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Georg Gangl: Space, Place and Gender –
Raum als soziale Kategorie. Ein Überblick

Ich danke Karl Beyer, Martin Bartenberger, Elmar Flatschart, Christoph Wendler sowie insbesondere Fu Lo für ihre kritischen Kommentare zu vorhergehenden Versionen dieses Textes.

Raum als soziale Kategorie – Einleitung

Raum wird gemacht und ändert sich zum Teil rasant. Was an einem Tag noch die Prunkstraße des imperialen Wien war, kann am nächsten schon als Fanmeile ganz anderen Zwecken dienen – dem Konsum und der Beschwipsung an Trank und Nation. Was da diesen Sommer im Herzen Wiens, namentlich die Fußball-Europameisterschaft, von Statten ging, war eine der üblichen Raumnahmen im Kapitalismus. Was zuvor als öffentlich galt und allen Zutritt versprach, wird nun mit bewachten Eintrittsschleusen versehen, und schon hat sich der Charakter der Straße geändert: die Blechlawinen rollen jetzt anderswo, dafür darf auf der „Fanmeile“ konsumiert werden – vorausgesetzt, das eigene Geldsäckle lässt ein solches auch zu.

Räumliche Restrukturierungsprozesse an sich finden im Kapitalismus andauernd statt. Boden als Ware bedeutet eben auch private Verfügbarkeit. Und so ist die Geschichte des Kapitalismus eine der mehr oder minder gewaltsamen äußeren wie inneren Landnahme im wörtlichen wie übertragenen Sinne. Gerade in den letzten Jahrzehnten hat aber die kritische Theoretisierung von Raum in breiterer Konzeption als sozial gemachter Kategorie deutlich zugenommen. Als Beginn dieser Entwicklung kann die so genannte „Radical Geography“ (vgl. Belina/Michel 2007a; 25ff. sowie allgemein und sehr ausführlich Soja 2007) angesehen werden, welche seit den 1970er Jahren kontinuierlich versucht, Raum in kritisch-materialistischer Weise zu fassen[1]. Und insbesondere seit der Debatte um die Globalisierung gilt Raum als wichtige soziale Kategorie. Denn in dieser wird immer öfter eine so genannte „Time-Space Compression“ (David Harvey) festgestellt, also eine „Vernichtung des Raums durch die Zeit“ (Marx 1974a; MEW 42; 430). Viel ist darob heute auch schon von einem „spatial turn“ die Rede – die materialistische Theoretisierung von Raum scheint also in sozialwissenschaftlichen Diskursen an Wichtigkeit zu gewinnen. Fest steht jedenfalls, dass die Theoretisierung von Raum, wohl angestoßen durch die Veränderungen des globalen Kapitalismus in den letzten Jahrzehnten, an Terrain gewonnen hat und nun schön langsam auch schon im deutschsprachigen Kontext angekommen ist[2].

Allen diesen Theorien gemein ist dabei die folgende Prämisse: „Geographischer Raum wird als gesellschaftliches Produkt angesehen (...)“ (Smith 2007; 62). Eine von der Gesellschaftlichkeit abstrahierende Ansichtsweise des Raumes, als abstraktes Koordinatensystem oder als zu befüllender Container, wird den verschiedenen Raum- wie Zeitkonzeptionen differierender gesellschaftlicher Verhältnisse einfach nicht gerecht. So sind abstrakte Fließzeit (vgl. Postone 2003; 287ff.) und abstrakter Raum Produkte der kapitalistischen Gesellschaft.

Dieser Text hat sich nun zur Aufgabe gemacht, ebenjenen Zusammenhang von Raum und Gesellschaft genauer zu ergründen. Im folgenden Kapitel wird zu diesem Zweck zuerst einmal genauer auf die physikalischen Eigenschaften von Objekten in raum-zeitlichen Verhältnissen eingegangen. Denn auch wenn Raum als Konzeption und in der Form unserer Perzeption desselbigen ein gesellschaftlich gemachter ist, so haben Dinge wie Menschen dennoch eine physische, ja räumliche Ausdehnung, welche relativ unabhängig von der je konkreten Gesellschaftlichkeit ist. Mit diesem Kapitel ist sodann die Grundlage dafür gelegt, sich genauer anzuschauen, wie „Space“ and „Place“, Raum und Ort, ja räumlich Globales und Lokales im Kapitalismus miteinander verstrickt sind und ineinander fließen. Es handelt sich jedenfalls, soviel sei vorweggenommen, um ein ziemlich vertracktes Verhältnis. Dieses Verhältnis korrespondiert wiederum mit einer gewissen geschlechtlichen „sozialgeographische[n] Konnotationsmatrix“ (Strüver 2008; 135), wie Autorinnen wie Doreen Massey (vgl. Massey 1994) immer wieder betont haben. Auf diesen Kapiteln aufbauend, wird sodann die so genannte „Politics of Scale“-Debatte (vgl. Wissen/Röttger/Heeg 2008)  genauer beleuchtet. Denn wenn Raum gesellschaftlich konstituiert ist, dann ist diese Konstitution im Kapitalismus immer auch eine herrschaftliche und von Kämpfen[3] begleitete. Verschiedene AkteurInnen versuchen ihre Anliegen nämlich auf verschiedenen „räumlichen Maßstabsebenen“ (so die holprige deutsche Übersetzung von „scale“) durchzuboxen, sei es nun eine BürgerInneninitiative für eine Umfahrungstraße auf der lokalen Scale, andere soziale Bewegungen wie z.B. Anti-Hartz IV-Bündnisse auf nationalstaatlicher Ebene, oder gar die globalisierungskritische „Bewegung der Bewegungen“, die ja bekannterweise global denkt und (g)lokal[4] zu handeln vorgibt. Jedenfalls versuchen diese AkteurInnen die Scales durch ihr Handeln gerade auch zu verändern, um mehr Spielraum für ihre eigenen Interessen zu erhalten (vgl. Brand 2008; 173ff.). Emanzipatorische Kämpfe müssen sich also so oder so der Scale-Frage stellen. Zu guter Letzt soll in einem kleinen Exkurs noch das Marxsche Verständnis von Raum etwas erhellt werden. Denn, auch wenn Marx den räumlichen Veränderungen im Kapitalismus gegenüber, und gerade auch denjenigen, die zum Kapitalismus hingeführt haben – Stichwort „enclosures“[5] (vgl. MEW 23; 741ff.) –  sehr hellhörig war, so fehlt in seinem Werk doch eine ausgearbeitete Theorie des Raumes. Ziel dieses Teils des Textes ist es, zumindest ansatzweise, die im Marxschen Werk verstreuten Anmerkungen zum Thema Raum zusammenzuführen. Am Ende dieser Arbeit finden sich auch noch Anmerkungen zu den möglichen Grenzen einer Theorie des Raumes, wie sie insbesondere von Andrew Sayer immer wieder benannt und betont worden sind (vgl. Sayer 2000; 161ff, sowie Sayer 2004; 262).

Aber was ist nun der kapitalistische Raum wirklich? Wir können uns hier zu anfangs dieses Textes vorläufig mit der folgenden überbordenden Definition zufrieden geben, die ein bissl was von jeder kritischen Raumdefinition enthält: „Als historisches Produkt von Staat, Kommodifizierung, disziplinärem rationalistischem Wissen und Phallozentrismus, verkörpert der abstrakte Raum die Widersprüche der verräumlichten, linearen Zeit des Kapitalismus (...)“ (Kipfer 2008; 100, Fn. 5). So weit, so (un)klar.

Physikalische Voraussetzungen

Raum wird gesellschaftlich gemacht, so wurde bereits zu Anfang dieses Textes eingeleitet. Aber alle Dinge, die sich so im Raum breitmachen, haben eine physische Ausdehnung, jenseits der gesellschaftlichen Vermittlung; diese ist jener bereits vorausgesetzt. „All matter has spatial extension, possibly a certain capacity for mobility, and sometimes a particular shape or geometry as a necessary condition of it being that kind of thing“ (Sayer 2000; 110). Dinge, Menschen inklusive, haben also gewisse „powers“, „liabilities“ and „properties“, die sich aus ihrer physischen Konstitution als ebensolche speisen (vgl. Bhaskar 2008; 229ff., sowie Bhaskar 1998; 35ff.). Die Konsequenzen daraus sind einfach zu ziehen: auch wenn Raum gesellschaftlich produziert wird, so ist nicht alles an ihm eine „Konstruktion“ (um einen Begriff zu wählen, der gerade sehr en vogue ist – auch wenn ich ihn für einen zwar schillernden, aber doch irreführenden Begriff halte); Dinge haben nun mal verschiedene eigene –  materielle – Eigenschaften[6], und diese wirken restringierend wie ermöglichend auf die einzelnen Raumordnungen. Viel Konkreteres lässt sich auf dieser Ebene auch schon nicht mehr sagen, da verschiedenen Dingen eben grundverschiedene Eigenschaften zukommen, und in den konkreten geographisch-sozialen Settings deren physische „powers“ zusammenkommen und kombiniert werden. „Die Integration eines einstmals isolierten Produktionsortes in eine nationale oder internationale Ökonomie ändert zum Beispiel nicht dessen absolute Verortung“ (Smith 2007; 68), oder, daran anschließend, an den physischen Gegebenheiten desselbigen Produktionsortes. Dennoch wird diese Firma mit ihren „powers“ – physischen wie gesellschaftlichen – dank dieser Integration nun besser an den (Welt-)Markt angeschlossen sein, und dementsprechend erhöhen sich ihre Chancen der Plusmacherei.

Nun gehört zu den physikalischen Voraussetzungen aber nicht nur der Raum, sondern auch die Zeit. Raum und Zeit sind, der modernen (Einsteinschen) Physik gemäß, nur in Relation zueinander zu konzeptualisieren (vgl. Massey 1994; 260ff.[7]); sie, Raum und Zeit, sind „inextricably interwoven“ – d.h. „both space and time must be constructed as the result of interrelations“ (Massey 1994; 261). Auch wenn beide nun nur zusammen als „space time“ auftreten, so sind Zeit und Raum dennoch auch unterschieden. Während Zeit immer, jenseits der gesellschaftlichen Bedingtheit der konkreten Zeitform, nur eine einzige Dimension hat (vorher – nachher), hat der Raum deren drei. Darob gilt: „[M]ovements are reversible in space, but time is irreversible; and while many things can exist at the same time, two things cannot exist in the same place at the same time (the property of physical exclusivity)“ (Sayer 2000; 111). Die „physische Exklusivität“ selbst ist also ein weiterer restringierender, sprich einschränkender Faktor der gesellschaftlichen Schaffung von Raum, und auch hier gilt natürlich, dass verschiedene „Dinge“, Menschleins wiederum inklusive, verschiedene Formen der Exklusivität in ihrer materiellen Ausdehnung beinhalten (vgl. auch Giddens 1997; 162f.). „Alles gesellschaftliche Leben vollzieht sich in, und ist konstituiert durch, Überschneidungen von Gegenwärtigem und Abwesenden im Medium von Raum und Zeit. Die physischen Eigenschaften des Körpers und des Milieus, in dem er sich bewegt, geben dem gesellschaftlichen Leben unvermeidlich einen seriellen Charakter und begrenzen den Zugang zu räumlich abwesenden anderen“ (Giddens 1997; 185, Hervorhebung i. O.).

Es hat dementsprechend keinen Sinn, Zeit gegen Raum auszuspielen, wie dies in manchen als postmodern verschrienen linken Theorien geschieht[8]. Weder ist das Räumliche die Arena der Unbeweglichkeit, in der nichts geht – schon gar keine (anti-)politisch emanzipatorischen Anstalten –, noch ist die Zeit das genaue Gegenteil – die Dynamik und damit die Form, in der Emanzipation von Statten gehen kann und soll[9]. Diese ideologischen Ansichten des starren Auseinanderdividierens haben ebenso ihre gewisse Grundierung in der Physik, nämlich der Newtonschen, auch wenn diese Physik bereits als überholt gilt. Denn in der Physik Newtonschen Paradigmas existieren Zeit und Raum genau als relativ getrennte Sphären, und Dinge existieren, zumindest im Popularverständnis, jenseits ihren Relationen zueinander (vgl. Bhaskar 2008; 79ff. Harvey 2006; 121ff.). „The ontology is one of atomistic (and independent) events (...). And causality is seen as the regular concomitance of such events (...)“ (Bhaskar 2008; 80)[10].

Am Ende dieses Kapitels sei noch ein kleiner „Disclaimer“ angebracht: physikalische Voraussetzungen sind rein solche, nicht mehr und nicht weniger. Dies sei deshalb gesagt, da momentan bestimmte Kritiken öfters vorgetragen werden, die vor jeder Form des so genannten Reduktionismus wie auch des Essentialismus warnen (vgl. kritisch dazu Sayer 2000; 81ff.). Hier wird aber keinem Reduktionismus das Wort geredet und nur für einen Essentialismus in einem sehr bestimmten und eingeschränkten Sinne plädiert. Die materielle Ausdehnung von physischen Dingen, Menschen inklusive, wenn eins so will, ihre „Essenz“ mit ihren bestimmten und distinkten Eigenschaften, bleibt die Grundierung jedweder sozialen Theorie des Raumes; nicht weniger als das. Aber eben auch nicht mehr: die verschiedenen Strata der Realität (vgl. Bhaskar 2008; 181ff.), meint Schichten des „Aufbaus“ der Materie, wie das Physikalische, das Chemische, das Biologische, aber auch das auf diesen aufruhende Soziale sind nicht auf einander reduzierbar (vgl. Bhaskar 1998; 97ff.). Das je einzelne Stratum, die je einzelne Schicht, hat jeweils so genannte emergente, meint überschießende Fähigkeiten dem Vorangegangenen gegenüber. Etwas aufgesetzt lässt sich hier der Spruch anbringen, dass das Ganze mehr sei als seine einzelnen Teile. Emergenz nun – „that is situations in which the conjunction of two or more features or aspects gives rise to new phenomena, which have properties which are irreducible to those of their constituents, even though the latter are necessary for their existence” (Sayer 2000; 12). Verliebte Duselei, oder menschliches Denken im Allgemeinen, beruht nun mal auf unserer Hirnaktivität, und besteht im Prinzip aus elektrischen Impulsen zwischen einzelnen Hirnzellen, ist aber keineswegs auf solche Aktivität reduzierbar. Oder um noch ein Beispiel für Emergenz zu bemühen, das der sozialen Realität näher ist und essentiell von der sozialen Struktur der Gesellschaft abhängt: eine einzelne Arbeiterin kann in ihrem Betrieb, sofern sie sich nicht freelancerisch selbst ausbeutet, kaum streiken. Viele ArbeiterInnen hingegen können, wenn ihnen etwas stinkt, aufgrund ihrer Positionierung, die sie durch die relationale Stellung in der gesellschaftlich fetischistischen Struktur innehaben (ArbeitskraftverkäuferIn – ArbeitskraftkäuferIn vulgo ArbeiterIn – KapitalistIn), streiken[11].

Nach dieser Darlegung der physikalisch-materiellen Voraussetzungen einer jeden Raumproduktion, können wir nun voranschreiten und uns ansehen, wie Raum und Ort,  space and place,  im Einzelnen im Kapitalismus konstituiert werden. Dies bereitet den Weg dafür, das Verhältnis von Raum und Gender genauer auszuleuchten.

Space, place...

Der Kapitalismus in seiner Akkumulation um der Akkumulation willen tendiert dazu, einen Weltmarkt zu schaffen, will meinen, in einer äußeren Landnahme sich die ganze Erde Untertan zu machen. Dies geschieht seit dem 19. Jahrhundert durch Imperialismus und (und auch schon davor durch) Kolonialismus[12], wie auch die so genannte innere Landnahme, also die Inwertsetzung immer größerer Teile der sozialen (Re-)Produktion kapitalistisch organisiert wird. Insbesondere Subsistenzproduktion ist auf diese Art und Weise in den kapitalistischen Zentren immer weiter abgeschmolzen. Ziel und gleichsam Voraussetzung des Kapitalismus ist dabei der Weltmarkt. „Der abstrakte Reichtum, Wert, Geld – hence die abstrakte Arbeit entwickelt sich in dem Maße, worin die konkrete Arbeit zu einer den Weltmarkt umfassenden Totalität verschiedener Arbeitsweisen entwickelt“ (Marx 1974b, MEW 26.3; 250). Nun hat diese umfassende Weltmarktbewegung die Menschen aus ihren vormaligen Beziehungen gerissen und sie, der kapitalistischen Produktion entsprechend, als doppelt freie ArbeiterInnen, zurückgelassen. Diese mitunter gewaltsam organisierten Prozesse haben nun immer auch eine räumliche Seite. „Es ist nicht nur so, dass verschiedene Produktionsprozesse verschiedene ‚Raumbedürfnisse‘ haben. Vielmehr wird in dem Maße, in dem die Produktivkräfte Teil der Umwelt werden, Raum gemäß den räumlichen Eigenschaften dieses Sets an Produktivkräften produziert“ (Smith 2007; 72). Wichtig hierbei ist zuallererst die Überwindung räumlicher Barrieren selbst. Die kapitalistische Herstellung des Weltmarktes beinhaltet immer auch den Zugriff auf (beinahe) die ganze Welt, auch wenn weite Teile derselben im Endeffekt nicht kapitalistisch genutzt werden (können), da sie nicht unmittelbar verwertbar sind oder etwa infrastrukturelle Voraussetzungen der Verwertung fehlen. Zumindest müssen diese Teile aber prinzipiell der Plusmacherei offen stehen. Kapitalismus zeichnet sich in diesem Sinne immer als –imperialistisch induzierte – „accumulation through dispossession“(z.B. Harvey 2006; 90), also Akkumulation durch Enteignung, aus, wobei dieser Begriff ursprünglich bereits von Rosa Luxemburg zu Anfang des 20. Jahrhunderts, also im Zeitalter des klassischen Imperialismus, geprägt worden ist. Kapital auf der Suche nach Extramehrwert oder Extraprofiten jagt demgemäß um den gesamten Erdball, um immerfort ein Mehr auf neuer Stufenleiter akkumulieren zu können. Eine Voraussetzung dieses Herummarodierens ist eine ausreichende –großteils staatlich zur Verfügung gestellte – Infrastruktur (vgl. Harvey 1982; 404f.) genauso wie Transportindustrien (vgl. Marx 1963, MEW 24; 60f.), die, da Waren bekanntlich ja nicht selbst zu Markte marschieren können, diese auf die Märkte bringen. „The mobility of capital in commodity form is accomplished within a perpetually shifting framework of relative spaces since cost and time distances may be shifted out by the development of the means of transportation in a way that does not correspondent to geographical distances“ (Harvey 1982; 377). Gleichzeitig ist es natürlich immer auch eine Frage nach der technischen wie der Wertzusammensetzung der Produkte selbst, ob und wie einzelne WarenproduzentInnen ihre Produktion verlagern können. Denn viele Industrien prozessieren mit einem hohen Einsatz an konstantem Kapital, welches sich zum einen erst nach längerer Zeit amortisiert und zum anderen nicht einfach so von A nach B transportiert werden kann. All diese, zum Teil gegensätzlichen Prozesse konstituieren in ihrem Zusammenspiel die räumliche Form des Kapitalismus.

Darüber hinaus ist Boden wiederum, der gar nicht „verlagert“ oder gar „outgesourced“ werden kann, nur in wenigen extraktiven Industrien sowie der Landwirtschaft ein Produktionsmittel selbst. Da dieser im Kapitalismus aber in Privatbesitz ist, kann er Renten abwerfen und ist natürlich den Fügungen der Rentiers selbst ausgesetzt. Die Produktion selbst ist also immerzu, mit Ausnahme der Transportindustrie, an einen bestimmten Boden gebunden – „the production of commodities is tied to a particular location for the duration of the labour process“ (Harvey 1982; 388). Das Kapital ist somit beharrlich in einer gewissen Dialektik gefangen. Einerseits will es höchste Profite wo auch immer und am besten überall auf der Welt einfahren, in diesem Sinne ist es und war es immer schon ein „vaterlandsloser“ Geselle; andererseits ist es aber auch auf –von ihm selbst kaum herstellbare –  (räumliche) Voraussetzungen angewiesen, wie geeignetes Land, geeignete Zufuhr von Arbeitskräften, Infrastruktur und dergleichen mehr. Diese ganzen Imperative haben alle auch räumliche Auswirkungen, ja sind nur in ihrer räumlichen Form und als räumliche Rekonfigurationen denkbar. Ein Resultat dieser widersprüchlichen Bewegung des Kapitals, und diesem Resultat wurde mit Feuerkraft wie Weltordnungskriegen auf die Sprünge geholfen, ist die ungleichmäßige räumliche Entwicklung innerhalb des Kapitalismus[13] selbst. In neueren Zeiten oft als „Verslumung der Welt“ (vgl. Davis 2007) bezeichnet, gehört diese Form der Entwicklung aber dem Kern des Kapitalismus an, wie schon alleinig seine Ausdifferenzierung in Zentrum und Peripherie zeigt. Nicht erst „gated communities“ auf der einen Seite, und ghettohafte Slums auf der anderen in den westlichen Metropolen haben diese entfacht. Denn „[c]ompetition, we may conclude, simultaneously promotes shifts in spatial configurations of production, changes in technological mixes, the restructuring of value relations and temporal shifts in the overall dynamic of accumulation. The spatial aspect to competition is an active ingredient in this volatile mix of forces“ (Harvey 1982; 393)[14].

Nun geht es aber auch darum, diese zusammenwirkenden Kräfte konkret zu bestimmen, wobei neben den globalen „forces of accumulation“ wohl noch andere Elemente wichtig sein dürften. Grundsatz dabei ist weiterhin: „Simple physical distance per se does not make any difference: 100 kilometres has no effect in itself, for it depends on what kind of things constitute space (housing estates, farms, motorways, etc.) and are trying to move across it (Concorde, elderly legs, etc.)“ (Sayer 2004; 259). Gerade auch deshalb, weil diese verschiedenen Dinge, die nun wirklich durch den Raum wandern, eben, wie bereits gesehen, bestimmte physikalische Eigenschaften ihr Eigen nennen können. Wie weiter oben bereits angerissen, müssen Zeit und Raum essentiell als Raum-Zeit verstanden werden – Bewegungen finden innerhalb von Räumen und in der Zeit statt. Diese Räume selbst sind nun bestimmt durch die sozialen Verhältnisse, die ebenda vorherrschen. Das Globale und das Lokale sind somit keine, gar durch den Nationalstaat, fein säuberlich getrennten Sphären. Die „forces of accumulation“ wie auch andere Determinanten durchfurchen sie beide. Denn Räume bestehen „out of interrelations, as the simultaneous coexistence of social interrelations and interactions at all spatial scales, from the most local level to the most global“ (Massey 1994; 264). Es kommt dann immer auf die je einzelne sozio-räumliche Konfiguration und die sie konstituierenden „powers” and „relations“ an, wenn es darum geht, was als räumliche Konfiguration an einem bestimmten Ort  auftritt (siehe auch das eben gebrachte Zitat von Andrew Sayer), wobei verschiedene „powers“, wie diejenigen der kapitalistischen Wertverwertung, tendenziell sehr stark in diesen Prozess involviert sein werden. Räumliche Konfigurationen ergeben sich somit immer nur konkret aus dem sozioräumlichen Zusammenspiel, der in sie involvierten „powers“ in ebenjenen bestimmten strukturellen Settings, wobei deren „Handeln“ auch unvorgesehene Konsequenzen haben kann, welche dann –  einmal getätigt –  zu unhintergehbaren Voraussetzungen für weitere Handlungen werden (vgl. Sayer 2004; 262ff.). Somit ist eine jedwede räumliche Konfiguration zwar verursacht, denn sie ist ja durch ein Zusammenspiel von Ursachen eingetreten, gleichsam ist dem Raum aber auch eine „chaotische“ Komponente eigen, da räumliches Aufeinandertreffen, gerade im parzellierten Raum der Warenproduktion, sehr zufällig sein kann und auch bornierten Partikularinteressen Folge leistet. D.h. „the chaos of the spatial results from the happenstance juxtapositions, the accidental separations, the often paradoxical nature of spatial arrangements which result, from the operation of all these causalities“ (Massey 1994; 266)[15]. Auf den je konkret bestimmten Kontext kommt es also an. In konkreten Situationen kommen nämlich verschiedene gesellschaftliche Verhältnisse mit ihren „powers“ zusammen und konstituieren das, was als konkreter Raum, als konkrete räumliche Konfiguration an einem gewissen Ort aufgefasst werden kann. Diese Konstitution ist mitnichten eine rein lokale Sache. Denn im Lokalen ist oftmals das Globale bereits enthalten. Die Gentrifizierung eines x-beliebigen Bezirkes einer europäischen Großstadt wird zwar wohl auch von semilokalen AkteurInnen vorangetrieben werden, genauso ergibt sich aber auch ein Zusammenhang mit größeren vom Weltmarkt diktierten Imperativen[16].

„Places“ sind also keineswegs die unschuldigen Plätze der einsam-biederen Lokalität. Raum im Kapitalismus –  reale Orte wie auch das Globale – ist aber auch zerfurcht von Machtrelationen, und verschiedene Individuen und Gruppen haben verschiedentliche Möglichkeiten, sich in diesen – sozial konstituierten – Räumen zu bewegen, in ihnen Anerkenntnis zu finden, was manchmal auch einfach nur meint, ebenda sichtbar zu sein[17]. Internationale Migrationsregime, wie dasjenige der Abschottung der EU, legen beredtes Zeugnis davon ab. Aber dies trifft auch auf kleinteiligere Arrangements zu, wie z.B. einzelne Firmen. Auch dort verdingen sich mehrere Menschen in einem Bürokomplex. Dass nun bei einer Investmentfirma ein Börsenbroker arbeitet, dürfte allgemein bekannt sein; dass dort im selben Gebäude und in denselben Räumlichkeiten auch die vielleicht bereits outgesourcte Putzfrau täglich ihren Dienst tut, erscheint jedoch nicht im Blickfeld oder gilt als allzu selbstverständlich (vgl. Allen 2003; 102ff.). Doreen Massey hat diese Verhältnisse von Macht und Ohnmacht, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit als „power geometry“ (Massey 1994; 149) beschrieben.

Gerade diese „power geometries“ stellen nun sehr gut das Ineinanderwirken von Globalem und Lokalem im globalisierten Kapitalismus dar. Massey bietet hier ein sehr instruktives Beispiel aus den brasilianischen Favelas: „ [T]he people, who live in the favelas of Rio, who know global football like the back of their hand, and have produced some of its players; who have contributed massively to global music, who gave us the samba and produced the lambada that everyone was dancing to last year [der Text wurde 1991 verfasst; Anm. G.G.] in the clubs of Paris and London; and who have never, or hardly ever, been to Downtown Rio“ (Massey 1994; 150, Hervorhebung i. O.). Wenn dieses Beispiel die so genannte „time space compression“ David Harvey beschreibt – gerade auch was popkulturell und multimedial produzierte Bilder und Konsumgewohnheiten betrifft (vgl. Harvey 2007; 48ff.)[18] –, dann ist dieser Prozess ein durch und durch ambivalenter. So können die Kids aus den Favelas heutzutage vielleicht zu einem der seriell produzierten Pop-Sternchen wie Rihanna tanzen und mit dem Arsch wackeln, und vielleicht haben sie auch den Traum, sich aus diesen Verhältnissen hinauszudribbeln; eine Anbindung an den Stadtkern, an diejenigen Gebiete, die Rio oder andere Städte definieren und ihnen oft auch einen touristisch mondänen Glanz geben, haben sie trotz allem nicht. Diese Innenstädte bleiben trotz absoluter Nähe beinah unerreichbar; sind sozial ferner Raum[19].

Orte sind also durch und durch ebenso von globalen wie rein lokalen sozialen Beziehungen konstituiert. Da hilft auch kein reaktionäres Greinen darüber, dass Orte annodazumal einmal von homogenen Gemeinschaften bewohnt worden wären. Der Alptraum von der Scholle war –kapitalistisch besehen –  schon immer reine Ideologie. Sozioräumlichen Verhältnissen ist immer eine gewisse Dynamik eigen, und diese ideologischen Aufwallungen wollen gerade diese Dynamik sistieren. Für sie bedeutet Örtlichkeit immer „Verwurzeltheit“ und Fixierung an diesem einen Platz. Da mag draußen der raue Wind der Globalisierung noch so stark wehen, die Identität – des „mir san mir Platzls“ im österreichischen Fall – soll gewahrt bleiben. Dabei zeigen gerade die obigen Beispiele, dass Orte „can be imagined as articulated moments in networks of social relations and understandings, but where a large proportion of those relations, experiences and understandings are constructed on a far larger scale than what we happen to define for that moment as the place itself, whether that be a street, or a region or even a continent“ (Massey 1994; 154).

Nachdem wir nun den verzwickten Zusammenhang zwischen Globalem und Lokalem herausgestellt haben, gerade in seinem primären Ineinandergehen durch die Akkumulationsdynamiken des Kapitals, können wir sogleich damit fortfahren, räumliche Konfigurationen im Zusammenhang mit Gender genauer uns anzuschauen.

...and Gender

In der Einleitung dieses Textes ist davon die Rede, dass es eine gegenderte „sozialgeographische Konnotationsmatrix“ (Strüver 2008; 135) gebe. In diesem Kapitel soll nun dargelegt werden, was mit diesem Wortungetüm gemeint ist. Feministische Kritik an materialistischen Ansätzen nicht nur des Raumes hat diese sehr oft dafür kritisiert, dass sie einem „dichotomischen Dualismus“ verfallen wären (vgl. z.B. Strüver 2008; 125ff., oder Massey 1994; 175ff.). Dabei wurde und wird argumentiert, dass dichotomisches Denken im Allgemeinen eine geschlechtliche Konnotation aufweise, wobei es Dichotomien eigen sei, dass ein Teil dieser zumeist als der dynamische und superiore dargestellt wird; der Andere jeweils als dessen Gegenteil, Genderzuordnung ebenso gleich inklusive. „For within this kind of conceptualization, only one kind of terms (A) is defined positively. The other term (not-A) is conceived only in relation to A, and as lacking in A“ (Massey 1994; 256). Diese dichotomische Struktur findet sich nun laut Massey auch bei den ideologischen Konzeptualisierungen von Zeit und Raum, die –  wie wir bereits weiter oben gesehen haben – dazu tendieren, beide Kategorien auseinander zu reißen und starr gegenüber zu stellen. „There is a whole set of dualisms whose terms are commonly aligned with space and time. With time are aligned History, Progress, Civilisation, Science, Politics and Reason, portentous things with gravitas and capital letters. With space on the other hand are aligned the other poles of these concept: stasis, (‚simple‘) reproduction, nostalgia, emotion, aesthetics, the body“ (Massey 1994; 257). Diese Dichotomie mit ihren gerade eben aufgezählten Eigenschaften hat nun laut Massey ebenso einen ganz klaren Gender-Bias. Zeit als Bewegung, Dynamik, ja Transzendenz des Faktischen überhaupt, ist männlich konnotiert, während Raum in Ermangelung der oben genannten Eigenschaften Stasis und Unbeweglichkeit, reine Immanenz und konkrete Körperlichkeit darstellt und dem Weiblichen zugeordnet wird. Aber auch innerhalb des Räumlichen selbst tritt dieser Gender-Bias nochmals in gleicher Form zutage: Während das Globale hier den Platz der Zeit einnimmt und in vielen Diskursen als das Dynamische gilt, ist der „Ort“, das Lokale, Frauen zugeordnet, wiederum mit Attributen wie: Heim, Nostalgie, Stabilität, Authentizität, Kleinod oder gar Scholle. All diesen Gender-Zuordnungen ist gemein, dass die dem Weiblichen zugeschriebenen Eigenschaften immer als „lack“ (Mangel) des Männlichen und prinzipiell inferior gelten, wobei die männlichen Attribute sodann den Part des Aktiven einnehmen und die weiblichen als Passiva verbleiben. Die passiven Eigenschaften des Weiblichen sind demnach diejenigen des Lokalen oder auch der Natur[20]. Der Mann ist Kultur oder auch beinah gleichbedeutend Ratio, die Frau Natur oder Emotionalität, kurz: das Gegenbild zur Ratio. Der Mann geht hinaus in die Welt, ins räumlich Globale, und verändert sie auch als handelndes Individuum, die Frau bleibt zu Hause, räumlich gesehen also ans Lokale gebunden, und hütet Kind und Küche (früher auch noch verstärkt dank der ideologischen Schützenhilfe der Kirche – die berühmten 3 Ks.)[21] [22]. Dass nun das Globale keineswegs dem Lokalen in einer starren Differenz gegenübergesetzt werden kann, wurde hier schon argumentiert.

Und de facto gehen natürlich auch Frauen hinaus in die weite Welt, wenn auch immer wieder eingeschränkt von Männern. Die „power geometries“ von Frauen sind nun mal ganz andere als diejenigen von Männern. Gesellschaftlich gemachte Räume können für die einen, in der absolut überwiegenden Mehrheit Frauen, von erheblicher Gefahr sein, für andere wiederum nicht (die so genannten Angstraumstudien haben dies auf beeindruckend und gleichsam erschreckende Weise veranschaulicht – vgl. dazu Strüver 2008; 132). „Occupying a particular space and time can be a way of claiming a gendered identity, as in the case of working class adolescent boys’ claim to freedom of the streets. And being in the ‚wrong‘  place or time can therefore challenge gender roles themselves (the lone woman in the pub)“ (Sayer 2000; 116). So ist es auch ein anderes bekanntes Beispiel, dass Frauen aus ländlichen Gegenden in Städte migrieren, um den patriarchalischen und repressiven „power geometries“ am platten Land – Räumen in denen sie eingeschränkt und überwacht werden – zu entfliehen. Die Stadt in ihrer Anonymität, trotz der ebenso hohen vielleicht sogar höheren potenziellen Gefahr Opfer von Gewalt zu werden, bietet einfach mehr Entfaltungsmöglichkeiten jenseits von repressiver Kontrolle (für weitere Beispiele vgl. Massey 1994; 185ff.).

An diesem Punkt angekommen können wir nur fortfahren mit einer Darstellung der „politics of scale“ Debatte. Auf dieser Ebene nämlich, nachdem wir bereits die strukturellen wie physischen Bedingungen für die soziale Konstitution von Raum herausgearbeitet haben, lässt sich nun unser Augenmerk darauf richten, wie soziale AkteurInnen auf den verschiedenen „räumlichen Maßstabsebenen“ (Scales) handeln, „power geometries“ einsetzen und diese genauso wie die Scales selbst zu ändern trachten.

Politics of Scale

Räumliche Maßstabsebenen sind nun als sozial gemachte Kategorien keineswegs für alle Zeit hin fixiert. AkteurInnen mit verschiedenen Zielen und Interessen arbeiten daran, sich innerhalb der räumliche Maßstabsebenen in einer ihnen vorteilhaften Art und Weise zu bewegen. In Zeiten des Fordismus galt nun der Nationalstaat als die unhintergehbare Scale schlechthin[23]. Der Staat schien alles unter seinen Fittichen zu haben, soziale Bewegungen und andere AkteurInnen mussten sich auf dessen Ebene, der nationalen Scale[24], herumschlagen. Heutzutage in Zeiten der so genannten Globalisierung sind andere Scales wiederum von Bedeutung, insbesondere wird immer wieder das Globale herausgestrichen. Grundsätzlich geht es „um die Frage, welche Interessen wie auf welcher Maßstabsebene institutionalisiert werden“ (Wissen 2008; 9). Die Debatten um die „politics of scale“ haben deshalb auch in den letzten Jahren sehr an Fahrt gewonnen. Gerade in solchen Diskussionen wie derjenigen der Globalisierung oder der Normierung der EU ist die Scale-Frage von essentieller Bedeutung. Wenn auch nicht direkt ausgesprochen und wohl auch verschwiemelt spielt die Scale auch in den Debatten um „Multi Level Governance“ (vgl. Brand 2008; 170ff.) oder der Frage nach der Natur der EU – Stichwort Staatenverbund, Verdichtung zweiter Ordnung oder doch neuer Superstaat –  eine erhebliche Rolle.

Nun sind räumliche Maßstabsebenen selbst nichts anderes als gesellschaftliche Produkte, auch wenn die einzelnen Scales nicht unmittelbar von den AkteurInnen in einem praktizistisch verstandenen „doing scale“ gemacht, ja gar konstruiert werden[25]. Die AkteurInnen, die an der Veränderung von „scale“ beteiligt sind, sind dennoch mannigfaltig. Nationalstaaten sind hier z.B. genauso involviert wie soziale Bewegungen oder mehr oder minder multinationale Konzerne. Sie alle versuchen, Entscheidungen auf denjenigen Maßstabsebenen zur Entscheidung zu bringen, auf denen sie am meisten Einfluss haben. „Scales [werden] durch eine Unzahl von – manchmal absichtlich, manchmal ziellos vollzogenen –  sozialen, ökonomischen und kulturellen Handlungen gesellschaftlich produziert und reproduziert“ (Mahon/Keil 2008; 39). Dieser Prozess wird auch „Scaling“ genannt. Dieses Scaling wiederum entwickelt seine Dynamik nun tendenziell um gewisse „skalare Zentren“ herum. Diese Zentren werden mit regulationstheoretischem Zungenschlag oft auch „scalar fixes“ genannt. Diese „können entstehen, wenn interskalare Beziehungen vorübergehend um eine verhältnismäßig etablierte skalare Arbeitsteilung herum stabilisiert werden“ (Brenner 2008; 76). Im Fordismus war eben nun der Nationalstaat die zentrale räumliche Maßstabsebene und damit in gewisser Weise „scalar fix“; heutzutage scheint sich hier ein „shift“ zur globalen Maßstabsebene abzuzeichnen, und einen stabilen „fix“ scheint es gar nicht mehr in der altbekannten Form zu geben. Dennoch kann hier die nationale Scale in diesem Prozess  genauso wie alle anderen, etwa das Lokale, nicht völlig ins Abseits gedrängt werden, sondern eben nur an Relevanz verlieren. Der Staat spielt somit in der Institutionalisierung von Scales weiterhin eine pfundige Rolle. Viel ist deshalb insgesamt in letzter Zeit auch von einer „multiskalaren Perspektive“ die Rede, welche die fordistische Fixierung auf den Nationalstaat hinter sich lässt, gleichsam aber die verschiedenen räumlichen Maßstabsebenen miteinander vermittelt, ohne notwendigerweise vom absoluten Primat einer einzigen Scale auszugehen. Der Neoliberalismus lässt sich in Fragen des gesellschaftlichen Raumes auch dahingehend verstehen, dass er die etablierten skalaren Beziehungen zugunsten von Kapitalmobilität und Standortkonkurrenz verschoben und den ziemlich stabilen „scalar fix“ des Fordismus aufgebrochen hat.

Das Ineinandergreifen und Überlappen der unterschiedlichen räumlichen Maßstabsebenen erlaubt es gewissen sozialen AkteurInnen auch, in emanzipatorischer Absicht oder auch nicht, in gewisser Weise zwischen den Scales hin- und her zu wechseln. „Jumping scale“ (Neil Smith) ist hierbei das Zauberwort und meint nichts weniger, als dass „soziale Akteure, die die existierenden Kräfteverhältnisse herauszufordern trachten, oftmals ‚Scale‘ in ihre strategischen Repertoires einbeziehen und räumliche und gesellschaftliche Dimensionen (nach oben oder nach unten) wechseln, um sich einen Vorteil zu verschaffen“ (Mahon/Keil 2008; 52, Hervorhebung i. O.). In diesem Sinne kommt „scaling“ und „scale jumping“ eine wichtige Rolle in der fortwährenden „Regulation“ der gesellschaftlichen Verhältnisse zu. Gegen ein unreflektiert-praktizistisches Verständnis von „doing scale“ bleibt aber zu sagen, „dass die allermeisten Menschen und Kollektive solche [politics of scale; Anm. G.G,] nicht betreiben, sondern eher die Auswirkungen der Herstellung von Scales und des Agierens entlang verschiedener Handlungsebenen erleben“ (Brand 2008; 182, Hervorhebung i. O.). Je nach Stellung in der gesamtgesellschaftlichen Struktur, und den einem/r dadurch zukommenden „powers“ samt „geometries“ gestaltet es sich als ungemein schwierig, überhaupt daran zu denken, räumliche Maßstabsebenen in irgendeiner Form zu verändern. Frauen, Minderheiten und Menschen aus dem globalen Süden sind in dieser Hinsicht besonders benachteiligt. Die Migrationsströme nach Europa, die nur allzu oft tödlich enden, legen davon Zeugnis ab. Dabei wird nun auch anschaulich, dass die Produktion räumlicher Maßstabsebenen – die skalare Praxis –  ein gesamtgesellschaftliches Verhältnis darstellt. Es wird also Zeit sich – mit Hilfe Marxens – die gesamtgesellschaftlich fetischistische Konstitution der Gesellschaft anzusehen.

Skalare Praxis: Splitter zu Marx und Raum

Innerhalb materialistischer Raumtheorien gilt es als mehr oder minder klar, dass Marx (und Engels) räumliche Veränderungen zwar als wichtig anerkannten, Raum als soziale Kategorie in ihrer Theorie aber nicht in einer zureichenden Form Berücksichtigung gefunden hat (vgl. z.B. Belina/Michel 2007; 8). Vielmehr priorisierte Marx in seinen Schriften die (abstrakte) Zeit, weil diese ja als „gesellschaftlich durchschnittlich notwendige Arbeitszeit“ (vgl. Marx 2005, MEW 23; 49ff.) das Wertmaß selbst bildet. Dennoch sind beide natürlich den räumlichen Veränderungen und Rekonfigurationen gegenüber, die der Kapitalismus ins Werk setzt, sensibel. Engels beschreibt bereits in der „Lage der arbeitenden Klasse in England“ (Engels 1957, MEW 2; 225-506) das reale, gerade auch räumliche Elend, in welches das englische Proletariat durch die kapitalistische Ausbeutung gestoßen wurde. Dabei stößt er auch auf das Phänomen der raschen Urbanisierung[26], oder weniger blumig und mehr heutig formuliert, auf die Entstehung von verslumten (Vor-)Städten: „Oft freilich wohnt die Armut in versteckten Gässchen, aber im allgemeinen hat man ihr ein apartes Gebiet angewiesen, wo sie, aus den Augen der glücklichen Klassen verbannt, sich mit sich selbst durchschlagen mag, so gut es geht“ (Engels 1957, MEW 2; 259, siehe insbesondere auch 284ff.).

Marx selbst widmet den elendigen Wohnbedingungen der ArbeiterInnen gelegentliche Randbemerkungen im Kapitel um den „Normalarbeitstag“ (Marx 2005, MEW 23; 279-321) im ersten Band des Kapitals. Seine expliziten theoretischen Überlegungen zu räumlichen Settings finden sich dann aber im zweiten Band selbigen Werkes. Dort geht er auf die Notwendigkeit des Transports der Waren ein und der Frage nach der Wertzusetzung dieser „Transportarbeit“ durch Ortsveränderung[27] (vgl. Marx 1963, MEW 24; 150-153) nach, da Waren nun mal einfach nicht selbst auf den Markt spazieren können. Marx erwähnt in dieser Erörterung auch, eigentlich nur en passant, dass verschiedene Dinge natürlich ihre „physikalischen Eigenheiten“ haben; der Transport durch Raum und Zeit also auch auf diese Rücksicht zu nehmen hat (vgl. Marx 1963, MEW 24; 151). Schließlich spricht er in diesem Teil des zweiten Bandes des Kapitals die Zerfurchung und Vermüllung der Landschaft an, die durch eine entwickelte Transportindustrie vorangetrieben wird und gerade heutzutage in Zeiten von Globalisierung und überbordendem (Individual-)Automobilismus besonders frappant erscheint. Denn die kapitalistische Produktionsweise „vermehrt den Teil der gesellschaftlichen Arbeit, lebendiger und vergegenständlichter, der im Warentransport verausgabt wird, zuerst durch Verwandlung der großen Mehrzahl aller Produkte in Waren, und sodann durch die Ersetzung lokaler durch entfernte Märkte“ (Marx 1963, MEW 24; 153). Der um die halbe Welt geschickte Joghurtbecher lässt grüßen[28].

Was Marx aber auch ganz klar macht, ist, welche Voraussetzungen es zur Schaffung des abstrakten kapitalistischen Raumes bedarf, der ja immer mehr von der Zeit aufgefressen oder eingesogen zu werden scheint. Raum muss nämlich unter privater Verfügungsgewalt stehen; er muss folglich Warenform annehmen. Dies geschah und geschieht partiell, großteils imperialistisch induziert, auch noch durch die so genannte „ursprüngliche Akkumulation“ (vgl. Marx 2005, MEW 23; 741-792). Denn wenn Raum nicht als solcher abstrakt erfasst und unter private Verfügungsgewalt gestellt ist, gibt es keine ArbeiterInnen, die ihre Arbeitskraft bei Strafe des Untergangs verkaufen müssen. Marx macht genau dieses Faktum nochmals im wenig rezipierten 25sten und letzten Kapitel des ersten Bandes des Kapitals klar. Dort zeigt er nämlich am Beispiel der Kolonien, dass, sofern plattes Land nicht Warenform angenommen hat, es keinen (Überlebens-)Anreiz für ArbeiterInnen spendet, in die Fabrik zu gehen. „Anders in den Kolonien. Das kapitalistische Regiment stößt dort überall auf das Hindernis des Produzenten, welcher als Besitzer seiner eignen Arbeitsbedingungen sich selbst durch seine Arbeit bereichert statt den Kapitalisten“ (Marx 2005, MEW 23; 792). Hier braucht es dann schon den Zwang des Staates, um die ArbeiterInnen und den Boden jeweils der Ware Untertan zu machen[29].

In Anschluss an Marx könnte eins nun die Schaffung der verschiedenen räumlichen Maßstabsebenen „skalare Praxis“ (Belina 2008; 106) nennen. Dabei gilt es zu verstehen, dass es verschiedene Raumformen gibt, von denen manche, wie der reine physikalische Raum, relativ unabhängig sind von anderen, ja diesen sogar vorangehen. Denn die physikalische Ausdehnung von Dingen, Menschen inklusive, und andere nicht minder physikalische Eigenschaften dieser gehen –  wie wir gesehen haben – der sozialen Raumproduktion in absolutem Sinne voraus. Diese physikalischen Eigenschaften sind grundsätzlich für die soziale Herstellung von Raum (vgl. grundlegend Bhaskar 2008; 12ff.), für skalare Praxis an sich, wiewohl ebenjene Produktion nicht auf diese Voraussetzungen reduziert werden kann. „Skalare Praxis“ als Begriff legt nun nahe, dass sozialer Raum unmittelbar praktisch konstituiert, vielleicht sogar konstruiert würde. Dies wird er aber mitnichten in einer individualistischen Art und Weise, gar als unmittelbare Performanz oder ähnliches. Die meisten Leute betreiben nämlich gar keine „politics of scale“; ihre Handlungen werden vielmehr von diesen Maßstabsebenen selbst erst ermöglicht wie gleichzeitig restringiert, auch wenn die Ebenen selbst ohne ihr – gesamtgesellschaftliches – Handeln selbst nicht existieren würden (zur Erklärung des allgemeinen Verhältnisses von Struktur und Handlung vgl. Bhaskar 1998; 31ff.). Die Konstitution von räumlichen Maßstabsebenen, wie etwa der nationalen oder gar der globalen des Weltmarktes, ist immer ein gesamtgesellschaftlicher Prozess und nur als solcher zu begreifen und zu dechiffrieren. Wenn Belina (2008; 117) nun schreibt: „Räumliche Maßstabsebenen des Sozialen liegen nicht ‚an sich‘ vor, sind aber auch nicht auf reine Blickwinkel zu reduzieren, sondern werden im sozialen Prozess als gesellschaftliche Wirklichkeiten produziert, die es zu erklären gilt“ – dann trifft er damit aber nur die halbe Wahrheit. Denn natürlich gäbe es keine sozialen Scales, wenn diese nicht durch „die skalare Praxis“ der Menschen hindurch (re-)produziert würden. Für die Einzelnen in diesem fetischistischen Prozess liegen die „scales“ aber sehr wohl als Voraussetzung „an sich“ vor. Die Reproduktion derselbigen ist nämlich eine gesamtgesellschaftliche und stellt sich gerade so dar, dass sie über die allermeisten Menschen als eine Art „Restriktion“ hereinbricht. Dies zeigt schon an, worauf sich die Analyse zu richten hat. Handeln im Kapitalismus findet nämlich nicht alleinig so statt, dass eine „materielle Verdichtung von Kräfteverhältnissen“, wo auch immer die Kräfte der Verhältnisse herstammen mögen, die sozialen Beziehungen alleinig konstituieren würde. Kurzum das Handeln ist zwar Ausgangspunkt aller Gesellschaftlichkeit; dieses Handeln geschieht aber unter unfreien und einschränkenden Bedingungen – „[d]ie Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen“ (MEW 8; 115). Nun ist die Form von Unfreiheit im Kapitalismus aber eine spezifische – nämlich die der Herrschaft des Wertes und seiner Verwertung. Dies bedeutet gerade auf die Ebene der gesellschaftlichen Synthesis vorzudringen. Und diese bilden die Menschen im Kapitalismus eben in einer unbewussten gesamtgesellschaftlichen Handlungs- und Praxisform. „Solange die menschliche Gesellschaft nicht zum Selbstbewusstsein als ‚Verein freier Individuen‘ gelangt ist, der die Bedingungen und Folgen seines gesellschaftlichen Handelns immer schon mitreflektiert und in freier, bewusster Entscheidung über die Realisierung seiner Möglichkeiten bestimmt, – solange verdichten sich die Verkettungszusammenhänge auch immer wieder zu blinden Handlungsmustern, zur Matrix einer ‚zweiten Natur‘, die sich den Individuen gegenüber verselbstständigt und wie ein ‚Ding da draußen‘ erscheint“ (Kurz 2005; 206, Hervorhebung i. O.). Eine praktische Änderung der „scales“ müsste sich gerade auch auf diese fetischistische Ebene konzentrieren und wohl auch in einem Prozess der allgemeinen Emanzipation dorthin vorkämpfen.

Dies bedeutet umgekehrt natürlich nicht, dass nicht auch das Handeln gewisser AkteurInnen in kleinerem Rahmen Auswirkungen zeitigen können. Das tun diese sehr wohl. Sie verändern die räumlichen Maßstabsebenen ja auch durch ihr Handeln – eins denke nur an die Globalisierung. Die Form ist diesen Veränderungen aber bereits vollends vorausgesetzt. Und diese Form bleibt eben durch diese Änderungen hindurch die gleiche, und Raum auf welcher räumlichen Maßstabsebene auch immer bleibt somit ein verdinglichter der unmittelbaren Praxis vorausgesetzter.

Conclusio – Von den Grenzen des Raumes und durchsichtiger partizipatorischer Zugänglichkeit

In diesem Text wurde bisher immer darauf insistiert, dass Raum von Wichtigkeit sei. Soziale Prozesse haben unweigerlich auch eine räumliche Seite, und diese sollte bei Analysen kurzum nicht vergessen werden – „there is no such thing as non spatial processes“ (Sayer 2000; 121). Besonders Andrew Sayer argumentiert nun, dass die Theoretisierung von  Raum zwar essentiell sei, es aber dennoch so etwas gäbe wie eine „spatial flexibility or contingency“ (Sayer 2000; 126). Damit ist gemeint, dass sich viele soziale Prozesse in mehreren räumlichen Konstellationen ausdrücken können. Räumlichkeit in diesem Sinne also keinen wirklichen Unterschied macht. Räume und Räumlichkeit an sich sind in vielen sozialen Prozessen nur von sekundärer Bedeutung. Im Prinzip ist Sayers Einwurf nur ein Plädoyer dafür, soziale Beziehungen als „powers“ und „tendencies“ zu konzeptualisieren (vgl. allgemein zu diesem Ansatz Bhaskar 1998; 1ff.). Denn die genaue räumlich-soziale Ausgestaltung, z.B. eines Grazer Randbezirks oder einer Wiener Einkaufsmeile,  ist eben von vielen – kontingent verbundenen – Faktoren abhängig. Dennoch lassen sich eben bestimmte „powers“, wie jene der kapitalistischen Produktion immanenten „forces of accumulation“, auch in ihren räumlichen Auswirkungen benennen, und diese treten in konkreten Situationen dann auch mit Bestimmtheit auf – umgeben von anderen kontingenten Bedingungen. Wobei „[c]ontingent means ‚neither necessary nor impossible‘; it does not mean undetermined or uncaused. To say that two things are contingently related is to say that they could exist independently of one another, not that they could exist independently of everything (…). Contingency is also not to be confused with importance! Contingent may be unimportant or important” (Sayer 2000; 123f.). Sayer tritt also dafür ein, die verschiedenen „powers“ auch in ihrer räumlichen Form zu untersuchen, und erst ex post lässt sich sodann sagen, ob diese auch wirklich eine Auswirkung auf die immer gegebene konkrete Situation haben, in welcher eben verschiedene „powers“ real zusammenkommen (vgl. auch Sayer 2004; 262). Selbiges gilt natürlich auch für die hier im Text identifizierten Eigenschaften und kausalen Beziehungen.

Was dieser Text aber nun zeigen wollte, war, dass die räumlichen Konfigurationen des Kapitalismus vermachtete Herrschaftsverhältnisse darstellen. Strukturell durch die gerade auch räumlichen Zwänge der Akkumulation und der Warenform des Bodens wie auch auf subjektiver Ebene durch die ziseliert-hierarchischen „power geometries“ einzelner Individuen und Gruppen. Die Produktion von Raum im Kapitalismus ist jedenfalls ein undurchsichtiger Prozess. Ziel müsste es nun sein, diesen auf gesamtgesellschaftlicher Ebene durchsichtig zu machen, also als Zweck zu setzen, Menschen den Zugang zu Raum im hinreichenden Maße zu verschaffen – partizipatorische Zugänglichkeit zu gestalten. Jedem/jeder nach seinen/ihren Bedürfnissen bedeutet eben auch, Menschen überhaupt erst einmal räumlichen Zugang zu vielerlei Dingen zu verschaffen – eins denke nur an die Forderungen der vielgestaltigen migrantischen „freedom of movement“-Bewegungen; stets im Gedächtnis behaltend die natürlichen ökologischen Grenzen gewisser Formen von (Massen-)Mobilität, wie sie heutzutage immer deutlicher hervortreten. „We need to ask in other words, whether our relative mobility entrenches the spatial imprisonment of other groups“ (Massey 1994; 151). Und da die Abschaffung der heutigen herrschaftlichen räumlichen Konfigurationen kein individueller Prozess sein kann, so sollte am Ende die allgemeine Zugänglichkeit und die Mobilität aller stehen, eingedenk ökologischer Machbarkeiten und physischer Voraussetzungen. Darunter sollten wir es eigentlich nicht geben.

E-Mail: georg.gangl@inode.at

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Anmerkungen:

[1] Weitere zu nennende wichtige TheoretikerInnen, die in dem einen oder anderen Sinne Impulse für eine kritische Raumforschung gegeben haben, sind Henri Lefebvre, Michel Foucault, und David Harvey (vgl. dazu Belina/Michel 2007a; 14ff.). Besonders Letzterer, auf den sich auch Teile dieses Textes beziehen, ist für seine Theoretisierungen des Raumes in Bezug auf die sich ändernden Bedingungen kapitalistischer Akkumulation bekannt (vgl. z.B. unter anderen Harvey 1982 oder Harvey 1991).

[2] Gerade in den letzten Jahren sind in der Reihe „Raumproduktionen: Theorie und gesellschaftliche Praxis“ des Dampfboot Verlages sehr brauchbare Sammelbände erschienen, die zum Teil auch Texte aus der angloamerikanischen Debatte zum ersten Mal auf Deutsch zugänglich machen (vgl. insbesondere Belina/Michel 2007 und Wissen/Röttger/Heeg 2008). Diese Arbeit fußt zu einem großen Teil auf diesen beiden Sammelbänden.

[3] Natürlich kann nicht im Vorhinein dekretiert werden, ob diese Kämpfe emanzipatorischen Charakters sind oder zumindest einen solchen Impuls haben.

[4] Anm. d. Red.: glokal/Glokalisierung – Kunstbegriff aus den beiden Adjektiven „global“ und „lokal“, der auf die Wechselwirkung zwischen globalen und lokalen Handlungen und Entwicklungen, Ideen und Entscheidungen verweist. Quelle: Schubert, Klaus/Martina Klein: Das Politiklexikon. 4., aktual. Aufl. Bonn: Dietz 2006.

[5] Vgl. dazu Smith (2007; 71): „Im Übergang zum Kapitalismus stellen die Einhegungen (enclosures) [Klammersetzung i. O; Anm. G.G.] eine bemerkenswerte historische Schöpfung (...) dar. In dem Maße, in dem das Kapital seinen Einfluss ausdehnt, wird der gesamte Globus in rechtlich geschiedene Parzellen aufgeteilt, die durch echte oder imaginäre große weiße Zäune getrennt sind.“

[6] Siehe auch Smith (2007; 68), der das Ganze in einem marxistischeren Vokabular auszudrücken weiß: „Die Form, in der der Gebrauchswert erscheint, seine räumliche Ausdehnung in einer, zwei oder drei Dimensionen und seine daraus resultierende Gestalt bilden seine räumlichen Eigenschaften.“

[7] Der hier als Referenz geltende Artikel Doreen Masseys namens „Politics and Space/Time“(Massey 1994; 249-269) ist in dem von Belina und Michel (2007) herausgegeben Sammelband unter dem Titel „Politik und Raum/Zeit“ in deutscher Übersetzung erschienen. Vgl. Massey 2007; 111-132.

[8] Ganz zu schweigen vom Gender-Bias dieser Dichotomie, in welcher die Zeit als das dynamische Element Männlichkeit repräsentieren soll und das Weibliche der angeblichen räumlichen Stasis gleichgesetzt wird. Auf diesen Punkt wird weiter unten noch genauer eingegangen werden.

[9] Doreen Massey erwähnt auch, dass einige andere postmoderne Ansätze, wie derjenige Frederic Jamesons, dieses Verhältnis genau auf den Kopf stellen, und –in Zeiten von Globalisierung und Weltmarktbeben allerorten – den Raum als das Dynamische schlechthin sehen (vgl. Massey 1994; 264ff.). Anyway, auch ein solcher Ansatz verfehlt die „Interwovenheit“ von Zeit und Raum.

[10] Diese Konzeption kommt wohl nicht zufällig im 17. Jahrhundert auf. Ihr scharfer Mechanizismus und ordnender Gedanke des nicht würfelnden „Laplaceschen Dämon“ begleiten die Ideologiebildung des Kapitalismus nicht umsonst für die nächsten Jahrhunderte, um dann im strikten Positivismus zu landen. All diesen Konzeptionen gemein ist (vgl. Bhaskar 2008; 79ff.), dass sie von einem atomistisch monadischen Erkenntnissubjekt ausgehen, das in einfacher Sinneserfahrung die Objekte in ihrer (immerwährenden) Regularität (Stichwort: Humesche Kausalität – vgl. Flatschart 2008; 48ff.) erkennt. Eine solche Vorstellung stinkt gewaltig nach dem „sinnfreien“ abstrakten kapitalistischen Subjekt. Auf diese Diskussion kann hier aber nicht mehr genauer eingegangen werden. Siehe dazu auch Ortlieb/Ulrich 2007.

[11] Allgemeiner formuliert: „Where there are two or more objects in an internal relation, that is one in which the nature of each of the relata depends on the other(s) through their relationship itself, instead of merely being contingently or externally related, it is possible for them to develop emergent powers“ (Sayer 2004; 266, Hervorhebung i. O.).

[12] Marx hat diesen Prozess wortgewaltig auf den Punkt gebracht: „Die Entdeckung der Gold- und Silberländer in Amerika, die Ausrottung, Versklavung und Vergrabung der eingebornen Bevölkerung in die Bergwerke, die beginnende Eroberung und Ausplünderung von Ostindien, die Verwandlung von Afrika in ein Geheg zur Handelsjagd auf Schwarzhäute, bezeichnen die Morgenröte der kapitalistischen Produktionsära. Diese idyllischen Prozesse sind Hauptmomente der ursprünglichen Akkumulation. Auf dem Fuß folgt der Handelskrieg der europäischen Nationen, mit dem Erdrund als Schauplatz“ (Marx 2005, MEW 23; 779). Siehe auch Smith (2007; 69): „Der Prozess der Entdeckungsreisen, der dazu beitrug den Weltmarkt zusammenzufügen, wird historisch zunehmend vom Prozess des Kolonialismus überschattet“.

[13] „Vast concentrations of productive power here contrast with relatively empty regions there. Tight concentrations of activity in one place contrast with sprawling far-flung development in another. All of this adds up to what we call the ‚uneven geographical development‘ of capitalism.“ (Harvey 1982; 373)

[14] Harvey nennt (vgl. Harvey 1982; 373-412) noch andere durchwegs widersprüchliche Faktoren, die zum „spatial structuring“ wie der ungleichen geographischen Entwicklung des Kapitalismus beitragen. Ich habe mich hier auf die meiner Ansicht nach wichtigsten Elemente beschränkt.

[15] Viele mehr oder minder trendige Stadtviertel mit Boboflair und Gentrifizierungsdruck ziehen ihren Charme gerade aus dieser chaotischen Komponente, diesem undurchsichtigen Ineinander von alt und neu, von abgewrackt und trendy.

[16] Es kommt eben immer auf die je einzelne soziale Beziehung selbst an: „Some of these relations [gemeint sind ‚spatial relations‘, Anm. G.G.] will be, as it were, contained within the place; others will stretch beyond it, trying any particular locality into wider relations and processes in which other places are implicated too.“ (Massey 1994; 120)

[17] Auf den Genderaspekt dieser Relationen wird im nächsten Kapitel noch genauer eingegangen.

[18] Dieser Prozess wirkt sich, laut Harvey, auch auf die allgemeinen künstlerischen Darstellungsformen aus. Vor dem Hereinbrechen der globalisierten Welt galt in der Kunst der Geist des Modernismus: „Realist narrative structures assumed, after all, that a story could be told as if it was unfolding coherently, event after event, in time. Such structures were inconsistent with a reality in which two events in quite different spaces occurring at the same time could so intersect as to change how the world worked“ (Harvey 1991; 265). Die neue postmoderne „reality“ der Unübersichtlichkeit bedeutet nun in Harveys Worten: „Disruptive spatiality triumphs over the coherence of perspective and narrative in postmodern fiction, in exactly the same way that imported beers coexist with local brews, local employment collapses under the weight of foreign competition, and all the divergent spaces of the world are assembled nightly as a collage of images upon the television screen.“ (Harvey 1991: 302)

[19] Doreen Massey führt auch noch andere Beispiele der ziselierten „power geometries“ des (globalisierten) Kapitalismus an: „Air Travel might enable businessmen to buzz across the ocean, but the concurrent decline in shipping has only increased the isolation of many island communities ... Pitcairn like many other pacific islands, has never felt so far from its neighbours“ (Massey 1994; 148).

[20] Vgl. auch das bekannte Marx-Zitat aus dem Kapitel zur „trinitarischen Formel“, das sich am Ende des 3. Bandes des Kapital findet: „[D]ie verzauberte, verkehrte und auf den Kopf gestellte Welt, wo Monsieur le Capital und Madame la Terre als soziale Charaktere, und zugleich unmittelbar als bloße Dinge ihren Spuk treiben“ (Marx 1965, MEW 25; 838). Auch in diesem Marxschen Satz, der die grundlegenden Fetischisierungen der kapitalistischen Produktionsweise polemisch anprangern möchte, findet sich die geschlechtliche Konnotation, dass das tendenziell Dynamische –das Kapital – männlich, und das tendenziell Statische –die Erde – weiblich sei. Tendenziell und nicht vollends gegeben ist diese Zuordnung hier allein deshalb, weil ja auch der Boden, den Fetischisierungen gemäß, die Marx in diesem Kapitel aufzeigen will, etwas Verwertbares aus sich heraus zu gebären scheint: nämlich Grundrente (vgl. Marx 1965; MEW 25; 790ff.); somit auch der weibliche Part nicht gänzlich als das Untätige oder gar Passive erscheint.

[21] Eine feministische Theorie, die all diese geschlechtlichen Konnotationen mit der fetischistischen Grundstruktur der kapitalistischen Gesellschaft zusammen zu denken versucht, ist diejenige von Roswitha Scholz. Vgl. Scholz 2000 bzw. Scholz 2005.

[22] Hier stellt sich natürlich auch die Frage, inwieweit Räume nicht nur gegendert, sondern auch „racialized“ sind. Denn auch für gewisse „races“ gilt ja, dass sie in ihrer Bewegungen eingeschränkt werden, sodass auch deren „power geometries“ anders zu bestimmen wären. Speziell auch dann, wenn eins mit einbezieht, dass sich der „rationale“ weiß-westliche Mann ja nicht nur in Abgrenzung zur irrational imaginierten, naturhaften Frau definiert hat, sondern auch in einer ebensolchen gegen den angeblich ebenso „naturwüchsigen Neger“ wie auch den „frivolen, wenn nicht gleich schwulen, Orientalen bzw. Muselmann“. Vgl. zum männlich-weiß-westlichen Subjekt allgemein Kurz 2003; 152ff.

[23] Nochmals zum Scale-Begriff selbst: „Für den Begriff Scale lässt sich im Deutschen nur schwer eine adäquate Übersetzung finden.(...). Er bezeichnet sowohl die einzelne räumliche Maßstabsebene (local scale, national scale, global scale etc.), als auch das Verhältnis verschiedener Maßstabsebenen zueinander –bzw. wie im Ausdruck Politics of Scale – die Maßstäblichkeit sozialer Prozesse“ (Wissen 2008; 26, Fn. 4)

[24] Scales im Kapitalismus zeichnen sich wiederum, da sie herrschaftlichen Charakters sind, durch eine „strukturelle Selektivität“(Bob Jessop) aus. D.h. z.B. für die nationale Scale: „Particular forms of state privilege somes strategies over others, privilege the access of some forces over others, some interests over others, some time horizons over others, some coalition possible over others“ (Jessop 1990; 10 zit. nach Wissen 2008; 27, Fn. 10).

[25] Allgemein zum Verhältnis von Struktur und Handeln vgl. Bhaskar 1998; 34f., 40ff., sowie zum Fetischgehalt dieser Konstitution Kurz 2005 bzw. Kurz 2007.

[26] Faktisch gehört eine rasche Urbanisierung ja zu den räumlichen Voraussetzungen gelingender kapitalistischer Akkumulation. Die ArbeiterInnen müssen den Betrieben ja in großer Zahl zur Verfügung stehen. In den Zeiten vor Automobilismus und öffentlichem Verkehr bedeutete dies natürlich auch, dass die Menschen in relativer Nähe ihrer Arbeitsstätten zu hausen hatten. Engels zur allgemeinen Urbanisierung und ihren Effekten: „Die kolossale Zentralisation, diese Anhäufung von dritthalb Millionen Menschen auf einem Punkt hat die Kraft dieser dritthalb Millionen verhundertfacht [die Rede ist von London, Anm. G.G.] (...). Die brutale Gleichgültigkeit, die gefühllose Isolierung jedes einzelnen tritt umso widerwärtiger und verletzender hervor, je mehr diese einzelnen auf den kleinen Raum zusammengedrängt sind; und wenn wir auch wissen, dass die Isolierung des einzelnen, diese bornierte Selbstsucht überall Grundprinzip unserer heutigen Gesellschaft ist, so tritt sie doch nirgends so schamlos unverhüllt, so selbstbewusst auf als in dem Gewühl der großen Stadt“ ( Engels 1957, MEW 2; 256f., Hervorhebung i. O.).

[27] „Was aber die Transportindustrie verkauft ist die Ortsveränderung selbst“ (Marx 1963, MEW 24; 60).

[28] Anthony Giddens erwähnt noch einen Punkt, der gerade heutzutage in Zeiten von Digitalisierung und Mikroelektronisierung spannend ist – das Auseinandertreten von Kommunikations- und Transportmitteln: „Aber die radikalste Trennung, die in der modernen Geschichte von Bedeutung ist (und deren Implikationen heute noch lange nicht ausgeschöpft sind), ist die durch die Entwicklung des elektronischen Fernmeldewesens vollzogene Trennung der Kommunikations- von den Transportmitteln, die immer auf irgendeine Weise die Mobilität des menschliche Körpers vorausgesetzt haben“ (Giddens 1997; 175).

[29] Die hier aufgezählten Bezüge Marxens und Engels zu Raum sind sicherlich nicht vollständig. Sie sollen nur exemplarisch darstellen, dass beide sich mit den räumlichen Umstrukturierungen des Kapitalismus beschäftigt haben, ohne eine explizite Theorie des Raumes, oder der räumlichen Formen der kapitalistischen „forces of accumulation“, zu formulieren.

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ISSN 1814-3164 
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