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Sergio Bologna: Raus aus der Sackgasse!
Einleitende Bemerkung von Klaus Neundlinger 1. Der im Anschluss abgedruckte Text von Sergio Bologna wurde anlässlich des EuroMayday 2007 in Mailand geschrieben und bezieht sich deshalb vor allem auf die Situation in Italien. Kennzeichnend für die Analyse Sergio Bolognas ist eine beständige Auseinandersetzung mit der Abbildung der Arbeit in den offiziellen Statistiken und den Schlüssen, die die institutionalisierte Sozialwissenschaft daraus zu ziehen pflegt. Man könnte dieser Verfahrensweise eine gewisse „Kälte“ vorwerfen. Man könnte dagegen einwenden, dass sie sich den objektivierenden Blick aneignet, der die Sprache der Statistik und ihrer AuslegerInnen auszeichnet, die die lebendige Arbeit auf diese Weise „einzufrieren“ versuchen. Man könnte des Weiteren vorbringen, dass sich eine solch detaillierte Auseinandersetzung mit einem nationalen Arbeitsmarkt, mit einer spezifischen Situation, die von der Geschichte der rechtlichen und institutionellen Regelungen eines einzelnen Landes geprägt ist, nicht ohne Schwierigkeiten verallgemeinern oder auf die Lage in anderen Ländern übertragen lässt. Die Analyse, die hier durchgeführt wird, beschränkt sich jedoch nicht auf eine „andere“, eine „weitere“ Interpretation des vorhandenen Zahlenmaterials. Im Gegenteil, es geht gerade darum, den Blick auf das Phänomen Arbeit im Postfordismus beweglich zu machen, ihm Leben und Kraft einzuhauchen, sodass die Zahlen und statistischen Kategorien letztlich eine Verwandlung durchmachen. Es geht also nicht so sehr um ein gelehrtes Hantieren mit Daten, sondern vielmehr um einen Aspekt eines umfassenden Selbstversuchs. Selten wird dies so deutlich wie an diesem Text, der uns dazu auffordert, Wesen und Gestalt des Arbeitsmarktes neu zu denken und auf diese Weise zu einer neuen Klassenanalyse zu kommen. Das „Ausfransen“ der Beschäftigungsstruktur wird auf diese Weise in einer völlig anderen Bedeutung sichtbar als in den Untersuchungen der offiziellen Arbeitsmarktforschung: Es handelt sich eben nicht darum, die Ränder der Erwerbsarbeit immer genauer zu bestimmen, die Abweichungen von der Normalität, vom Zentrum, um sie danach wieder dieser Normalität anzugleichen, sondern darum, dieses Ausfransen als das zentrale Phänomen der neuen Produktionsweise zu begreifen. Unter anderem deshalb besteht Bologna in seinen Analysen darauf, dass eine konsequente Weiterführung des Operaismus nur in einer Auseinandersetzung mit dem Phänomen der „middle class“ Sinn hat. Es geht darum, zu begreifen, welche Auswirkungen die Abwertung des Humankapitals hat, auf dem das Imaginäre der Mittelschichten fußt und dessen materielle wie symbolische Verwertung den Kern ihrer ökonomischen und kulturellen Existenz ausmacht. Indessen gilt es jedoch, vorsichtig mit dem Begriff der „Prekarisierung“ zu verfahren, weil die neuen Arbeitsformen eben nicht nur mit größerer Unsicherheit, dem Versagen grundlegender Rechte, dem Phänomen der Befristung und schlechter Bezahlung verbunden sind. Sie sind gewiss durchzogen von einem der Wesenszüge der postfordistischen Arbeitsorganisation: der Unbestimmtheit. Diese erhöht den Druck auf die Organisationen, ihre Struktur und Dynamik den Schwankungen der Marktnachfrage anzupassen und ihren Kern auf jenes Instrument zu verlagern, das allein die Unbestimmtheit in „rationale“ Betriebsführung, die Ausübung von Macht, die Ordnung von Beziehungen, die Formulierung von Zielen und Bewertung von Prozessen, Dienstleistungen und Produkten verwandeln kann: die Kommunikation. Allerdings darf man darüber eine der Wurzeln der neuen Arbeitsorganisation nie vergessen: die massenhafte Verweigerung gegenüber der Arbeits- und Lebenswelt des Fordismus in den 1970er Jahren. Viele der neuen Arbeitsformen sind aus alternativen Entwürfen hervorgegangen, und bis heute ist die „neue Selbständigkeit“ vom Willen gekennzeichnet, sich der hierarchischen Welt und dem „kulturellen Fiasko“ der abhängigen Lohnarbeit zu entziehen. Oft mögen diese Motive nichts anderes sein als die Rechtfertigung einer Realität des Egoismus, der Überlastung, der Überarbeitung und der Tatsache, dass auch die in Selbständigkeit vollbrachte Arbeit von Routine und Frust nicht verschont bleibt. Es mag sich um die Eingliederung einstmals widerständiger Formen des Handelns in die dem Kapital willkommene Sprache eines neuen UnternehmerInnentums handeln. Dennoch gilt es, diese Phänomene ernst zu nehmen und sich den Figuren der neuen Arbeit anzunähern. Oft sprechen sie nicht die Sprache der Linken und der sozialen Bewegungen. Oft scheint ihr Auftreten in der Öffentlichkeit von einem Pragmatismus geprägt, der das Eigeninteresse in den Vordergrund stellt und sich auf die Forderung nach gesetzlichen Anpassungen und steuerlichen Erleichterungen beschränkt. Genau deshalb ist es meines Erachtens aber wichtig, eine Arbeit der Übersetzung zu leisten, die unterschiedliche Anliegen, Ausdrucksformen und Lebensentwürfe miteinander in Verbindung zu setzen imstande ist. Hinter einer Sprache, die vordergründig als unpolitischer Lobbyismus erscheint, versteckt sich oft ein Potenzial der Erneuerung, das es sichtbar zu machen gilt. Dies scheint mir der tiefere Sinn der Beschäftigung mit Statistiken zu sein: In ihnen spiegelt sich die Krise der Institutionen, welche es nicht schaffen, das Neue zu integrieren. In gewissem Sinne entspringt diesem Versagen zwar nicht notwendigerweise, aber doch prinzipiell, die Möglichkeit eines neuen Antagonismus. 2. Was können wir dem Text aus nicht-italienischer Sicht hinzufügen? In einer Diskussionsrunde zum Thema „Wissensarbeit“ formulierte jüngst eine Expertin für die so genannten „Ein-Personen-Unternehmen“ einen Wunsch. Wenn sie Geld für ein Forschungsprojekt zur Verfügung hätte, dann würde sie die gesamte, durch „Ein-Personen-Unternehmen“ geleistete Wertschöpfung erheben. Ist es vollkommen abwegig, darin eine neue Form der con-ricerca, der partizipatorischen Forschung operaistischer Prägung, zu sehen? Was würde denn bei einer solchen Untersuchung zum Vorschein kommen? Je nachdem, wie man sie anlegt, könnte man auf jeden Fall eines erreichen: die neuen Formen der Arbeit sichtbar zu machen, jener Arbeit, die teils durch Auslagerung, Nischenbildung, durch verschiedenste Formen des aus Lust oder Not geborenen Experimentierens entstanden sind. Man könnte, darauf aufbauend, sowohl die Produktions- als auch die Organisationsmacht der neuen Selbständigen untersuchen. In den offiziellen Statistiken und wirtschaftswissenschaftlichen Analysen werden diese Formen von Arbeit hingegen als Spielarten des „UnternehmerInnentums“ ausgewiesen. So kommt es, dass das Phänomen des „Ausfransens“ des Arbeitsmarktes statistisch auf mannigfache Weise verschleiert wird. Zunächst zur Zahl der Selbständigen ohne die in der Landwirtschaft Beschäftigten. Diese ist in den Jahren zwischen 1996 und 2006 von 6,4 % auf 8,8 % der Gesamtbeschäftigtenzahl angestiegen. Von den 2 203 868 unselbständig in der Privatwirtschaft Tätigen arbeiteten im Jahr 2003 zwar 37,1 % in den 963 in Österreich ansässigen Unternehmen mit 250 und mehr Beschäftigten. In Österreich gibt es jedoch über 180 000 Ein-Personen-Unternehmen, dazu kommen knapp 40 000 „neue Selbständige“, die nicht über einen Gewerbeschein verfügen und deshalb auch keine Mitglieder der Wirtschaftskammer sind. Die meisten als „Unternehmen mit Beschäftigten“ geführten Betriebe, nämlich 86,7 %, sind Mikro-Unternehmen mit zwischen 1 und 9 Beschäftigten. In diesen Betrieben arbeiten zwar nur 17,3 % der unselbständig Beschäftigten des Privatsektors, wenn man jedoch die Selbständigen dazuzählt, so kommt man auf einen Anteil an der Gesamtzahl der Beschäftigten (nach dem Labour-Force-Konzept) von 24,4%. Betrachtet man die Betriebe mit bis zu 9 Beschäftigten, so sind es ca. 600 000 selbständig oder unselbständig Beschäftigte, die im privaten Sektor entweder als „Ich-AGs“ (1) oder als LeiterInnen kleinster Unternehmen (2) oder als Beschäftigte in solchen „Mini“-Unternehmen (3) tätig sind. Wenn man die Selbständigen in ein Verhältnis zur Gesamtzahl der Beschäftigten setzt, kommt man immerhin noch auf 17 %. Die durchschnittliche Betriebsgröße im Bereich der Mikrounternehmen liegt bei drei Beschäftigten, was bedeutet, dass der Großteil der Betriebe über nicht mehr als ein, zwei Beschäftigte verfügt. Tatsächlich weist die Statistik der Wirtschaftskammer für das Jahr 2006 nicht weniger als 91 857 „Unternehmen“ mit nur einem Beschäftigten aus. 37 177 Betriebe haben zwei Beschäftigte, 23 929 Betriebe drei Beschäftigte, 16 757 vier Beschäftigte, 11 486 Betriebe fünf Beschäftigte und 26 035 Betriebe zwischen 6 und 9 Beschäftigte. Das Ausfransen nimmt jedoch noch andere Formen an: Die Politik überschlägt sich momentan mit Jubelmeldungen zur Senkung der Arbeitslosigkeit und zur Erhöhung der Beschäftigung. Allerdings ist die Steigerung der Beschäftigungsquote nicht zuletzt auf das rasante Ansteigen der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse (momentan fast 240 000) zurückzuführen. Dazu kommen weitere Formen der „atypischen Arbeit“: 177 000 Erwerbstätige verfügen über einen befristeten Arbeitsvertrag, und vor allem viele Frauen haben nur Teilzeitstellen (im Bereich zwischen 12 und 35 Stunden sind es 970 000), die oft nicht ihrer eigentlichen Qualifikation entsprechen. Sie leisten nach wie vor die meiste unbezahlte Arbeit im Haushalt, in der Kindererziehung und der Pflege. Ungefähr 316 000 Frauen suchen laut der Arbeitskräfteerhebung von 2006 aufgrund von Pflege oder Betreuung Angehöriger oder anderer persönlicher Gründe keine Erwerbsarbeit. Die Statistik bestätigt über diese Kategorisierung also rückwirkend, dass die Gesellschaft bestimmte Tätigkeitsformen nicht als entlohnenswerte Arbeit anerkennt. Während die Arbeitslosenzahl nach dem Labour-Force-Konzept zuletzt bei 186 000 lag, erhob der Mikrozensus von 2006 nach dem alternativen, auf subjektiver Einschätzung gründenden Lebensunterhaltskozept eine Zahl von 264 000 Arbeitslosen. Darüber hinaus wurde in den letzten zwei Jahren nur ein Viertel der neu geschaffenen Stellen durch vorher Beschäftigungslose besetzt. Denkt man an das Umsichgreifen des Phänomens der unbezahlten Praktika, so ergibt sich ein weiterer Faktor der mangelnden Anerkennung und Retribution oftmals qualifizierter beruflicher Tätigkeit. Das Phänomen des Ausfransens geht demnach Hand in Hand mit dem der Polarisierung, die dazu führt, dass bestimmte Gruppen strukturellen Ausschlussmechanismen hinsichtlich des Zugangs zum Arbeitsmarkt und der Kontinuität der Erwerbsbiographie unterworfen sind. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass gerade höher qualifizierte Frauen manchmal eine selbständige Tätigkeit anfangen, weil sie auf diese Weise den strukturellen Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt entgehen können. Ähnliches kann man von MigrantInnen sagen, denen andere Möglichkeiten des Eintritts in den Arbeitsmarkt oft verwehrt sind und denen es über Nischen, Spezialisierung und die Bewirtschaftung spezifischer Marktsegmente gelingt, sich in die ökonomischen Kreisläufe einzuklinken. Immerhin lag der Anteil nicht-österreichischer StaatsbürgerInnen unter den Selbständigen im Jahr 2001 bereits bei 13%. Oft ist die Tätigkeit in diesem Bereich jedoch mit langen Arbeitszeiten und schlechter Bezahlung bzw. Absicherung verbunden. In diesem Sinne könnte das fehlende Glied in der Kette, jenes Element, das die heterogenen Formen der Beschäftigung im Postfordismus untereinander verbinden könnte, eine Neufassung des Versicherungsprinzips sein. Während die historischen Verbände der wechselseitigen Hilfe, der Kooperativen und die ersten Versicherungen eher das Risiko der Invalidität abdeckten und die ausgefeilten sozialstaatlichen Systeme zunächst den Gedanken der Überbrückung beschränkter, periodisch auftretender Phasen und in den letzten Jahren immer stärker den der Disziplinierung und Kontrolle der „Arbeitsfähigen“ in den Vordergrund stellen, könnte man sich neue Formen der „Versicherung“ sowohl als Rahmen der freien ökonomischen, sozialen oder kulturellen Initiative als auch als Auswege aus der Diskriminierung und mithin als Instrument emanzipatorischen Handelns vorstellen. Dies würde beiden, bislang eher getrennt funktionierenden symbolischen Kontexten, dem der sozialen Bewegungen und dem der „gefährdeten“ Mittelklasse, entgegenkommen. Sergio Bologna:Raus aus der Sackgasse! Die Bewegung gegen prekäre Arbeitsverhältnisse und soziale Unsicherheit, sowie zugunsten gleicher Rechte für alle BürgerInnen, scheint bislang nur imstande zu sein, das Unbehagen mit den momentanen Zuständen zu transportieren und Protest zu organisieren, nicht aber, die Dinge tatsächlich zu verändern. Zu viele Hindernisse stehen einem effektiven Fortschritt hinsichtlich der Lage der Prekären entgegen. Die derzeit amtierende Regierung von Romano Prodi und die Politik seines Arbeitsministers stellen ein solches Hindernis dar, doch erweisen sich manche Schranken innerhalb der Bewegung selbst als ebenso tückisch. Klassenbewusstsein entwickeln Es ist eine allgemein anerkannte Tatsache, dass der Fordismus die Figur des Massenarbeiters hervorgebracht hat. Von dieser Auffassung ausgehend hat sich das politische Denken entwickelt, welches den sozialen Bewegungen der 1960er und 70er Jahre ihre Inhalte geliefert hat. Die Reflexion über die vom Postfordismus hervorgebrachte Klasse ist hingegen weniger artikuliert oder zumindest uneinheitlicher. Viele Versuche, das Wesen dieser Klasse zu bestimmen, wurden und werden unternommen, nicht zuletzt jener, sie als „Nicht-Klasse“ zu definieren. Solange es jedoch nicht gelingt, für sie ein adäquates Profil zu finden, mit derselben Klarheit und ebenso schematisch, offensichtlich und leicht kommunizierbar wie dies beim Begriff „Massenarbeiter“ der Fall war, wird jede Anstrengung, ein politisches Subjekt zu bilden, mit dem Regierung und Kapital sich auseinandersetzen müssen, fruchtlos bleiben. Ein Denksystem neu zusammensetzen Der so genannte „italienische Operaismus“ stellt vielleicht das einzige System dar, welches versucht hat, der Wahrnehmung der Klassenverhältnisse in der Nachkriegszeit eine Ordnung zu geben. Vollziehen wir für einen Moment den Denkweg nach, den der Operaismus zurückgelegt hat, um letztlich das Klassensubjekt des Fordismus definieren zu können, den Massenarbeiter. Der erste Schritt bestand darin, die Maschinen in ihrer Fähigkeit zu begreifen, das menschliche Verhalten gleichsam genetisch zu verändern. Den zweiten Schritt stellte das Verständnis der politischen Kontrolle dieses Prozesses dar: Es galt, den Zusammenhang zwischen Regierungshandeln, öffentlicher Verwaltung und technologisch-organisatorischem Wandel einsichtig zu machen. Dritter Schritt: Wenn man die Glieder der Kette einmal erkannt hat, die einem die Hände fesselt, muss man lernen, sie eines um das andere zu sprengen. Ist ein ähnlicher Denkweg heute überhaupt noch sinnvoll zu beschreiten? Versuchen wir doch einmal, die eben vorgestellte Abfolge nachzuahmen. Wer weiß, ob sie uns nicht zu einem Ergebnis führt. Die Beziehung Mensch-Maschine Erster Schritt: der kapitalistische Gebrauch der Maschinen. Gehen wir von der Annahme aus, dass die Symbol-Technologie des Fordismus das Fließband ist und die Symbol-Technologie des Postfordismus der Computer. Daraus ergeben sich zwei völlig verschiedene Typen von Arbeitskraft. Der erste Typ muss, auch wenn die einzelnen Subjekte über Bildung verfügen, seine eigenen Biorhythmen bloß an die der Maschine anpassen, er ist eine ihrer Funktionen oder einer ihrer Bestandteile. Der zweite Typ von Arbeitskraft muss, auch wenn die einzelnen Subjekte nicht über Bildung verfügen, bestimmte Kompetenzen und Kenntnisse vorweisen und imstande sein, mit der Maschine zu interagieren. Im Fordismus haben wir es mit einer technologischen Macht zu tun, die die Arbeitskraft unterjocht und diszipliniert, im Postfordismus hingegen mit einem technologischen Werkzeug, das mit der Arbeitskraft in einen Dialog tritt. Im Fordismus wird der Mensch paradoxerweise auf einen Affen reduziert, im Postfordismus ist der Mensch ganz Gehirn. Im ersten Fall war die Befreiung nur über eine Umkehr der Beziehung zur Maschine zu erreichen (über den Rhythmus entscheide ich und nicht die Maschine, der individuelle Stücklohn muss abgeschafft werden, die Technologie darf nicht einfach akzeptiert, sondern muss verändert werden, zuerst die Gesundheit und dann die Produktivität, die Löhne sollten tendenziell für alle gleich sein usw.). Für den Postfordismus zeichnet sich ein gänzlich anderer Weg ab, denn der Computer ist (zumindest potenziell) Befreiung. Die Denkwege gestalten sich um vieles komplexer, und um sie zu erkunden, müssen wir uns vom Operaismus verabschieden. Wir müssen den Geist und die Logik des ursprünglichen Operaismus verteidigen, nicht die operaistische Mode von heute. Idioten des lebenslangen Lernens Jene Phänomene, die eine Veränderung der sozialen Verhaltensweisen, der Gewohnheiten und Stile herbeiführen, sind von größerer Bedeutung als jene, die durch eine im menschlichen Organismus durchgeführte Veränderung erreicht werden können. Die erste große Absetzbewegung, die den Postfordismus vom Fordismus wegführt, besteht darin, dass er dem Humankapital, den Kompetenzen und Kenntnissen, einen hohen Wert zuschreibt. Um in den Arbeitsmarkt einsteigen zu können, muss man über eine gute Ausbildung verfügen, sodass man seinem Lebenslauf immer weitere Qualifikationen und Erfahrungen anfügen kann, ohne dass sich an den prekären Arbeitsverhältnissen etwas ändern würde. Der Postfordismus hat das so genannte „Bildungsangebot“ auf abnorme und monströse Weise aufgebläht. Hunderte Schulen, Kurse und Lehrgänge überhäufen uns mit ihren Angeboten, die sich momentan noch auf den privaten Sektor beschränken. Doch bald schon werden die öffentlichen Schulen ihr eigenes branding betreiben und ins Marketing investieren, wie das heute bereits manche Universitäten tun. Der Postfordismus hat das lebenslange Lernen erfunden, jenen heimtückischen Mechanismus, aufgrund dessen die jungen Leute sich einreden, ihr Prekariat hänge nicht von Kräfteverhältnissen zwischen Klassen ab, sondern von der ungenügenden Bildung. Je länger diese Leute also in der Beschäftigungslosigkeit verharren oder unterbeschäftigt sind, umso mehr Ausbildungen machen sie. Während es im Schulbereich zu einer Rückentwicklung gekommen ist, wird die Universität weiter den Erfordernissen der Professoren entsprechend organisiert, man richtet sich nicht nach den Bedürfnissen der Studierenden. Insofern haben der Postfordismus und die so genannte knowledge economy die Fragmentierung eines privaten und öffentlichen Bildungsmarktes hervorgerufen, dessen Funktion mittlerweile nur mehr darin besteht, einen Menschen zu bilden, der in prekären Verhältnissen lebt, bevor er überhaupt in den Arbeitsmarkt eintritt. Was es bedeutet, über ein eigenes Denksystem zu verfügen Einer der Faktoren, die zum Erstarken des operaistischen Denksystems zu Beginn der 1960er Jahre beigetragen haben, war das detaillierte Studium des Taylorismus und des Fordismus in ihrem Ursprungsland, den Vereinigten Staaten. Die italienische und auch die europäische Kultur hatten zu jener Zeit kaum davon Notiz genommen. Der Taylorismus und der Fordismus waren in Europa mit zehn, fünfzehn Jahren Verspätung angekommen, in Ländern wie Italien und Deutschland mit der Machtergreifung der faschistischen Bewegungen. Die Kultur der linken Parteien jener Zeit hatte sehr vage Vorstellungen vom Fordismus, es handelte sich um eine „produktivistische“ Kultur, die vollkommen vom Antifaschismus bestimmt war, d.h. von Problematiken, die mit den Institutionen zu tun hatten. Deshalb wurde der Taylorismus als Instrument zur Steigerung der Produktivität angesehen, das in der Sowjetunion bestens funktioniert hatte. Zwischen den Operaisten und dem Rest der Linken tat sich ein kultureller Abgrund auf. Heute befinden wir uns in einer ähnlichen Lage. Die Kultur der italienischen Linken weiß nicht oder will nicht wissen, was in den USA mit der Heraufkunft der New Economy passiert ist, mit den dot-com-Firmen und all jenen Initiativen und Ereignissen, die in den 1990er Jahren eine wahre Revolution ausgelöst haben, vor und nach dem Aufkommen des Internet. Sie haben vor allem nicht begriffen, dass diese Revolution auch antikapitalistische Züge getragen hat und unter dem Banner der Verweigerung von disziplinären und produktivitätssteigernden Modellen der big corporations vorangetrieben wurde, aufgrund eines klaren Bewusstseins der Auflehnung gegen das Bildungssystem, wie es von den Business Schools und den großen Universitäten repräsentiert wird. Die Selbstbildung, das, was früher einmal das Autodidaktentum genannt wurde, hatte bei den Protagonisten der New Economy einen hohen Stellenwert. Die Großrechner von IBM wurden „Informationslager“ genannt. Aus diesem Geist ging die Open-Source-Bewegung hervor, von dort stammen die heute noch aktiven Gruppen der „Informatiker für die Demokratie“, die über die Gefahren der Privatisierung des Web wachen. In diesem Zusammenhang hat sich auch jene neue Klasse herausgebildet, die von den Management-Gurus als Knowledge-workers bezeichnet wird. Diese haben eine neue Welt erträumt, eine neue Weise zu arbeiten, Unternehmen zu führen, eine andere Art, sich selbst zu definieren, weder blue noch white collar, weshalb sie etwa Andrew Ross, einer der herausragendsten Chronisten ihrer Geschichte, no-collar genannt hat. Später sind sie dann von der Finanz wieder aufgesogen und durch die Krise 2000/2001 aufgerieben worden – aber welche Revolution ist im kapitalistischen Westen nicht institutionell aufgesogen und aufgerieben worden? Von den Erfahrungen dieser Web Class (man sehe mir diesen Neologismus nach) muss man ausgehen, um die Natur des Postfordismus und seine Fähigkeit zu verstehen, die Lage der prekären Arbeit zur Strukturbedingung zu machen. Die Regierung Prodi macht gerade das Gegenteil. Es wird keinerlei Versuch angestellt, die fordistischen Arbeitsmodelle (insbesondere den unbefristeten Dienstvertrag) im Arbeitsrecht und in der entsprechenden Politik zu überwinden. Solcherart könnte man nämlich in einer innovativen Anstrengung auf das Prekariat zugehen und es als allgemeine Form anerkennen. Sie werden im Gegenteil immer noch als die einzigen Modelle behandelt, die einem Zugang zum System der wohlfahrtsstaatlichen Schutzbestimmungen verschaffen. In einem ideologischen Gewaltakt werden diesen fordistischen Modellen die Prekären, die Scheinselbständigen, die neuen Selbständigen – also die gesamten postfordistischen Arbeitsformen angepasst. Indessen wäre es unerlässlich, neue Kriterien für den Schutz der Arbeitsbedingungen zu finden, die nicht dem typischen abhängigen Dienstvertrag entsprechen, neue soziale Leistungen, neue Arten der Förderung. Das Prekariat als Randproblem Es wäre sicher eine lohnenswerte Aufgabe, würde man den Weg der linken Intelligenz in ihren leider gelungenen Versuchen, das Wesen der Arbeit im Postfordismus zu verdunkeln, Schritt für Schritt nachzeichnen. Eine erste Ahnung, dass sich etwas veränderte, kam den Intellektuellen und Akademikern vor zehn Jahren, als sie bemerkten, dass es „atypische“ oder, wie man in Brüssel sagt, „nicht standardmäßige“ Formen der Beschäftigung gibt. Die Gewerkschaften führten die ersten Studien durch und heraus kam, dass die so genannten co.co.co (freie Dienstnehmer, dienstnehmerähnlich Beschäftigte) mehr als zwei Millionen ausmachten. Das Problem der atypischen Arbeit war also alles andere als marginal, insofern es 10% der Arbeitskraft betraf. Zu dieser Zahl kamen die neuen Selbständigen, doch die wurde man schnell wieder los, indem man behauptete, das seien keine Arbeitskräfte, sondern „Unternehmen“, „Ein-Personen-Betriebe“, und deshalb würden sie in die Zuständigkeit der Arbeitgeberverbände fallen. Nachdem Berlusconi an die Macht gekommen war, gab sein Arbeitsminister mit der anfänglichen Beratung von Marco Biagi der „atypischen“ Arbeit ein institutionelles Gewand. Dies war ein erster wichtiger Schritt in Richtung Anerkennung des Umstandes, dass die Arbeitswelt in Veränderung begriffen war und dass man von diesen Veränderungen aus eine neue Politik des Arbeits- und Sozialrechts und der Tarifverhandlungen schaffen müsse. Doch die linke Intelligenz gab sich nicht geschlagen und ersann allerhand Schachzüge, um das Problem der „atypischen Arbeit“ auf eine marginale Schwierigkeit zu reduzieren. Neue statistische Analysen senkten die Zahl der zwei Millionen co.co.co auf 400 000. Die neuen Erhebungsmethoden des Statistischen Zentralamtes ergaben, dass die selbständige Arbeit zurückging (man vernachlässigte den Umstand, dass nur die traditionelle selbständige Arbeit abnahm, also in der Landwirtschaft und im Einzelhandel, während die Zahl der neuen Selbständigen stark zunahm). Auf diese Weise wurde das Problem des Postfordismus, von dem wir gesagt haben, dass es eine sehr komplexe Transformation der kapitalistischen Ordnung mit sich bringt, auf ein Randproblem und das Prekariat auf ein gewissermaßen physiologisches Problem reduziert. Diesen herausragenden Geistern zufolge handelte es sich dabei um eine Übergangsphase im Arbeitsleben eines jeden von uns (fließende Phase), die üblicherweise schnell vorbeigeht und einer Phase der stabilen und für den Rest des Lebens sicheren Beschäftigung weicht (beständige Phase). So sind wir bei der Regierung Prodi und bei seinem Arbeitsminister Damiano angelangt, mit dem jede Spur eines Nachdenkens über die postfordistische Arbeit getilgt ist. Die einzige Vorstellung von Arbeit ist die vom unbefristeten Dienstvertrag. Die Prekären, die Atypischen, die Nicht-Standardmäßigen werden nur als „Übergangsfiguren“ anerkannt. Sie gehören zu den Randerscheinungen des Arbeitsmarktes und verschwinden, sobald sie zu den stabilen Arbeitskräften der „beständigen Phase“ gehören. Allerdings hat man für diese Vertragsformen die Sozialversicherungsbeiträge erhöht. Die einzige konkrete Aktion der Regierung zugunsten des Prekariats konnte im Übrigen nur im Bereich der öffentlichen Verwaltung statthaben: Man gewährte einer gewissen Anzahl von Angestellten, die bisher nur befristete Verträge hatten, eine unbefristete Anstellung. Im privaten Sektor kann die Regierung nichts machen, solange sie keine neue Arbeitsgesetzgebung einführt. Wie man sich selbst schadet oder der Kampf gegen die neuen Arbeitsgesetze Die Bewegung gegen das Prekariat hat sich vehement gegen das „Gesetz Nr. 30“, die so genannte „legge Biagi“ gewandt und dabei einen tragischen Fehler begangen. Dieses Gesetz stellt eigentlich die Anerkennung von Arbeitsformen jenseits des Standardmodells dar. Auf seine – vielleicht ungeschickte – Weise hat es versucht, Schutzbestimmungen für diese Formen einzuführen. Zum ersten Mal hat es der postfordistischen Arbeit einen rechtlichen Rahmen gegeben und das Prekariat als strukturelles Phänomen anerkannt, und nicht als eines des „fließenden“ Übergangs, wie das von der jetzigen Regierung und ihren Beratern versucht wird. Das Maßnahmenpaket von Tiziano Treu, dem Arbeitsminister der ersten Mitte-Links-Regierung von Prodi 1997/98, hatte hingegen Prozessen unkontrollierter Flexibilisierung Tür und Tor geöffnet. Insofern erscheint die Entscheidung, die legge Biagi als Ziel eines Kampfes gegen das Prekariat ins Visier zu nehmen, nichts anderes als eine Neuauflage von Don Quijotes Kampf gegen die Windmühlen. Dieses Gesetz nimmt zumindest die atypischen Arbeitsformen als konstante Erscheinungsform zur Kenntnis, während in der gegenwärtigen Regierung die Ansicht vorherrscht, dass es sich dabei um eine Art von jugendlicher Akne handelt. Die großen Zahlen oder die wahren Dimensionen der italienischen Wirtschaft In Italien arbeiten 47% der Arbeitskräfte im privaten Sektor, das sind 7 683 000 Personen, in Unternehmen mit weniger als 10 Beschäftigten. Davon wiederum sind 6 179 000 Menschen in Unternehmen beschäftigt, die durchschnittlich nicht mehr als 2,7 Beschäftigte haben (die Daten beziehen sich auf eine Aussendung der nationalen Statistischen Behörde vom Oktober 2006). Fügen wir zu diesen ca. eine Million Personen hinzu, die in Unternehmen mit höchstens 15 Beschäftigten arbeiten, dann haben wir ein Heer von 8,5 Millionen Personen (von insgesamt 16 Millionen), die nicht unter den Schutz des Artikels 18 des Arbeiterstatuts fallen. D.h. sie genießen keinen Kündigungsschutz. Insofern stellt auch der unbefristete Arbeitsvertrag für weniger als die Hälfte der in der Privatwirtschaft Beschäftigten einen totalen Schutz dar. Sehen wir vom öffentlichen und halböffentlichen Sektor ab, so können wir sagen, dass der italienische Arbeitsmarkt im Bereich der unbefristeten Arbeitsverhältnisse einen ziemlich hohen Grad an Flexibilität erreicht hat. Zu diesem Kern kommt noch das Prekariat im engeren Sinne hinzu. Das eigentliche „schwarze Loch“ stellen jene mehr als 6 Millionen Arbeitskräfte dar, die in Unternehmen arbeiten, deren durchschnittliche Beschäftigtenzahl unter drei liegt. Aus zwei Gründen handelt es sich dabei um ein „schwarzes Loch“. Erstens kann eine wirtschaftliche Einheit aus kaum drei Personen nicht sinnvoll als „Unternehmen“ bezeichnet werden. Wer auch nur oberflächliche Kenntnisse von ökonomischer Theorie hat, weiß, dass ein Unternehmen eine Institution darstellt, die aus drei verschiedenen sozialen Funktionen oder Rollen besteht: dem Kapital, dem Management und der Arbeitskraft. In den Familienunternehmen fallen Kapital und Management zusammen. Eine Struktur, die aus nicht einmal drei Personen zusammengesetzt ist, wird deshalb nur aus ideologischen Gründen „Unternehmen“ genannt. Man will das vielgestaltige Universum der selbständigen Arbeit mit einem elementaren Organisationsgrad in den Rahmen der kapitalistischen Bourgeoisie einschreiben. Formen selbständiger Arbeit gibt es zwar schon lange, doch ist dieses Phänomen mit der Ausbreitung der postfordistischen Produktionsbeziehungen explosionsartig angestiegen. Jene 6 179 000 Personen sind teils „Ein-Personen-Unternehmen“ (ein weiterer absurder und mystifizierender Begriff), teils Selbständige, die ein oder zwei (Komma sieben) Beschäftigte haben – welche oft auf der Basis unbefristeter Verträge angestellt sind. Den zweiten Grund für dieses „schwarze Loch“ stellt der Umstand dar, dass dieses Universum und das unmittelbar angrenzende, jenes der Mikro-Unternehmen mit bis zu 9 Beschäftigten, jener Bereich ist, der die meiste Nachfrage nach Arbeitskraft aufweist. Es ist also jener Sektor, der die Beschäftigungsdynamik aufrechterhält. Die mittleren und großen Unternehmen, besonders jene 2010 Firmen, die den harten Kern des italienischen Kapitalismus bilden und die in einer detaillierten Studie von Mediobanca aus dem Jahr 2006 untersucht worden sind, haben im Jahrzehnt zwischen 1996 und 2005 ununterbrochen Arbeitsplätze abgebaut. Das ist aber noch nicht alles. Nachdem die Gewerkschaften im Juli 1993 das unselige Übereinkommen zur Einschränkung der Lohnkosten unterzeichnet hatten, blieben die Gehälter im öffentlichen wie im privaten Sektor fast gleich. In keinem anderen Land der Europäischen Union haben sich die Löhne so schlecht entwickelt. Trotz dieses Entgegenkommens seitens der Gewerkschaften haben die Unternehmen weiter ihre Strukturen filetiert, Aufträge an Zulieferer vergeben, Produktionsabschnitte ausgelagert und auf diese Weise die Kernbelegschaft immer weiter schrumpfen lassen. Sie haben also dazu beigetragen, dass der Bereich der Mikrounternehmen und der selbständigen Arbeit mit einem elementaren Organisationsgrad ständig anwuchs. Die in den Abkommen vereinbarte Lohndisziplin hätte die Unternehmen dazu bringen sollen, zu wachsen, mehr Leute in stabile Arbeitsverhältnisse aufzunehmen sowie in Forschung und Innovation zu investieren. In Wirklichkeit ist genau das Gegenteil geschehen: Die Unternehmen werden immer fragmentierter, immer kleiner, immer zerbrechlicher und weit entfernt vom letzten Stand der technologischen Entwicklung. Trotz dieser Position der absoluten Unterlegenheit auf dem Markt sorgt dieses Universum für Beschäftigungswachstum in Italien. Jene Unternehmen hingegen, die laut der Studie der Handelsbank Mediobanca Profite in nie dagewesener Höhe einfahren, leisten einen äußerst bescheidenen Beitrag zur Beschäftigung oder bauen sogar Arbeitsplätze ab. Man kann das Wesen des italienischen Kapitalismus deshalb als Anomalie betrachten. Wer aber zahlt dabei drauf? Das Humankapital natürlich, die Fähigkeiten und Kenntnisse der Arbeitskräfte. In einer Rede vor Studierenden der Universität Rom hat der Gouverneur der italienischen Zentralbank erklärt, die niedrige Arbeitsproduktivität in Italien sei „unter den industrialisierten Ländern ein Einzelfall“. Bekanntlich steigt die Produktivität der Arbeit in dem Maße, wie das Humankapital, d. h. die Intelligenz und die Kompetenz der Personen, ihre physischen Anstrengungen, die Erbringung menschlicher Arbeitsleistung sich mit dem fixen Kapital verbinden, das in Technologien, Maschinen, organisatorische Systeme, materielle und immaterielle Infrastruktur usw. eingeht. Im kapitalistischen System Italiens bleibt das Humankapital vollkommen sich selbst überlassen. Es muss für die Reproduktionskosten selbst aufkommen und sieht sich des fixen Kapitals beraubt (das Universum der so genannten „Mikro-Unternehmen“ – ich ziehe es, wie gesagt, vor, von einem Universum der selbständigen Arbeit mit einem minimalen Organisationsgrad zu sprechen). Die größten finanziellen Ressourcen sind in Unternehmen konzentriert, die wenig Humankapital einsetzen, in Unternehmen mit Niedrigtechnologie. Darüber hinaus ist das italienische System nicht nur ein low-tech-System, sondern auch ein System, in dem die Rendite über den Profit gestellt wird. Die großen italienischen Unternehmen sind nicht die der wettbewerbsintensiven Sektoren des Weltmarktes – Autoindustrie, Chemie, Elektronik, Verlagswesen usw. –, sondern solche, die Monopolstellung genießen und entsprechende Renditen abwerfen (Mineralölverwaltung, Stromversorgung, Telekommunikation, Autobahnnetz, Banken, Versicherungen usw.), d.h. es sind Unternehmen, die auf irgendeine Weise „geschützt“ sind. Die qualitative Verschlechterung der abhängigen Arbeit Den höchsten Preis dieser desaströsen Situation zahlt, wie gesagt, das Humankapital, die Kompetenzen, die Leistung, die Intelligenz. Es wurde ein System geschaffen, das die Intelligenz gleichermaßen verachtet und fürchtet und alles tut, um sie zu demütigen, zu erniedrigen und zu erpressen (es genügt, sich anzuschauen, wie die Tageszeitungen geschrieben sind). So viel zur Knowledge Economy! Wer weiß, wann die jungen Italienerinnen und Italiener erkennen werden, dass es für ihr Humankapital keinen Markt gibt, dass Kenntnisse und Fähigkeiten nur an den Kosten gemessen werden, dass man nur Arbeit bekommt, wenn einen jemand empfohlen hat, dass die Qualität der Arbeitsplätze „jeden Tag schlechter wird“? Von den Gewerkschaftsführern und den früheren Gewerkschaftsmitgliedern, die heute Ministerämter bekleiden, hört man weiter nur das Versprechen, das Prekariat werde bald überwunden sein, indem man die Leute in stabile Beschäftigungsverhältnisse bringe und ihre befristeten Verträge in unbefristete umwandle. Diese Haltung erzeugt jedoch nur eine folgenschwere Mystifikation, weil das viel größere und verbreitetere Phänomen unserer Zeit nicht (oder nicht nur) das Prekariat ist, sondern die Verschlechterung der Qualität der abhängigen Arbeit, hinsichtlich der Bezahlung, der Karrieredynamik, der Beziehung zum hierarchisch-disziplinären System des Unternehmens, aber auch in Bezug auf das Verhältnis der Kollegen untereinander, den Stress, die Länge des Arbeitstages, die Anerkennung von Leistungen usw. In Italien beträgt die Differenz zwischen dem Netto-Einkommen eines auf Basis eines unbefristeten Vertrages unselbständig Beschäftigten und dem eines prekär Beschäftigten nur 250 Euro monatlich zugunsten des ersteren. Gerade die qualitative Verschlechterung der unselbständigen Arbeit bringt viele Junge dazu, sich für die selbständige Arbeit zu entscheiden. Und in diesem Zusammenhang bahnt sich eine weitere Mystifikation an. Für unsere Minister ist selbständige Arbeit gleichbedeutend mit „Scheinselbständigkeit“. Die „atypischen“ Arbeitsformen, wie sie sie nennen, sind jedoch oft, ja immer öfter, Formen des Selbstschutzes vor dem Elend der abhängigen Arbeit, dem niedrigen Lohn, und dem Arbeitsumfeld, das immer schlimmer wird, abgesehen davon, dass viele ihre Bestrebungen nach Autonomie und Unabhängigkeit verwirklichen wollen. Aus diesem Grund basiert die begriffliche und kulturelle Ausrichtung der Arbeitsmarkt- und Jugendpolitik der Regierung Prodi auf einer erstaunlichen Folge von Mystifikationen, die zwanzig Jahre der Reflexion über den Postfordismus und seine Charakterzüge einfach auslöschen. Keine Angst davor, sich als middle class zu verstehen Es ist unverständlich, warum viele Vertreter der Bewegung, die die Positionen des Prekariats repräsentieren wollen, glauben, sich als Proletariat verkleiden und mit den Migranten identifizieren zu müssen, und dabei weiterhin die verbrauchte Symbolsprache und die abgedroschene Bilderwelt der sozialistischen Tradition des 19. Jahrhunderts verwenden. Das zentrale Phänomen dieser Phase der postfordistischen Epoche oder der „Neuen Ökonomie“ ist die Krise der middle class in den westlichen Ländern. Laut Robert Reich, Arbeitsminister unter Bill Clinton, ist es der amerikanischen Mittelschicht seit den Zeiten der Großen Depression 1929 nicht mehr so schlecht gegangen. Nicht die marginalen Schichten der Gesellschaft werden aufgerieben, die zentrale Komponente verliert den Anschluss, sieht keine Zukunft und hat immer weniger Anteil am geschaffenen Reichtum. Da die Struktur der Arbeitskraft in Italien und in Westeuropa sich nicht sehr von der in den Vereinigten Staaten unterscheidet, ist dies heute das Grundproblem. „Welcome to the middle class poverty“ lautet der Slogan, den die Gewerkschaft der Freelancer von New York (40 000 Mitglieder) auf ihre Flugblätter geschrieben hat, die zu Tausenden in der U-Bahn verteilt wurden. Hätte man sich eingehender mit den Schwierigkeiten der middle class beschäftigt, dann hätte man den Aufstieg Berlusconis wohl besser verstanden. Wie man weiß, wird jedoch die Klassenanalyse von einer politischen Schicht, die nur noch in Begriffen der Klientelpolitik zu denken vermag, nicht mehr betrieben. Das Prekariat ist das Massenphänomen einer mit Wissen und Kompetenzen ausgestatteten Arbeitskraft, die intensiv in Ausbildung investiert hat, einer Arbeitskraft, die ihre skills in Dutzenden verschiedenen Arbeitszusammenhängen erworben hat. Das typische Curriculum einer solchen Arbeitskraft umfasst instabile Arbeitsverhältnisse und gelegentliche Aufträge, die hohe Anforderungen stellen, auf die dann wieder Scheißjobs folgen – dieses Prekariat ist ein Phänomen der middle class und betrifft BürgerInnen reicher Gesellschaften. Wozu sich also als Proletarier verkleiden und den ganzen kulturellen Ballast der Zweiten, Dritten und Vierten Internationale mit sich herumschleppen? Wozu sich als Proletarier verkleiden, wenn die jungen Leute heutzutage auf jeden Fall gezwungen sind, in der Welt herumzufahren, um Arbeit zu suchen, wie das Millionen analphabetischer Bauern zu Beginn des 20. Jahrhunderts gemacht haben? Wie viele Prekäre gibt es in Italien? In einem am 21. März 2007 auf der Webseite www.lavoce.info veröffentlichten Artikel heißt es, die Zahl der Prekären belaufe sich auf 3 757 000, also 12% aller Beschäftigten, „während sich unter denen, die keine Arbeit mehr haben, auf Arbeitsuche sind oder unmittelbar bereit sind, zu arbeiten, 36,3% Prekäre befinden“. Derselben Quelle zufolge beträgt der durchschnittliche Jahresverdienst von befristet Beschäftigten 12 438 Euro, der eines auf Projektbasis Angestellten 10 191 Euro, der eines unselbständig Beschäftigten mit unbefristetem Dienstvertrag 15 342 Euro, während der Jahresverdienst eines nicht näher spezifizierten Selbständigen 23 277 Euro ausmacht. In dieser Auflistung fehlen jedoch die ca. 3,5 Millionen in der Schattenwirtschaft oder irregulär Beschäftigten. Diese Daten enthüllen uns nichts vom „gesellschaftlichen Klima“, in dem sich ein Phänomen wie das Prekariat ausbreitet, noch sagen sie etwas über die Auswirkungen auf die Subjektivität, die davon betroffen ist. Die universitäre Forschung spricht nicht über diese Aspekte, sie verweisen stolz auf kalte Zahlen, hinter denen man nur mühsam die Gesichter zu erkennen und die Stimmen der Personen zu vernehmen imstande ist. Deshalb gilt es, aufmerksam die wenigen Studien zu lesen, die aus dem Willen der Arbeitenden hervorgehen, sich Klarheit über ihre Welt zu verschaffen, diese Klarheit in eigenen Worten auszudrücken und sich die richtigen Fragen zu stellen. Ziehen wir als Beispiel eine kürzlich durchgeführte Untersuchung heran, die von ArbeiterInnen eines großen Verlagshauses angefertigt wurde, der RCS-Gruppe (Tageszeitungen, Zeitschriften, Bücher, Videos usw.). Es handelt sich also um einen für die Transformationen der New Economy typischen Sektor, einen strategischen Sektor wie den der Information, einen Sektor, der der Sphäre der creative class zugeordnet werden kann. Die Forschungsarbeit beschränkte sich auf den Bereich der Periodika, also die journalistische Arbeit im engeren Sinn (die auch heute bei vielen jungen Menschen noch Träume und Wunschvorstellungen hervorruft). In fünf Jahren (von 2001 bis 2006) ist die Zahl der Unselbständigen von 23,3% auf 7,9% zurückgegangen; die Zahl der Scheinselbständigen ging von 20,9% auf 11,1% zurück und die Selbständigen – die Freelancer im eigentlichen Sinn – sind von 55,8% auf 81% angewachsen. Was das Einkommen der Freelancer betrifft, hält die Studie fest, dass 40% weniger als 1200 Euro brutto und 18% weniger als 600 Euro brutto im Monat verdienen, doch finden sich unter den Freiberuflichen auch 30%, die mehr als 2500 Euro brutto monatlich verdienen. Die Mehrzahl der Interviewten, sowohl Männer als auch Frauen, zieht die Arbeit als Selbständige(r) einer unselbständigen Anstellung vor. Ein ähnliches, noch lebendigeres Bild ergibt sich aus einem Band, den die Mitglieder einer Vereinigung Selbständiger mit dem Namen ACTA (www.actainrete.it) zusammengestellt haben, da diese Studie auf persönlichen Zeugnissen und autobiographischem Material basiert. Würden wir eine Liste der Seiten und Blogs anlegen, auf denen die Arbeitenden von heute über ihre Lage reflektieren, ihren Frust und ihre Enttäuschung zum Ausdruck bringen, so würden hundert Seiten nicht ausreichen. Wer weiß, ob unsere Minister und Gewerkschafter manchmal einen Blick auf diese Seiten werfen? Leider ist diesen Erzählungen fast immer ein Gefühl der Ohnmacht zu entnehmen. Es gibt wenig Versuche, initiativ zu werden, so als sei die Kultur des Handelns von unten vollkommen verloren gegangen. Auch das ist Teil der eingangs erwähnten genetischen Veränderung. Immer wieder wird behauptet, die middle class sei ihrer Natur nach nicht fähig, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Doch bringt auch hier der Postfordismus die Möglichkeit zur Veränderung mit sich. Vor zehn Jahren hat zum Beispiel eine Anwältin in New York, die aus einer Familie von Gewerkschaftsführern stammt, eine Organisation mit dem Namen „Arbeiten heute“ gegründet (www.workingtoday.org), die in der Folge zu einem Vehikel für verschiedenste Organisationsformen geworden ist. Die Vereinigung richtet sich an das Freelance-Prekariat, an die von uns so genannte Web Class, an die tausend Berufe einer modernen Metropole, die von Menschen ausgeübt werden, welche über Professionalität verfügen oder einfach von der Notwendigkeit getrieben sind, für ihr wirtschaftliches Überleben zu sorgen. Aus dem Verein ist eine große Gewerkschaft hervorgegangen, die Freelancers Union, die eine Reihe von Forderungen aufgestellt hat: Krankenversicherung, Alterspension, geringere Steuerlast, rechtliche Handhabe gegen Auftraggeber, die bei der Bezahlung säumig sind. Heute ist die Gewerkschaft mit 40 000 Mitgliedern eine der Lobbies, die einen gewissen Einfluss auf die Regierung des Big Apple haben. Mitte April 2007 hat sich der Stadtrat von New York versammelt, um der Gewerkschaft in einer Anhörung Gelegenheit zu geben, ihre Probleme darzustellen. Darüber hinaus verhandelt die Freelancers Union für ihre Mitglieder aus einer Position der Stärke mit Banken und Versicherungen. Die Freiberuflichen haben also begonnen, Formen des Selbstschutzes zu entwickeln. Sie stellen sich damit in die Tradition der Arbeiterbewegung, doch arbeiten sie im Stil und mit den Mitteln des Postfordismus, vor allem mit dem Web. Eine weitere Organisation, die von der Journalistin und feministischen Aktivistin Barbara Ehrenreich gegründet wurde, nennt sich United Professionals (www.unitedprofessionals.org). All das passiert in einem Land, das in der Industrie über einen gewerkschaftlichen Organisationsgrad von gerade mal 7% verfügt. Sich als Klasse definieren, nicht als Generation „Génération precaire“, „Generation Debt“, „Generation Praktikum“, „generazione milleuro“ – in allen Ländern taucht der Begriff „Generation“ auf. Er wird verwendet, um die Lage der heute Arbeitenden zu charakterisieren. Auf diese Weise wird zwar unterstrichen, dass es vor allem die Jungen sind, die mit den Auswirkungen des postfordistischen Systems fertig werden müssen, doch verleitet der Begriff auch zur falschen Vorstellung, es handle sich dabei ausschließlich um ein Problem der jüngeren Arbeitskräfte. Es gibt jedoch Leute, die nicht mehr jung sind und seit langem in „nicht standardmäßigen“ Arbeitsverhältnissen arbeiten. Es ist kein Problem der Jungen – es ist das Problem, das die neue, vom Postfordismus und der New Economy hervorgebrachte Klasse betrifft, die neue Menschheit des Web und der Globalisierung. Deshalb haben wir den Begriff Web Class entworfen und sind der Meinung, dass er zur Beschreibung der Wirklichkeit nützlich ist. Wir haben aber auch deshalb den Ausdruck Web Class verwendet, weil wir darin ein positives Element sehen, ein organisatorisches Potenzial, Möglichkeiten des Selbstschutzes und der politisch handelnden Subjektivität. Web sollte hier als „Aufbau eines Netzes“ verstanden werden, als mächtiges Instrument der Kommunikation, als Sprachen-Babel, in dem wir jedoch am Ende lernen, Unseresgleichen zu erkennen, wo wir Codes zur Identifizierung erstellen, uns in Echtzeit Gehör verschaffen und auf die Dummheiten reagieren können, die täglich über uns verbreitet werden. Web Class als Kooperation unter Intelligenzen, Kompetenzen, Skills, als Aufbau eines Denksystems, das gleichermaßen komplex und klar ist, für alle verständlich, aus wenigen zentralen, schematischen, holzschnittartig vorgetragenen Ideen bestehend. Der komplexere und schwierigere Teil, die wahre Schlacht, die es zu schlagen gilt, ist wohl der Umgang mit der Erinnerung als historischem Gedächtnis, die Auswahl des Imaginären, das uns aus der Geschichte der Arbeit überliefert ist, die Formen des Selbstschutzes und die Geschichte der Arbeiterbewegung. Dieses Gedächtnis kann sich als Bürde entpuppen, die uns daran hindert, vorwärts zu kommen, aber auch als Anregung für Ideen, Initiativen, als Ermutigung zum Handeln. Es ist klar, dass die solchermaßen verstandene Web Class eine kleine Minderheit innerhalb der gesamten Arbeitskraft darstellt, wenn man alle Prozesse der Globalisierung in Betracht zieht. Es ist bekannt, dass der Krise der westlichen middle class der Aufstieg des Bürgertums in den aufstrebenden Ökonomien gegenübersteht. Doch wir leben in Europa, und hier wird unser Überleben verhandelt, inmitten dieses politischen und kulturellen Elends, das von allen Seiten über uns hereinbricht und aus dem wir uns befreien müssen, koste es, was es wolle. In der Geschichte der Arbeiterbewegung war es immer so, dass eine in Minderheit befindliche Klasse die Initiative ergriffen hat. Die ersten Arbeitervereine wurden von den Druckern gegründet, weil sie es waren, die lesen und schreiben konnten. Doch stellten diese weniger als 1% der Arbeitskraft dar. Der Massenarbeiter der 1960er Jahre war ebenfalls eine Minderheit innerhalb des Industriesektors. Es handelte sich darüber hinaus nicht nur um Minderheiten, sondern sie hatten auch eine relativ privilegierte Stellung. Wer ein Minimum an Handlungsspielraum, an Ressourcen hat, kann es sich erlauben, die Auseinandersetzung zu suchen. Die Hoffnungslosen, die totalen drop outs, werden weiterhin Berlusconi nachlaufen. E-Mail: Klaus Neundlinger. kneundlinger@yahoo.com |
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