielleicht doch mehr Spielraum eröffnet. Also z.B. wird ja behauptet, Kurdisch wäre jetzt nicht mehr verboten, aber das stimmt gar nicht. Kurdisch ist immer noch verboten. Grundrisse: Was heißt das genau, dass Kurdisch in der Türkei immer noch verboten ist? Anja Flach: Es dürfen z.B. keine Sprachkurse für Kurdisch organisiert werden, es gibt auch keinen Kurdischunterricht an Schulen. Man darf in öffentlichen politischen Veranstaltungen nicht Kurdisch sprechen. Auf der Straße schon, aber bei öffentlichen und offiziellen Anlässen nicht, da kann man immer noch Strafen dafür kriegen. Im Parlament darf auch nicht Kurdisch gesprochen werden. Grundrisse: Wie war das, als du damals in den 1990er Jahren nach der Zeit im kurdischen Guerillagebiet zurück nach Deutschland gekommen bist? Das muss ja ein irrer Kulturschock gewesen sein. Am Ende deines ersten Buches, das auf Tagebuchaufzeichnungen beruht, schreibst du, dass du dir eigentlich gar nicht vorstellen kannst, wie das sein wird, das Zurückkommen. Anja Flach: Also, ich war ja insgesamt zweieinhalb Jahre in Kurdistan. Und je länger man da war, man ist ja die ganze Zeit in den Bergen gewesen, also weitab von Informationsquellen, trotzdem hatte ich den Eindruck, dass man dort in den Bergen, in der Einsamkeit, die Welt besser versteht, als wenn man mitten in diesem Trubel ist. Es wurde dort ja auch viel diskutiert und Analysen über die Weltlage wurden gemacht. Zur Guerilla macht man sich ja auch falsche Vorstellungen, also wirklich … man kämpft ja nicht die ganze Zeit, also in den zweieinhalb Jahren, in denen ich dort war, da war ich vielleicht insgesamt zwei Stunden in Gefechten … einerseits ist man sehr viel unterwegs und zweitens spielt Diskussion, Ausbildung, Fortbildung auch eine ganz wichtige Rolle. Und dann kommt man zurück und ist so voller Energie und Kraft und denkt, all die positiven Dinge, die man aufgenommen hat, die möchte man auch weitertragen, in die Metropole zurücktragen. Diese Begeisterung, die ich dort empfunden habe, wollte ich auch hier den Leuten vermitteln, die gemeinsam kämpfen, in Deutschland oder in Hamburg oder wo auch immer. Da bin ich echt gegen die Wand gelaufen, muss ich ehrlich sagen. Denn das hat sich von dort aus nicht so angefühlt, dass es so schwer ist, hier überhaupt irgendetwas zu bewegen. In Kurdistan ist so viel Bewegung und Energie und Dinge passieren so schnell, werden so schnell umgewälzt, dass man sich eigentlich gar nicht vorstellen kann, dass das hier alles so schwerfällig ist und dass sich die Leute hier so wenig bewegen wollen. Das war für mich ein sehr großer Schock. Und dann hab ich natürlich sehr viel an Diskussionen nicht mitbekommen, die hier in zweieinhalb Jahren gelaufen sind. Und dann wieder in so einem Metropolenalltag klarzukommen, das war auch ein ganz schöner Schock. Wobei ich mir dort andere Sachen vorgestellt hab, die mich schocken würden, als es dann tatsächlich war. Ich hab immer gedacht, dass der Verkehr und die Menschenmassen, dass mich das unglaublich schocken wird, aber das war gar nicht so extrem. Aber dieses ganze Konsumangebot, das hat mich echt vom Hocker gehauen. Weil ich hatte zweieinhalb Jahre überhaupt kein Geld gesehen oder in der Hand gehabt. Wir hatten Reis, Bohnen und Linsen und das war’s, und Tee und vielleicht mal Zucker. Dann kommt man hier in den Supermarkt und da stehen 40 Sorten Joghurt und man ist fassungslos, welche man jetzt kaufen soll. Dieses Überangebot an Konsumwaren, das hat mich wirklich wochenlang fertig gemacht. Es ist mir total schwergefallen einzukaufen. Und dann kam natürlich auch gleich die Repression, also es gab 129a Verfahren gegen mich und meine GenossInnen, mit denen ich dort gewesen war. Es gab Hausdurchsuchungen. Im 129a Verfahren wurde uns vorgeworfen, wir würden nach dem Vorbild der RAF eine terroristische Organisation in Deutschland aufbauen und hätten eine militärische Ausbildung gemacht in Kurdistan Grundrisse: Und wie ist das Verfahren ausgegangen? Anja Flach: Ja, das ist natürlich irgendwann eingestellt worden. Aber das hat natürlich auch wieder Leute abgeschreckt, diese Diffamierung. In Deutschland spielt das eine ganz extreme Rolle, dass auch die Linke Lügen vom Staatsschutz direkt übernimmt und verbreitet, allen voran die Grünen und die TAZ. Dieser Angriff von der Linken auf die revolutionären Bewegungen, da wird extrem diffamiert. Also im Grunde sind das ja Leute, die aufgegeben haben und andere, die noch kämpfen, angreifen. Und das hat in Deutschland auch wirklich eine große Rolle gespielt, um die PKK zu isolieren, also auch das Verbot der Organisation 1993 und es gab eigentlich immer nur eine ganz kleine Solibewegung, die die PKK in Deutschland unterstützt hat, immer nur ganz wenige aus dem linksradikalen Spektrum. Du kannst dich natürlich gegen Diffamierungen nicht wehren, wenn deine Organisation verboten ist, weil die PKK kann gegen Lügen, die über sie verbreitet werden, gerichtlich nicht vorgehen, weil es sie offiziell ja gar nicht gibt in Deutschland. Und sie können im Grunde jede Lüge über die PKK in Deutschland verbreiten und das tun sie auch. Grundrisse: In deinem ersten Buch ganz am Ende schreibst du, dass wir in den Metropolen von der PKK lernen könnten und sollten. Ich verstehe das nicht ganz, ist nicht die politische, gesellschaftliche und ökonomische Situation in Deutschland oder Österreich eine ganz andere als in Kurdistan? Und das Konzept des bewaffneten Kampfes steht ja hier auch nicht auf der Tagesordnung. Anja Flach: Ja, ich würde auch nicht sagen, dass der bewaffnete Kampf hier eine Perspektive bietet, aber es gibt schon so Ansätze und Methoden, die die PKK entwickelt hat, wo wir uns auf jeden Fall eine Scheibe abschneiden können. Wenn z.B. das kurdische Fernsehen verboten wird, Med-TV, da haben die schon das nächste in Vorbereitung, die senden gleich am nächsten Tag mit Roj-TV weiter. Die machen halt einfach weiter, lassen sich von Repression und Druck nicht beeinflussen. Hier sind die Bewegungen oft Jugendbewegungen, mit 30 hören die meisten Leute auf. Das ist in der PKK auch ganz anders. Man organisiert sich auf allen Ebenen und man organisiert auch alle Gesellschaftsbereiche, z.B. auch Mütter … Grundrisse: Ja, das stimmt natürlich, wenn man sich überlegt, wie eine Gesellschaft verändert werden kann, wie das funktionieren kann, dann braucht es Strukturen, in denen auch nicht junge Menschen Platz haben und vor allem auch Frauen mit Kindern, das ist ja hier ein großes Problem … Anja Flach: Und die haben ja nicht nur bewaffnete Organisationen, die haben Volksräte in den Städten … es gibt ja die Idee, so ein Camp zu machen im Oktober, wo Leute aus Europa mal hinfahren können und sich das vor Ort anschauen können, wie das funktioniert, die Basisorganisierung dort. Grundrisse: Dieses Internationale Camp findet vom 5. bis 9. Oktober 2009 im Rahmen des Mesopotamischen Sozialforums in Amed[17]/Diyarbakir (Nordkurdistan/Türkei) statt. Anja Flach: Das Camp soll außerhalb der Stadt Diyarbakir sein, wo auch Leute aus allen Ländern Europas sich beteiligen können. Es gibt auch Vorbereitungstreffen, wo die Leute auch darauf vorbereitet werden sollen, wie die Situation ist, wie man sich dort verhält, das ist ja mitten in einem Kriegsgebiet. Aber auch zur Auseinandersetzung mit den politischen Gegebenheiten. Deshalb gibt es verbindliche Vorbereitungsseminare und es gibt auch Veranstaltungen, wo auch unsere Veranstaltung heute auch ein Teil davon sein wird. Es ist auf jeden Fall geplant, nach Hasankeyf zu fahren, zum Ilisu-Staudamm-Projekt. Es gibt verschiedene Workshops und Projekte vor Ort und sicher wird man auch mit der Frauenbewegung zusammen kommen Grundrisse: Danke für das Gespräch! Literaturangaben: Anja Flach, Jiyaneke din - ein anderes Leben. Zwei Jahre bei der kurdischen Frauenarmee, Mezopotamien Verlag, Köln 2003 Anja Flach, Frauen in der kurdischen Guerilla - Motivation, Identität und Geschlechterverhältnis in der Frauenarmee der PKK, PapyRossa Hochschulschriften, Band 71, Köln 2007 [1] Alle kurdischen Begriffe, Organisationen, Parteien, Institutionen, Medien und Persönlichkeiten, die nicht im Interview oder den Anmerkungen erklärt werden, finden sich im Kasten zur Geschichte Kurdistans wieder. [2] Der 25. November ist der internationale Tag gegen Gewalt gegen Frauen. [3] Zeynep Kınacı, alias Zîlan, sprengte sich im Jahre 1996 inmitten einer Militärparade im Stadtzentrum von Dersim (türk.: Tunceli) in die Luft und tötete mindestens sechs türkische Soldaten. Seit 2004 findet jährlich ein Frauenfestival im Ruhrgebiet statt, das ihren Namen trägt: das Internationale Zîlan Frauenfestival. [4] Die DTP (Demokratik Toplum Partisi) ist eine legale kurdische Partei in der Türkei, die am 24. Oktober 2005 gegründet wurde. [5] Bei den Wahlen zum türkischen Parlament im Juli 2007 ist es der DTP mit Hilfe der Aufstellung von „unabhängigen“ KandidatInnen erstmals gelungen, eine Gruppe von 22 Abgeordneten in das Parlament zu entsenden. Kurz nach ihrer Registrierung als Abgeordnete im Parlament hat diese Gruppe erwartungsgemäß einen Antrag auf die Bildung einer Fraktion gestellt. Ein besonderer Fall in dieser Gruppe ist die Abgeordnete Sebahat Tuncel, die in Istanbul mit rund 90.000 Stimmen aus dem Gefängnis gewählt worden ist. Sebahat Tuncel saß unter dem Vorwurf des Verdachts auf Mitgliedschaft in der PKK in Untersuchungshaft und wurde aufgrund des Wahlergebnisses und der damit einhergehenden parlamentarischen Immunität aus dem Gefängnis entlassen. Bei dieser Wahl wurden 51 Sitze im Parlament (9.2%) an Frauen vergeben. Damit hat sich der Frauenanteil mehr als verdoppelt. 15 der 51 Frauen kommen aus Wahlbezirken im Südosten der Türkei.
[6] Das Experiment einer kollektiven Selbstverwaltung in Fatsa, einer türkischen Kreisstadt am Schwarzen Meer, zwischen Oktober 1979 und Juli 1980 wurde durch militärische Intervention gestoppt. Im Oktober 1979 wurde der Schneider Fikri Sönmez als unabhängiger Kandidat mit 62% der Stimmen zum Bürgermeister gewählt. Sein Programm sah eine Selbstverwaltung vor, bei der die Vorschläge aus lokalen Komitees kamen, von der Verwaltung auf Praktikabilität geprüft wurden, um sodann in den Komitees beschlossen und umgesetzt zu werden. Schon bald nach den Wahlen wurde ein Aktionsprogramm beschlossen. Dazu gehörte das Anlegen von Straßen. In Eigenarbeit wurde mit tatkräftiger Unterstützung von Menschen aus umliegenden Ortschaften das Vorhaben in 6 Tagen erledigt. Zu weiteren Maßnahmen gehörte die Verbilligung des öffentlichen Transportes und kostengünstigere Herstellung von Brot. Bekannt wurde das Experiment in Fatsa durch ein Volksfest („Fatsa Halk Şenliği“) vom 8. bis zum 14. April 1980. Bei der „Punktoperation“ (nokta operasyon) durch das türkische Militär waren insgesamt 10 vermummte Personen anwesend, von denen sich später herausstellte, dass 5 als militante Rechtsextremisten gesucht wurden. Diese zeigten auf Verdächtige und sorgten für die Festnahme von 390 Personen, von denen jedoch nur 6 in Untersuchungshaft kamen. Unter ihnen war der Bürgermeister Fikri Sönmez. Er wurde, wie andere auch, unter schwerer Folter verhört. Bis zum Militärputsch vom 12. September 1980 beruhigte sich die Situation in und um Fatsa nicht. Am 12. Januar 1983 wurde vor einem Militärgericht das Verfahren gegen 759 Angeklagte aus Fatsa und Umgebung eröffnet. In 268 Fällen forderte der Militärstaatsanwalt die Todesstrafe. Am 4. Mai 1985 verstarb Fikri Sönmez im Gefängnis an Herzversagen. Bis zum Jahre 1988 war die Zahl der Angeklagten auf 811 angestiegen. 8 Angeklagte wurden zum Tode verurteilt.
[7] Dev-Yol oder Devrimci Yol (Revolutionärer Weg) betrat zum ersten Mal am 1. Mai 1977 mit der ersten Ausgabe der gleichnamigen Zeitschrift die politische Bühne. Dev-Yol betrachtete sich selbst eher als Bewegung, obwohl sie marxistisch-leninistische Organisationsprinzipien verfolgte. Nach dem Militärputsch 1980 wurden viele Prozesse gegen AnhängerInnen der Organisation geführt.
[8] Der Ilısu-Staudamm ist ein Teil des türkischen Südostanatolien-Projekts (türk. GAP - Güneydoğu Anadolu Projesi)). Dieses Wasserkraftwerk soll den Tigris kurz vor der Grenze zu Syrien und Irak im überwiegend kurdisch bewohnten Südosten des Landes aufstauen. Die entscheidende Rolle bei dem Projekt spielen Deutschland, Österreich und die Schweiz: Abgesichert mit Kreditbürgschaften dieser drei Länder, finanziert mit zinsgünstigen Krediten von deren Banken, gebaut durch deren Unternehmen. Zigtausende von Menschen müssten ihre Heimat verlassen, Siedlungen und wertvolles Ackerland würden geflutet. Der Plan steht zudem im Widerspruch zu internationalen Abkommen, da die Nachbarstaaten Syrien und der Irak nicht konsultiert wurden. Etwa 400 Kilometer des Tigris und seiner Nebenflüsse würden zerstört, durch Einstau flussaufwärts und durch den Schwallbetrieb flussabwärts des Kraftwerkes. Unterhalb des Dammes würden künstliche Flutwellen das Ökosystem vernichten. Über 200 bekannte archäologische Fundstätten würden vernichtet, darunter die berühmte antike Stadt Hasankeyf. Im Jänner 2009 haben Deutschland, Österreich und die Schweiz angekündigt, aus dem Ilisu Staudammprojekt nach einer Frist von 180 Tagen auszusteigen. Erst danach kann der Ausstieg endgültig vollzogen werden. Die Entscheidung Deutschlands, Österreichs und der Schweiz bedeutet, dass die Lieferverträge der europäischen Baufirmen - die Andritz AG, die im Besitz der STRABAG befindliche deutsche Züblin AG und der Schweizer Generatorenlieferant Alstom - suspendiert werden und diese jetzt keine Lieferungen an das Projekt vornehmen können. Auch die europäischen Banken - Bank Austria/UniCredit, DekaBank und Société Générale - können ihre zugesagten Kredite nicht auszahlen. Insgesamt fehlen der Türkei damit ca. 500 Mio. Euro, die angesichts der Finanzkrise nicht so leicht zu ersetzen sind. Quelle: http://www.stopilisu.com/ [9] Kurdische Bezeichnung für ein Gebiet in Zentralkurdistan in den türkischen Provinzen Siirt und Bitlis, eines der Kerngebiete der kurdischen Guerilla. [10] In der kurdischen Geschichtsschreibung gibt es eine starke Tendenz, die Kurden als direkte Nachfahren der Meder zu begreifen. Dies ist aber unter GeschichtswissenschafterInnen nicht unumstritten. [11] Peschmerga (Kurdisch: Pêşmerge) ist der kurdische Begriff für die irakisch-kurdischen Kämpfer. Der Begriff Peschmerga, was übersetzt „Die dem Tod ins Auge Sehenden“ (pêş nach vorn + merg Tod) bedeutet, existiert seit den 20er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts. Als Peschmerga bezeichnen sich insbesondere die bewaffneten Einheiten der KDP und der PUK (siehe Anm. 16).
[12] Der Volkskongress Kurdistan (Kongra Gelê Kurdistan, Kongra-Gel) wurde im November 2003 gegründet und ist die Nachfolgeorganisation des KADEK, der wiederum Nachfolgeorganisation der PKK war. Seit 2005 betrachtet sich der Kongra-Gel nicht mehr als Organisation, sondern vielmehr als Parlament innerhalb des Koma Civakên Kurdistan Systems. Als Koma Civakên Kurdistan oder KCK (etwa: Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans) bezeichnet sich eine organisatorische Struktur in Kurdistan, die die Umsetzung des von Abdullah Öcalan am 20. März 2005 deklarierten „Demokratischen Konföderalismus“ zum Ziel hat. Sie soll die Keimzelle einer nichtstaatlichen Gesellschaft bilden.
[13] Roj TV ist ein kurdischsprachiger Fernsehsender in Dänemark, der seit März 2004 über Satellit ausgestrahlt wird. Die Vorgänger von Roj TV waren MED-TV und MEDYA-TV. Roj TV sendet mit einer dänischen Lizenz aus der belgischen Sendezentrale in Denderleeuw, in der über 100 Menschen aus ganz Europa arbeiten. Die türkische Regierung versucht seit November 2005, Dänemark zur Schließung von Roj TV zu bewegen,
[14] 54 Bürgermeister der kurdischen DTP aus dem Südosten der Türkei haben 2005/2006 per Bittschrift den Premierminister Dänemarks, Anders Fogh Rasmussen, gebeten, Roj TV nicht zu schließen. Anders Fogh Rasmussen wurde beim NATO-Gipfel Anfang April 2009 zum neuen NATO-Generalsekretär ernannt und trat vom Amt des dänischen Regierungschefs zurück. Laut Spiegel online vom 5.4.2009 soll die Türkei umfangreiche Zugeständnisse für die Aufgabe des türkischen Vetos gegen die Ernennung Rasmussens erhalten haben, u.a. sicherte er der Türkei auf dem NATO-Gipfel zu, ein Verbotsverfahren gegen Roj TV in Dänemark einzuleiten. Quelle: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,617553,00.html [15] Bêrîtan, Kurdistan 2006, Regie: Halil Uysal, Jinda Baran, Dersim Zerevan. Der Film erzählt die Geschichte der Kommandantin Gülnaz Karatas, Codename Bêrîtan. Bêrîtan, die aus Dersim stammt und sich 1991 der kurdischen Befreiungsbewegung anschloss, während sie an der Universität Istanbul studierte. Bei der Guerilla prangerte sie Missstände offen an und legte sich mit traditionell denkenden KommandantInnen an, die den Frauen in der Bewegung nur Hilfsaufgaben übertragen wollten. Der Film erzählt den letzten Tag im Leben von Bêrîtan, in immer neuen Rückblenden wird dessen Vorgeschichte fassbar. Der oberste Kommandant ihres Frontabschnitts ist Osman Öcalan. Am Ende ist sie allein umzingelt von Peschmergas der KDP und bringt sich um, um nicht in deren Hände zu fallen. Der Regisseur des Films und Dokumentarfilmer Halil Uysal starb 2008 während den Dreharbeiten zu einem anderen Film bei Gefechten mit der türkischen Armee (ebenso wie weitere Crewmitglieder).
[16] Die KPD Irak (Partîya Demokrata Kurdistanê - PDK) wurde im April 1946 durch Mustafa Barzani im iranischen Kurdistan in Zusammenhang mit der Entstehung einer kurdischen Republik in Mahabad, die weniger als ein Jahr existierte, gegründet. Nach dessen Tod übernahm 1979 Masud Barzani die Führung. Die KDP gilt als konservative Partei, die im Wesentlichen die Interessen der Stammes- und Clangesellschaft vertritt. Sie ist die zweite große Kurdenfraktion im Nordirak neben der Patriotischen Union Kurdistans (PUK), die 1975 aus einer Abspaltung der KPD unter Führung von Dschalal Talabani hervorging. Mit Unterstützung von Saddam Hussein kämpfte die KDP in einem Bürgerkrieg gegen die PUK, welche vom Iran unterstützt wurde. Zwischen den Konfliktparteien PUK und KDP im Irak kamen etwa 3000 Menschen ums Leben. Beide gemeinsam kämpften mit der Türkei im Oktober 1992 im „Südkrieg“ gegen die PKK. Die KPD und die PUK führten in den 1990er Jahren zahlreiche Militäroperationen gemeinsam mit der türkischen Armee gegen die PKK durch. Zur Wahl eines Übergangsparlaments nach dem Irak-Krieg schloss sich die KDP mit der PUK, sowie weiteren kleineren Parteien, zur Demokratischen Patriotischen Allianz Kurdistans (auch Kurdische Allianz genannt) zusammen. Das Wahlbündnis gewann bei der Wahl am 30. Januar 2005 25,7 % und somit 71 von insgesamt 275 Sitzen in der irakischen Nationalversammlung. [17] Amed ist der kurdische Name von Diyarbakir. |
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