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Slave Cubela: Krise und
sozialer Kampf - Es ist noch nicht lange her, dass man in linken politischen Kreisen mit der Andeutung, dass eine schwere globale Wirtschaftskrise in naher Zukunft zu erwarten sei, kaum Gehör fand. Üblicher waren da abrupte Gegenreaktionen wie der Verweis darauf, dass solche Krisenprognostik mit Blick auf die Entwicklung des Kapitalismus längst überholt sei oder aber die Frage, welche Bedeutung denn eine solche Krise, wenn sie denn einträfe, für eine links-emanzipatorische Praxis überhaupt habe. Inzwischen hat sich in dieser Hinsicht ohne Zweifel einiges verändert. Allein, auch wenn die Linke inzwischen die erstaunliche Krisendynamik des gegenwärtigen Kapitalismus breit diskutiert und auch wenn sie nach und nach bemerkt, dass beispielsweise durch die Konterkarierung der neoliberalen Diskurse neue Spielräume für die eigene Praxis entstehen, so herrscht doch innerhalb der Linken immer noch große Unsicherheit bezüglich der Interpretation der Krise. Ist das alles nicht doch nur eine Episode, d.h. wird der alte Schlawiner Kapitalismus nicht bald in neuer Festigkeit wieder vor uns stehen? Wird die Krise nicht nur der Linken, sondern auch womöglich der Rechten Zulauf geben? Und grundsätzlicher noch: in welchem Verhältnis steht diese Krise überhaupt zu den sozialen Kämpfen? Ist sie Produkt derselben und wenn ja, inwiefern? Oder ist es eher umgekehrt so, dass die Krise diese Kämpfe befeuern wird und wenn ja, ist diese letzte Vorstellung nicht zu mechanistisch, eindimensional, schematisch? Zur Diskussion dieser Unsicherheiten ist es zunächst hilfreich uns zu vergegenwärtigen, dass aus verschiedenen Gründen innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft zwischen stabilen und instabilen Herrschaftsperioden unterschieden werden sollte. Erstens: wird diese Unterscheidung nicht getroffen, dann erscheint der Kapitalismus unweigerlich als eine Art beständige soziale Dauerkrise und es hätte den Anschein, als ob diese Gesellschaft keine goldenen Zeitalter gekannt hätte, in denen eine radikale Transformation dieser Gesellschaft außer Reichweite war.[1] Zweitens: wenn wir stabile Herrschaftsperioden innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft unterstellen, dann behaupten wir nicht, dass es innerhalb dieser Gesellschaft Phasen ohne soziale Kämpfe gegeben hätte, sondern wir wollen damit nur dem Umstand Rechnung tragen, dass in bestimmten Perioden diese Kämpfe durch ihre beschränkten Ziele oder ihre beschränkte Massenbasis keine Aufhebung des Kapitalismus greifbar machen können. Drittens schließlich: mit dieser Unterscheidung präzisiert sich das Problem des Verhältnisses von Krise und sozialem Kampf insofern, als es nun gilt zwei Fragen zu beantworten. Zunächst, wie stellen sich stabile Sozialverhältnisse innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft her? Und dann, wann und vor allem warum werden sie erschüttert, so dass der globale Kapitalismus immer wieder in Phasen der Instabilität übergeht? Nimmt man sogleich die erste der beiden Fragen auf, dann kann mensch antworten: soziale Stabilität zeichnet die bürgerliche Gesellschaft immer dann aus, wenn die beherrschten Klassen entweder mit diesen Verhältnissen zufrieden sind oder aber sich ihnen gegenüber ohnmächtig fühlen. Auf der einen Seite also gelingt es der bürgerlichen Gesellschaft immer wieder – durch materielle Partizipation, verschiedene Fetischformen und durch geschickte Kommunikationsstrategien der herrschenden Klassen – dafür zu sorgen, dass in der Wahrnehmung der beherrschten Klassen die sozialen Verhältnisse mit ihren eigenen Gerechtigkeitsvorstellungen, Hoffnungen und Träumen übereinzustimmen scheinen. Auf der anderen Seite wiederum gelingt es der bürgerlichen Gesellschaft diese Legitimitätsproduktion durch die Entwertung oder Verzerrung des sozialen Selbstbewusstseins der beherrschten Klassen zu flankieren, d.h. selbst wenn diese Klassen an den Verhältnissen zu zweifeln oder gar zu verzweifeln beginnen, so bleiben sie ohne für sie erkennbare subjektive oder objektive Potentiale zur Aufhebung der bürgerlichen Gesellschaft paralysiert. Schlimmer noch, es droht hiermit eine regelrechte Ohnmachtsspirale innerhalb der beherrschten Klassen, denn wenn die vorhandene Unzufriedenheit immer wieder lediglich in bürgerlichen Organisationsformen und Horizonten mündet, dann sind Kampferfolge zwar möglich, behalten jedoch einen provisorischen Charakter, da sie meist nach der Erschöpfung der Kämpfe – und mit dem Fortbestand der bürgerlichen Verhältnisse – kassiert werden. Aber, und damit kommen wir zur zweiten Frage: warum und wie wird diese Legitimitäts- und Ohnmachtsproduktion innerhalb der beherrschten Klassen durchbrochen, warum und wie kommt es zu jenen Phasen instabiler Herrschaft, in denen der Kapitalismus wankt und eine Überwindung desselben in greifbare Nähe rückt? Werfen wir zur Beantwortung dieser Frage einen genauen Blick auf die Marxsche Theorie, dann scheint es, als ob wir einerseits feststellen müssen, dass eine ungeheure Vielzahl von Faktoren eine solche Instabilität zur Folge haben kann – sodass Marx nicht von ungefähr schreibt: „Die Weltgeschichte wäre allerdings sehr bequem zu machen, wenn der Kampf nur unter der Bedingung unfehlbar günstiger Chancen aufgenommen würde. Sie wäre andererseits sehr mystischer Natur, wenn ‚Zufälligkeiten‘ keine Rolle spielten. Diese Zufälligkeiten fallen natürlich selbst in den allgemeinen Gang der Entwicklung und werden durch andere Zufälligkeiten kompensiert. Aber Beschleunigung und Verzögerung sind sehr von solchen ‚,Zufälligkeiten‘ abhängig – unter denen auch der ‚Zufall‘ des Charakters der Leute, die zuerst an der Spitze der Bewegung stehen, figuriert.“[2] Andererseits mündet, wenn nach Marx insbesondere historische Beschleunigungen und Verzögerungen vom Zufall abhängen, die Marxsche Gesellschaftskritik damit keineswegs in das Postulat einer abstrakten Vielgestaltigkeit und Offenheit des historischen Prozesses, sondern sie verweist jenseits des Zufalls zugleich auf einen zentralen Motor der Geschichte, der – vor allem langfristig betrachtet – die gesellschaftlichen Verhältnisse und damit auch die bürgerliche Gesellschaft immer wieder notwendig in Bewegung bringt: die menschliche Arbeit.
Betrachten wir deshalb aus der Marxschen Perspektive diesen Motor im Folgenden etwas genauer, dann fällt zweierlei auf. Zum einen, so betont Marx beharrlich, fußt die bürgerliche Gesellschaft auf der unablässigen Entwicklung der menschlichen Arbeit, und das impliziert, dass alle anderen ökonomischen Erscheinungsformen dieser Gesellschaft abhängige Variablen dieses bürgerlichen Zwangs zur dauernden Steigerung der Produktivkraft der Arbeit sind. Die Größe der industriellen Reservearmee etwa ist abhängig von der nachgefragten Arbeitskraft und damit ist zugleich auch die Lohnentwicklung entscheidend geprägt durch den jeweiligen Stand der Arbeitsproduktivität. Oder: die Ausweitung der Zirkulation, insbesondere durch die Expansion des Weltmarkts und des Kredits, hängt ebenso ab von der Arbeitsproduktivität, denn da diese kontinuierlich ansteigt, müssen auch entsprechende Absatzmärkte stets zur Verfügung stehen. Des weiteren sorgt die unaufhörliche Steigerung der Arbeitsproduktivität für eine immer stärker werdende Tendenz zur Überakkumulation des Kapitals und damit für eine verschärfte Krisenanfälligkeit der bürgerlichen Gesellschaft, denn zum einen ist dies Kapital letztlich nur aufgehäufte menschliche Arbeit, d.h. je produktiver diese Arbeit wird, desto größer werden auch die aufgehäuften Kapitalmengen; zum anderen wiederum sorgt die steigende Arbeitsproduktivität zugleich dafür, dass die rentable Reinvestition dieser Kapitalmengen immer schwieriger wird, da auf fortgeschrittenen Produktionsniveaus immer gewaltigere Kapitalmengen für immer kleinere Produktivitätsfortschritte nötig werden[3], sodass das Kapital schließlich die Internationalisierung der Produktion forcieren muss, es in soziale Bereiche eindringt, in denen es bisher keine oder kaum eine Rolle spielte und es immer häufiger zu Finanzkapital wird, das diverse Prozesse fiktiver Kapitalanhäufung durchläuft. So sehr aber Marx um die stille, aber gewaltige Maulwurfsarbeit der menschlichen Arbeit innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft wusste und so sehr er sie in seiner Kritik der politischen Ökonomie uns allen zu Bewusstsein zu bringen suchte, eben so sehr sah er, wie schwierig, ja fast unmöglich es für die Subjekte der Arbeitsproduktivität, die LohnarbeiterInnen, sein muss, sich der allumfassenden sozialen Dimension ihrer Praxis bewusst zu sein. Der Arbeitslohn verbirgt das „Umsonstarbeiten des Lohnarbeiters“[4] zum Zwecke der Mehrwertgewinnung diesem selbst, so dass der Lohnarbeiterin ihre sich beständig dynamisierende Produktion des zusätzlichen gesellschaftlichen Reichtums letztlich als statischer Prozess, als im besten Fall durch Lohnerhöhungen veränderter gerechter Tauschkreislauf erscheint. Teilung der Arbeit in geistige und körperliche, ihre Kombination unter dem Kommando des Kapitals, die Degradierung der Arbeitskraft zum Anhängsel der Maschine und letztlich die Ersetzung der menschlichen Arbeitskraft durch Verwissenschaftlichung und Technologisierung der Produktion sorgen außerdem dafür, dass die eigene Produktivkraft als Produktivkraft des Kapitals erscheint. Zu guter Letzt ist die Komplexität der ökonomischen Erscheinungsformen der bürgerlichen Gesellschaft dafür entscheidend, dass ähnlich wie etwa in der Vulgärökonomie die ökonomische und gesellschaftliche Totalität im Bewusstsein der LohnarbeiterInnen in verschiedene, voneinander unabhängige Sphären zerfällt, die scheinbar alle miteinander in relativer Selbständigkeit und gegenseitiger Wechselwirkung stehen und deren schlussendliche Abhängigkeit von der menschlichen Arbeit völlig in den Hintergrund tritt. Übertragen wir nun diese Marxschen Erkenntnisse auf unsere Frage nach der Entstehung von instabilen Herrschaftsphasen innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft, dann können wir das Ergebnis wie folgt auf den Punkt bringen: Auch wenn die ArbeiterInnen ihre tägliche Lohnarbeit als Wiederkehr des Ewiggleichen, als durch die Lohnzahlung scheinbare abgegoltene bloße Plackerei zum Zwecke der eigenen Reproduktion erfahren, ist es doch diese implizit produktiver werdende Arbeit, die unmerklich, still und leise die gesellschaftliche Totalität der bürgerlichen Gesellschaft instabiler werden lässt, indem sie mit naturnotwendiger Sicherheit jene Widersprüche entwickelt, die früher oder später in große Weltmarktkrisen münden müssen. Und, um Missverständnisse vorzubeugen: Hiermit wird nicht behauptet, dass nach Marx jede instabile Phase des Kapitalismus durch Arbeit produziert wird, aber indem die LohnarbeiterInnen in der bürgerlichen Gesellschaft arbeiten, wie sie arbeiten, sorgen sie nach Marx mit zyklischer Notwendigkeit dafür, dass sie sich selbst massenhaft die beschränkte Befriedigung innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft verderben und dass auf jede Prosperitäts- die nächste Krisenepoche folgt. Aber: wenn es der Umgang der Gesellschaft mit der menschlichen Arbeit ist, der zyklisch im Kapitalismus die Verhältnisse unaufhaltsam instabiler macht, dann langt dieser Hinweis nicht, um die Entstehung instabiler Herrschaftsperioden im Kapitalismus zu erklären, denn die ArbeiterInnen haben mit der Produktion der Krise keineswegs ihre eigene Ohnmacht überwunden. Wie kann sich also neben der selbst produzierten Unzufriedenheit über die sozialen Verhältnisse auch die Selbsterkenntnis der Macht der eigenen Arbeit einstellen? Erneut ist es sinnvoll, den historischen Zufall im Hinterkopf zu behalten, dennoch können der Orientierung halber zwei idealtypische Wege zur Erlangung dieser Selbsterkenntnis und damit eines radikalen Machtbewusstseins der ArbeiterInnen umrissen werden, nämlich die kontinuierliche Genese dieses radikalen Machtbewusstseins sowie die nachholende Entwicklung hin zu selbigem. Die kontinuierliche Genese des radikalen Machtbewusstseins – bei Marx übrigens im Zentrum seiner Überlegungen zu diesem Thema – führt uns zunächst zurück in die stabile Phase kapitalistischer Herrschaft. Denn, da wie anfangs angemerkt auch in dieser Phase Kämpfe der ArbeiterInnen – zumeist als Lohnkämpfe – nicht ausbleiben, können die ArbeiterInnen in diesen Kämpfen Erfolge und damit erste Kostproben der eigenen Macht machen.[5] Gelingt es ihnen nun, diese Erfolge und die dabei gemachten Erfahrungen kritisch zu reflektieren, gelingt es wiederum diese Reflexionen zu tradieren und damit eine lebendige Kontinuität von Kampf- und Machterfahrungen innerhalb und außerhalb ihrer spezifischen Kampfformationen zu sichern[6], dann wird die Krise für diese ArbeiterInnen zwar ihren Schrecken nicht verlieren, aber neben den spezifischen Zutaten der Krise[7] sind somit auch innerhalb der ArbeiterInnenschaft sehr viele Ansatzpunkte vorhanden, um durch die Intensität der Kämpfe in der Krise über ihre bürgerlichen Beschränkungen hinausgehen. Die nachholende Entwicklung hin zu einem radikalen ArbeiterInnenbewusstsein wiederum geht zunächst von einem umgekehrten Szenario aus. Die Kämpfe innerhalb der stabilen Periode blieben sporadisch, d.h. insbesondere Kampferfolge hatten keine weitergehenden Debatten und Tradierungen innerhalb der Lohnabhängigen zur Folge, so dass die Krise dann im Anfang auf eine zersplitterte und ängstliche ArbeiterInnenschaft trifft, die die Lösung der Krise von oben erhofft und die Krise ihrem äußeren Anschein nach lediglich als Geldkrise[8] versteht. Aber auch wenn damit zu Beginn der Krise keine radikale Praxis der ArbeiterInnen gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft möglich ist, so besteht doch in der Entfaltung der sozialen Widersprüche des Kapitalismus durch die Krise, in der plötzlichen Beschleunigung und ungeheuren Aufladung sozialer Prozesse für die ArbeiterInnen doch die Möglichkeit Kampf- und Erfolgserfahrungen in kurzer Zeit nachholend zu durchlaufen, sodass sich bald ein radikales Machtbewusstsein ausbilden kann.[9] Wohlgemerkt „kann“ – denn die Krise ist zwar ein soziales Treibhaus, da sie wie von Geisterhand die Alltagsstrukturen sehr vieler Menschen infragestellt, bedroht und zerstört, sodass ein „ruhiges Leben“ kaum mehr möglich ist und der soziale Kampf für die eigenen Interessen immer nahe liegender wird. Aber weder gibt die Krise den ArbeiterInnen damit spontane Einsichten, noch sollte unbemerkt bleiben, dass bloße Verzweiflung – die bei einer ängstlichen ArbeiterInnenschaft die Hauptmotivation der ersten Krisenkämpfe ist – voller Ambivalenzen steckt, da sie besonders schnell in Apathie umschlägt und da sie einfache Losungen von rechts für die ArbeiterInnen attraktiv macht. Kehren wir zum Schluss in die Gegenwart und damit zu den Ausgangsproblemen der Linken heute zurück. Welchen aktuellen Mehrwert haben die obigen Überlegungen für die Linke? Erstens: Weder haben soziale Kämpfe diese Krise produziert, noch das Finanzkapital, so unlieb uns seine VertreterInnen auch erscheinen mögen, sondern nach einem langen Zyklus und trotz seit knapp drei Jahrzehnten erlahmender Kampfbereitschaft[10] haben die LohnarbeiterInnen – ohne es zu wollen, durch die schlichte Art, wie sie arbeiten (müssen?) – dafür gesorgt, dass der Kapitalismus instabiler geworden ist. Deshalb sollte die Linke folgern, dass die LohnarbeiterInnen als ProduzentInnen der Krise sind auch der Ausweg aus derselben sind. Zweitens: Die Hoffnung der Linken kann in dieser Krise nur in einer nachholenden Entwicklung hin zu einem radikalen ArbeiterInnenbewusstsein liegen, denn drei Jahrzehnte erlahmender Kämpfe sind, da wir uns erst im Anfang der Krise befinden, nicht auf die Schnelle kompensierbar. Damit ist dies aber auch eine vage Hoffnung, denn auf die großen Gefahren dieser nachholenden Entwicklung zu einem radikalen Machtbewusstsein der ArbeiterInnen haben wir hingewiesen. Trotzdem sollte die Linke ihre Praxis an dieser Hoffnung orientieren. Es gilt, eigene Versäumnisse auszubügeln und den sozialen Kontinent der ArbeiterInnenklasse für diese Linke wieder zu entdecken sowie sich dabei auf mehr als eine Enttäuschung bereit zu machen, denn tatsächlich sorgen die ungünstigen Voraussetzungen dreier verlorener Jahrzehnte, mit denen die LohnarbeiterInnen in diese Krise gehen, für die Anfälligkeit für politizistische und nationalistische Kurzschlüsse. Schließlich: Die Fähigkeit der bürgerlichen Gesellschaft, manifester werdende Schwierigkeiten hinauszuzögern, sollte weiterhin berücksichtigt werden, aber sie sollte nicht von der schlussendlichen Notwendigkeit der bürgerlichen Gesellschaft, schmerzvolle und langwierige Krisenphasen zu durchlaufen, ablenken. Es ist also nicht auszuschließen, dass massive Konjunkturprogramme, Nullzinspolitik und Verstaatlichungsstrategien der großen Industrieländer bald Erfolge zeitigen. Auch wenn dies nicht der Beginn einer großen Weltmarktkrise ist, so ist es mit Sicherheit der Vorbote einer solchen in den nächsten 10-20 Jahren und das bedeutet, wir stehen vor einer derart langen Zeit intensiver sozialer Kämpfe, das die Erneuerung eines stabilen Kapitalismus einstweilen aus dem Blick geraten wird. Ob wir deshalb als Linke dahin kommen, erneut eine instabile Phase kapitalistischer Herrschaft mit herzustellen, ja womöglich die Aufhebung derselben in greifbare Nähe rückt, werden wir sehen. E-mail: cubie /at/ web /punkt/ de Anmerkungen: [1] Folgt man Eric J. Hobsbawm, dann gab es ein solch goldenes Zeitalter nicht nur zwischen 1945 und 1990 (E.J. Hobsbawm, Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, München 1998), sondern bereits vorher, denn er schreibt: „Für die Mehrzahl des Staaten des bürgerlichen und kapitalistischen Westens (…) war die Periode von 1875-1914 und ganz besonders die von 1900 bis zum Ausbruch des ersten Weltkriegs trotz aller Unruhen und Abweichungen von der Normalität eine Zeit der politischen Stabilität. Bewegungen, die das System ablehnten, wie der Sozialismus, waren in seinem Netz gefangen oder konnten sogar – wenn sie genügend machtlos blieben – als Katalysatoren für den Konsens der Mehrheit dienen.“ (E.J. Hobsbawm, Das imperiale Zeitalter 1875-1914, Frankfurt am Main 2004, S.141 f. vgl. ebd., auch S. 134, 153, 174.) [2] MEW, Bd. 33, S.209. [3] Wenn nach Marx Kapitalüberakkumulation und tendenzieller Fall der Profitrate Hand in Hand gehen, dann steckt in der These vom tendenziellen Fall der gesellschaftlichen Profitrate auch der Hinweis, „dass mit der relativen Abnahme des variablen Kapitals, also der Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkraft der Arbeit eine wachsend größre Masse Gesamtkapital nötig ist, um dieselbe Arbeitskraft in Bewegung zu setzen und dieselbe Masse Mehrarbeit einzusaugen.“ (MEW, Bd.25, S.232) Dass diese These Marxens auch z.B. im Hinblick auf die sog. IT-Revolution Bestand hat, d.h. dass auch deren Produktivitätsfortschritte keine historische Ausnahme darstellen, zeigt Doug Henwood, After the New Economy, New York 2003, S. 39 ff. [4] MEW, Bd.23, S.562. [5] Diese „Kostprobenfunktion“ aber auch der obige Hinweis, dass nach Marx instabile Phasen des Kapitalismus nicht ausschließlich durch Arbeit produziert werden, macht deutlich, warum emanzipative soziale Kämpfe stets und unabhängig von ihrem Inhalt ihre Berechtigung haben, d.h. die hier vertretene These, dass es eine Differenz zwischen stabilen und instabilen Phasen des Kapitalismus gibt, kann nie dazu dienen, Kämpfe durch Verweis auf die ungünstigen Umstände oder ihren Inhalt zu diskreditieren. [6] Die kontinuierliche Genese eines radikalen Machtbewusstseins hat Marx im Blick, wenn er schreibt: „Während wir den Arbeitern sagen: Ihr habt 15, 20, 50 Jahre Bürgerkriege und Völkerkämpfe durchzumachen, nicht nur um die Verhältnisse zu ändern, sondern um euch selbst zu ändern und zur politischen Herrschaft zu befähigen, sagt ihr im Gegenteil: ,Wir müssen gleich zur Herrschaft kommen, oder wir können uns schlafen legen.´“ (MEW, Bd. 8, S.412) Die Bedeutung der Lohnkämpfe hebt er wiederum hervor, wenn er bemerkt: „Abgesehen davon, dass die Tatsache des industriellen Zyklus mit seinen verschiedenen Phasen alle solche Durchschnittslöhne unmöglich macht, bin ich ganz im Gegenteil davon überzeugt, dass das aufeinanderfolgende Steigen und Fallen der Löhne die ständigen daraus resultierenden Kämpfe zwischen Fabrikanten und Arbeitern in der gegenwärtigen Organisation der Produktion die unerläßlichen Mittel sind, den Kampfgeist der Arbeiterklasse lebendig zu halten, diese in einer einzigen großen Vereinigung gegen die Übergriffe der herrschenden Klasse zusammenzufassen und sie davon abzuhalten, zu Mitleid heischenden, gedankenlosen, mehr oder weniger gut ernährten Produktionsinstrumenten zu werden.“ (MEW, Bd. 9, S.170 f.) [7] Bemerkenswert ist insbesondere die Totalitätsdimension der Krise, denn: „Es sind die Krisen, die diesem Schein der Selbständigkeit der verschiedenen Elemente, worin sich der Produktionsprozess beständig auflöst und die er beständig rückerzeugt, ein Ende machen.“ (MEW, 26.3., S.507) [8] ,,In einem Produktionssystem, wo der ganze Zusammenhang des Reproduktionsprozesses auf dem Kredit beruht, wenn da der Kredit plötzlich aufhört und nur noch bare Zahlung gilt, muß augenscheinlich eine Krise eintreten, ein gewaltsamer Andrang nach Zahlungsmitteln. Auf den ersten Blick stellt sich daher die ganze Krise nur als Kreditkrise und Geldkrise dar.“ (MEW, Bd. 25, S.507) [9] Die nachholende Entwicklung hin zu einem radikalen ArbeiterInnenbewusstsein wird von vielen Linken häufig schnell als „Verelendungstheorie“ gebrandmarkt. Allein: zeigt z.B. das jüngste Beispiel Argentiniens nicht, dass Verelendung durchaus fortschrittliche soziale Kämpfe mitprovozieren kann? Außerdem: wie viele ernst zunehmende DenkerInnen haben tatsächlich die soziale Revolution einseitig allein von der Verelendung breiter sozialer Klassen abhängig gemacht? [10] Legt man Beverly Silvers Zahlen über die Entwicklung der globalen Arbeiterkämpfe zugrunde, dann ist ab ca. 1980 eine deutliche Abnahme dieser Kämpfe bis in die Gegenwart zu konstatieren. (B.Silver, Forces of Labor: Workers´ Movements and Globalization since 1870, Cambridge 2003) |
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