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Liebe Leserinnen und Leser! Vorweg müssen wir uns für einen Layout Fehler in der Nummer 28 entschuldigen. Im Artikel „Finanzkrise: Chronologie, Ursachen und wirtschaftspolitische Reaktionen“ von Engelbert Stockhammer fehlten in der Printausgabe irrtümlich die letzten beiden Schlusssätze. Diese seien hiermit nachgeholt: „Lohnzurückhaltung darf nicht Teil dieser Nachfragepolitik sein. Eine (weiterhin) sinkende Lohnquote dämpft die Nachfrage und würde deflationären Tendenzen Vorschub leisten.“ In der vorliegenden Nummer schreibt Robert Foltin in „Wir sind die Krise des Kapitalismus“ über den Zusammenhang zwischen Produktion und Reproduktion, die sozialen Bewegungen und die Entwicklung der Krise. Der Titel ist übrigens von John Holloway entwendet, der eine ähnliche Perspektive über eine „andere Politik der Wut der Würde“ bietet. Eine andere Sichtweise entwirft Slave Cubela in „Krise und sozialer Kampf“, indem er davon ausgeht, dass die Klasse alleine durch die Verrichtung ihrer Arbeit objektiv die Krise produzieren muss. In allen diesen Beiträgen wird die Krise jedoch als Chance für eine revolutionäre Entwicklung gesehen. Ein ganz anderes Thema spricht Karl Reitter in seinem Beitrag „Argumentationsstrukturen und Begründungsfiguren um den Krieg gegen Gaza“ an. Wie der Titel besagt, geht es um eine Reihe höchst problematischer Argumentationsfiguren, wie sie (wahrscheinlich nicht nur) in der deutschsprachigen Linken sehr verbreitet sind. Diese Sichtweise ermöglicht es hoffentlich manche Fragen, die heute beinahe ein Tabu sind – wie Israel / Palästina –, in der Linken wieder zu diskutieren. Georg Gangl fasst in „Space, Place und Gender“ die sich in den letzten Jahren entwickelnden Diskussionen um politische Raumtheorien, die sich mit der gesellschaftlichen Produziertheit von Raum im Kapitalismus beschäftigen, zusammen, während sich Torsten Bewernitz in „Das Sein verstimmt das Bewusstsein“ mit der Wechselwirkung zwischen revolutionärem Bewusstsein und gesellschaftlicher Realität auseinandersetzt. Dieter A. Behr findet, dass die Besprechung von Bini Adamczac´ „Gestern, Morgen“ in der letzten Nummer dem Buch nicht gerecht wird und versucht in „mehr fragen“ einiges zurechtzurücken. Detlef Georgia Schultze kommentiert eine Veranstaltung am Internationalen Forschungszentrum für Kulturwissenschaft „Das Drama der Exklusion“ und zeigt, dass die gebotenen unterschiedlichen Perspektiven den herrschenden Rahmen nicht verlassen. Die Zusammensetzung der AutorInnen
dieser Nummer ist mal wieder sehr männerlastig geraten. Das Problem der
Männerdominiertheit – sei es nun in der Gruppenzusammensetzung, sei es in der
Repräsentation nach außen – teilen wir mit vielen anderen linken Projekten, was
unserer Meinung nach immer noch zu selten thematisiert wird. Auch kann sich frau
des Eindrucks nicht erwehren, dass Kontakte linker Gruppen untereinander oftmals
nach dem Muster von Männerseilschaften funktionieren. Wir freuen uns daher sehr,
dass von 20. bis 22. März 2009 in 1090 Wien, Kolpinghaus, Liechtensteinstraße
100, eine Frauenkonferenz unter dem Titel: Wie feministisch ist die Linke – wie
links ist der Feminismus? stattfindet. Themen dieser Konferenz, an der sich
Frauen aus unterschiedlichen europäischen Ländern beteiligen, werden u.a. sein:
Geschlechterverhältnisse als Produktionsverhältnisse; Geschlechterdifferenz
versus Marxismen? Rassismus, Klassismus, Sexismus; Postsozialismus und die
Frauenfrage; Marxismen – Feminismen; Workshops zu Theoriebildung und
Erfahrungsaustausch. Frauen, die sich anmelden oder auch einfach nur mehr über
das Programm erfahren wollen, wenden sich bitte an hilde.grammel@aon.at. Auf
dass vielfältige Kontakte unter Frauen entstehen, denen die Verknüpfung von
Feminismus und linker Theorie und Politik ein Anliegen ist! Ferner freuen wir
uns, an dieser Stelle das
Autonom-Feministische
europaweite FrauenLesbenTreffen ankündigen zu können, das von 9. bis 14. April
2009 im
FrauenLesbenMädchenZentrum in Wir können jedoch bereits jetzt versprechen, dass das Geschlechterverhältnis bei den AutorInnen der Nummer 30 anders ausfallen wird. Anders als gewohnt wird auch das Layout bei dieser kleinen Jubiläumsnummer sein, die als solche merklich mehr Seiten umfassen wird. Sie ist als Schwerpunktnummer zur Türkei konzipiert und wird einen thematisch breiten Bogen spannen. Von der Binnenarbeitsmigration in den 1950er Jahren bis zu ArbeiterInnenkämpfen heute. Von der Rezension von türkischen Romanen bis zur neoliberalen Wirtschaftspolitik in der Türkei und nicht-nationalistischen Strategien dagegen. Von der Situation militanter türkischer Linker im europäischen Exil nach dem Militärputsch im September 1980 bis zu Wehrdienstverweigerung heute. Von der Geschichte und Aktualität der türkischen Frauenbewegung bis zur Rolle der europäischen Grenzschutzagentur Frontex in der Türkei, von Kampagnen gegen die Privatisierung von Wasser bis zum Krieg gegen Kurdistan … und, und, und … Angedacht ist auch eine Release-Party – mehr sei jedoch jetzt noch nicht verraten. Watch out for Flyers! Zu guter Letzt wollen wir auch noch auf die Demonstration am 28. März 2009 unter dem Motto: „Eure Krise zahlen wir nicht! Kapitalismus brauchen wir nicht!“ aufmerksam machen. (Siehe Kasten auf der Seite 3) Kommet zahlreich! Unsere Veranstaltungsreihe „Stop making capitalism“ wird am 20. März mit einer Veranstaltung zum aktuellen Thema: „Klassen, Krisen & Kämpfe“ fortgesetzt. Dieses Mal geht es um ein Buch der Gruppe „Blauer Montag“ aus Hamburg mit Peter Birke, Aktivist dieser Gruppe. Eure Grundrisse - Redaktion
Eure Krise zahlen wir nicht! Kapitalismus brauchen wir nicht! Antikapitalistischer Block auf der Demonstration "Wir zahlen nicht für eure Krise!" 28. März 2009, 13 Uhr, Wien-Westbahnof Die gegenwärtige Krise ist keine Finanzkrise, sondern eine Krise des Kapitalismus. Dieser produziert immer schon auf der einen Seite unermesslichen Reichtum und auf der anderen Elend, Rassismus und Unterdrückung. In Krisenzeiten wird dies besonders deutlich, es bieten sich aber auch Chancen einer emanzipatorischen antikapitalistischen Perspektive - nicht zuletzt, da die Krise die Irrationalität des Profitsystems deutlich vor Augen führt. Im Kapitalismus kann es kein gutes Leben für alle geben! Frauen, insbesondere Migrantinnen, sind besonders von der Krise betroffen. Sie verdienen schon "ohne Krise" ein Drittel weniger als Männer, nun soll ihre "natürliche" Rolle - als Hausfrau und Mutter - die Krisenfolgen abmildern. Und ganz nebenbei fügt sich dies vorzüglich in die verstärkte reaktionäre Propaganda der Rechten. Wir sagen: Nein Danke! Im Patriarchat kann es kein gutes Leben für alle geben! Aktuell wird gerne nach dem Staat als Krisenbeseitiger gerufen. Noch mehr Geld - also letztlich von uns produzierter Reichtum - soll in die kapitalistische Maschinerie gepumpt werden, um diese auf unsere Kosten zu sanieren. Wir aber sind gegen alle "Reformen" auf Kosten der Ausgebeuteten und Unterdrückten. Runter mit den Lebenshaltungskosten! Der Staat ist kein Gegenspieler zum Kapital, sondern dessen notwendige Ergänzung, mit ihm ist keine emanzipatorische Entwicklung zu machen. Mit Staaten kann es kein gutes Leben für alle geben! Nicht die staatliche Regulierung der Krisenfolgen, sondern Strategien zur Überwindung des naturgemäß krisenhaften und umweltzerstörenden Kapitalismus sind gefragt! Die Krise ist unsere Chance: Es ist an der Zeit, ernsthaft über die kollektive Aneignung und Vergesellschaftung von Betrieben, Versorgungseinrichtungen und öffentlicher Verwaltung nachzudenken, damit diese den Bedürfnissen der Menschen dienen - und nicht umgekehrt! Nachdenken alleine aber wird nicht reichen, es bedarf auch der wirksamen Organisierung unseres Widerstandes. Der Antikapitalistische Block soll einen Anstoß geben, gemeinsam für ein Ende von Kapitalismus, Patriarchat und Staat zu kämpfen. Am 28.3. und danach: Alle auf die Straße für ein gutes Leben für alle!
Wie schaut der denn aus? … Oder: Nix Staatsbürgerschaft, nix reden! Der öffentliche Raum nimmt für verschiedene Menschen in unterschiedlicher Weise Gestalt an. Für die Beutemenschen der Schengenkontrolleure wird schon eine U-Bahnfahrt zum existenzgefährdenden Abenteuertrip:
Solche Dialoge sind inzwischen fast täglich im Wiener Untergrund zu hören. In Zivil, bewaffnet mit einem Laptop stehen zwei oder drei Beamte des Innenministeriums in den Zwischenetagen der U-Bahnstationen und scannen die Ströme der vorbei eilenden Menschen auf wahrnehmbare Zeichen von Differenz, die die so als anders Klassifizierten in den Genuss von Personalienkontrollen kommen lassen. Manche wie etwa Herr D., der mit einer Österreicherin verheiratet ist, haben Glück: Zwar akzeptierten die Beamten die von ihm vorgezeigten Photokopien seines Reisepasses und seiner Heiratsurkunde nicht, aber er konnte telefonisch seine Ehefrau erreichen, die ihn nach einer Stunde des Wartens im U-Bahn-Zwischengeschoss mit seinem Originalreisedokument auslöste. Ganz anders gestaltete sich die Situation für Herrn B.: Sein Asylverfahren wurde nach einer fünfjährigen Wartezeit negativ entschieden, weshalb er vorsichtshalber schon seinen Wohnsitz an eine andere Meldeadresse verlegt hatte. Während dieser fünf Jahre konnte Herr B. immerhin die Existenz seiner Großfamilie sichern – als illegal im Gastronomiebetrieb eines Landsmanns Beschäftigter mit einem Stundenlohn von 4 Euro. Menschen wie Herr B. sind die Beute, nach der die Polizeibeamten angeln: Aus der U-Bahn gefischt, wurde Herr B. in Schubhaft genommen. Die erste Station seiner langen, von permanenter Angst vor solchen Aufgriffen begleiteten Reise ist monatelange Schubhaft, eine Haftstrafe, die er wegen seines illegalisierten Aufenthalts absitzen muss und die mit der Abschiebung in sein Herkunftsland, in dem er sich schon längst nicht mehr zuhause fühlt, ihr vorübergehendes Ende finden wird. Herr V. wiederum erlebte folgendes:
In diesem Fall wog der gediegene Wiener Dialekt schwerer als die Merkmale, die ihn auffällig und für die Beamten zum „Ausländer“ werden ließen: Herr V., dessen familiärer Hintergrund sich in Ungarn verläuft, musste keinen Ausweis vorzeigen – er ging als „Hiesiger“ durch. „Schengenkontrolle“ nennt sich das hier beschriebene Spiel mit durchaus existenzbedrohenden Konsequenzen. Schengenkontrolle bedeutet die Verlagerung der Sicherung nationaler Außengrenzen (Grenzkontrolle an den Landesgrenzen) ins Innere des Landes oder der Gesellschaft: neue Grenzen werden gezogen und bestehende vervielfältigt, Kontrollen können jederzeit und nahezu überall stattfinden. Grundlage dieser Kontrollen ist jedoch nicht mehr das Überschreiten der Landesgrenzen, sondern die selektive Filterung der Menschenströme am Karlsplatz oder Schwedenplatz. Doch längst nicht alle Kunden der Wiener Linien werden kontrolliert; vielmehr scannen die Beamten des Innenministeriums die Vorübereilenden mit ihren rassifizierenden Wahrnehmungsrastern und wer nicht ihren Vorstellungen eines „echten Bio-Österreichers“ entspricht, wird aufgehalten und kontrolliert. Diese Kontrollen sind eine auf rassistischen Kriterien beruhende Selektion, die aufgrund der Verschärfungen im Fremdenrecht für viele zu einer existenzbedrohenden Gefahr werden. Diese skandalöse Manifestation eines rassistischen Überwachungsstaates lässt sich historisch erzählen lässt und als Erinnerung auffrischen: Wien ist eine Stadt, in der die Bevölkerung vor 70 Jahren zusah, wie als jüdisch klassifizierte und wahrgenommene MitbürgerInnen den Boden putzen mussten. Es ist einfach unerträglich, dass die Polizei heute Menschen nach rassistischen Kriterien selektieren, kontrollieren und schikanieren kann – legitimiert durch die Vorgehensweise des „racial profiling“. Es ist an der Zeit, auf diese skandalöse, rassistische Polizeipraxis aufmerksam zu machen und Initiativen dagegen zu ergreifen – in Form von Websites, Öffentlichkeitsarbeit etc. –, um so die Leute zu ermutigen, sich zu empören, einzumischen, die Kontrollen zu hinterfragen, mit den Polizisten zu diskutieren und ihnen den Spaß an der Demütigung von Menschen, die ihren Kriterien eines „echten Österreichers“ nicht entsprechen, zu verderben. Wer das auch findet, möge ein Email schicken an: stehenbleiben@gmail.com. Anna Unmöglich |
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