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Liebe LeserInnen, wir freuen uns, Euch die Nummer 27 der grundrisse präsentieren zu dürfen. Es ist eine etwas ungewöhnliche Nummer geworden, mit mehr politischen Berichten und Buchrezensionen als sonst. Im Anschluss an das Editorial findet ihr nicht weniger als 3 Texte zu aktuellen politischen Kampagnen, denen wir uns in Solidarität verbunden fühlen: Zum einen ein (Hintergrund)Text über die die Repression gegen die 10 TierrechtsaktivistInnen, die nun endlich – nach über 100 Tagen der Untersuchungshaft – wieder auf freiem Fuß. Hiezu ist positiv zu vermerken, dass eine für österreichische Verhältnisse äußerst breite Front der Solidarität und der Ablehnung der – noch dazu durch keinerlei Fakten gedeckten – ungeheuerlichen Repression gegen die AktivistInnen existiert. Der zweite Text ist ebenfalls aus der Notwendigkeit des Kampfes gegen staatliche Repression entstanden: Ein Wohnprojekt im italienischen Reggio Emilia, dem wir freundschaftlich verbunden sind, ist von der Räumung bedroht. Nähere Infos findet Ihr im Text, wir ersuchen aber auch um aktive Teilnahme an der Soli-Kampagne. Der dritte Text ist eine Einladung zur Beteiligung am Kongress für Solidarische Ökonomie, der im Februar 2009 in Wien stattfinden wird. Doch nun zu den Artikeln: Wir freuen uns, dass Heide Gerstenberger uns ihren vor kurzem in Wien gehaltenen Vortrag zur „Staatsgewalt im globalen Kapitalismus“ zum Abdruck überlassen hat. Aus sozialgeschichtlicher Perspektive zeichnet Gerstenberger darin die Herausbildung eines neoliberalen Staatstyps nach, ohne sich freilich auf verbindliche, und das bedeutet im momentanen Transformationsprozess vorschnelle, Definitionen festzulegen. Das Neu-Nachdenken über die Form kapitalistischer Staatsgewalt, so Gerstenberger, haben wir noch vor uns. Das von Dieter A. Behr und Lisa Bolyos geführte Gespräch mit dem britischen Landwirtschafts-Aktivisten Patrick Mulvany kreist um die aktuellen Debatten zu Ernährungssouveränität, Brotpreisrevolten und die Rolle der Wissenschaft in sich verändernden globalen kapitalistischen Agrarstrukturen. Jens Kastner´s „Aspekte der Guerilla-Form“ verhandelt den Zusammenhang von politischem Kampf, Theoriebildung und den drastischen Veränderungen der ästhetischen Form im Rahmen der 68er-Bewegung. Die Wechselwirkung von migrantischen Bewegungen und sprachlichen Transformationen behandelt der – redaktionell nicht unumstrittene – Text von Vassilis Tsianos, „Die Karte Europas und die Ströme der Migration“. Die Thesen über die Khmer Rouge von Andreas Kranebitter stellen die Fortsetzung seiner in der Nummer 21 begonnen, reiches Quellenmaterial einbeziehenden,s marxistischen Auseinandersetzung mit der Geschichte der kambodschanischen Revolution dar. Eine reiche Auswahl an Buchbesprechungen findet Ihr am Ende dieser Nummer. Dabei ist erstmalig auch eine Rezension eines bereits früher – damals allerdings deutlich kritischer – in den grundrissen besprochenen Buches, nämlich von Gabriel Kuhn´s „Jenseits von Staat und Individuum“. Zwei weitere Bücher möchten wir euch noch besonders ans Herz legen: zum einen der von Heiko Schmidt herausgegebene Band „Die Freiheit fällt nicht vom Himmel. Fundstücke aus dem Spanischen Bürgerkrieg“ – er versammelt neben detaillierten Beschreibungen ebenjener Fundstücke (nebenbei fungiert „Die Freiheit fällt nicht vom Himmel“ nämlich auch als antiquarischer Katalog) Texte zum spanischen Bürgerkrieg, unter anderem von Nuria Fernandez Rojo und dem ehemaligen Spanienkämpfer Hans Landauer. Aber auch grundrisse-Redakteure liegen nicht – oder zumindest nicht nur – auf der faulen Haut: Gemeinsam mit Gerhard Hanloser verfasste Karl Reitter ein gerade eben im Unrast-Verlag erschienenes Büchlein namens „Der bewegte Marx“, welches wir selbstredend an dieser Stelle zur Lektüre empfehlen. Abschließend möchten wir noch auf unsere im September beginnende Veranstaltungsreihe „Stop making capitalism vol. II“ hinweisen. Nähere Informationen im unten stehenden Kasten sowie in Kürze unter www.grundrisse.net. Beste Grüße Eure grundrisse-redaktion Aufruf zur Mitgestaltung des Kongresses „Solidarische Ökonomie“, Wien (BOKU), 20.-22.2.2009 Von 20. – 22.2. 2009 findet in Wien der Kongress „Solidarische Ökonomie“ statt. Alle sind eingeladen, workshops, offene Diskussionsrunden, Filme, Performances etc. einzubringen. Rückmeldungen sind bis 17.10.2008 erbeten. Ziel des Kongresses ist:
Das Verständnis von Solidarökonomie soll dabei breit angelegt werden - also bezogen auf Solidarität als gegenseitige Unterstützung und eine Ökonomie, die sich an den menschlichen Bedürfnissen orientiert und nicht umgekehrt. Der Begriff soll bewusst nicht eng geführt werden und es soll Platz für unterschiedliche Konzeptionen und Ansätze sein sowie für kontroversielle Diskussionen. Dabei geht es um Kritik der Geschlechterverhältnisse, Kapitalismus, Zerstörung natürlicher Lebensräume genauso wie um den selbstreflexiven Blick auf solidarökonomische Projekte wie: selbst verwaltete Räume und Betriebe, alte und neue Genossenschaften, solidarische und interkulturelle Gärten etc. Unser Konsens gilt egalitären, partizipativen und unhierarchischen Formen und Prinzipien der Solidarischen Ökonomie, die wir auch in Vorbereitung und Ablauf des Kongresses leben wollen. Daraus ergab sich für die geplante Kongressstruktur: Parallele gleichwertige Einheiten, in denen alle ihre Inhalte anbieten können; für spontane Veranstaltungsideen und weiterführende Diskussionen werden ebenfalls Räume vorhanden sein. Welche Angebote von VeranstalterInnen es schon gibt, ist zu sehen auf www.solidarische-oekonomie.at. Bitte ggf. zwecks Koordination mit anderen in Kontakt treten und Eure/Deine Angebote auf der website eintragen! Ausführlichere Informationen, Zeitstruktur des Kongresses und Anmeldung von Beiträgen zum Kongress: Europäische Unterstützungskampagne für das Wohnprojekt des Collettivo Sottotetto im Viertel Compagnoni in Reggio Emilia, Italien Das Collettivo Sottotetto, ein im norditalienischen Reggio Emilia ansässiges und seit dem Frühjahr 2006 bestehendes Kollektiv, hat es sich zur Aufgabe gesetzt, den Diskurs um das Recht auf ein Dach über dem Kopf in der Stadt wieder öffentlich präsent zu machen. Das Recht auf eine Wohnung als Grundrecht jedes Menschen, um eine Basis für ein würdevolles Leben zu haben, wird vom Kollektiv nicht nur theoretisch propagiert, sondern auch praktisch eingefordert und umgesetzt. Nun ist, passend ins Licht der „Säuberungsstrategien“ eines immer unsozialeren, rassistischeren und intoleranteren Italiens, eines der wichtigsten Projekte des Collettivo Sottotetto in seiner Existenz bedroht: Im symbolträchtigen Viertel Compagnoni in Reggio Emilia, dem seit einem halben Jahrhundert bestehenden Viertel der ArbeiterInnen, der Arbeitslosen und sozial Ausgeschlossenen mit über 400 Sozialwohnungen, werden seit Jahren über Hundert Wohnungen leer und ungenutzt gelassen und nicht mehr vermietet. Das Viertel war im Jahr 1959 erbaut worden, um die Innenstadt von ‚sozial schwachen’ Bevölkerungsschichten zu „säubern“ und diese in die Via Compagnoni, damals extreme Peripherie der Stadt, zu verfrachten. Die Geschichte wiederholt sich: Das Viertel, durch den urbanen Wachstum inzwischen zentrumsnah gelegen, soll bis zum Jahr 2011 geschliffen werden, ein großer Teil seiner BewohnerInnen wird in andere Stadtviertel umgesiedelt. Auf dem Baugrund werden um Millionen Euro neue Häuser erbaut, welche teilprivatisiert werden, die Anzahl der Sozialwohnungen wird sich nach Schleifung und Wiederaufbau in diesem Viertel drastisch verringern. Gleichzeitig stehen 850 Familien in Reggio auf der Warteliste für eine Sozialwohnung, jede 135. Familie in der Stadt ist von Zwangsräumung aufgrund von Zahlungsunfähigkeit betroffen. Das Collettivo Sottotetto hat einige dieser über Hundert seit Jahren im Viertel Compagnoni leerstehenden Wohnungen auf eigene Kosten wieder benützbar gemacht. Die BesetzerInnen zahlen eine symbolische Miete an die zuständige Wohnbaugesellschaft und haben durch die Wohnungen, mit denen sie keine Schulden machen, eine Basis für den Wiederbeginn eines Lebens in Würde gesetzt. Genau dieses Projekt ist nun in seiner Existenz bedroht. Die Stadtregierung bezeichnet das Projekt, bei dem die seit Jahren leerstehenden Wohnungen eingenommen wurden, als ‚rechtswidrig’, während sie genau weiß, dass sie den Familien keine realistische und annehmbare Alternative vorschlagen konnte oder besser wollte. Der tunesischen Familie wurde das ‚Angebot’ gemacht, den Rückflug nach Tunis zu bezahlen (!), während einer anderen Familie vorgeschlagen wurde, dass sie doch für 20 Euro pro Tag auf eigene Kosten in der Jugendherberge schlafen könne. Schon seit Monaten geschehen Schikanen, die bei weitem nicht nur das Collettivo Sottotetto ungläubig blicken lassen. So wurden in zahlreichen Wohnungen Sanitäranlagen und Fenster zerschlagen sowie alle Türen herausgenommen, damit sie nicht besetzt werden können. Anfang August wurde den Familien eines besetzten Wohnhauses der Strom abgedreht, und dies trotz eines gültigen Vertrags mit dem Stromanbieter, bezahlter Stromrechnungen und mehrerer hier lebender sieben Monate bis drei Jahre alten Babys und Kleinkinder. Mitte August um 5 Uhr früh kam eine Hundertschaft in mit Kampfmontur, Helmen und Schildern bekleideten Polizisten ins Viertel gestürmt und räumte eines der besetzten Wohnhäuser; vollbewaffnete Polizisten, die bei Morgengrauen Spielzeug aus den Wohnungen trugen, machten wohl auf niemandem einen guten Eindruck. Die Familien sind nun auf der Straße, ihnen wurden bis dato keine annehmbaren Vorschläge von Seiten von Sozialarbeitern und Stadtregierung unterbreitet, das Wohnhaus wird nun doch vorzeitig abgerissen. Auch die in anderen Wohnhäusern befindlichen vom Collettivo Sottotetto besetzten Wohnungen sind von der Räumung bedroht. Eine europäische Solidaritätskampagne wird dieses Wohnprojekt des Collettivo Sottotetto unterstützen und verurteilt die Maßnahmen der verantwortlichen PolitikerInnen: ein offener Brief, der an Bürgermeister und Stadtregierung von Reggio Emilia gerichtet ist, kann von Organisationen, Einzelpersonen, Projekten in ganz Europa unterzeichnet werden. Der von den UnterstützerInnen unterzeichnete Brief wird auf der Homepage www.globalproject.info veröffentlicht (etwa Mitte September) und dem Bürgermeister von Reggio Emilia überreicht. Unterstützungskomitee des Collettivo Sottotetto / Reggio Emilia – Berlin – Bremen – Wien – Stockholm Für Rückfragen stehen wir gerne zur Verfügung soli_sottotetto@libero.it Repression gegen TierrechtsaktivistInnen Am Mittwoch, den 21. Mai 2008 gegen 7:00 Uhr in der Früh stürmten Spezialeinheiten der Polizei, teilweise mit der geladenen Waffe im Anschlag, 23 Wohnungen und Büros in Wien, Salzburg, Innsbruck und Graz. Die Hausdurchsuchungen, bei denen Computer, Handys sowie diverse Unterlagen beschlagnahmt wurden, richteten sich gegen AktivistInnen der Tierrechtsszene aus Österreich, Luxemburg und Deutschland; gegen zehn der AktivistInnen lagen darüber hinaus Haftbefehle vor. Der den Hausdurchsuchungen und Haftbefehlen zugrunde liegende Vorwurf der ermittelnden Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt lautet auf §278a StGB – Mitgliedschaft in einer „Kriminellen Organisation“. Der angelastete §278 wurde 1993 im Strafgesetzbuch eingeführt, um bei der Bekämpfung so genannter organisierter Kriminalität bereits die Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation unter Strafe stellen zu können - ohne dass Mitgliedern konkrete Straftaten nachgewiesen werden müssen. Dabei müssen bei einer „Kriminellen Organisation“ nach dem Anti-Mafia Paragraphen §278a, im Unterschied zu der einfachen „Kriminellen Vereinigung“ nach §278, mehrere Voraussetzungen gleichzeitig vorliegen: so muss unter anderem der Zusammenschluss „unternehmensähnlich“ aufgebaut sein; eine größere Anzahl von Personen umfassen; die Organisation nach massiven finanziellen Vorteilen streben oder einen erheblichen Einfluss auf Politik oder Wirtschaft haben; auch die Abschirmung gegen Strafverfolgungsmaßnamen sind Teil des Strafbestandsmerkmals. In den Haft- sowie Hausdurchsuchungsbefehlen befinden sich mitunter sehr bemühte Verweise auf die, angeblich festgestellten, oben genannten Organisationsmerkmale. So wurde die Verhängung der Untersuchungshaft über die zehn AktivistInnen damit begründet, dass „Verdunkelungsgefahr“ bestünde, da die AktivistInnen verschlüsselte Emails gesendet hätten. Außerdem würde „Tatbegehungsgefahr“ bestehen, da die Beschuldigten langjährig in der Tierrechtsszene aktiv gewesen seien und teilweise von ihrem „Recht auf Aussageverweigerung“ Gebrauch machen. Wiewohl die ermittelnden Behörden auf eine Liste unaufgeklärter Straftaten der letzten zehn Jahre verweisen, werden die Betroffenen praktisch mit keinem dieser konkreten Delikte direkt in Verbindung gebracht. Dies mag auf den ersten Blick seltsam anmuten, ist aber durch den §278ff rechtlich gedeckt, da hier ja schon die Mitgliedschaft in einer Organisation mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet werden kann und eine Zuordnung konkreter Delikte somit gar nicht notwenig ist. Die jetzige Polizeirepression betrifft dabei auch sehr unterschiedliche Gruppen und Vereine. So befinden sich etwa unter den Inhaftierten AktivistInnen der größten Tierschutzvereine Österreichs – namentlich der „Vier Pfoten“ und des „Vereins gegen Tierfabriken“ (VgT). Im Gegensatz dazu waren fünf der inhaftierten AktivistInnen bei der kleinen, aus dem linken politischen Spektrum kommenden „Basisgruppe Tierrechte“ – darüber hinaus aber auch in der autonomen Szene – aktiv. Die Tierrechtsszene ist in Österreich sehr überschaubar, war aber in den letzten Jahren vor allem auf Grund der Übernahme von international üblichen, in Österreich bis dahin aber kaum verwendeten Kampagnenformen eine der aktivsten sozialen Bewegungen – und noch dazu relativ erfolgreich. Nach der Durchsetzung eines Verbots für Pelztierfarmen in Österreich Ende der 1990er Jahre konzentrierten sich die Aktivitäten der AktivistInnen auf die Einstellung des Imports und Verkaufs von Tierpelzen durch große Textilfirmen. Mit juristischen Mitteln war diesen Formen der Kampagnentätigkeit, die Aktionen im Rahmen des Zivilen Ungehorsams, Demonstrationen sowie aktive Öffentlichkeitsarbeit umfasste, scheinbar nicht mehr weiter beizukommen. So konnten die zuletzt wöchentlich stattfindenden Demonstrationen vor Geschäften der Firma Kleiderbauer, in denen Tierpelze verkauft werden, vom Büro für Versammlungsangelegenheiten der Bundespolizeidirektion Wien trotz größter Bemühungen nicht verhindert werden. Wie aus den Ermittlungsakten zwischenzeitlich bekannt, gab es in dem Zusammenhang etwa Treffen der Geschäftsführung der Firma Kleiderbauer, hochrangigen PolizeibeamtInnen und VertreterInnen des Innenministers, im Zuge dessen es die Anweisung gab, alle möglichen Mittel gegen die in der Öffentlichkeit stehenden AktivistInnen einzusetzen. Aber auch der nun bekannt gewordene Überwachungsaufwand war in Folge enorm. Neben dem Abhören von Telefonen und der Überwachung von E-Mails an Hand einer Stichwortliste wurden auch Standortortung per Handydaten, sowie umfangreiche Rufdatenerfassungen durchgeführt. In Autos wurden Peilsender eingebaut, AktivistInnen beschattet, sowie V-Männer eingesetzt. Speziell um den „Großen Lauschangriff“ – im konkreten Fall die Überwachung von Wohnungen und Büros mit Videokameras, sowie das Abhören von Gruppentreffen und Wohnungen – rechtlich gedeckt anwenden zu können, wurde seitens der Polizei schlussendlich zum §278a StGB gegriffen. Neben dem Versuch, die Kampagnenarbeit der AktivistInnen nachhaltig zu stoppen, hoffte die Polizei durch die Hausdurchsuchungen wohl auch eine Beteiligung an Aktionen der militanten Tierrechtsszene nachweisen zu können. Nachdem aber auch im Zuge von Überwachung und Hausdurchsuchungen solche Verstrickungen scheinbar nicht nachgewiesen werden konnten, kamen die Behörden in den letzten Wochen immer mehr unter öffentlichen Druck. Für die Entlassung der AktivistInnen aus der U-Haft Anfang September letztlich entscheidend gewesen sein dürfte der anstehende Nationalratswahlkampf und der Versuch der SPÖ, die eigene Justizministerin aus dem medialen Schussfeld zu ziehen. Der Versuch der Behörden, politische AktivistInnen auf diese Weise zu kriminalisieren, ist zwar kein Novum, aber in dieser Intensität bemerkenswert. Übertroffen werden die aktuellen Vorgänge lediglich von der im Mai 1999 unter Heranziehung des §278a durchgeführten „Operation Spring“, einer Verhaftungswelle gegen – speziell auch in der antirassistischen Szene aktive – Personen, darunter vor allem MigrantInnen mit prekärem Aufenthaltsstatus. Mitte der neunziger Jahre wurde unter Verwendung des §278 gegen eine anarchistische Buchhandlung bzw. Verlag in Wien ermittelt. Auslöser für 19 Hausdurchsuchungen waren hierbei Aufkleber, die der „Kronen Zeitung“ von einem „Informanten“ zugespielt wurden und zum „Attentat auf den Bundeskanzler“ aufriefen. Außerhalb der „Krone“ schienen diese Aufkleber aber bloß virtuell zu existieren – waren sie doch sonst nämlich nirgendwo gesehen worden. Im Gegensatz zur „Operation Spring“ verliefen diese Ermittlungen und damit in Zusammenhang stehende Verfahren jedoch im Sand und wurden schließlich eingestellt. Auch der Vorgänger-Paragraph von § 278ff, die Mitgliedschaft in einer „kriminellen Bande“, wurde wiederholt dazu benutzt, Ermittlungen gegen ganze politische Szenen auf „gut Glück“ zu führen; wie etwa gegen die Wiener HausbesetzerInnenbewegung Ende der achtziger Jahre. Im vorliegenden Fall scheinen die Kriminalisierungsversuche der Behörden aber eher einen gegenteiligen Effekt zu haben. Einerseits gab es in Österreich ein zuletzt immer stärker werdendes Medienecho in Bezug auf den Fall. Dies ist einerseits damit zu erklären, dass Die Grünen sich hinter die Inhaftierten gestellt haben, andererseits mit dem Thema „Tierschutz“ erklärbar. Aber auch innerhalb der radikalen Linken gibt es eine gewisse Aufmerksamkeit für den Fall. Hier einerseits, weil es ein Bewusstsein dafür gibt, dass die Anwendung der Ermittlungsparagraphen 278 („Kriminelle Vereinigung“), 278a („Kriminelle Organisation“) und 278b („Terroristische Vereinigung“) jegliche legale politische Arbeit bedroht. Erfreulich ist aber auch, dass die Repression zu einer gewissen Auseinandersetzung seitens radikaler Linker, mit der sonst eher ignorierten Tierrechtsszene und deren Anliegen, geführt hat (vice versa natürlich auch). Zu guter Letzt hat die Repression aber auch dazu geführt, dass es eine stärkere Einbindung in europäische Rechtshilfestrukturen gibt. So wird es auch beim kommenden ESF in Malmö etwa ein Panel geben, das die Bedeutung der aktuellen Anti-Terrorgesetzgebungen für soziale Bewegungen in Europa zum Thema hat. Abschließend sei noch erwähnt, dass die Entlassung aller zehn AktivistInnen aus der U-Haft nicht bedeutet, dass die Verfahren eingestellt wurden. Die Behörden ermitteln zurzeit auch weiterhin gegen mutmaßlich 26 Personen. Gegen wen ermittelt wird, ist dabei teilweise unklar, da ein Teil des Aktes – mit Verweis auf laufende Ermittlungen und Überwachungsmaßnahmen - immer noch unter Verschluss ist.
Antirepressionsgruppe Wien, Nähere Infos gibt es unter
http://antirep2008.lnxnt.org. Spendenkontonummer: 01920013682; BLZ: 14 000; Empfängerin:
Grünalternative Jugend Wien; |
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